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3.2.1. Gewalt

I.
II.

II.

[S.162] Hinsichtlich der allgemeinen Folgen zunehmender Ausbeutung lassen sich zwei Effekte unterscheiden. Der erste ist offenkundig: je weiter das laufende Einkommen und das dauerhafte Vermögen des Staates anwächst, umso stärker ist die entsprechende relative Verarmung auf Seiten der das staatliche Gütereinkommen produzierenden (oder produziert habenden) Personen. Der zweite Effekt ist weniger offenkundig, aber gerade dadurch umso interessanter. Er kommt ins Blickfeld, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das staatlicherseits angeeignete Eigentum an bestimmten Gütern nur einmal angeeignet werden kann; und daß jede zukünftige Aneignung naturgemäß, solange man nicht im Schlaraffenland, in dem sich ein gesellschaftlicher Güterbestand trotz andauernden Konsums immer wieder auto- [S.163] matisch ohne irgendjemandes Zutun erneuert, sondern in einer Welt knapper Güter lebt, die immer wieder unter Arbeitsaufwand produziert und reproduziert werden müssen,[FN91] voraussetzen muß, daß es eine zukünftige Güterproduktion gibt! Angesichts dessen besteht die zweite Folge einer staatlichen Politik zunehmender Aneignung privaten Eigentums darin, daß durch sie (sofern eine gegebene Politik auch für die Zukunft verbindlich ist) keineswegs nur der gegenwärtige private Wohlstand, sondern vor allem auch der Prozeß der Produktion zukünftigen Wohlstands negativ berührt wird.[FN92] Sofern die veränderte Politik als solche wahrgenommen wird, bedeutet sie für einen Produzenten zukünftiger Güter, daß mehr an Arbeit aufgewendet werden muß, um ein unverändertes Einkommen an austauschbaren Gütern erzielen zu können; bei unveränderter Arbeitsleistung würde das Gütereinkommen sinken. Zu arbeiten, Zeit zum Zweck der Erzielung eines Austauschgütereinkommens zu verwenden, ist für einen Güterproduzenten von daher (gemessen in Terms solcher Güter) teurer geworden. Umgekehrt, wenn es relativ teurer wird zu arbeiten, dann muß die logische Alternative zu Arbeit, Freizeit, umso attraktiver werden. Aktivitäten, bei denen es nicht um die Herstellung austauschbarer Güter und Leistungen geht, sondern um die Herstellung bestimmten Zeitverwendungen intrinsischer Werte (wie z. B., normalerweise, wenn ich schlafe, oder die Wolken anschaue, oder nachdenke, mich unterhalte oder spazierengehe, usw.), oder aber um die Herstellung von Austauschgütern außerhalb der staatlicherseits erfaßten Ökonomie (in der Schattenwirtschaft von Schwarzarbeit und handel) nehmen entsprechend (über das Ausmaß hinaus, das sie ansonsten eingenommen hätten) zu. Mit relativ vermindertem Arbeitseinsatz und vermehrter Freizeit sinkt aber der in Austauschgütern gemessene zukünftige Lebensstandard, und fällt das zukünftige Sozialprodukt an Austauschgütern, an dem der Staat parasitär partizipiert, unter das ansonsten erzielte Niveau [FN93] (so daß sich auch der Staat durch seine Politik zunehmender Aneignungen insofern schadet, als er von einem größeren Sozialprodukt parasitär hätte zehren können, hätte er mit seiner Politik zunehmender Ausbeutung länger gewartet als er es tatsächlich getan hat!).[FN94]

[S.164] Es wird häufig für ein im Widerspruch zu den gerade konstatierten Zusammenhängen stehendes Ereignis gehalten, wenn Personen angesichts einer erhöhten Ausbeutungsrate umso mehr arbeiten, und wenn das Sozialprodukt infolgedessen nicht sinkt, sondern konstant bleibt oder steigt. Dem ist jedoch nicht so. Im Gegenteil: dieselbe ökonomische Analyse zeigt, daß es sogar gute Gründe gibt, derartige Ereignisse als normal und durchaus erwartet zu betrachten. – Zum einen ist eine Sozialproduktsteigerung trotz steigender staatlicher Ausbeutung natürlich deshalb möglich, weil Produktivitätsfortschritte möglich sind. Wenn man durch Verbesserungen in der Produktionstechnologie mehr gegebener Güter mit gleichem Aufwand (und einen gleichen Output bei verringertem Input) herstellen kann, ist die Koinzidenz von zunehmender Abgabebelastung und wachsendem Sozialprodukt alles andere als ein merk
und erklärwürdiges Ereignis.

