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2.2. Sicherheit: Recht und Strafrecht; Rechtsdurchsetzung und Rechtsfrieden

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II.
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V.

II.

[S.108] Wie dem auch sei: das Konzept wirtschaftlichen Handelns muß sich gerade auch im Zusammenhang mit dem Problem der Sicherheit anwenden und erklären lassen. Dazu ist zunächst eine Einsicht ausdrücklich festzuhalten, die bisher nur implizit vorausgesetzt wurde; die Einsicht nämlich, daß sich aus dem GWAP ein gesamtes System rechtlicher Regeln deduktiv ableiten läßt, anhand dessen sich für jede einzelne Handlung bestimmen läßt, ob sie dem Gemeinwohl Abbruch tut oder nicht, und daß die Geltung dieses Rechtssystems als eines Systems allgemein rechtfertigbarer Regeln unabhängig ist von Bestehen und Art gesellschaftlicher Sicherheitsstrukturen (diese Strukturen dienen also nicht dem Aufdecken oder Erfinden des Regelsystems, sondern allein seiner Anwendung und Durchsetzung; und nur weil die Sicherheitsstruktur das Rechtssystem auf diese Weise schon voraussetzt, kann es überhaupt auf die eigene Rechtmäßigkeit hin überprüft werden!). Dies System von Rechtsregeln, um dessen Durchsetzung und Sicherung es geht, muß nun formuliert werden.[FN20]

Das GWAP untersagt zunächst Angriffe und Androhungen von Angriffen gegen die körperliche Unversehrtheit anderer Personen (es sei denn, diese haben den Angriffen ausdrücklich zugestimmt: dann handelt es sich per definitionem nicht um ,Angriffe’). Es spezifiziert somit das Recht jeder Person auf eine uneingeschränkte Kontrolle über den eigenen Körper: mein Körper gehört mir, er ist mein Eigentum, und ich kann mit ihm machen, was ich will. Wird auf meinen Körper ein Angriff unternommen oder angedroht, so habe ich das Recht, mich – auch unter Gewaltanwendung – zu verteidigen (das Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt also nur solange, solange ich nicht selbst zum Aggressor werde).

Besitze ich das Recht, mit meinem Körper zu machen, was ich will, solange ich nicht die Körper anderer Personen angreife, so impliziert dies, daß ich auch das Recht haben muß, mir andere Dinge durch Einsatz meines Körpers als Eigentum anzueignen, sofern diese Dinge nicht schon Eigentum einer anderen Person sind. Dies Recht auf ‚ursprüngliche Appropriation’, d. i. auf Aneignung unbesessener Dinge als Eigentum, folgt aus dem GWAP; denn hätte ich dies Recht nicht, und [S.109] hätte eine andere Person demzufolge ihrerseits das Recht, meinen Versuch der Aneignung von Dingen (notfalls unter Anwendung von Gewalt mir gegenüber) abzuwehren, obwohl ich selbst bei der Aneignung dieser Dinge ihr (ihrem Körper) gegenüber nicht gewalttätig geworden bin, so wäre dies nur möglich, wenn die betreffende Person ihrerseits ein Eigentumsrecht an den fraglichen Dingen besäße. Damit wäre aber die Existenz des Rechts auf ursprüngliche Appropriation grundsätzlich wieder vorausgesetzt; denn zwar läge das Recht an den fraglichen Dingen im gegebenen Fall nicht bei mir, sondern bei irgendeiner anderen Person; aber auch diese Person muß das Recht irgendwie begründet haben; und dies ist nur denkbar entweder aufgrund eines von ihr selbst durchgeführten ursprünglichen Appropriierungsaktes oder aufgrund einer (freiwilligen) Eigentumsübertragung von einer Person auf eine andere (wobei in der Kette der Übertragungen von Eigentumstiteln wieder an irgendeiner Stelle die Eigentumsrechte notwendigermaßen von einer Person übertragunglos: durch ursprüngliche Appropriation erworben worden sein müssen, um übertragen werden zu können).[FN21]

