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Karl Menger und die Oesterreichische Schule der Nationalökonomie (1929)

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Quelle: Neue Freie Presse (Wien) Nr. 23123 und Nr. 23124, 29./30. Januar 1929; der Artikel ist abgedruckt im Buch “”http://www.buchausgabe.de/public_products/Der-unbekannte-Mises-Friedrich-A-v-Hayek-Institut-Kurt-R-Leube-Ludwig-von-Mises-167">Der unbekannte Mises", erhältlich bei buchausgabe.de.

An dem Tage, an dem im Arkadenhofe der Wiener Universität das Denkmal Karl Mengers enthüllt wird, ziemt es sich wohl, einen Blick auf das Werk zu werfen, das die von Menger begründete Oesterreichische Schule der Nationalökonomie vollbracht hat. Um keinen Nachruf für Totes und Vergangenes kann es sich dabei handeln; denn wenn auch die Männer, die es geschaffen haben, dahingeschieden sind, das Werk lebt und wirkt fort, steht auch noch heute unerschüttert da und ist zur Grundlage aller wissenschaftlichen Bestrebungen in der nationalökonomischen Theorie geworden. Kein nationalökonomischer Gedanke kann heute gedacht werden, ohne dass an das angeknüpft wird, was Menger und seine Schule gelehrt haben. Ganz allgemein datiert man von dem ersten wissenschaftlichen Hervortreten Mengers – seine Grundsätze der Volkswirtschaftslehre wurden 1871 veröffentlicht – den Anbruch einer neuen Epoche in der Geschichte unserer Wissenschaft.

An keiner anderen Stätte kann aber der Versuch einem größeren Kreise einen knappen Ueberblick über das Werk der Oesterreichischen Schule der Nationalökonomie zu geben, besser am Platze sein als in den Spalten der Neuen Freien Presse. Denn Karl Menger selbst und alle die Übrigen, die man in engerem oder weiterem Sinne zur älteren Oesterreichischen Schule rechnen mag, Eugen Böhm-Bawerk, Friedrich Wieser, Robert Zuckerkandl, Emil Sax, Robert Meyer, Johann Komorzynski, Rudolf Auspitz, Richard Lieben, haben in der Neuen Freien Presse oft und oft das Wort ergriffen, bald um wirtschaftspolitische Tagesfragen zu besprechen, bald um von den Ergebnissen der theoretischen Forschung Bericht zu erhalten.

I.

Den geschichtlichen Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Nationalökonomie bildet die im achtzehnten Jahrhundert durch die Physiokraten in Frankreich und durch die Schotten David Hume und Adam Smith gewonnene Erkenntnis, daß die Preise, Löhne und Zinssätze durch die Lage des Marktes eindeutig oder doch innerhalb enger Grenzen bestimmt sind und daß der Marktpreis als Regulator der Produktion fungiert. Wo man früher nur Zufall und Willkür zu sehen gewohnt war, erkannte man das Walten einer Gesetzmäßigkeit. Die klassische Schule der Nationalökonomie, deren Arbeiten in David Ricardos Werk den Gipfel erreichten, machte es sich zur Aufgabe, die Katallaktik, die Lehre vom Tausche und vom Einkommen, zu einem geschlossenen System auszugestalten.

Aus den Erkenntnissen, die die theoretische Forschung zutage gefördert hatte, ließen sich wichtige Folgerungen für die Wirtschaftspolitik ziehen. Man begann zu verstehen, daß die Eingriffe, durch die die Regierungen dem Walten der in der Wirtschaft wirkenden Kräfte eine bestimmte Richtung zu geben suchten, das Ziel, das sie erreichen sollten, verfehlen mußten. Die Festlegung eines Höchstpreises kann die Absicht, die billigste Versorgung der Bevölkerung zu sichern, keineswegs erreichen; wird die obrigkeitliche Verfügung wirklich befolgt, dann führt sie zur Einschränkung, wenn nicht zur vollständigen Einstellung der Beschickung des Marktes mit den betroffenen Artikeln, der Eingriff erzielt mithin das Gegenteil von dem, was er erreichen will. Aehnlich ist es mit der machtpolitischen Regulierung der Löhne und der Zinssätze bestellt und nicht anders steht es mit den Eingriffen in den Verkehr mit dem Auslande. Der Merkantilismus hatte geglaubt, das Gleichgewicht im Außenhandel durch handelspolitische Mittel (Zölle, Verbote und ähnliches mehr) sichern zu müssen, um das Abströmen des Geldes zu verhindern. Ricardo wies nach, daß dieses Gleichgewicht sich automatisch immer wieder herstellt, daß handelspolitische Maßnahmen zum Schutze eines nicht durch Inflation zerrütteten Geldwesens überflüssig sind, das sie anderseits nicht imstande wären, das durch Inflation bewirkte Niedergleiten der Kaufkraft der Geldeinheit aufzuhalten. Handelspolitische Schußmaßnahmen lenken dagegen die Produktion von der Ausnützung der günstigsten natürlichen Produktionsbedingungen ab, vermindern daher die Ergiebigkeit der volkswirtschaftlichen Arbeit und drücken so die Lebenshaltung der Massen herab.