Ein zweiter Grund tritt hinzu. Abgesehen von möglichen Produktivitätsfortschritten wird durch die Erhöhung der Abgabelast eine Verringerung des privaten Einkommens und Vermögens an austauschbaren, monetarisierbaren Gütern bewirkt, und dies erhöht ceteris paribus den Grenznutzen gerade einer zusätzlichen Austauschgütereinheit gegenüber dem Nutzen einer zusätzlichen Einheit nichtaustauschbarer intrinsischer Güter.[FN95] Daß relativ härter gearbeitet wird, wenn der Staat verstärkt ausbeutet, ist also, wenn die ceteris tatsächlich paribus sind, nicht mehr als selbstverständlich.

(Weder Produktivitätsfortschritte freilich, noch die durch einen erhöhten Grenznutzen von Austauschgütern angespornte härtere Arbeit, könnten in dem Augenblick mehr etwas ausrichten, und es käme tatsächlich unweigerlich zu einem absoluten Fallen des Sozialprodukts, in dem der Staat zu einer Politik vollständiger und restloser Enteignung sämtlicher zusätzlich erwirtschafteter Güter überginge. Ein konstantes oder wachsendes Sozialprodukt wäre unter diesen Umständen nur unter der annahmewidrigen (!) Voraussetzung möglich, daß die Herstellung der Austauschgüter nicht Arbeit ist, sondern das Abfallprodukt einer nur intrinsisch motivierten Freizeitaktivität, dessen staatliche Vereinnahmungen darum auch nicht als zwangsweise Enteignungen gedeutet und wahrgenommen werden (können).)

Solange der Staat die güterproduzierenden Personen am zusätzlichen Sozialprodukt noch mehr oder weniger teilhaben läßt, kann durch reine Theorie nichts darüber ausgesagt werden, ob es trotz einer Erhöhung der an den Staat zu entrichtenden Kontributionen zu einem Sozialproduktswachstum kommt oder nicht. Ob eine bestimmte Gesellschaft z. B. noch angesichts einer von 98 % auf 99 % gesteigerten Ausbeutungsrate ein wachsendes Sozialprodukt aufweist oder nicht, oder ob sie einem an ihr parasitär partizipierenden Staat schon bei einem Anwachsen der [S.165] Ausbeutungsrate von 1 % auf 2 % die Gefolgschaft versagt, indem sie mit einem absoluten Rückgang des Sozialprodukts antwortet, ist eine empirische Frage, die immer nur aufgrund rekonstruierender Geschichtsschreibung beantwortet werden kann.

Der konstatierte Zusammenhang von zunehmender Abgabebelastung und zunehmenden zukünftigen Sozialproduktseinbußen gilt jedoch unabhängig von solchen möglichen oder gar wahrscheinlichen Ereignissen. Die getroffene Aussage sagt über die absolute Höhe des Sozialprodukts an Austauschgütern und über die absoluten Zeitbeträge, die Personen für Arbeit oder Freizeit aufwenden, nichts aus, sondern beschäftigt sich ausschließlich mit relativen Größenveränderungen, genauer: mit Veränderungen im Sozialprodukt unter den Voraussetzungen, daß ein bestimmter Stand produktionstechnischen Wissens gegeben ist, und daß Personen eine gegebene Nachfragekurve bezüglich zukünftiger, der eigenen Versorgung in der Zukunft dienender Güter aufweisen. Beide Voraussetzungen sind selbstverständlich immer und für jeden Handelnden erfüllt: zwar ändert sich das technische Know-how ständig; und auch der Antrieb, auf Kosten möglichen Gegenwartskonsums Zukunftsvorsorge zu treffen (oder, umgekehrt, auf Kosten von Zukunftsvorsorge Gegenwartskonsum zu betreiben), kann sich im Zeitverlauf ändern und mehr oder weniger stark ausgeprägt sein; aber natürlich hat jede Person zu jedem beliebigen Zeitpunkt ein gegebenes Wissen und eine gegebene Neigung zur Zukunftsvorsorge; und wenn man dann auch aufgrund ökonomischer Analyse keine Voraussage über die zukünftige Entwicklung von Sozialprodukten zu treffen vermag, weil die zukünftigen Veränderungen von Wissen und Vorsorglichkeit nicht vorausgesagt werden können (beide Größen das zukünftige Sozialprodukt aber so oder so berühren können), so ist doch immerhin eine für jeden beliebigen Zeitpunkt gültige Aussage darüber möglich, welcherart die Konsequenzen für ein Sozialprodukt sind, die sich logisch aus zunehmender staatlicher Ausbeutung bei konstantgehaltenem Produktivitäts- und Vorsorgeniveau ergeben. Das Ergebnis ist eindeutig. Für jede Person gilt: Wenn sie bisher einen Einkommens- und Vermögensstand von X hatte und angesichts dieses Stands von X zu entscheiden war, wieviel hiervon für Gegenwartskonsum verwendet und wieviel stattdessen zum Zweck der Versorgung mit zukünftigen Konsumgütern gegenwärtig investiv angelegt werden soll, so ist der Bestand infolge einer veränderten staatlichen Politik nunmehr auf X – n gefallen, und die persönlichen Konsum- und Investitionsentscheidungen müssen nunmehr angesichts dieses um n verringerten Einkommens- bzw. Vermögensstandes getroffen werden. Bei einer gegebenen Nachfragekurve nach zukünftigen Gütern impliziert diese Veränderung eine korrespondierende Änderung im Verhältnis von Konsum- zu Investitionsaufgaben: da die Produktion zukünftiger Güter teurer geworden ist, sinkt (bei gegebener Nachfragekurve) die Nachfrage nach ihnen, und die nach gegenwärtigen (Konsum-)Gütern steigt. Entsprechend steigt ceteris paribus die Marktzinsrate für Geldkredite gegebener Art und Dauer; es kommt zu einem relativ geringeren Investitionsvolumen, und die verringerten Investitionen führen zu einem Rückgang des zukünftigen Sozialprodukts unter das ansonsten erreichte Niveau.