Der ursprüngliche Erwerb von Eigentumstiteln an Dingen, d. i. des Rechts, mit diesen Dingen tun zu dürfen, was man will (so wie man auch mit seinem Körper tun darf, was einem gefällt), erfolgt durch Handlungen, nicht aber etwa durch Deklarationen. Auch dies folgt aus dem GWAP. Dies Prinzip gibt mir nämlich ein uneingeschränktes Verfügungsrecht nur über den Körper, der tatsächlich mein Körper ist, nicht aber einfach über den, den ich als meinen deklariere. Die Anwendung des Prinzips erfordert also, daß das, was mein ist, und das, was dein ist, eindeutig, intersubjektiv nachvollziehbar, als solches identifizierbar und voneinander unterscheidbar ist.

Diese Aufgabe ist im Hinblick auf Körper einfach: aber auch mein Körper ist eben nicht meiner, einfach weil gesagt wird, dies sei so; denn dann könnte ich ohne weiteres auch den Körper anderer Personen als meinen deklarieren, und sie den meinen umgekehrt als ihren, mit allen daraus erwachsenden absurden Konsequenzen; sondern mein Körper ist meiner, weil er das Objekt ist, das mein Wille zu meinem Körper gemacht hat. Wenn ich also sage, dies ist mein Körper, so ist diese Aussage nur insofern korrekt, als sie sich auf das Objekt bezieht, mittels dessen ich diese Aussage gemacht habe; sie wäre dagegen unkorrekt, bezöge sie sich auf den Körper einer anderen Person: denn aufgrund meiner Aussage bliebe dieser Körper immer noch faktisch das Instrument eines anderen Willens, während der Körper, mit dessen Hilfe ich die Aussage gemacht habe, meiner bliebe, selbst wenn ich oder eine andere Person etwas anderes behaupten sollte.

Was im Hinblick auf Körper gilt, mit denen ein Wille koexistiert und ohne die sich ein Wille überhaupt nicht auszudrücken vermöchte (d. i. originäre Güter), gilt auch im Hinblick auf die Begründung von Eigentum an anderen Dingen (d. i. sekundäre Güter): diese anderen Dinge werden nur dadurch zu meinem Eigentum, daß ich sie in objektiv sichtbaren Grenzen durch Einsatz des mir gegebenen origi- [S.110] nären Mittels meines Körpers zu meinen Dingen mache, meinem Willen in ihnen, wie in meinem Körper, Ausdruck verleihe. In den Worten J. Lockes: ich eigne mir Dinge als mein Eigentum an, indem ich sie mit meiner Arbeit ‚mische’;[FN22] indem ich sie aus dem naturbelassenen Zustand in einen bearbeiteten Zustand überführe; indem ich etwas, in dem zuvor niemandes Wille zum Ausdruck kam, zum Ausdruck meines Willens mache.

