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2.1. Austauschhandlungen: direkt und indirekt

I.
II.

I.

[S.101] Das GWAP als die Grundlage ausschließlich wirtschaftlich handelnder Personen schreibt diesen im Hinblick auf ihre Handlungen – abgesehen davon, daß es natürlich Gewalt verbietet – nichts vor. Seine Kenntnis hilft darum auch nicht, etwa voraussagen zu können, welche gesellschaftliche Struktur unter seiner Geltung tatsächlich entstehen würde. Dazu benötigte man zusätzlich Kenntnisse des Zustands und der Entwicklung der empirischen Interessen und des empirischen Wissens empirischer Subjekte, sowie Kenntnis der kontingenten natürlichen Gegebenheiten, unter denen sie handeln. Weil eine derartig umfassende Kenntnis aus forschungspraktischen Gründen freilich nicht erreichbar ist und wegen der theoretischen Schwierigkeit, Ergebnisse zukünftigen Lernens nicht (wie eigentlich erforderlich) voraussagen zu können (sonst hätte man diese zukünftigen Lernresultate ja schon heute!), kann eine Voraussage bezüglich der Gestalt der unter Geltung des GWAP entstehenden gesellschaftlichen Ordnung als sogar grundsätzlich nicht machbar eingestuft werden.[FN8]

Dies festzustellen bedeutet aber nicht, daß das Konzept wirtschaftlicher oder anarchischer Ordnungen nicht auf beliebige, reale Vergesellschaftungskonstellatio- [S.102] nen angewendet werden kann. Denn zwar ist es einerseits richtig, daß es unmöglich ist, vorauszusagen, welche Gestalt eine Gesellschaft angenommen hätte, hätte sich die Menschheit von ihren Anfängen an entsprechend dem GWAP verhalten, oder auch nur, welche Gestalt sie annehmen würde, würde seine Geltung ab heute zur anerkannten Tatsache. Andererseits ist es jedoch durchaus möglich, jede faktisch existierende Gesellschaft nach ihrer Evolution daraufhin zu untersuchen, inwieweit die sie charakterisierenden Gestaltmerkmale durch wirtschaftliches Handeln erzeugt wurden und werden, und eine anarchische Ordnung bilden, (und inwieweit, umgekehrt, durch politische Handlungen) und zu untersuchen, welche Konsequenzen sich folglich im Hinblick auf den Stand des Gemeinwohls einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung ergeben.


Betrachtet man z. B. eine Gesellschaft, die nicht bloß aus autarken, sondern aus auch austauschenden Personen besteht, so kann für jede Untersuchungseinheit eindeutig bestimmt werden, ob das Merkmal ‚Austausch’ ein zum Untersuchungszeitpunkt gewaltlos hervorgebrachtes und aufrechterhaltenes gesellschaftliches Strukturmerkmal darstellt, oder ob und inwieweit es sich dem Faktum gegen das GWAP verstoßender Handlungen verdankt. Während ein Ergebnis ‚phänomenologisch’ durchaus gleichartig sein kann, unabhängig davon, ob es gewaltlos oder unter Einsatz von Gewalt erzeugt wird, muß der Beitrag, der durch die Erzeugung einer solchen Struktur für das Gemeinwohl geleistet wird, in beiden Fällen unterschiedlich bewertet werden: In dem Ausmaß, in dem die Austauschhandlungen beiderseits freiwillig erfolgen, kann davon die Rede sein, daß das Aufrechterhalten des Merkmals Austausch dem Gemeinwohl förderlich ist. In dem Ausmaß jedoch, in dem das Merkmal aufgrund einseitig erzwungener Handlungen erzeugt wird, ist sein Bestehen ihm abträglich.[FN9]

Das Ergebnis einer Handlung ist demnach unwesentlich im Hinblick auf eine Beantwortung der Frage nach dem von ihr ausgehenden Beitrag zum Gemeinwohl. Entscheidend ist, entsprechend welchen Spielregeln das Ergebnis zustandegekommen ist.[FN10] Und es ist im übrigen bei der Beantwortung dieser Frage auch unwesentlich ob ein Ergebnis irgendwann in der Vergangenheit einmal erzwungen wurde, um dann anschließend auch freiwillig reproduziert werden zu können, und umgekehrt. Entscheidend ist, ob es zum Untersuchungszeitspunkt tatsächlich freiwillig [S.103] handelnd hervorgebracht wird oder nicht. Die Vergangenheit ist für eine handelnde Person und den von ihren Handlungen ausgehenden Beitrag zur sozialen Wohlfahrt auf ewig vergangen, (ganz so, wie man es auch im Zusammenhang mit der Kapitaltheorie formuliert findet: bygones are forever bygones [FN11]). Nur die Gegenwart zählt.[FN12]

