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Warum wählen Menschen Kommunisten? (13.06.2005)

Von Luca Ferrini


Vor kurzem nahm ich an einer Konferenz in Prag teil; dies war mein erster Besuch eines postkommunistischen Landes, mit Ausnahme einer kurzen Visite in Berlin im Jahr 1991, als ich wahrscheinlich zu jung war, um richtig einzuschätzen, was ich um mich herum sah.

Prag ist heute eine wundervolle Stadt, eine der faszinierendsten Orte Europas. Beim Spaziergang durch die Straßen versuchte ich mir vorzustellen, wie diese Straßen nur einige Jahre zuvor ausgesehen haben mögen, als das kommunistische Regime noch an der Macht war. Diese gedämpft mehrfarbigen Häuser konnten vor zwanzig Jahren nicht so ausgesehen haben. Einwohner erzählten mir, daß die Stadt sehr grau gewesen sei. Menschen waren ärmlich gekleidet und niedergeschlagen.

Leben ohne Freiheit, unter einem kommunistischen Regime, ist nur ein halbes Leben. Sicherlich erinnern sich die Bürger daran. Sicherlich haben sie gelernt. Warum scheint dann ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung eine Rückkehr zum Kommunismus zu befürworten?

Im Verlauf eines Gespräches mit Simon Bilo, früherer Mises Institute Fellow und einer der Organisatoren der Konferenz, informierte er mich, daß bei den letzten politischen Wahlen die kommunistische Partei der Tschechischen Republik mehr als 20% der gesamten Stimmen erhielt. Sie ist jetzt die zweitgrößte Partei im Land. Ich wußte, daß kommunistische Parteien in Osteuropa eine starke Macht geblieben sind und ein gewisses Maß an Unterstützung im Volk genießen.

Dennoch, es ist merkwürdig. Es schreit nach einer Erklärung. Warum wünschen sich einige die Sklaverei? Warum unterstützen Menschen immer noch die kommunistischen Parteien?

In Italien haben wir auch eine kommunistische Partei. Ihr merkwürdiger Name ist Kommunistische Neugründung (Rifondazione Comunista). Sie bekommt normalerweise ungefähr 6% der abgegebenen Stimmen. Tatsächlich haben die meisten Länder kommunistische Parteien, wie Australien, Österreich, Bangladesch, Brasilien, Kanada. Sogar die USA (eigentlich zwei).

Wir könnten annehmen, daß in Italien Menschen für Kommunisten stimmen, weil sie keine Erfahrungen mit einem totalen Staat haben. Die Leute rennen lediglich Phantasiebildern oder dummen Idealen hinterher, oder vielleicht folgen sie irgendeinem intellektuellen Guru. Vielleicht sind Kommunisten zu jung, oder zu alt, um die Auswirkungen ihrer Stimmabgabe vollständig zu verstehen. Sie genießen die relativ größere Freiheit unseres Landes, und für den Kommunismus zu stimmen, bedeutet Rebellion. Wenn sie wüßten, wie der Kommunismus wirklich ist, würden sie wahrscheinlich ihre Meinung ändern.

Diese grob vereinfachende Sichtweise mußte in Prag aufgegeben werden. Die Menschen dort wissen sehr wohl, was Kommunismus ist. Sie erfuhren die verheerenden Wirkungen der Eliminierung des Privateigentums der Produktionsmittel. Er bedeutet das Auslöschen aller Freiheiten. Sie lebten vierzig Jahre lang in einem Albtraum und sind gerade aufgewacht.

Warum also glauben mehr als 20% der Tschechen immer noch daran? Was ist die treibende Kraft, die den kommunistischen Parteien Wählerstimmen zuführt – sowohl in früheren kommunistischen Ländern als auch in anderen?

Verantwortung

Es gibt viele mögliche Erklärungen, aber die meiner Meinung nach zwingendste ist, daß einige Menschen, aufgrund ihrer Sozialisation unter dirigistischen Bedingungen, sich nicht von der Verantwortung angezogen fühlen, die die Idee der Freiheit mit sich bringt.

An Privateigentumsrechte und an eine freie Gesellschaft zu glauben, bedeutet, mit großem Nachdruck Verantwortung zu fordern: was die Gesellschaft tun sollte, sollte von dir getan werden, oder von anderen in Kooperation mit dir, aber nicht vom Kollektiv. Die Pflicht fällt dem Individuum zu, und jeder wird für seine Handlungen verantwortlich gemacht. Wenn du einen Fehler machst, zahlst du. Wenn du Erfolg hast, erhältst du den Gewinn und hast die Freiheit, dir auszusuchen, was damit zu tun sei.

