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Kapitel 4: Die Grundlagen der Eigentumstheorie

VI.
VII.
VIII.
Fußnoten zu Kapitel 4

VII.

[S.85] Mit den voranstehenden Ausführungen ist ein entscheidendes Zwischenergebnis erreicht. Nach Darstellung der positiven Seite der Eigentumstheorie (wie wird Eigentum begründet?) muß aber noch die bisher nur am Rande berührte negative Seite des Problems (was ist Aggression gegen Eigentum?) zur Sprache gebracht werden.

Unsere Überlegungen haben bisher gezeigt, wie sich, bei Gegebensein bestimmter Voraussetzungen (wie z. B. der Knappheit von Gütern) ein Eigentumsproblem stellt: wie läßt sich, wenn überhaupt, angesichts möglicher konkurrierender Ansprüche bezüglich knapper Güter ein System von Interaktionen so regeln, daß durch Zuweisung exklusiver Verfügungsrechte immer und ausschließlich solche Situationen resultieren können, die übereinstimmend als gerecht (und konflikt- [S.86] frei) bezeichenbar sind? Es ergab sich, daß hierfür zunächst die Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren Körper erforderlich ist. Man könnte nicht einmal etwas anderes mit Anspruch auf Zustimmungsfähigkeit (intersubjektive Begründbarkeit) behaupten; denn damit irgendeine Norm als argumentativ rechtfertigbar gelten kann, muß der Eigentumsanspruch jeder Person den jeweils eigenen Körper betreffend schon vorausgesetzt werden; der Eigentumsanspruch bezüglich des eigenen Körpers ist somit erfahrungsunabhängig, apriori gültig (als ein allgemein gültiger Anspruch). – Anschließend daran wurden (wie im Hinblick auf das Ziel der Konstruktion einer widerspruchsfreien, einheitlichen normativen Eigentumstheorie, die die Legitimität von Ansprüchen bezüglich knapper Güter aufgrund eines einzigen Prinzips erklären können muß, notwendig), ausgehend von der Rekonstruktion des den Eigentumsanspruch am eigenen Körper begründenden Appropriierungsprinzips, die Kriterien der objektiven und der vorrangigen Aneignung als die bei der Beurteilung der Legitimität jeder Aneignung knapper Güter durch einen Willen entscheidenden und als solche allgemein (übereinstimmend) rechtfertigbaren Kriterien nachgewiesen und in ihrer Bedeutung dargelegt: rechtmäßige Aneignung eines Gutes heißt: mindestens einmalige Aneignung durch Eingrenzung in objektivierten Grenzen und logisch-temporaler Vorrang der Aneignung unter Anerkennung etwaiger vorher (durch andere) begründeter Teilrechte, und unter dem Vorbehalt der Nicht-Nachweisbarkeit früherer Übertragungsfehler bei durch Titelübertragung erworbenem Eigentum durch einen tatsächlich rechtmäßigen Eigentümer.

