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Politischer Liberalismus (1959)

1. Die liberale Tradition der Whigs
2. Der rationalistische Liberalismus der französischen Revolution
3. Der politische Liberalismus in Deutschland
4. Verfall und Neubelebung
Literatur zum Artikel "Politischer Liberalismus"

3. Der politische Liberalismus in Deutschland

[S.593] Namentlich in Deutschland war die Herrschaft des organisierten politischen Liberalismus besonders kurz. Es war das letzte große Land, in dem er auf seinem Vordringen vom Westen zur Herrschaft kam, und das erste, in dem die Umkehr begann und von hier aus nach dem Westen vordrang. Wohl hatte der Liberalismus in der ersten Hälfte des 19. Jh. in Deutschland als geistige Bewegung entscheidende Bedeutung, und nach den von liberalem Geist durchwehten Stein-Hardenbergschen Reformen blieb der Liberalismus (französischer Prägung), zumindest in Südwestdeutschland, in Baden und Württemberg, eine politische Macht. Ebenso war er wohl die stärkste Potenz im Frankfurter Parlament von 1848, mit dem das Parteiwesen im modernen Sinn zuerst auftauchte. Eine eigentliche liberale Partei erscheint aber erst nach 1858, dem Beginn der "Neuen Ära" in Preußen. Mit der Gründung des 'Volkswirtschaftlichen Kongresses' im selben Jahr und des "Deutschen Nationalvereins" durch Rudolf v. Benningsen 1859 erhielt der Liberalismus eine organisatorische Basis und von 1861 an war er auf kurze sechs Jahre in der 'Deutschen Fortschrittspartei' geeinigt. Aber schon mit der Spaltung dieser Partei im Februar 1867 beginnt der Verfall und die Tragödie des deutschen Liberalismus. Weder die linke Gruppe, die sich weiter Fortschrittspartei nannte, noch die neue 'Nationalliberale Partei' waren vor allem liberal. Die erste war hauptsächlich demokratisch, und für die zweite war Hauptziel die Einigung Deutschlands.
[S.594] "Wenn wir das Programm der Fortschrittspartei mit dem Wahlmanifest (das als Programm gilt) der Nationalliberalen Partei vergleichen, so wird der Unterschied in ihrer Stellungnahme deutlich: a) Aufstellung klarer Grundsätze bei der ersten – offenes Eingeständnis des Anpassungswillens an die jeweiligen Umstände bei der zweiten Partei; b) die erste betont die Freiheit, die zweite die Einheit. – Die Fortschrittspartei führte eigentlich den klassischen Linksliberalismus mit allen seinen Schwierigkeiten weiter; die Nationalliberalen beschritten einen Weg, der zur Lösung des deutschen Problems führen konnte, denn da dieses wohl nur mit Gewalt zu lösen war, Gewalt aber einzig dem unliberalen Preußen zu Gebote stand, so blieb nur dann eine Hoffnung auf Erfolg, wenn man (mit mehr geschichtlichem Verständnis) in grundsätzlichen Fragen, die die Freiheit betrafen, nachgiebig war und die Einheit betonte" (Federico Federici).

Der Rest der zwanzigjährigen liberalen Periode deutscher Politik ist im wesentlichen die Geschichte der Nationalliberalen Partei im Schlepptau Bismarcks. Unter seinem Einfluß wandte sie sich immer mehr von ihren Prinzipien ab, bis es über die neue Sozialpolitik und die Rückkehr zum Protektionismus Ende der 1880er Jahre zu einer abermaligen Spaltung kam und Bismarck schließlich die geschwächte Partei fallen ließ. Das Ende der liberalen Wirtschaftspolitik brachte auch das Ende des politischen Liberalismus. Von diesem Zeitpunkt an war in Deutschland der Liberalismus wieder nur mehr eine geistige Bewegung von ständig abnehmender Bedeutung. Die wenigen großen Persönlichkeiten, die zur Zeit des Zusammenbruchs des alten Reiches 1918 noch als liberal empfunden wurden, wie etwa Max Weber oder später Gustav Stresemann, können wohl nur in einer sehr weiten Auslegung des Wortes "liberal" darunter eingeschlossen werden.

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