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Interventionismus (1926)

VI. Die Doktrin des Interventionismus
VII. Das historische und das praktische Argument für den Interventionismus
VIII. Neue Schriften über Probleme des Interventionismus

VI. Die Doktrin des Interventionismus

Dem vorwissenschaftlichen Denken erschien die menschliche, auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebaute Gesellschaft als von Natur aus chaotisch. Ordnung könne in sie nur gebracht werden durch von außen herkommende Gebote der Moral und des Rechts. Nur wenn Käufer und Verkäufer sich an Gerechtigkeit und Billigkeit halten, kann die Gesellschaft bestehen. Um zu verhindern, daß durch willkürliches Abgehen vom »gerechten Preis« Unheil entstehe, habe die Obrigkeit einzugreifen. Diese Auffassung beherrscht alle Aeußerungen über Dinge des gesellschaftlichen Lebens bis ins 18. Jahrhundert; sie tritt zum letztenmal in aller Naivität in den Schriften der Merkantilisten zutage.

Das 18. Jahrhundert macht dann eine – in manchen älteren Schriften über Geld und Preise schon vorbereitete – Entdeckung, (633) die mit einem Schlage an die Stelle der Sammlung von Sittensprüchen, der kompendienartigen Zusammenstellung von Polizeimaßregeln und aphoristischer Bemerkungen über ihren Erfolg oder Mißerfolg eine Wissenschaft vom Oekonomischen treten läßt. Man erkennt, daß die Preise nicht willkürlich bestimmt werden, sondern durch die Lage des Marktes innerhalb so enger Schranken festgelegt sind, daß man für alle praktischen Probleme von ihrer eindeutigen Bestimmtheit reden kann. Man erkennt, daß die Unternehmer und die Besitzer der Produktionsmittel durch das Gesetz des Marktes in den Dienst der Verbraucher gestellt werden, und daß in ihrem Tun und Lassen nicht Willkür, sondern notwendige Anpassung an gegebene Verhältnisse waltet. Diese Tatsachen allein sind es, die eine Wissenschaft der Nationalökonomie und ein System der Katallaktik möglich machen. Wo die älteren Schriftsteller nur Willkür und Zufall sehen, sah man nun Notwendigkeit und Einheit. So konnte man an Stelle der Erörterung von Polizeivorschriften Wissenschaft und System treten lassen.

Der klassischen Nationalökonomie fehlt noch die klare Erkenntnis, daß das Sondereigentum an den Produktionsmitteln allein imstande sei, die Grundlage einer arbeitsteiligen Gesellschaft abzugeben, und daß das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln undurchführbar ist. Sie hat, indem sie, vom Merkantilismus beeinflußt, Produktivität und Rentabilität gegenübergestellt, den Weg betreten, auf dem es zur Erörterung der Frage kommen mußte, ob denn nicht die sozialistische Gesellschaftsordnung der kapitalistischen vorzuziehen sei. Aber sie hat klar erkannt, daß es – vom Syndikalismus, an den sie nicht dachte, abgesehen – nur die Alternative Kapitalismus oder Sozialismus gibt, und daß die »Eingriffe« in das Spiel der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebauten Wirtschaftsordnung, die die Stimme des Volkes fordert und die Regierungen gerne verfügen, das Ziel verfehlen.

Die antiliberalen Schriftsteller führen immer wieder aus, daß die Ideen der klassischen Nationalökonomie den »Interessen« der »Bourgeoisie« gedient hätten und daß sie deswegen einerseits selbst Erfolg erzielt, anderseits dem Bürgertum zu seinen Erfolgen verholfen hätten. Nun kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß nur die vom Liberalismus geschaffene Freiheit den Raum für die unerhörte Entwicklung der Produktivkräfte (634) geboten hat, die die letzten Menschenalter gezeitigt haben. Doch wer glaubt, daß der Sieg des Liberalismus irgendwie durch seine Stellung zu den »Eingriffen« erleichtert worden sei, befindet sich in einem schweren Irrtum. Gegen den Liberalismus standen die Interessen aller durch das System der obrigkeitlichen Vielgeschäftigkeit Geschützten, Bevorzugten und Bevorrechtete. Daß der Liberalismus sich trotzdem durchsetzen konnte, war seinem geistigen Siege zuzuschreiben, der die Verteidiger der Privilegien matt setzte. Daß die durch die Privilegien Geschädigten sich für ihre Abschaffung einsetzten, war nichts Neues. Neu war bloß, daß der Angriff auf das System, das Privilegien zuließ, Erfolg hatte, und das war ausschließlich dem geistigen Sieg des Liberalismus zu danken.

