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Interventionismus (1926)

I. Der Interventionismus als Wirtschaftssystem
II. Das Wesen der »Eingriffe«
III. Die produktionspolitischen Eingriffe
IV. Die preispolitischen Eingriffe
V. Destruktion als Ergebnis der Interventionspolitik

III. Die produktionspolitischen Eingriffe

Ueber die unmittelbare Wirkung der produktionspolitischen Eingriffe ist vom nationalökonomischen Standpunkt nicht viel zu sagen. Das, was die Obrigkeit oder die den Eingriff setzende Gewaltorganisation zunächst erreichen will, kann sie durch den Eingriff erreichen. Ob sie damit auch die ferneren Ziele erreicht, die sie mit dem Eingriff mittelbar erreichen will, ist eine andere Frage. Und besonders ist noch zu beurteilen, ob der Erfolg auch die Kosten wert ist, d. h. ob die den Eingriff setzende Stelle den Eingriff auch dann setzen würde, wenn sie genau wüßte, was er kostet. Ein Zoll z. B. ist gewiß durchführbar, und der unmittelbare und nächste Erfolg des Zolles mag dem entsprechen, was die Regierung durch ihn angestrebt hat. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß das, was die Regierung in letzter Linie mit ihm anstrebt, auch wirklich durch (617) ihn erreicht werden kann. Hier setzt die Kritik der Nationalökonomen ein; die Theoretiker des Freihandels haben nicht zeigen wollen, daß Zölle nicht möglich oder daß sie schädlich sind, sondern das, daß sie Folgen haben, die nicht gewollt waren, und daß sie das, was sie nach Meinung ihrer Befürworter leisten sollen, nicht leisten und nicht leisten können. Von noch größerer Bedeutung aber ist die Feststellung der Freihandelsschule, daß der Zollschutz – und dasselbe gilt von allen produktionspolitischen Eingriffen – die Ergiebigkeit der gesellschaftlichen Arbeit herabsetzt. Ob nun durch Zollschutz bewirkt wird, daß Getreide auf weniger fruchtbaren Aeckern gebaut wird, während fruchtbarere brach liegen, oder ob durch Maßnahmen der gewerblichen Mittelstandspolitik (etwa Befähigungsnachweis für die Ausübung bestimmter Gewerbe wie in Oesterreich, oder steuerpolitische Bevorzugung der kleineren Betriebe) bewirkt wird, daß weniger leistungsfähige Betriebe auf Kosten der leistungsfähigeren gefördert werden, oder ob durch Beschränkung der Dauer der Arbeitszeit und der Verwendung bestimmter Arbeiterkategorien (Frauen, Jugendliche) die Menge der zur Verfügung stehenden Arbeit vermindert wird, immer ist der Erfolg der, daß weniger mit dem gleichen Aufwand von Kapital und Arbeit erzeugt wird, als erzeugt worden wäre, wenn man den Eingriff unterlassen hätte, oder daß schon von vornherein weniger Kapital und Arbeit für die Erzeugung zur Verfügung gestellt wird. Es mag sein, daß man auch in voller Kenntnis der Folgen den Eingriff vorgenommen hätte, weil man der Meinung ist, daß durch ihn andere – nicht rein wirtschaftliche – Ziele erreicht werden, die für wichtiger gehalten werden als der zu gewärtigende Ausfall an Produkten. Es ist freilich sehr zu bezweifeln, ob dieser Fall eintreten könnte. Denn alle produktionspolitischen Eingriffe werden entweder ausschließlich oder doch zum Teil durch Argumente befürwortet, die erweisen sollen, daß sie die Produktivität nicht hemmen, ja daß sie sie sogar heben. Selbst die gesetzlichen Maßnahmen zur Beschränkung der Arbeit der Frauen, der Jugendlichen und der Kinder wurden nur darum durchgeführt, weil man der Meinung war, daß durch sie allein den Unternehmern und Kapitalisten ein Nachteil zugefügt, werde und daß den geschützten Arbeitergruppen Vorteil daraus erwachsen könne, weil sie nun weniger arbeiten müßten.