Aggression ist dann die Durchsetzung bloß deklarativ erworbener Rechte, wie etwa die Durchsetzung staatlicher Ansprüche in bezug auf Meer und Küste, Flüsse und Seen, Bodenschätze und Luftraum usw. Und ebenso ist es Aggression (allerspätestens unter Hinzuziehung dieses zweiten Kriteriums werden die gerade genannten staatlichen Ansprüche als illegitim erkennbar!), wenn es zur objektiven Aneignung einer Sache kommt, obwohl deren rechtmäßiger Vorbesitzer dieser Titelübertragung nicht ausdrücklich zugestimmt hat. Betrachtet man den Bereich privatrechtlicher Beziehungen, dann sind derart unrechtfertigbare Aktionen Diebstahl, Raub, Mord, Totschlag, Körperverletzung, Betrug, Sachbeschädigung, Versklavung usw. Aber ebenso eindeutig müssen sämtliche durch öffentlich-rechtliche (d. i. durch verfassungs- und verwaltungsrechtliche) Normen gedeckten Handlungen als unrechtfertigbare Aggression gegen rechtmäßige Eigentumsansprüche klassifiziert werden. Die Aggression tritt hier zwar in institutionalisierter Form auf; ungeachtet dessen aber bleiben die Tatsachen, was sie sind: das öffentliche Recht, das das Verhältnis öffentlicher Körperschaften (in der Regel: des Staates) zu Privatpersonen oder privatrechtlichen Vereinigungen regelt, ist das Recht von Zwangskörperschaften. Solche Körperschaften beruhen in ihrer Existenz auf einem Verstoß gegen die dargestellten allgemein rechtfertigbaren privatrechtlichen Eigentumsnormen, die nur eine freiwillige Übertragung oder Nicht-Übertragung von Eigentumstiteln erlauben. Das öffentliche Recht kann von daher nicht als Recht im eigentlichen Sinn klassifiziert werden, sondern es ist, soweit es von den Bestimmungen des allgemein rechtfertigbaren Privatrechts abweicht, Unrecht, institutionalisierte Aggression gegen [S.87] rechtmäßige Eigentumsansprüche von Privatpersonen. Nur eine reine Privatrechtsgesellschaft, die jedermann, Privatperson wie Personengesellschaft, unter identisches Recht stellt, ist allgemein rechtfertigbar. Öffentlich-rechtliche Körperschaften bzw. die in ihrem Namen vorgehenden Personen dagegen beanspruchen ein als solches naturgemäß nicht allgemein rechtfertigbares Sonderrecht: das Recht, sich Eigentum anders als durch ursprüngliche Appropriation oder freiwilligen Austausch von Eigentumstiteln zu beschaffen. Sie zwingen Personen, die keinerlei eigentumsrechtliche Verfehlung begangen haben, einen Mitgliedsbeitrag zwecks Finanzierung ihrer Unternehmung zu leisten und/oder sie zwingen i. o. a. Sinn unschuldige Personen, sich einer (Körperschafts-)Verfassung zu unterwerfen, die das exklusive Verfügungsrecht dieser Personen über ihr rechtmäßiges Eigentum betreffen. Beides ist, ob institutionalisiert ablaufend oder in Form sporadischer Übergriffe im Privatrechtsverkehr, Aggression gegen rechtmäßige Eigentumsansprüche: ‚Besteuerung’ fällt in die gleiche rechtliche Kategorie wie ‚Raub’; ‚Zwangsverpflichtung zu sozialen oder Verteidigungszwecken’ gehört zu ‚Versklavung auf Zeit’; und ‚gesellschaftspolitische Maßnahme’ hat ihr Gegenstück in ‚gewaltsame Aneignung von Eigentumstiteln und Neuverteilung oder veräußerung unrechtmäßig erworbenen Eigentums’ oder, kürzer, in Diebstahl und Hehlerei.[FN20]

Trotz langjährigen Aufenthalts im staatlichen Erziehungswesen mit staatlich approbierten Lehrern aller Art als Propagandisten entgegenlautender Auffassungen, ist auch dies, bei aller Überraschung des ersten Augenblicks, den meisten (immer noch) eine in ihrer Berechtigung leicht einsehbare These. – Intellektuell interessanter im Zusammenhang mit der Erläuterung des Konzepts ‚Aggression gegen Eigentum’ ist die nähere Betrachtung zweier im Grunde innerprivatrechtlicher Probleme. Beide sind im Rahmen der Ökologie-Debatte unserer Tage aufgetaucht. Das erstere vor allem in der Diskussion über sogenannte ‚externe Effekte’.[FN21] Dort ist u. a., meist allerdings nicht ausdrücklich, sondern lediglich implizite, versucht worden, die Geltung folgender Norm zu propagieren: ‚Es handelt sich um Aggression gegen Eigentum, wenn immer ein Eigentümer A zeigen kann a), daß ein anderer Eigentümer B Handlungen an und mit seinem, B’s, Eigentum durchführt, die sich wertmindernd auf das Eigentum von A auswirken, und B A für diesen Verlust nicht durch Kompensationszahlungen entschädigt hat, und/oder wenn gezeigt werden kann b), daß er, A, Handlungen an und mit seinem, A's, Eigentum [S.88] durchgeführt hat, die sich wertsteigernd auf das Eigentum von B auswirken, und B A für diesen Gewinn keine als ausreichend erachtete Gegenleistung anbietet; in beiden Fällen wird A in legitimen Eigentumsansprüchen seitens B angegriffen und hat von daher das Recht, von B Kompensationsleistungen (nötigenfalls) zu erzwingen.’

Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen zu einer normativen Eigentumstheorie kann diese Norm schnell als nicht allgemein rechtfertigbar erkannt werden: die durch sie als Aggression klassifizierten Handlungen bzw. Unterlassungen sind in Wahrheit allgemein rechtfertigbare Aktionen, und umgekehrt sind gerade die durch sie als legitim, weil ‚defensiv’, deklarierten Kompensationserzwingungen eindeutig unrechtfertigbare aggressive Akte. Aggression ist der unaufgeforderte Eingriff in die physische Integrität des Eigentums anderer Personen; statt dessen zu verlangen, man solle sich jeden unaufgeforderten Eingriffs enthalten, der den Wert des Eigentums anderer berührt, ist absurd und – vor allem – unmöglich allgemein zu rechtfertigen. Absurd ist dies: während eine Person selbst darüber Kontrolle besitzt (oder doch zumindest darüber Kontrolle besitzen kann), ob ihre Handlungen die physische Integrität des Eigentums anderer Personen berühren oder nicht, und während sie also zu kontrollieren vermag, ob sie selbst in rechtfertigbarer oder in unrechtfertigbarer Weise handelt, liegt die Kontrolle darüber, ob jemandes Handlungen den Wert des Eigentums anderer berühren, nicht bei einem selbst, sondern bei nicht vorweg bestimmbaren anderen Personen und deren subjektiven Bewertungen; folglich hätte niemand mehr ex ante darüber Kontrolle, ob seine Handlungen Eigentumsrechte anderer Personen verletzen oder nicht; man könnte buchstäblich nichts mehr tun, denn um festzustellen, ob man das, was man zu tun beabsichtigt, auch tatsächlich legitimerweise tun darf, müßte man zunächst gleichsam immer erst einmal die gesamte Personenwelt absuchen, um sicherzustellen, daß die eigenen Handlungen nicht den Wert des Eigentums irgendeiner anderen Person positiv oder negativ berühren.

Vor allem aber: die Forderung nach Werterhaltung des Eigentums anderer aufgrund jeweils eigener Handlungen ist, ganz abgesehen von der Tatsache ihrer praktischen Unerfüllbarkeit, argumentativ unbegründbar; denn um allgemein begründbar zu sein, müßte das Eigentumsrecht jeder Person an ihrem Körper vorausgesetzt werden, die Anerkennung dieses Rechts ist aber mit der normativen Forderung nach Werterhaltung ersichtlich unvereinbar: Eigentum am eigenen Körper heißt rechtlicher Schutz der physischen Integrität des eigenen Körpers vor Eingriffen seitens anderer in diese physische Integrität; wollte man dagegen den Wert einer Person erhalten, so müßten, da allein die physische Integrität einer Person den Wert einer anderen Person beeinflussen kann (man denke etwa an den Heiratsmarkt oder den Arbeitsmarkt, auf dem in der Konkurrenz um knappe Ressourcen (Partner, Stellen) schon die bloße Existenz des einen den Wert des anderen beeinflußt), Eingriffe in die physische Integrität von Personen jederzeit erlaubt sein, wenn immer eine Person meint, in ihrem Selbstwert durch die unveränderte physische Integrität einer anderen Person berührt zu werden; eine solche Regelung kann aber ersichtlich nicht mehr auf argumentativem Weg gerechtfertigt werden. Sie entspricht [S.89] der bereits oben (S. 74; 76) als unrechtfertigbar verworfenen Auffassung, Eigentumsansprüche könnten per Deklaration erworben werden: beide mal scheitert man daran, daß konkurrierende Eigentumsansprüche nur dann aufgrund objektiver Kriterien eindeutig entschieden werden können, wenn Eigentum objektivierte Grenzen besitzt; andernfalls, werden die Grenzen von Eigentumsansprüchen aufgrund einseitiger subjektiver Meinung oder Einschätzung definiert, und gibt es keine prästabilierte Harmonie von Interessen, muß notwendig ständiger Konflikt in bezug auf die Verwendung knapper Güter resultieren – aber ein Zustand permanenten Konflikts kann insofern nicht argumentativ begründet werden als Argumentation eine zweiseitige Anerkennung des Eigentumsanspruchs jeder Person in bezug auf ihren Körper voraussetzt, d. i. die Nicht-Permanenz des Konflikts, die Existenz zweiseitig als Nicht-Konflikt aufgefaßter Situationen.

