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3.2.3. Demokratisierung

I.
II.
III.
IV.

I.

[S.182] Relative gesellschaftliche Verarmung ist aber nicht nur das Ergebnis eines Wachstums des Subventionsstaates und, mehr noch einer verstaatlichten bzw. vergesellschafteten Produktion. Zunehmende relative Verarmung ist, last but not least, auch Folge zunehmender Demokratisierung. Diese These klingt, nachdem in der Bundesrepublik die Phase des ‚Mehr-Demokratie-Wagens’ inzwischen ihren zumindest vorübergehenden Abschluß gefunden hat und Illusionen durch die Realität ökonomischer Fakten eingeholt wurden, nicht mehr ganz und gar überraschend. – Nach wie vor jedoch ist ihre Begründung aufgrund der andauernden, jede nüchterne Analyse behindernden Tabuisierung des Themas Demokratie weitgehend unverstanden. Eine vorbehaltlose Darstellung dessen, was zunehmende Demokratisierung beinhaltet, soll die These relativer Verarmung nahezu selbst-evident machen.[FN105]

Die entscheidenden Argumente gegen die Demokratie als soziale Organisationsverfassung sind seitens des klassischen Liberalismus vorgetragen worden. Er hat schlagend vorgeführt, daß eine Demokratie keiner prinzipiellen Begründung bzw. Rechtfertigung fähig ist (freilich ohne hieraus die zwingende Konsequenz zu ziehen, sie prinzipiell abzulehnen bzw. ausdrücklich anzuerkennen und zu formulieren, daß eine Demokratie allenfalls unter taktisch-opportunistischen Gesichtspunkten (unter denen sich freilich, wenn die Umstände entsprechend sind, alles und nichts rechtfertigen läßt!) zu akzeptieren ist).[FN106]

Zum einen, das stellt den ersten und grundlegenden Einwand dar, folgt aus der Anerkennung der Demokratie, daß auch eine demokratische (mehrheitliche) Abschaffung der Demokratie, sei es zugunsten einer Autokratie oder sei es zugunsten einer auf der Anerkennung des GWAP aufbauenden Privatrechtsgesellschaft als möglich und zulässig gelten müßte – und dies zeigte, daß die Demokratie keinen von vornherein an sich und in sich rechtfertigbaren Wert darstellt. Ebenso müßte es als möglich und zulässig gelten, wenn Mehrheiten beschließen würden, Minderheiten solange zu eliminieren, bis man am logischen Endpunkt dieses Prozesses ankommt, an dem nur noch zwei Personen (die letzte Mehrheit!) übrigbleiben, für die das demokratische Verfahren dann aus logisch-arithmetischen Gründen nicht mehr angewendet werden kann – was abermals zeigte, daß Demokratie keinen prinzipiell verteidigbaren Wert darstellt. Oder wollte man diese Konsequenzen nicht in Kauf nehmen und statt dessen für die Vorstellung einer hinsichtlich ihrer Entscheidungsbefugnisse beschränkten Demokratie plädieren, (wie etwa die Konzeption einer liberalen Demokratie) so müßte man zugeben, daß das Prinzip, aus dem sich die Beschränkung und die nur beschränkte Gültigkeit der Demokratie ergibt, logisch fundamentaler ist als das demokratische Prinzip selbst – und auch dies würde wieder nur zeigen, daß eine Demokratie-an-sich keineswegs gerechtfertigt ist.

