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Kapitel 2: Vom Konzept der Wohlfahrtsmessung zur Theorie der Gerechtigkeit

I.
II.
III.
Fußnoten zu Kapitel 2

III.

[S.54] Der Versuch, soziale Wohlfahrt quantifizierbar messen zu wollen,
scheitert, da jeder vorgeschlagene Wertmaßstab seinerseits ein
subjektiv bewertetes Maß ist, und es folglich prinzipiell keine
Möglichkeit arithmetischer Aggregierung individueller Wohlfahrtsgrößen
zu einem Maß der sozialen Wohlfahrt gibt.

Bewerten ist nicht "Messen", sondern ein in Handlungen manifestiert
werdendes Ordnen von Dingen in relativ höher und relativ niedriger
bewertete Ziele des Handelns. Die Ziele besitzen keinen in
Kardinalzahlen bezifferbaren Nutzen, sondern der durch sie gestiftete
Nutzen kann nur ordinal – in Gestalt von Rangfolgen "gemessen" werden.
Da mit Ordinalzahlen aber nicht gerechnet werden kann, kann eine
Veränderung in der sozialen Welt nur dann als eine Zunahme (Abnahme) an
sozialer Wohlfahrt aufgefaßt werden, wenn diese Veränderung durch
ausnahmslos alle Personen übereinstimmend als positiv oder gerecht
(negativ oder ungerecht) interpretiert wird.

Als Merkmale, deren Veränderung in dieser Weise übereinstimmend, sei es
als eine Zunahme, sei es als eine Abnahme der sozialen Wohlfahrt – oder
auch: damit synonym, als Übergang zu einer gerechteren bzw. als
Übergang zu einer ungerechteren sozialen Ordnung -gedeutet werden
können, kommen grundsätzlich Zustände bzw. Zustandsbeschreibungen nicht
in Frage. Ein durch Handlungen erzeugter und reproduzierter Zustand ist
eine Anpassungsleistung im Hinblick auf "innere" und "äußere"
Konstellationen von Daten, und seine Anerkennungsfähigkeit hängt von
der Konstanz derartiger Datenkonstellationen ab. Da es für uns jedoch
Datenkonstanz nicht gibt, vielmehr die Existenz eines bewußten
Wahrnehmungsapparats das Eingeständnis der Möglichkeit
nicht-antizipierbarer Datenänderungen beinhaltet u. d. h. auch der
Möglichkeit nicht-antizipierbarer Reanpassungen an veränderte Daten,
muß die Möglichkeit hinsichtlich der Bewertung von Zuständen allgemeine
Anerkennung als gerecht/ungerecht bzw.
wohlfahrtsfördernd/wohlfahrtsmindernd erzielen zu können, als
ausgeschlossen gelten.

[S.55] Allgemein anerkennungsfähig als Merkmale, deren Veränderung die
soziale Wohlfahrt (Gerechtigkeit) berührt, sind allein Filter bzw.
Filter-Regeln, die, negativ, ein Merkmal festlegen, das Handlungen, um
als gerecht (wohlfahrtsfördernd) gelten zu können, nicht aufweisen
dürfen, die davon abgesehen jedoch, positiv, keine Bestimmungen über
die Merkmale gerechter Handlungen enthalten und also Raum für handelnde
Reanpassungen an veränderte oder als verändert wahrgenommene
Datenkonstellationen geben. Solche Filter-Regeln bilden gegebenenfalls
ein in sich konsistentes hierarchisches System von Regeln, als dessen
Grundprinzip das sogenannte Gewaltausschlußprinzip identifiziert werden
kann. Um als gerecht bzw. die soziale Wohlfahrt fördernd gelten zu
können, müssen Handlungen und in Geltung befindliche Handlungsregeln
mit diesem Prinzip in Übereinstimmung stehen. jede Abweichung von
diesem Rahmen stellt einen Verlust an sozialer Wohlfahrt dar, bzw.
einen Schritt weg von einem Zustand der Pareto-Optimalität; jeder
einzelne Schritt dagegen, der, etwa aufgrund der Außerkraftsetzung
einer mit dem Gewaltausschlußprinzip im Widerspruch stehenden Norm,
eine Annäherung an diesen Rahmen darstellt, erhöht die soziale
Wohlfahrt und kann als pareto-optimaler gesellschaftlicher Wandel
bezeichnet werden.

Indem die Existenz eines Staatsapparats, der sich aus Zwangsabgaben
finanziert, im Widerspruch zum Gewaltausschlußprinzip steht, ergibt
sich hieraus als zentrales (für die Gesellschaftstheoretiker des
Liberalismus vermutlich am wenigsten überraschendes und paradox
anmutendes) Ergebnis die Aussage: Jede Reduzierung sogenannter
wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen stellt einen pareto-optimalen
gesellschaftlichen Wandel dar, jeder Ausbau des Wohlfahrtsstaats
dagegen bedeutet einen Verlust an sozialer Wohlfahrt.