Neben der Methode des Eigentumserwerbs durch ursprüngliche Appropriation gibt es die Methode des Eigentumserwerbs durch freiwillige Übertragung von Eigentumstiteln.[FN23] Mein Recht, mit meinem Eigentum zu tun und zu lassen was ich will, schließt ein, daß ich es zu mir angemessen erscheinenden Bedingungen auf andere Personen übertragen kann. Hierbei besteht Vertragsfreiheit. Auf welchen Austausch von Eigentumsrechten sich die Vertragsparteien auch immer einigen, der Austausch ist rechtens, sofern die Parteien tatsächlich Eigentum an den verhandelten Dingen besitzen und die Verhandlungen ohne Einsatz von Gewalt erfolgen. – Während es im Hinblick auf sekundäre Güter keinerlei Beschränkungen der Vertragsfreiheit gibt (unbedingte Eigentumsübertragungen sind ebenso zulässig, wie an Bedingungen geknüpfte; zeitlich unbefristete ebenso wie befristete, etc.), gibt es im Hinblick auf Eigentumsübertragungen beim originären Gut des eigenen Körpers eine wichtige (sich freilich aus dem GWAP ergebende) Beschränkung: das GWAP verbietet nämlich, selbst wenn dies im Rahmen eines freiwillig abgeschlossenen Vertrags erfolgen sollte, einen dauerhaften Verzicbt auf die Unversehrtheit des eigenen Körpers. Ein Vertrag, in dem sich eine Person in die Sklaverei verkauft, oder, um ein moderneres und realistischeres Beispiel zu nennen, ein Vertrag, mit dem sich eine Person zu psychiatrischer Behandlung bereit erklärt, der vorsieht, daß diese Behandlung auch dann noch fortgesetzt werden darf, wenn die Person dies nicht mehr wünscht, ist von vornherein null und nichtig.[FN24] Das GWAP erlaubt zwar, daß ich mich freiwillig in eine sado-masochistische Beziehung begebe und in ihr die Rolle des Sklaven übernehme; es erlaubt selbst, daß ich andere Personen zur Sterbehilfe für mich auffordere (so, daß diese Personen, sollten sie meiner Aufforderung tatsächlich nachkommen, sich keines Verstoßes gegen das GWAP schuldig machten!); aber es erlaubt dies nur insofern, als ich hier jederzeit nein sagen könnte und also jederzeit Herr über meinen eigenen Körper bliebe. Ein dauerhafter Verzicht auf körperliche Unversehrtheit wäre, in Übereinstimmung mit dem GWAP, also allenfalls insoweit möglich, als es sich um ständig durch gegenwärtige Willensbekundungen erneuerte, punktuelle Aufforderungen zur Gewaltanwendung gegenüber der eigenen Person handelt, aber nicht dadurch, daß aufgrund einer gegenwärtigen Entscheidung auf eigene spätere Entscheidungen verzichtet wird, [S.111] und andere Personen das Recht hätten, unter Verweis auf meine früheren Entscheidungen meine gegenwärtigen Willensbekundungen zu ignorieren und ihrer ungeachtet meinen Körper durch Gewaltanwendung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Eine solche Situation wäre deshalb mit der Geltung des GWAP unvereinbar, und müßte entsprechend als unrechtmäßige Aggression eingestuft werden, weil sie nicht als allgemein anerkennungsfähig gelten könnte (die Situation zeichnete sich doch gerade dadurch aus, daß man auf meine eigene gegenwärtige Anerkennung ihrer als fair verzichtete!), während genau dies doch die Funktion des GWAP ist: immer und ausschließlich nur solche Situationen entstehen zu lassen, die allgemein anerkennungsfähig und im Sinn des Gemeinwohls sind, weil ihre Realisierung und Aufrechterhaltung zu keinem Zeitpunkt auf Kosten irgendeiner Person geschieht.[FN25]

Eingedenk dieser Einschränkung im Hinblick auf die Verfügungsgewalt von Personen über den eigenen Körper gilt jedoch, daß jede Person uneingeschränkte Kontrolle über alle von ihr rechtmäßig (gewaltlos) appropriierten Dinge besitzt, und daß jede Handlung, die dieses Recht ignoriert, indem sie entweder den Körper oder die sekundären Güter einer anderen Person unaufgefordert in ihrer physischen Integrität angreift oder anzugreifen droht, einen aggressiven Akt darstellt, der, in Übereinstimmung mit dem GWAP, notfalls auch mit Gewalt (qua Selbstverteidigung) beantwortet werden darf. Alles ist erlaubt; nur solche Handlungen nicht, die die Verfügungsgewalt anderer Personen über ihr Eigentum ungefragt beschränken wollen oder die physische Integrität des Eigentums anderer berühren: namentlich ist es erlaubt, Handlungen durchzuführen, die den Wert des Eigentums anderer Personen (positiv oder negativ) beeinflussen (denn Wert ist keine objektive Größe, die ein Handelnder selbst kontrollieren kann); nicht erlaubt sind allein Handlungen, die die physischen Eigenschaften des Eigentums anderer Personen unaufgefordert verändern.[FN26]