Es gilt demnach, im Gegensatz zur gerade erörterten Norm: jede Handlung einer Person mit ihrem Eigentum ist erlaubt, was immer auch die wertverändernden Konsequenzen dieser Handlungen im Hinblick auf das Eigentum anderer Personen sein mögen, die fremdes Eigentum nicht unaufgefordert in seiner physischen Integrität verändert; dagegen stellt es eine strafwürdige Aktion A’s gegenüber B dar, wollte A unter Verweis auf Wertänderungen Kompensationsleistungen von B erzwingen, oder wollte er von B mittels Strafandrohung verlangen, er habe sich entsprechender wertverändernder Handlungen zu enthalten.[FN22] Und genauso, und aus dem gleichen doppelten Grund, wäre es auch unzulässig, wenn A eine Norm [S.90] durchzusetzen versuchte, die es einem B verbieten würde, (jedenfalls solange, solange A nicht ausdrücklich zugestimmt hat) solche Handlungen mit seinem Eigentum durchzuführen, die von A als ‚riskant’ hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf sein, A’s, Eigentum erachtet werden (man denke in diesem Zusammenhang vor allem an die öffentlichen Auseinandersetzungen über die Rechtfertigbarkeit des Baus von Atomreaktoren!). Auch ‚Risiko’ läßt sich nicht objektiv messen (dies gilt selbst dann, wenn das Risiko einer Klasse von Ereignissen einer bestimmten Art bekannt ist – was übrigens normalerweise auch nicht der Fall ist -, selbst dann ist das Risiko jedes einzelnen Ereignisses dieser Klasse nicht objektiv meßbar – nur darum ‚poolt’ man bekanntlich sein Geld zum Zweck einer Versicherung gegen Risiko!), sondern ist eine Frage subjektiven Wissens bzw. Dafürhaltens; aufgrund von ‚Risiko’ kann darum genausowenig wie aufgrund von ‚Wert’ eine an objektiven Kriterien festmachbare Abgrenzung von Eigentumsansprüchen getroffen werden, und auch eine Normierung von Risikovermeidung ist von daher absurd hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Möglichkeit sozialer Kooperation , und außerdem nicht allgemein rechtfertigbar, weil mit dem oben erläuterten Eigentumsrecht jeder Person an ihrem Körper unvereinbar: darf man riskantes Handeln bestrafen, dann sind beliebige Eingriffe auch in die physische Integrität anderer Personen jederzeit erlaubt.[FN23]