Der Liberalismus hatte mit der Nationalökonomie gesiegt und durch sie. Keine andere wirtschaftspolitische Ideologie läßt sich mit der Wissenschaft der Katallaktik irgendwie vereinbaren. Man hat in England in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts den Versuch unternommen, an der Hand der Nationalökonomie zu zeigen, daß die kapitalistische Gesellschaftsordnung nicht befriedigend funktioniere und daß sie ungerecht sei; Marx hat dann daraus seinen »wissenschaftlichen« Sozialismus gemacht. Aber selbst wenn es diesen Literaten gelungen wäre, zu beweisen, was sie der kapitalistischen Wirtschaft vorwerfen, so hätten sie erst den weiteren Beweis zu erbringen gehabt, daß eine andere Gesellschaftsordnung – etwa die sozialistische – besser wäre als der Kapitalismus. Das aber haben sie nicht nur nicht getan; sie haben nicht einmal den Beweis zu erbringen vermocht, daß eine auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruhende Gesellschaftsordnung durchführbar wäre. Damit, daß man – wie der Marxismus – jede Erörterung der Probleme einer sozialistischen Gesellschaft als »utopisch« abtut und ächtet, hat man das Problem selbstverständlich nicht gelöst.

Von der »Gerechtigkeit« einer gesellschaftlichen Einrichtung oder einer Gesellschaftsordnung zu sprechen, ist überhaupt mit den Mitteln der Wissenschaft nicht möglich. Man mag immerhin nach Belieben dies oder jenes als »ungerecht« und »unsittlich« ansehen; kann man an Stelle des Verurteilten nichts anderes setzen, dann lohnt es nicht, darüber auch nur ein Wort zu verlieren.

(635) Aber das alles geht uns hier nichts an. Für uns ist allein das von Bedeutung: Nie ist es gelungen, zu zeigen, daß – den Syndikalismus wollen wir außer acht lassen – zwischen oder neben der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung und der auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruhenden noch eine dritte Gesellschaftsordnung denkbar und möglich sei. Das zwischen beiden vermittelnde System des durch obrigkeitliche Maßnahmen beschränkten, geleiteten und regulierten Eigentums einzelner ist in sich selbst widerspruchsvoll und sinnwidrig; jeder Versuch, es ernstlich durchzuführen, muß zu einer Krise führen, aus der dann entweder Sozialismus oder Kapitalismus allein den Ausweg geben können.

Das ist ein Ergebnis der nationalökonomischen Wissenschaft, an dem nicht gerüttelt werden kann und an dem auch niemand zu rütteln versucht hat. Wer jene dritte Gesellschaftsordnung des regulierten Privateigentums empfehlen will, dem bleibt nichts anderes übrig, als die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis auf dem Gebiete des Oekonomischen rundweg zu bestreiten, wie es die historische Schule in Deutschland getan hat und wie es die Institutionalisten in den Vereinigten Staaten heute tun. An die Stelle der Nationalökonomie, die feierlich abgeschafft und verboten wird, tritt die Staats- und Polizeiwissenschaft, die registriert, was die Obrigkeit verfügt hat, und Vorschläge darüber macht, was noch zu verfügen wäre. Man knüpft mit vollem Bewußtsein an die Merkantilisten oder gar an die kanonistische Lehre vom gerechten Preis an und wirft die ganze Arbeit der Nationalökonomie zum alten Eisen.

Die deutsche historische Schule und die vielen Anhänger, die sie außerhalb Deutschlands gefunden hat, haben nie das Bedürfnis empfunden, sich grundsätzlich mit den Problemen der Katallaktik auseinanderzusetzen. Ihnen genügten vollauf die Argumente, die Schmoller und einige seiner Jünger, z. B. Hasbach, im berühmten Methodenstreite vorgebracht hatten. Nur drei Männer haben in den Jahrzehnten, die zwischen dem preußischen Verfassungskonflikt und der Weimarer Verfassung liegen, die Problematik des Prinzips der Sozialreform empfunden: Philippovich, Stolzmann und Max Weber. Von diesen drei hat aber nur Philippovich von dem Wesen und dem Inhalt der theoretischen Nationalökonomie Kenntnis gehabt. In seinem System (636) stehen Katallaktik und Interventionismus unvermittelt nebeneinander, keine Brücke führt von jener zu diesem und für die Lösung des großen Problems wird nichts versucht. Stolzmann sucht das, was Schmoller und Brentano nur ungenügend angedeutet haben, grundsätzlich durchzuführen. Daß sein Unternehmen mißlingen mußte, war notwendig; peinlich ist nur die Feststellung, daß der einzige Vertreter der Schule, der an das Problem wirklich herangetreten ist, von dem, was die von ihm befehdete Richtung wollte, kaum eine Ahnung hatte. Max Weber blieb auf halbem Wege stehen, weil er – mit ganz anderen Dingen beschäftigt – der theoretischen Nationalökonomie fern stand; vielleicht wäre er weiter gekommen, wenn ihn nicht ein allzu früher Tod hingerafft hätte.