[S.183] Zum anderen, und das ist der zweite Einwand, ergibt sich aus der Anerkennung des demokratischen Verfahrens selbst zunächst kein Hinweis auf die zu seiner Anwendung unerläßliche Bestimmung der Personengrundgesamtheit (Mehrheit wovon?), für die das System gelten soll. Angesichts dessen bestehen drei (und nur drei) Möglichkeiten. Entweder man wendet das demokratische Verfahren im Hinblick auf die Frage noch einmal auf sich selbst an und entschließt sich zur Auffassung, daß größere Mehrheiten immer Vorrang gegenüber kleineren haben, dann gibt es aber offenbar keine Möglichkeit, das Konzept einer ‚nationalen’ oder ‚regionalen’ Demokratie o. ä. zu retten, denn die Grundgesamtheit wäre in diesem Fall die gesamte Erdbevölkerung, und nur die Beschlüsse einer erdumspannenden Demokratie könnten demnach als verbindlich begründet gelten (diese vergleichsweise konsequente Position würde immer noch durch den oben genannten ersten Einwand erledigt!). – Oder man entschließt sich zur Auffassung, daß die Bestimmung der Grundgesamtheit beliebig ist, dann müßte man jedoch die Möglichkeit und Zulässigkeit der Loslösung bzw. Sezession beliebiger kleinerer Mehrheiten von größeren Mehrheiten einräumen, einschließlich der Möglichkeit und Zulässigkeit einer Selbstbestimmung jeder einzelnen Person über sich selbst, als logischem Endpunkt dieses Sezessionsprozesses – und wieder wäre man genötigt, die Unrechtfertigbarkeit der Demokratie zuzugestehen. – Oder man vertritt schließlich die Auffassung, daß die Festlegung der Grundgesamtheit weder mehrheitlich noch willkürlich, sondern anderweitig begründet ist – dann würde man abermals zuzugeben haben, daß dies andere Prinzip, das eine solche Festlegung begründet, fundamentaler ist als das Prinzip Demokratie, und letzteres von daher, auf sich gestellt, als willkürlich zu gelten hat.

Demokratie hat also, noch einmal kurz und entschieden gesagt, nichts mit Freiheit, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit o. ä. zu tun.[FN107] Vielmehr handelt es sich bei ihr um eine Herrschaftsform, die wie jede Form der Herrschaft, weil sie auf einer asymmetrischen Verteilung von Rechten beruht, nicht als allgemein anerkennungsfähig einzustufen ist: Ganz offensichtlich hätte eine Regel, die besagte: ‚Mehrheiten, oder von Mehrheiten zu diesem Zweck gewählte Repräsentanten, haben das Recht, auch nicht-zustimmende Minderheiten betreffende und bindende Entscheidungen zu fällen’ nicht die geringste Aussicht auf allgemeine Anerkennung als faire Regel. Jedermann, der sich klarzumachen vermöchte, was dies gegebenenfalls im Hinblick auf sich und sein Eigentum bedeutete, würde sie sofort als lächerlich und unakzeptabel zurückweisen. Als fair könnte nur eine Regel akzeptiert werden, bei der Mehrheiten das angesprochene Recht gegenüber Minderheiten unter der allerdings entscheidenden einschränkenden Bedingung genießen, daß jedermann jederzeit das Recht hätte, den Geltungsbereich der demokratisch verfaßten Organisation durch Aufkündigung der Mitgliedschaft zu verlassen. Fair ist also z. B. die Demokratie einer Kaninchenzüchtervereinigung oder die einer Aktiengesellschaft, der man [S.184] freiwillig, unter freiwilliger Anerkennung der jeweiligen Organisationsverfassung beigetreten ist, und deren Entscheidungen man, solange man Mitglied ist, freiwillig als verpflichtend anerkennt (auch wenn man zur überstimmten Minderheit gehört), deren Entscheidungen man aber jederzeit entgehen kann, wenn man seine Mitgliedschaft kündigt, womit das Recht der Mehrheit der Organisationsmitglieder, sie (die Nicht-Mitglieder) betreffende Verfügungen durchzusetzen unmittelbar erlöschen würde. M. a. W.: fair kann eine Demokratie nur sein, wenn sie die fundamentalere Geltung einer auf dem GWAP und den daraus ableitbaren Eigentumsregelungen aufbauenden Privatrechtsverfassung anerkennt und voraussetzt; nur dann bedeutet Demokratie nicht Herrschaft; dann aber handelt es sich auch nicht um die Demokratie eines Staates, um die allein es hier geht, denn der Staat, auch und gerade der demokratische Staat, erlaubt es charakteristischerweise nicht, sich dem Geltungsbereich seiner Entscheidungen so, durch Austritt, zu entziehen, wie es eine Privatrechtsorganisation, gleich welcher Verfassung, erlaubt.[FN108]