Im Gegensatz dazu bedeutet die Ausweitung des Staates immer einen Angriff auf die Verantwortung. Unter einem kommunistischen Regime wird Eigenverantwortung eliminiert. Je mehr sich eine Regierung in das Leben der Bürger einmischt, desto weniger spüren Menschen ein Gefühl der Verantwortung für ihre Handlungen. Politiker, Zentralbänker und Richter zahlen nicht für ihre Fehler. Sie erhalten eine Art Immunität vor der Übernahme von Schuld für die Konsequenzen ihrer Handlungen in der Zeit, wo sie an der Macht sind.

Dasselbe gilt für Polizeibeamte, im öffentlichen Dienst stehende Chirurgen, Lehrer usw. Alle Fehler, die von öffentlich Bediensteten gemacht werden, werden oft von anderen bezahlt. Die Rechnung wird von den Steuerzahlern beglichen, von versehentlich Eingesperrten, von Menschen, die in öffentlichen Krankenhäusern umgebracht werden, von irakischen Bürgern usw. Nicht einmal Menschen, die ein privates Gehalt verdienen, sind unter dem Staat vollständig verantwortlich. Unter dem immer größer werdenden, vom Staat geschaffenen sozialen Netz, werden Firmen immer abhängiger von öffentlicher Hilfe, um zu überleben. Große Unternehmen beeinflussen Abgeordnete, um Subventionen, Importzölle und Unterstützungen anderer Art zu erhalten. Banken und große Firmen wie Fluggesellschaften hoffen darauf, daß sie „zu groß sind um zu scheitern“.

Auch Individuen tragen immer weniger Verantwortung. In Europa wachsen viele Menschen mit der Vorstellung auf, daß der Staat ihnen irgendetwas schuldet: Arbeit, Gesundheit, kostenlose Bildung, Urlaub, Glück und Erlösung von der Verzweifelung. Menschen werden dazu gebracht zu glauben, daß der Staat sich immer um ihre Probleme und um die Belange ihrer Gemeinde kümmern wird. Menschen werden dazu gebracht, zu glauben, daß was immer sie auch tun (ihren Job verlieren, krank werden, depressiv werden), der Staat da sein wird, um ihnen zu helfen.

Das perverse Resultat all dessen ist, daß Bürger für ihre Handlungen nicht mehr die volle Verantwortung tragen. All dies kann durch das Konzept des moral hazard (das Risiko falscher Angaben des Versicherten) erklärt werden. Der Mechanismus funktioniert wie folgt: Einerseits wird die Verantwortung öffentlich Bediensteter auf alle von deren Fehlern Betroffenen (darunter die Steuerzahler) übertragen; andererseits verlangen die Steuerzahler ebenfalls eine Verlagerung ihrer Verantwortung auf den Staat. In Anbetracht der von ihnen gezahlten Steuern sollten sie etwas im Gegenzug erhalten, oder etwa nicht?

Alles, was ich bislang beschrieben habe, findet im demokratischen Staat statt. Stellen wir uns diese Situation nun unter einem kommunistischen Regime vor. In diesem Fall gibt es keine partielle Verlagerung der Verantwortung von einigen Bürgern zu anderen Bürgern. Verantwortung ist schlicht abgeschafft. Es gibt kein Privateigentum und daher hängt alles vom Staat ab. Kein Individuum ist für irgendetwas verantwortlich.

Wenn demokratische oder kommunistische Institutionen sich schon über mehrere Jahrzehnte etabliert haben, ist der Weg zurück zur Freiheit sehr schwierig. Menschen gewöhnen sich an Sicherheitsnetze und an Verantwortungsverlagerung. Der Übergangsprozeß muß sehr schwierig sein. Wir wissen nicht, wie der Übergang von Gesellschaften mit partieller Verantwortung (unter demokratischer Herrschaftsform) zu Gesellschaften mit vollständiger Verantwortung (Libertarismus) vonstatten ginge. Dies hat noch nie stattgefunden.

Aber osteuropäische Länder haben in den vergangenen Jahren den Übergang von verantwortungslosen Gesellschaften (unter kommunistischer Herrschaft) zu solchen mit partieller Verantwortung (unter demokratischer Herrschaft) erlebt. Aus diesen Übergängen haben wir gelernt, daß Menschen nicht über Nacht lernen können, verantwortlich zu sein. Je mehr eine Gesellschaft den Kontakt mit den Mechanismen von Ursache und Wirkung verliert, desto größer wird die Nachfrage nach Schuldzuweisung sein. Diese Nachfrage könnte sich in Wahlstimmen für die kommunistischen Parteien manifestieren.

Wenn Menschen sich erstmal an die Sklaverei gewöhnt haben, ist der Umgang mit Freiheit nicht einfach. Ich erinnere mich an einen Film (ich komme nicht auf den Namen) über Menschen, die nach 40 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurden. Ihre Wiedereinführung in die Welt der Freiheit, wo Menschen von einem erwarten, daß man für seine Handlungen verantwortlich ist, war nicht einfach. Wenn man 40 Jahre im Kommunismus gelebt hat, ist der Weg zurück gleichfalls immens schwierig.