[S.91] Nur tatsächliche (nicht: für möglich gehaltene) Veränderungen der physischen Integrität (nicht: des Werts) fremden Eigentums sind, sofern sie unaufgefordert herbeigeführt werden, strafwürdige Aktionen gegen allgemein rechtfertigbare Eigentumsansprüche.[FN24] Dies führt zur zweiten der in der laufenden Ökologie-Debatte akut gewordenen Fragen im Zusammenhang mit dem privatrechtlichen Konzept von ‚Aggression gegen Eigentum’. Während die Bedeutung von ‚tatsächlicher Eingriff in die physische Integrität fremden Eigentums’ insoweit klar ist, als es sich um einen direkten Eingriff handelt, bei dem eine Person A direkt, mittels ihres eigenen Körpers, die Integrität des Eigentums von B unaufgefordert verändert (z. B.: A verprügelt B, A stiehlt einen Apfel von B’s Baum, A lädt seinen Müll auf B’s Grundstück ab), ist das Verständnis dieses Konzepts in der angesprochenen Diskussion mit einigen Schwierigkeiten verbunden gewesen, soweit es sich um indirekte Eingriffe handelt, bei denen eine Person A durch Handlungen an ihrem, A’s, Eigentum Kausalprozesse in Gang setzt, die erst indirekt B’s Eigentum in seiner physischen Integrität verändern. Beispiele hierfür sind etwa: A räuchert, und B und dessen Eigentum bekommt den Rauch ab; A säuert den Regen, und B bekommt ihn ab; A versalzt den Fluß, und sein Flußab-Nachbar B bekommt einen salzigen Fluß; A, oben am Berg, rodet ab und forstet nicht auf, und B, unten am Berg, bekommt die Erosion ab; A baut einen Wolkenkratzer, und B und dessen Eigentum stehen in seinem Schatten.

Zunächst kann, wie sich auch schnell noch einmal vergegenwärtigen läßt, kein Zweifel daran bestehen, daß indirekte Eingriffe in der Tat Aggressionen darstellen. jede anderslautende Normierung wäre mit dem Eigentumsrecht von Personen am eigenen Körper (als der Voraussetzung von argumentativer Begründung) unvereinbar, denn wären indirekte Eingriffe (anders als direkte) generell zulässig, dann wäre auch jeder kompliziertere Anschlag auf die physische Integrität einer Person, wie etwa eine Vergiftung, zulässig. Entscheidend an dieser Stelle ist also allein die Frage: aufgrund welcher objektiven und als solcher allgemein rechtfertigbaren Kriterien kann ein Eingriff als ‚indirekte Aggression’ festgestellt und von einer Nicht-Aggression unterschieden werden? Die Betrachtung der angeführter Beispiele kann bei der Beantwortung Hilfe leisten. Sie legen einerseits nahe, was wesentlich, andererseits, was unwesentlich ist für das Vorhandensein indirekter Aggression. – Unwesentlich ist die ‚Tat-an-sich’. An sich ist es nicht verboten, zu räuchern, einen Fluß zu versalzen, Erosion auszulösen oder Wolkenkratzer zu bauen; verboten ist es, weil das Eigentum anderer durch diese Handlungen in seiner physischen Integrität verändert wird; hätte sich der Rauch, ehe er das Eigentum anderer Personen berührt, verflogen, hätte der Flußversalzer zum Zeitpunkt der Salzeinlassung keinen Flußab-Nachbar, dessen Flußeigentum durch das Salz in seiner Zusammensetzung verändert wird, gäbe es keinen Eigentümer ‚unten am Berg’ [S.92] oder könnte man die Erosion vor dem Übergreifen auf dessen Eigentum zu einem Halt bringen, und schließlich, hätte mein Wolkenkratzer keine Auswirkung auf die Sonnenbestrahlung des Eigentums einer anderen Person – die entsprechenden Handlungen wären selbstverständlich, sofern sie am eigenen Eigentum (oder im Auftrag des Eigentümers) durchgeführt werden – auch wenn sie unaufgefordert erfolgen – rechtmäßig.

Ebenso ist es unwesentlich, ob die indirekten Übergriffe absichtlich erfolgen oder nicht. Das Vorliegen von Absicht kann zwar im Hinblick auf das Problem der Strafzumessung bedeutsam sein, im Hinblick auf die bloße Feststellung, ob eine Aggression vorliegt oder nicht vorliegt, ist es irrelevant. Hierfür ist allein entscheidend, daß eine Person eine Veränderung hinsichtlich der physischen Integrität fremden Eigentums bewirkt hat; dies allein reicht aus, um rechtmäßigerweise auf Unterlassung bestehen zu können oder auf einer den geschädigten Eigentümer zufriedenstellenden Kompensationsleistung.