Seit mehreren Jahren spricht man von einem Wiedererwachen des Interesses für die theoretische Nationalökonomie an den deutschen Hochschulen. Man hat dabei eine Reihe von Schriftstellern im Auge, die wie Liefmann, Oppenheimer, Gottl u. a. m. in heftigster Weise gegen das System der modernen subjektivistischen Nationalökonomie, von dem sie nur die »Oesterreicher« kennen, losziehen. Es ist hier nicht der Platz, über die Frage der Berechtigung dieser Angriffe zu sprechen. Uns interessiert nur die Wirkung, die sie auf die Erörterung der Möglichkeit jenes Systems eines durch obrigkeitliche Eingriffe regulierten Sondereigentums ausüben. Indem jeder einzelne von diesen Schriftstellern alles, was die theoretische Nationalökonomie – Physiokraten, Klassiker, Moderne – bisher geleistet hat, als ganz verfehlt abtut, dabei besonders die Arbeit der modernen Nationalökonomen, vor allem der »Oesterreicher«, als unbegreifliche Verirrung des menschlichen Geistes hinstellt und daraufhin ein, wie er meint, originales System der theoretischen Nationalökonomie mit dem Anspruch vorträgt, damit alle Zweifel zu beheben und alle Probleme endgültig zu lösen, wird beim Publikum der Anschein erweckt, daß auf dem Gebiete dieser Wissenschaft schlechterdings alles unsicher und problematisch sei und daß es theoretische Nationalökonomie nur als individuelle Ansicht einzelner Gelehrter gebe. Man konnte über dem Aufsehen, das die Bücher dieser Schriftsteller im deutschen Sprachgebiet erweckten, verkennen, daß es eine Wissenschaft der theoretischen Nationalökonomie gibt, deren System – von Abweichungen in Einzelheiten und ganz besonders auch in der Ausdrucksweise (637) abgesehen – sich bei allen Freunden der Wissenschaft gleichen Ansehens erfreut, und dem, im Grunde genommen, trotz aller Kritik und aller Vorbehalte auch diese Schriftsteller selbst in den entscheidenden Fragen zustimmen. Und weil man dies nicht erfaßte, konnte man nicht die Notwendigkeit begreifen, das herrschende System der Wirtschaftspolitik an der Hand der nationalökonomischen Erkenntnisse zu prüfen.

Dazu kam überdies noch die Wirkung des Streites über die Zulässigkeit des Werturteils in der Wissenschaft. In den Händen der historischen Schule war die Universitätsdisziplin der Staatswissenschaften zu einer Kunstlehre für den Staatsmann und Politiker geworden. In den Hörsälen und in den Lehrbüchern wurden wirtschaftspolitische Forderungen erhoben und als »Wissenschaft« verkündet. Die »Wissenschaft« verdammte den Kapitalismus als unsittlich und ungerecht, lehnte die vom marxistischen Sozialismus vorgeschlagene Lösung als zu »radikal« ab und empfahl entweder Staatssozialismus oder eben das System des durch obrigkeitliche Eingriffe regulierten Sondereigentums. Nationalökonomie war nicht mehr eine Sache des Wissens und des Könnens, sondern der guten Gesinnung. Diese Verquickung von Universitätslehre und Politik begann man besonders seit dem Beginn des zweiten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts als anstößig zu empfinden. Die Mißachtung, in die die offiziellen Vertreter der Wissenschaft beim Publikum dadurch gekommen waren, daß sie es als ihre Aufgabe ansahen, den parteipolitischen Programmen ihrer Freunde die Weihe der »Wissenschaft« zu geben, und das Aergernis, daß jede Partei sich auf das für sie sprechende Urteil der »Wissenschaft«, d. h. der in ihrem Gefolge einherschreitenden Inhaber von Lehrstühlen, zu berufen für berechtigt hielt, konnten nicht länger ohne Widerspruch ertragen werden. Als nun Max Weber und einige seiner Freunde die Forderung aufstellten, die »Wissenschaft« habe darauf zu verzichten, Werturteile auszusprechen, und die Katheder dürften nicht länger zur Propaganda für wirtschaftspolitische Ideen mißbraucht werden, fanden sie fast allgemeine Zustimmung.

