Home Kontakt Sitemap Impressum

Neue Beiträge zum Problem der sozialistischen Wirtschaftsrechnung (1923)

Einleitung
I. Arthur Wolfgang Cohn: Kann das Geld abgeschafft werden?
II. Karl Polányi: Sozialistische Rechnungslegung
III. Eduard Heimann: Mehrwert und Gemeinwirtschaft
IV. Kautsky: Die proletarische Revolution und ihr Programm/Leichter: Die Wirtschaftsrechnung in der sozialistischen Gesellschaft

III. Eduard Heimann: Mehrwert und Gemeinwirtschaft

Der dritte Beitrag zur Behandlung unseres Problems rührt von Eduard Heimann her.(15) Heimann ist Bekenner eines ethisch und religiös motivierten Sozialismus. Seine politische Gesinnung macht ihn aber durchaus nicht blind für das Problem der (493) Wirtschaftsrechnung. Er folgt in seiner Behandlung den Ausführungen Max Webers. Max Weber hat das Problem als für den Sozialismus »durchaus zentral« erfaßt und in eingehender Auseinandersetzung, in der er die »Naturalrechnungs«-Schwärmereien Otto Neuraths zurückweist, gezeigt, daß ohne Geldgebrauch und Geldrechnung rationales Wirtschaften nicht möglich ist.(16) Heimann will nun zeigen, daß man auch in einer sozialistischen Wirtschaftsordnung rechnen könnte.

Geht Polányi von einer Konstruktion aus, die dem englischen Gildensozialismus verwandt ist, so entwickelt Heimann seine Vorschläge im Anschlusse an die deutschen Planwirtschaftsideen. Charakteristischerweise ähneln seine Ausführungen denen Polányis dennoch in dem Punkte, auf den es allein ankommt; sie sind gerade dort bedauerlich unklar, wo das Verhältnis der einzelnen Produktionsgruppen, in die die planwirtschaftlich organisierte Gesellschaft zerfällt, zu dem Ganzen scharf zu umschreiben gewesen wäre. So gelangt er dazu, von einem sich marktmäßig vollziehenden Verkehr zu sprechen,(17) ohne zu beachten, daß die Planwirtschaft, voll und folgerichtig durchgeführt, verkehrslos ist, und daß das, was man dort etwa als Kauf und Verkauf benennen wollte, seinem Wesen nach ganz anders zu charakterisieren ist. Heimann verfällt in diesen Fehler dadurch, daß er das bezeichnende Merkmal der Planwirtschaft vor allem in der monopolistischen Zusammenfassung der einzelnen Produktionszweige erblickt, statt in der Abhängigkeit der Produktion vorn einheitlichen Willen eines gesellschaftlichen Zentralorgans. Dieser Mißgriff ist um so erstaunlicher, als doch schon der Name »Planwirtschaft« und alle zugunsten der Idee ins Treffen geführten Argumente das Einheitliche der Wirtschaftsführung stark in den Vordergrund treten lassen. Freilich, Heimann durchschaut die Hohlheit des mit dem Schlagwort »Anarchie der Produktion« arbeitenden Arguments.(18) Doch darüber hätte er nie vergessen dürfen, daß gerade hier und nirgends sonst das liegt, was Sozialismus und Kapitalismus scharf scheidet.

Wie die Mehrzahl aller Schriftsteller, die sich mit der Planwirtschaft befaßt haben, bemerkt Heimann nicht, daß auch, die streng durchgeführte Planwirtschaft nichts anderes ist als reiner Sozialismus und daß sie sich nur in Aeußerlichkeiten vom straff zentralistisch organisierten sozialistischen Gemeinwesen unterscheidet. Daß unter der einheitlichen Leitung der Zentralstelle eine Reihe von äußerlich selbständigen Departements mit der Verwaltung einzelner Produktionszweige betraut ist, ändert nichts an (494) der Tatsache, daß die Zentralstelle allein die Führung innehat. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Departements werden nicht auf dem Markte durch den Wettbewerb von Käufern und Verkäufern geregelt, sondern durch obrigkeitlichen Befehl. Daß für diese obrigkeitlichen Eingriffe jeder das Rechnen und Berechnen ermöglichende Maßstab fehlt, weil sich die Obrigkeit nicht an auf einem Markte gebildeten Austauschverhältnissen zu orientieren vermag, das ist das Problem. Wohl kann die Obrigkeit, Substitutionsverhältnisse für die Rechnung zugrunde legen, die sie selbst bestimmt. Aber diese Bestimmung ist willkürlich, sie ist nicht auf den subjektiven Wertschätzungen der Individuen gegründet und auf die Produktivgüter durch das Zusammenwirken aller in der Produktion und im Verkehr Tätigen übertragen wie die Preise des Marktes. Sie kann mithin nicht die Grundlage einer rationellen Wirtschaftsrechnung bilden.

