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Von der Strafunwürdigkeit unterlassener Hilfeleistung

I.
II.
III.
IV.
Fußnoten zum Anhang

II.

[S.189] Das Rechtsprinzip, zu dem das strafrechtliche Verbot unterlassener Hilfeleistung im Widerspruch steht, und das als allgemein anerkennungsfähig zu gelten hat, lautet: keine Person hat das Recht, anderen Personen gegenüber unaufgefordert Gewalt anzuwenden oder anzudrohen. Als Gewalt gelten dabei Angriffe bzw. Androhungen von Angriffen auf die physische Integrität des Körpers einer anderen Person (ohne daß diese sich eines entsprechenden vorangehenden Angriffs schuldig gemacht hätte), mit dem Ziel, die Verfügungsgewalt dieser Person über ihren eigenen Körper einzuschränken, und ihn stattdessen zum Instrument des eigenen (fremden) Willens zu machen. Keine Gewalt liegt vor – obwohl hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes nicht immer von Akten der Gewaltanwendung unmittelbar unterscheidbar , handelt es sich bei einer Handlung um die Abwehr eines vorangehenden gewalttätigen Angriffs auf die eigene Person (das ist Notwehr!), oder handelt es sich um einen Akt, zu dem ich seitens der ‚angegriffenen’ Person ausdrück [S.190] lich aufgefordert worden bin (z. B. sado-masochistische Interaktion – das ist freiwillige Kooperation!).[FN1]

Daß dieses Gewaltausschlußprinzip allgemein anerkennungsfähig ist, läßt sich auf zweierlei Weise demonstrieren. Einmal, gewissermaßen negativ, dadurch, daß man sich vor Augen führt, daß jede Regel, die etwas zu dem Prinzip Widersprüchliches konstatiert, indem sie den Einsatz von Gewalt zur Verfolgung bestimmter Ziele zuläßt, nicht als allgemein-anerkennungsfähig gelten kann; denn mit ihrer Geltung muß eine Gruppe von Personen bestimmt worden sein (und sei es auch nur eine Gruppe mit einem einzigen Mitglied), der gegenüber ungefragt ‚berechtigterweise’ Gewalt angedroht bzw. angewendet werden darf – und jedenfalls diese Person(en) würden der Regel nicht als anerkennungsfähig zustimmen können. – Zum anderen wird das Gewaltausschlußprinzip, positiv gewissermaßen, dadurch als allgemein-anerkennungsfähig einsehbar, daß man sich darüber Klarheit verschafft, daß die Anerkennung des Gewaltausschlußprinzips nichts weniger ist, als die Voraussetzung dafür, daß man überhaupt von einer Übereinstimmung als einer allgemeinen, in der Sache begründeten, und also ‚Objektivität’ konstituierenden Übereinstimmung (etwa bezüglich der Geltung von Aussagen) sprechen kann: begründen oder rechtfertigen heißt gewaltfrei begründen bzw. rechtfertigen. Als Bedingung der Möglichkeit Objektivität begründender allgemeiner Anerkennung von etwas muß das Prinzip aber selbst objektiv als allgemein-anerkennungsfähig gelten – ansonsten könnte es nicht als Ausgangspunkt darüber hinausgehender Übereinstimmungen fungieren.