Man hat mit vollem Recht in der Kritik der Arbeiten der (618) kathedersozialistischen Richtung darauf hingewiesen, daß es einen in letzter Hinsicht objektiven Begriff der Produktivität nicht geben könne, und daß alle Urteile über das Ziel des wirtschaftlichen Handelns subjektiv sind. Doch wenn wir davon sprechen, daß die produktionspolitischen Eingriffe die Produktivität der Arbeit herabsetzen, begeben wir uns noch gar nicht auf jenes Gebiet, auf dem die Verschiedenheit des subjektiven Werturteils Aussagen über die Ziele und über die Mittel des Handelns verbietet. Wenn durch die Bildung von möglichst autarken Wirtschaftsgebieten die internationale Arbeitsteilung unterbunden und die Ausnützung der Vorteile der spezialisierten Produktion im großen Maßstab und der Arbeit auf den besten Standorten unmöglich gemacht wird, dann wird ein Erfolg herbeigeführt, über dessen Unerwünschtheit die Meinungen der weitaus überwiegenden Anzahl der Erdenbewohner nicht geteilt sein dürften. Es mag, wie gesagt, manchen scheinen, daß die Vorteile, die die Autarkie bringt, die Nachteile, die mit ihr verbunden sind, übersteigen. Doch schon die Tatsache, daß man gewöhnlich in der Erörterung des Für und Wider solcher Maßnahmen entweder kühn behauptet, daß sie die Menge und Beschaffenheit der erzeugten Güter nicht vermindern, oder doch zumindest über diesen Punkt nicht mit voller Offenheit und Klarheit spricht, zeigt, daß man sich darüber nicht im Zweifel befindet, daß die Propaganda zugunsten dieser Maßnahmen wenig aussichtsreich wäre, wenn sie die volle Wahrheit über ihre Wirkungen zugeben würde.

Alle produktionspolitischen Eingriffe hemmen unmittelbar in irgendeiner Richtung die Produktion dadurch, daß sie aus dem Kreis der zur Verfügung stehenden Verwendungsmöglichkeiten für Güter höherer Ordnung (Boden, Kapital, Arbeit) bestimmte Verwendungsmöglichkeiten ausschalten. Es ist der Obrigkeit naturgemäß nicht gegeben, durch ein »Es werde« etwas zu schaffen, was nicht schon dagewesen ist. Nur der naive Inflationismus konnte glauben, daß der Staat durch ein »fiat money« die Menschheit reicher machen könnte. Die Obrigkeit kann nicht erschaffen, sie kann aber durch ihren Befehl Vorhandenes zwar nicht aus der Welt des Seins, doch aber aus der Welt des Erlaubten tilgen. Sie kann nicht reicher, aber sie kann ärmer machen.

Das liegt bei der Mehrzahl der produktionspolitischen Eingriffe so klar zutage, daß ihre Urheber es nur noch selten wagen, sich ihrer offen zu berühmen. Ganze Schriftstellergenerationen (619) haben sich vergebens bemüht, den Nachweis zu erbringen, daß das Ergebnis dieser Eingriffe ein anderes sein könnte als das, die Menge und Beschaffenheit des mit dem gleichen Aufwand Erzeugten zu vermindern. Es steht nicht dafür, sich mit den Argumenten, die etwa zugunsten des Schutzzolls vom rein Wirtschaftlichen Standpunkte vorgebracht wurden, neuerdings auseinanderzusetzen. Alles was zugunsten von Schutzzöllen angeführt werden kann, ist nur das, daß die Opfer, die sie auferlegen, durch andere, nicht rein wirtschaftliche Vorteile aufgewogen werden könnten, z. B. daß es nationalpolitisch oder militärisch erwünscht sein könnte, sich vom Auslande mehr oder weniger abzuschließen.(3)

Daß der Erfolg der produktionspolitischen Eingriffe immer nur in der Herabsetzung der Ergiebigkeit der gesellschaftlichen Arbeit und mithin auch der Sozialdividende bestehen kann, ist so schwer zu verkennen, daß man es nicht wagt, sie als ein besonderes System der Wirtschaftspolitik zu verteidigen. Sie werden – wenigstens von der Mehrzahl ihrer Befürworter – heute nur noch zur Ergänzung der preispolitischen Eingriffe anempfohlen. Auf den preispolitischen, nicht auf den produktionspolitischen Eingriffen ruht das Schwergewicht des Systems des Interventionismus.

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(3) Zur Kritik dieser Behauptungen vgl. mein Buch: Nation, Staat und Wirtschaft, Wien 1919, S. 56 ff. (insbesondere auch im Hinblick auf die deutsche Politik seit dem Ende der 70er Jahre).