Unter denen, die Max Weber zustimmten oder zumindest nicht zu widersprechen wagten, befanden sich auch manche, deren ganze Vergangenheit dem Grundsatze der Objektivität widersprach und deren literarische Leistung nichts anderes als die Paraphrase bestimmter wirtschaftspolitischer Programme (638) darstellte. Sie verstanden freilich die »Freiheit vom Werturteil« in besonderer Weise. Ludwig Pohle und Adolf Weber hatten das Grundproblem des Interventionismus durch Untersuchung der lohnpolitischen Wirksamkeit der Arbeitervereine zur Erörterung gestellt. Die Anhänger der herrschenden Brentano-Webbschen Gewerkvereinsdoktrin waren nicht imstande, diesen Ausführungen irgend etwas Stichhaltiges zu entgegnen. Aus der Verlegenheit, in die sie dadurch geraten waren, schien sie das neue Postulat »werturteilsfreie Wissenschaft« zu befreien. Sie konnte über alles, was ihnen nicht paßte, hochmütig mit der Bemerkung zur Tagesordnung übergehen, daß es mit der Würde der Wissenschaft nicht vereinbar sei, sich in das Gezänk der Parteien einzumengen. So wurde der Grundsatz der Wertfreiheit, den Max Weber im besten Glauben zur Wiederaufnahme wissenschaftlicher Behandlung der Probleme des Gesellschaftslebens vertreten hatte, dazu verwendet, um die Doktrinen der historisch-realistisch-sozialpolitischen Schule gegen die Kritik der theoretischen Nationalökonomie zu schützen.

Man verkennt – vielleicht nicht ohne Absicht – immer wieder den Unterschied, der zwischen der Untersuchung nationalökonomischer Probleme und der Aufstellung wirtschaftspolitischer Postulate besteht. Wenn man z. B. die Wirkung von Preistaxen untersucht, feststellt, daß man durch die Anordnung eines unter dem Preise, der sich auf dem unbeeinflußten Markte bilden würde, liegenden Höchstpreises das Angebot caeteris paribus vermindert, und daraus folgert, daß die Preistaxe den Zweck, den die Obrigkeit mit ihr erreichen will, verfehlt, daß sie daher als Teuerungspolitik sinnwidrig ist, so heißt das nicht, Werturteile setzen. Auch wenn der Physiologe feststellt, daß der Genuß von Blausäure das menschliche Leben zerstört und. daß daher ein »Ernährungssystem«, das Blausäure verwendet, sinnwidrig ist, so liegt darin kein Werturteil. Ob man ernähren oder töten will oder soll, das wird von der Physiologie nicht beantwortet; sie stellt nur fest, was aufbaut und was zerstört, was der Ernährer und was der Mörder tun muß, um seinem Sinne gemäß zu handeln. Wenn ich sage, daß Preistaxen sinnwidrig, sind, so ist damit gemeint: sie erreichen nicht den Zweck, den man durch sie gewöhnlich erreichen will. Wenn etwa ein Bolschewik sagen wollte: »Gerade darum, weil ihre Wirkungen nur in der Unterbindung des Funktionierens des Marktmechanis- (639) mus bestehen, gerade weil sie die menschliche Gesellschaft in ein »sinnloses« Chaos verwandeln, wünsche ich sie, um so schneller zu meinem Ideal des Kommunismus zu gelangen«, so kann man ihm vom Standpunkte der Theorie der Preistaxen so wenig etwas entgegnen wie vom Standpunkte der Physiologie einem Manne, der mit Blausäure töten will. Wenn in ähnlicher Weise die Sinnwidrigkeit des Syndikalismus und die Undurchführbarkeit des Sozialismus gezeigt wird, so hat das mit Werturteilen nicht das mindeste zu tun.

Es heißt der Nationalökonomie den Boden entziehen, wenn man alle diese Untersuchungen als unzulässig bezeichnet. Wir sehen heute, wie viele junge Kräfte, die sich unter anderen Umständen mit nationalökonomischen Problemen befaßt hätten, sich in Arbeiten erschöpfen, die ihrer Veranlagung nicht entsprechen und daher der Wissenschaft nur wenig förderlich sind, weil sie, in den geschilderten Irrtümern befangen, es scheuen, sich den wissenschaftlich belangreichen Aufgaben zu widmen.