Nur in einem einzigen Fall ist es denkbar, daß das zukünftige Sozialprodukt an [S.166] austauschbaren Gütern trotz steigender staatlicher Ausbeutung nicht relativ abnimmt, sondern konstant bleibt. Dieser Grenzfall liegt dann vor, wenn Personen nicht nur tatsächlich bereit sind, entsprechend mehr zu arbeiten, um auf diese Weise einen unveränderten Einkommens- und Vermögensstand zu erwirtschaften; für sie muß außerdem gelten, daß sie in der Zeit, die sie infolge der zunehmenden staatlichen Ausbeutung nun mehr arbeiten müssen, und mit den Ressourcen, die von ihnen infolgedessen nun verstärkt für gegebene Produktionszwecke eingesetzt werden müssen, ansonsten (d. i. im Nicht-Ausbeutungsfall) keinerlei zusätzliche produktive Tätigkeit begonnen, sondern die gesparte Zeit und die gesparten Ressourcen ausschließlich und vollständig für die Durchführung von Konsum- und Freizeitaktivitäten verwendet hätten. Nur wenn vor allem auch die letztere Voraussetzung erfüllt ist, bleibt das zukünftige Sozialprodukt an austauschbaren Gütern in der Tat, trotz verstärkter Ausbeutung, konstant. In diesem Fall würde ein zusätzlicher Akt der Gewaltanwendung ‚nur’ zu einem Verlust an Freizeit führen. Der erzwungene Verlust manifestierte sich nicht in fehlenden Austauschgütern, sondern es handelte sich um einen Verlust allein an intrinsischen Werten (der freilich gleichfalls einen Verlust an Wohlfahrt darstellt, da jedermanns Wohlfahrt von Tauschgütern und von intrinsischen Werten abhängt!).

Gilt die letztere Voraussetzung, daß niemand, wenn er weniger ausgebeutet würde, in der gesparten Zeit auch nur irgendeine zusätzliche, auf die Herstellung zukünftiger Güter gerichtete Aktivität beginnen würde, dagegen nicht, dann kommt es nicht allein zu Freizeitverlusten, sondern zusätzlich auch zu Verlusten bezüglich des Sozialprodukts an Tauschgütern. Und relative Verluste an Freizeit und materiellem Wohlstand sind der Normalfall, wie schlagend durch die Existenz von Schwarzarbeit und märkten, Untergrundökonomien, oder wie immer man die staatlich nicht erfaßten wirtschaftlichen Vorgänge nennen will, unter Beweis gestellt wird. Die Existenz von Untergrundökonomien zeigt, daß eine über einen gegebenen, legal erwirtschafteten Einkommens und Vermögensstand hinausgehende Nachfrage nach zusätzlichen Austauschgütern tatsächlich vorhanden ist. Man ist offensichtlich keineswegs mit einem gegenwärtigen materiellen Wohlstand zufrieden, und zieht vermehrte Freizeit vermehrtem Wohlstand grundsätzlich vor; vielmehr wird schon gegenwärtig ein keineswegs unbedeutender Teil der Freizeit nicht für konsumierende, intrinsisch belohnte Freizeitaktivitäten, sondern für güterproduzierende Tätigkeiten verwendet (und dieser Teil steigt ceteris paribus umso mehr, je höher die staatliche Ausbeutungsrate steigt). Würde der Staat also seine Ausbeutungsrate reduzieren und den gesellschaftlichen Güterproduzenten dadurch bei gegebenem Einkommen vermehrte Freizeit bescheren, so ist es schon gegenwärtig, angesichts einer schon gegenwärtig manifest werdenden Nachfrage ausgemacht, daß es in dieser Zeit nicht nur zu vermehrter ‚reiner’ Freizeit, sondern auch zu zusätzlicher Arbeit kommen und das Sozialprodukt an Tauschgütern über das im Ausbeutungsfall erreichte Niveau hinaus steigen würde.[FN96]