Wesentlich für das Vorliegen indirekter Aggression ist es demgegenüber, daß sie vom Opfer (oder dessen Rechtsnachfolger) als solche nachgewiesen werden kann. Dazu gehört zweierlei: es muß in einer im Prinzip von jedermann überprüfbaren Weise nachgewiesen werden können, daß tatsächlich eine Veränderung der physischen Integrität des Eigentums stattgefunden hat. Solche objektiven Tatbestände sind der Rauch, das Salz, die Erosion und der Schatten. Bloß subjektiv wahrgenommene Veränderungen erfüllen dagegen nicht das Kriterium für Aggression: genauso wie ökonomische Bewertungen nicht eigentumsrechtlich geschützt werden können (wie ausgeführt, wäre dies mit dem Eigentumsrecht jeder Person am eigenen Körper als der Voraussetzung von Argumentation unvereinbar), genausowenig (und aus dem gleichen Grund) gibt es keinen Schutz ästhetischer Bewertungen. Ob man Wolkenkratzer, oder abgeholzte Flächen, oder irgendeine andere Nutzung von Eigentum durch den rechtmäßigen Eigentümer nicht mag, ob man sie liebt oder haßt, ist solange irrelevant, solange mit ihr keine objektive Veränderung fremden Eigentums einhergeht.[FN25]

Darüber hinaus muß vom Opfer indirekter Aggression zweitens nachgewiesen werden können, daß die Veränderung der physischen Integrität seines Eigentums tatsächlich durch eine bestimmte Handlung eines bestimmten anderen Eigentümers bewirkt worden ist. Anders formuliert: er muß in nachprüfbarer Weise zeigen können, daß die von ihm festgestellten objektiven Veränderungen nicht einfach die Auswirkungen des Wirkens der Natur sind, sondern daß eine Person hierfür verantwortlich ist. Nur wenn ein bestimmter Eingriff eines eindeutig benennbaren Täters in das natürliche Geschehen aufgewiesen werden kann, und wenn dieser Eingriff als kausal notwendiger Bestandteil für die unaufgeforderte Veränderung fremden Eigentums nachweisbar ist, handelt es sich um Aggression gegen rechtmäßige Eigentumsansprüche. Nur dann also liegt z. B. Aggression vor, wenn B, der das Salz abbekommt, einen A nachweisen kann, der es selbst (oder in dessen Auftrag man es) in den Fluß eingeleitet hat, wo ansonsten – ohne A’s Zutun – nichts einge
[S.93] leitet worden wäre. Könnte B dagegen nicht nachweisen, daß A etwas getan hat, was kausal zu den gegebenen Konsequenzen führt, oder könnte B nur nachweisen, daß sich A eine ‚Unterlassungshandlung’ hat zuschulden kommen lassen, also etwas nicht getan hat, dessen Folgen die Veränderungen in B’s Eigentum sind (A hat es beispielsweise unterlassen, salzhaltiges Gestein abzubauen, das in bestimmten Schichten des Flußufers vorhanden ist) und/oder kann zwischen Tat und Eigentumsveränderung kein im Prinzip reproduzierbarer Zusammenhang nachgewiesen werden, so muß die Veränderung der physischen Integrität des Eigentums von B als Naturereignis gelten: und natürliche Ereignisse (natürliche Versalzung, natürliche Erosion, natürlicher Tod usw.) können naturgemäß weder verboten werden, noch kann man für sie, mangels Täters, Kompensationsleistungen als Entschädigung verlangen.[FN26]

