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Bemerkungen zum Grundproblem der subjektivistischen Wertlehre (1928)

Einleitung
I.
II.
III.
IV.

I.

Die subjektivistische Lehre führt die Austauschverhältnisse des Marktes auf die subjektive Wertung der wirtschaftlichen Güter durch die Mitglieder der Tauschgesellschaft zurück. Das Handeln dieser Subjekte, daß sie eine bestimmte Menge des Gutes A einer bestimmten Menge des Gutes B im Tausche vorziehen und so fort, ist die letzte für die Katallaktik relevante Ursache der Marktaustauschverhältnisse. Aus welchen Gründen sie gerade so und nicht anders handeln, warum also jemand in einem gegebenen Augenblick Brot kauft und nicht Milch, ist für die Gestaltung der Marktpreise gleichgültig, entscheidend ist allein, daß die Marktparteien bereit sind, diesen Preis für Brot und jenen Preis für Milch zu bezahlen oder zu empfangen. Daß die einzelnen Individuen als Nachfragende in einem bestimmten Zeitpunkt die Güter gerade so und nicht anders werten, ist das Ergebnis des Wirkens der ihr Leben bestimmenden naturgegebenen und sozialen Kräfte. Die Aufspürung dieser Determinanten ist Aufgabe anderer Wissenschaften, nicht die der Nationalökonomie. Die Nationalökonomie, die Wissenschaft der Katallaktik, fragt nicht danach und kann von ihrem Standpunkte aus danach nicht fragen. Psychologie, Physiologie und Kulturgeschichte und manche andere Disziplin mögen es sich zur Aufgabe stellen, zu ergründen, warum die Menschen gerne Alkohol zu sich nehmen; für die Katallaktik ist das eine allein von Bedeutung, daß eine Nachfrage nach alkoholischen Getränken in bestimmtem Umfang und von bestimmter Stärke besteht. Kants Werke mag der eine aus Wissensdurst, der andere aus Snobismus kaufen; für den Markt ist der Beweggrund des Handelns der Käufer gleichgültig; allein das, daß sie einen bestimmten Betrag aufzuwenden bereit sind, entscheidet.

Dies und nichts anderes ist das Wesentliche an dem, was uns das nationalökonomische Lehrstück von den Bedürfnissen bringt. Daß man den Sinn dieses Lehrstückes so sehr mißverstehen konnte, daß man es einerseits selbst aus der Katallaktik (34) ausscheiden und der Psychologie zuweisen wollte und daß man es anderseits für eine materielle Wert- und Nutzenlehre ansehen konnte, ist aus der geschichtlichen Entwicklung unserer Wissenschaft zu erklären. Das große Problem, das sie seit ihrer Begründung im 18. Jahrhundert unablässig beschäftigte, war die Herstellung einer Beziehung zwischen der menschlichen Wohlfahrt und der Schätzung der Objekte des wirtschaftlichen Handelns durch die wirtschaftenden Menschen. Da die ältere Theorie verkannte, daß das wirtschaftliche Handeln in der auf dem Sondereigentum beruhenden Gesellschaftsverfassung einerseits niemals ein Handeln der Gesamtheit, sondern stets das Handeln einzelner Wirtschafter ist, und daß es anderseits in der Regel nicht auf die Verfügung über alle Quantitäten eines Genus, sondern lediglich auf die Verfügung über eine bestimmte Teilmenge gerichtet ist, erwuchs ihr das Problem der Antinomie des Wertes, dem sie ratlos gegenüberstand. So geriet sie in der Behandlung des Wert- und Preisproblems auf eine falsche Bahn, verwickelte sich immer mehr in ein Gestrüpp von unhaltbaren Theoremen und versagte schließlich vollkommen. Die große Leistung, die die moderne Nationalökonomie begründete, lag in der Ueberwindung der Wertantinomie durch die Erkenntnis, daß das wirtschaftliche Handeln stets nur auf die Verfügung über bestimmte Mengen eines Gutes gerichtet ist. »Habe ich ein Pferd zu kaufen«, sagt Böhm-Bawerk, »so wird es mir nicht einfallen, mir ein Urteil zu bilden, wie viel hundert Pferde, oder wie viel alle Pferde der Welt für mich wert wären und danach etwa mein Kaufgebot zu bemessen; sondern ich werde natürlich ein Werturteil über ein Pferd fällen. Und so fällen wir kraft inneren Zwanges jederzeit gerade dasjenige Werturteil, welches die konkrete ökonomische Situation erfordert«.(1) Diese Erkenntnis, daß das wirtschaftliche Handeln sich stets nur nach der Bedeutung richtet, die das wirtschaftende Subjekt den Teilquantitäten, über die gerade zu verfügen ist, beimißt, und weder nach der Wichtigkeit, die der gesamte dem Wirtschafter zur Verfügung stehende Vorrat für ihn hat, noch nach dem ganz und gar unpraktischen Urteil des Sozialphilosophen über die Bedeutung des gesamten den Menschen erreichbaren Vorrates für die (35) Menschheit, ist der Kern der modernen Lehre. Sie ist von allen psychologischen und ethischen Erwägungen unabhängig. Doch sie wurde gleichzeitig mit dem Gesetz der Bedürfnissättigung und des Sinkens des von der Einheit abhängigen Nutzens (Grenznutzens) bei steigendem Vorrat vorgetragen. Dieses Gesetz lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich und wurde irrtümlich für das Haupt- und Grundgesetz der neuen Lehre angesehen, die öfter die Grenznutzenlehre genannt wurde als die subjektivistische Schule, was zutreffender gewesen wäre und viele Mißverständnisse hätte vermeiden lassen.

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(1) Vgl. Böhm – Bawerk, Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts (Jahrb. f. Nationalökonomie und Statistik, N. F. Bd. XIII, S. 16), ferner Kapital und Kapitalzins, 3. Aufl., Innsbruck 1909, 2. Abt. S. 228.