Heimann gelangt zu seiner Scheinlösung des Problems durch Anwendung der Kostentheorie. Die Wirtschaftsrechnung wird an den Kosten orientiert. Man errechnet die Preise auf Grundlage der »Erzeugungskosten, welche die der Verrechnungsstelle angeschlossenen Werke durchschnittlich aufgewendet haben, einschließlich ihres Arbeitslohnes«.(19) Das ist eine Lösung, mit der sich die Theorie vor zwei oder drei Menschenaltern zufriedengegeben hätte. Uns kann sie nicht genügen. Wenn man unter Kosten den Nutzentgang versteht, der bei anderweitiger Verwendung der Aufwendungen zu vermeiden gewesen wäre, erkennt man unschwer, daß Heimanns Ausführungen sich im Kreise bewegen. Anderweitige Verwendung ist im sozialistischen Gemeinwesen nur auf Befehl der Obrigkeit möglich; und das Problem, das uns beschäftigt, ist eben das, ob die Obrigkeit, um zu ihren Entschlüssen zu gelangen, rechnen könnte. Der Wettbewerb der Unternehmer, die in der auf dem Sondereigentum beruhenden Gesellschaftsordnung bestrebt sind, Güter und Dienste der rentabelsten Verwendung zuzuführen, ist in der Planwirtschaft wie in jeder denkbaren Gestalt der sozialistischen Gesellschaftsordnung durch das planmäßige Handeln der Obrigkeit ersetzt. Nur dieser Wettbewerb der Unternehmer, die sich sachliche Produktionsmittel und Arbeitskräfte gegenseitig zu entwinden suchen, bildet Preise. Wo »planmäßig«, d. h. von einer Zentralstelle, der alles untertan ist, gewirtschaftet werden soll, schwindet die Grundlage der Rentabilitätsrechnung; nur die Naturalrechnung der Produktivität bleibt übrig. Heimann meint: »Sobald auf dem Markte der Genußgüter ein wirklicher Wettbewerb herrscht, pflanzt sich der dadurch bestimmte Preisstand von dort ohne weiteres durch alle Erzeugungsstufen hindurch fort, wofern nur die Preisregel sinngemäß angewandt wird, und unabhängig von der Verfassung der Parteien auf den Märkten der Beschaffungsgüter«.(20) Das würde jedoch (495) nur dann der Fall sein, wenn wirklicher Wettbewerb bestünde. Heimann stellt sich die Gesellschaft als die Vereinigung einer Anzahl von »Monopolisten« vor, also von Departements des gemeinwirtschaftlichen Gesamtkörpers, denen je ein abgegrenztes Gebiet der Produktion zur ausschließlichen Besorgung zugewiesen ist. Wenn diese auf dem »Markte« der Beschaffungsgüter einkaufen, dann ist das kein Wettbewerb, weil ihnen durch die Obrigkeit von vorneherein das Gebiet, auf dem sie sich zu betätigen haben und das sie nicht verlassen dürfen, zugewiesen ist. Wettbewerb besteht nur dann, wenn jeder das produziert, was ihm die günstigste Rentabilität in Aussicht zu stellen scheint. Ich habe zu zeigen versucht, daß diesen Bedingungen nur das Sondereigentum an den Produktivgütern entspricht.(21)

Heimanns Darstellung des sozialistischen Gemeinwesens berücksichtigt nur die laufende Verarbeitung von Rohstoffen zu Genußgütern; so erweckt sie den Eindruck, als ob die einzelnen Abteilungen der Gemeinwirtschaft selbständig vorzugehen in der Lage wären. Weit wichtiger als dieser Teil der Produktion ist aber die Erneuerung des stehenden Kapitals und die Investierung des neugebildeten Kapitals; in den Entscheidungen, die darüber fallen, nicht in den Verfügungen über das umlaufende Kapital, die durch jene schon bis zu einem gewissen Grade vorgezeichnet sind, liegt der Kern des Wirtschaftens. Diese Entscheidungen aber, die auf Jahre und Jahrzehnte hinaus binden, kann man. nicht von der augenblicklichen Gestaltung der Nachfrage nach Genußgütern abhängig machen; sie müssen immer an der Zukunft orientiert, d. h.. »spekulativ« sein. Heimanns Schema, das Erweiterung oder Einschränkung der Produktion gewissermaßen mechanisch und automatisch aus der Gestaltung der Nachfrage nach den Genußgütern hervorgehen läßt, versagt hier vollkommen. Die Lösung des Wertproblems durch Zurückführung auf die Kosten ist eben nur für den theoretisch denkbaren, empirisch jedoch niemals und nirgends gegebenen »statischen Zustand« ausreichend. In der Statik fallen Preis und Kosten zusammen. In der Dynamik ist das bekanntlich nicht der Fall.

Heimanns Versuch, das Problem zu lösen, dessen Unlösbarkeit ich erwiesen zu haben glaube, ist m. E. mißglückt. Sein Buch bleibt dennoch eine schöne Leistung, vor allem darum, weil es die grundsätzliche Bedeutung des Problems der Wirtschaftsrechnung für den Sozialismus erkannt hat und weil es mit dazu beiträgt, die Erörterung der Fragen der gesellschaftlichen Organisation wieder auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Es behandelt neben unserem Problem noch eine Reihe anderer wichtiger Kapitel der nationalökonomischen Theorie in kritischer Auseinandersetzung mit Marx, Oppenheimer, Cassel und Schumpeter. Es ist dabei durch und durch ehrlich, begnügt sich nicht mit oberflächlichen Bemerkungen, sondern sucht der Schwierigkeiten der Dinge Herr zu werden.

(496) Man wird sich mit ihm noch in vielen Punkten eingehender befassen müssen.

_____________________________________________________________________

(15) Heimann , Mehrwert und Gemeinwirtschaft, Kritische und positive Beiträge zur Theorie des Sozialismus, Berlin 1922 (Verlag Hans Robert Engelmann).

(16) Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Grundriß der Sozialökonomik, III. Abteilung, Tübingen 1922), S. 45-59. – Dieser Teil des Weberschen Buches war, wie Weber auf Seite 58 bemerkt, bereits im Druck, als meine oben erwähnte Arbeit im Archiv für Sozialwissenschaft (47. Bd.) erschien.

(17) Vgl. Heimann, a. a. O. S. 184ff.

(18) Ebendort S. 174.

(19) Ebendort S. 185.

(20) Ebendort S. 188f.

(21) Vgl. meine Gemeinwirtschaft, a. a. O. S. 207ff.