Gelingt allerdings der Nachweis objektiver Veränderung von Eigentum aufgrund eines von einer bestimmten Person durch Handeln ausgelösten Kausalprozesses, dann liegt in aller Regel (indirekte) Aggression vor, und es ist rechtmäßig, auf Unterlassung dieses Eingriffs in das natürliche Geschehen zu bestehen, oder auf einer das Opfer zufriedenstellenden Kompensationsleistung im Fall einer Fortsetzung der inkriminierten Tätigkeit (wobei die Rechte Dritter durch solche Kompensationsvereinbarungen selbstverständlich unberührt bleiben). Lediglich in einem einzigen, erfahrungsgemäß höchst seltenen, aber immerhin im Prinzip als möglich denkbaren Fall reicht ein solcher Nachweis nicht aus, um eine gegebene Person als Aggressor einstufen zu können. Dann nicht, wenn der vermeintliche Aggressor das Recht, die inkriminierte Handlung an und mit seinem Eigentum durchzuführen, bereits erworben hätte (durch eine entsprechende Praxis), ehe die Eigentumsbegründung an den knappen Gütern, im Hinblick auf die Aggression reklamiert wird, stattgefunden hat. Dann, das ergibt sich aus dem dargestellten Prinzip einer vorrangigen bzw. ursprünglichen Appropriation von knappen Gütern, hat der spätere Eigentümer dieser in ihrer physischen Integrität veränderten Güter über sie von vornherein nur unter der einschränkenden Bedingung exklusive Verfügungsgewalt erlangen können, daß ein bestimmter anderer Eigentümer, genauso wie er vorher eine bestimmte Handlung rechtmäßig durchgeführt hat (rechtmäßig, weil sie zum Zeitpunkt der Durchführung ja niemandes Rechte berührte, da die durch sie indirekt betroffenen Güter noch nicht angeeignet waren), er diese Handlung auch nachher (nach der Aneignung der vorher freien Güter) noch rechtmäßiger [S.94] weise durchführen können muß. Der spätere Eigentümer hat dann keinerlei Anspruch auf Unterlassung oder Kompensation; vielmehr kann der Inhaber des früher begründeten Rechts mit der fraglichen Tätigkeit fortfahren, und er kann dies Recht seinerseits an beliebige andere Personen (darunter natürlich auch den späteren Eigentümer) abtreten.

Freilich muß das tatsächliche Vorliegen dieses Falls von derjenigen Person nachgewiesen werden, die behauptet, ein Inhaber solcher älteren Rechte, die ihr spezifizierte Übergriffe gegenüber dem Eigentum anderer Personen erlauben, zu sein. Gelingt dieser Nachweis (der etwa durch Verweis auf existierende vertragliche Vereinbarungen erbracht werden könnte) nicht, so ist der indirekte Eingriff in die physische Integrität fremden Eigentums Aggression. Die Nachweispflichten haben hier gewechselt: während zunächst Nachweispflicht für die Person bestand, die das Vorliegen einer indirekten Aggression seitens einer anderen Person behauptete, ist nach Erbringung dieses Nachweises die andere, früher nichtnachweispflichtige Person nun ihrerseits nachweispflichtig und hat als Aggressor zu gelten, kann sie dieser Pflicht nicht erfolgreich nachkommen. Der Wechsel ergibt sich zwangsläufig aufgrund des oben bereits erläuterten, aus dem Eigentumsrecht am eigenen Körper ableitbaren Prinzips, daß immer wenn es um eine an objektiven Kriterien festmachbare Entscheidung im Hinblick auf konkurrierende Ansprüche geht, zunächst gilt, was die vergleichsweise unmittelbar gegebenen, eigentumsrechtlich relevanten Tatbestände nahelegen, und daß nur dann etwas davon Abweichendes gilt, wenn diese unmittelbare objektive Evidenz aufgrund weniger unmittelbar gegebener objektiver Tatbestände als täuschend nachgewiesen worden ist. Von daher gilt eine Person, die nicht gegenwärtig in die körperliche Unversehrtheit anderer Personen eingreift, als unschuldig, solange man ihr nicht einen entsprechenden, in der Vergangenheit liegenden Eingriff nachweist; von daher gilt ein gegenwärtiger Besitzer einer Sache als ihr Eigentümer, solange man nicht eine unrechtmäßige Inbesitznahme nachweisen kann; von daher gilt, wer lediglich Handlungen an und mit seinem Eigentum durchführt, als rechtlich untadelig, solange nicht nachgewiesen ist, daß diese Handlungen indirekt fremder Leute Eigentum berühren; und von daher schließlich auch gilt eine eines indirekten Übergriffs auf fremdes Eigentum überführte Person als Aggressor, solange sie nicht nachweisen kann, daß sie Inhaber älterer Rechte ist, die den Übergriff legitimieren.