Ebenso schwierig ist der Weg zurück von der Demokratie zu einer freien Gesellschaft.

Es ist nicht mehr entscheidend, zu argumentieren, daß eine freie Gesellschaft eine wohlhabendere Gesellschaft ist. Viele Menschen argumentieren heute, daß Wohlstand nicht dasselbe ist wie Glück, und so wird die Verteidigung dessen hinterfragt. Es ist sicherlich wahr, daß immer mehr Menschen in westlichen Gesellschaften an Problemen wie Depressionen und verschiedenen Formen psychischer Krankheiten wie Eßproblemen (Anorexie und Bulimie) usw. leiden. Ich habe keine Zahlen, um es zu beweisen, aber es ist wahrscheinlich wahr, daß der Anteil der an Depressionen leidenden Menschen in den Vereinigten Staaten, Schweden und Italien höher ist, als die entsprechende Rate in Nigeria oder Indien.

Tatsächlich ist es wohl nicht so sehr der Wohlstand, sondern staatlich erzeugte Abhängigkeit, die die Depression fördert. Die meisten Menschen in westlichen Ländern werden relativ reich geboren. Sie gingen zur Schule bis sie 18 waren, ohne arbeiten zu müssen; danach gingen sie, dank Staatsgelder, möglicherweise auf eine Hochschule oder Universität. Vielleicht fanden sie im Alter von 25 oder 26 einen Arbeitsplatz (und erlangten endlich komplette Kontrolle über ihr Leben). Es ist gut bekannt, daß die Menschen in Italien länger bei ihren Eltern leben und die Zeit aufschieben, wo sie ihr Leben in die eigene Hand nehmen. Wenn man nicht selbstverantwortlich sein muß, bis man 25 ist, ist es schwierig, mit dieser Gewohnheit der Abhängigkeit zu brechen.

Außerdem mangelt es Individuen, die in reiche Familien hineingeboren wurden, an umfassendem Verständnis für die Schwierigkeiten der Vermögensbildung. Je älter sie werden, desto stärker könnten sie die Last spüren, nicht für ihren Wohlstand verantwortlich zu sein. Je reicher die Eltern sind, und je mehr die Reichen selbst von der Großzügigkeit der Regierung profitieren, desto weniger sind die Eltern in einer starken Position, ihren Kindern die Notwendigkeit einzuprägen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Dies ist ein Problem, das ärmere Länder in geringfügigerem Maße spüren.

Indem er uns die Verantwortung für unsere Handlungen wegnimmt, und das Lebensstadium der Abhängigkeit verlängert, beschränkt der interventionistische demokratische Staat unsere Fähigkeit, glücklich zu sein. Die meisten Menschen sind sich dieser Mechanismen völlig unbewußt. Aber wir sind alle von ihnen betroffen. In sozialdemokratischen Ländern werden Menschen frustriert, weil sie nicht mehr ein Leben genießen, über das sie selber die vollständige Kontrolle haben. Sie arbeiten, um die Hälfte ihres Einkommens dem Staat zu geben, um die Wünsche eines anderen zu erfüllen und für die Fehler eines anderen zu bezahlen; gleichzeitig bitten sie darum, daß ihre Wünsche von anderen erfüllt und daß ihre eigenen Fehler von anderen bezahlt werden. Dieser frustrierende Zustand ist einer der Gründe, weshalb Depressionen in Ländern, wo der Staat eine große Rolle spielt, immer mehr zunehmen.

Auf diese Weise erzeugt der Staat selbst die psychologischen Voraussetzungen, die einer bestimmten Teilmenge der Bevölkerung Anlaß gibt, sich eine Welt vorzustellen, in der der Staat alles tut, sich um alle kümmert, und jeden in einem dauerhaften Zustand infantiler Abhängigkeit hält. Je umfassender der Staat, desto mehr verdirbt er den Verstand und die Kultur.

Man könnte sich die ganze Gesellschaft unter Kommunismus als eine Art in die Länge gezogenen Aufenthalts im ewig versorgenden „Hotel Mama und Papa“ vorstellen, wo Güter und Dienstleistungen von jemand anderem als von einem selber bereitgestellt werden. Kommunismus bedeutet, niemals das Nest verlassen zu müssen.

Die Wahrheit über den Kommunismus und die Planwirtschaft im allgemeinen ist aber, daß sie nicht Sicherheit und Glück bringen – die gesegnete Erinnerung an das Leben unter der Obhut von Mama und Papa – sondern Bevormundung und Mißbrauch, eine Welt, die grau ist, stillsteht und die wie Prag in den alten Tagen aussieht und nicht wie in den glorreichen neuen. Mögen wir niemals dorthin zurückkehren.

Luca Ferrini ist ein ehemaliger Mises Fellow und Doktorand an der Universität von Paris-Dauphine.

Originalversion des Artikels in englischer Sprache: http://www.mises.org/story/1832#
Übersetzung: Robert Grözinger