Das GWAP erlaubt Austausch und Nicht-Austausch, und verbietet sie, sofern sie unter Gewaltanwendung oder drohung stattfinden. Welche Interaktionsstrukturen tatsächlich wann und wo auftreten, hängt von den Interessen und dem Wissen empirischer Subjekte ab, deren gegenwärtigen Stand man rekonstruieren, über deren beider zukünftige Entwicklung man aber nichts wissen, über die man vielmehr nur spekulieren kann. Es läßt sich infolgedessen auch keine objektive empirische Größe benennen, mittels derer man, bei vorausgesetzter Geltung des GWAP, das Auftreten von Austausch oder Nicht-Austausch zukünftig voraussagen könnte; sondern nur ein logischer Grund läßt sich angeben [FN13]: solange zwei oder mehr Personen ihrer subjektiven Einschätzung zufolge übereinstimmend die ihnen aus einem Austausch erwachsenden (auch psychischen) Kosten als geringer veranschlagen als den aus ihm zu erwartenden (auch psychischen) Nutzen, solange kommt es zum Austausch, ansonsten zum Nicht-Austausch. – Und selbstverständlich läßt sich, wann immer ein faktischer, unter kontingenten Umständen abgewickelter Austausch vollzogen wird (und der Austausch beiderseits ohne Rückgriff auf Gewalt erfolgt), auch eine historische Feststellung treffen: daß dann die angegebenen logischen Voraussetzungen für Austausch offenbar faktisch vorliegen müssen; daß die Handelnden im Aus [S.104] tauschakt zum Ausdruck bringen, daß sie beide eine erhöhte Abhängigkeit von anderen Personen der Möglichkeit weitergehender Autarkie vorziehen; und daß beide, wenn es sich bei den ausgetauschten Gütern bzw. Leistungen um solche handelt, die nicht einfach da und gegeben sind, die vielmehr im Rahmen einer auf Austausch abzielenden arbeitsteiligen Leistungs- und Güterproduktion zeit- und kostenaufwendig erst hergestellt werden müssen, schon mit Aufnahme der Produktion übereinstimmend davon ausgegangen sein müssen, daß die damit einhergehende, vermehrte Abhängigkeit von zukünftigen Entscheidungen zukünftiger Personen, qua potentieller Tauschpartner, mehr als nur aufgewogen wird durch die Aussicht darauf, in zukünftigen Tauschakten insgesamt ein Mehr von Gütern eintauschen zu können, als man als autarker Produzent hätte herstellen können.[FN14] (Umgekehrt, im Fall des Nicht-Eintretens in auf Austausch gerichtete, arbeitsteilige Produktion, würde eine Person zum Ausdruck bringen, daß auch diese Aussicht sie nicht dazu verlocken kann, hierfür das von ihr, manifesterweise, als größer bewertete Opfer eines zunehmenden Autarkieverlustes in Kauf zu nehmen.)

So erlaubt das GWAP also nicht nur Austausch und Nicht-Austausch, und verbietet sie, sofern sie erzwungen sind; unter seiner Geltung wird vielmehr genau die Mischung von Autarkie und arbeitsteiliger Vergesellschaftung von Personen realisiert, die einem gegebenen Stand persönlicher Interessen und persönlichen Wissens entspricht, und die zugleich, weil sie das Ergebnis gewaltfreier Interaktion ist, das denkbar höchste Niveau an Gemeinwohl verkörpert, Wie immer auch die Mischung aussehen und sich im Zeitverlauf verändern mag, sei es in Richtung zunehmender arbeitsteiliger Differenzierung, oder sei es in Richtung zunehmender Autarkie: je- [S.105] de Entwicklung von Interessen und Wissen ist, solange sie sich innerhalb des durch das GWAP gesteckten Rahmens bewegt, was immer auch die daraus resultierenden, strukturverändernden Merkmale sein mögen, im Sinne des Gemeinwohls.