In den Augen der klassischen Nationalökonomie erscheint daher der Interventionismus in jedem Belange als sinnwidrig; nicht von Eingriffen der Regierung, die immer nur hindern und hemmen können, sondern von dem freien Regen aller Kräfte erwartet sie fortschreitende Hebung des Wohlstandes aller Schichten. So baut sich auf der Grundlage der Lehren bei klassischen Nationalökonomie das politische Programm des Liberalismus auf, der Freihandel in der innern wie in der auswärtigen Wirtschaftspolitik fordert.

Wer gegen dem Liberalismus ankämpfen wollte, der mußte versuchen, diese Schlußfolgerungen zu widerlegen. Das aber war ein Ding der Unmöglichkeit. Der Teil der Lehren der klassischen Nationalökonomie, auf dem sie beruhten, war nicht zu erschüttern. Es gab für Gegner des Liberalismus hier nur einen Ausweg: sie mußten jede mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit ihrer Sätze auftretende Wissenschaft von der gesellschaftlichen Wirtschaft grundsätzlich ablehnen, wie es die deutsche historische Schule der Staatswissenschaften tat. Nur Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsbeschreibung wollte man gelten lassen. Grundsätzliche Untersuchungen über den Zusammenhang der wirtschaftlichen Erscheinungen erklärt man als „abstrakt“ und „unwissenschaftlich“.

Nachdem schon in der Mitte der siebziger Jahre Walter Bagehot, dessen Ruf als Nationalökonom auf dem bekannten Buch über den Londoner Geldmarkt, Lombard Street beruht, diese Irrtümer bekämpft hatte, trat 1883 Menger mit seinen Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften hervor. Die unter der Bezeichnung des Methodenstreites bekannten Erörterungen, die sich an dieses Buch knüpften, haben die logische und methodische Richtigkeit der vom Historismus gegen die grundsätzliche Möglichkeit allgemeingültiger Erkenntnis der Wirtschaftsprobleme erhobenen Einwendungen bloßgelegt. In jeder wirtschaftsgeschichtlichen oder wirtschaftsbeschreibenden Untersuchung müssen sich, wenn auch versteckt, theoretische Begriffe und Sätze finden, deren Allgemeingültigkeit behauptet wird. Ohne Rückgriff auf solche ist es unmöglich, irgend etwas über die Dinge auszusagen. In jeder Aussage über einen Warenpreis, eine Steuer, eine sozialpolitische Maßnahme oder ein Gruppeninteresse muss schon „Theorie“ enthalten sein. Wenn die kathedersozialistische Schule das nicht bemerkt hat, so hat sie darum noch nicht “theoriefrei” gearbeitet. Sie hat nur darauf verzichtet, die Theorien, die sie verwendet hat, vorher auf ihre Richtigkeit zu prüfen, sie bis zu Ende durchzudenken, sie zu einem System zu verknüpfen, um so ihre Widerspruchslosigkeit und logische Verträglichkeit zu ergründen und vor allem, um sie an den Tatsachen zu verifizieren. Sie hat daher nur an Stelle brauchbarer Theorien, die der Kritik standzuhalten vermögen, unhaltbare, widerspruchsvolle, längst überwundene Irrtümer zu Ausgangspunkten ihre Untersuchungen gemacht und diese dadurch um ihren Ertrag gebracht.

Wirtschaftstheorie treiben heißt eben nichts anderes, als alle Aussagen über wirtschaftliche Dinge mit allen zu Gebote stehenden Mitteln des Denkens auf ihren Gehalt in schärfster Kritik immer wieder prüfen.

II.

Das System der klassischen Nationalökonomie hatte es nicht vermocht, das Problem der Preisbildung befriedigend zu lösen. An und für sich hätte naheliegen müssen, die die Grundlage der Preisgestaltung bildende Bewertung der Güter von ihre Nützlichkeit (Brauchbarkeit zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse) abzuleiten. Da aber bot sich eine besondere Schwierigkeit, die die Klassiker mit all ihrem Scharfsinn nicht bewältigten. Gerade manche der nützlichsten Güter werden niedrig bewertet wie Eisen, Kohle oder Brot oder für wertlos erachtet wie Wasser oder Luft, wogegen zweifellos weniger nützliche wie etwa Edelsteine sehr hoch im Werte stehen. Angesichts des Versagens aller Bemühungen, diese Antinomie zu deuten, entschloß man sich, zu anderen Erklärungen der Werterscheinung zu greifen, die man aber nicht ohne gekünstelte Hilfen widerspruchsfrei durchzudenken vermochte. Irgend etwas stimmte offenbar nicht. Da gelang es Menger in seinem genialen Erstlingswerk, die scheinbare Antinomie des Wertes zu überwinden. Nicht die Bedeutung, die der ganzen Gütergattung, sondern die Bedeutung, die dem Teil, über den gerade verfügt wird, zukommt, bestimmt die Wertschätzung. Nicht der Wert der Gütergattung, sondern der der konkreten Teilquantitäten allein wirkt auf die Preisbildung. Da wir jedem einzelnen Teile aus einem gegebenen Vorrat nur die Bedeutung beilegen, die die durch ihn bewirkte Bedürfnisbefriedigung hat, bei jeder einzelnen Bedürfnisgattung aber die Dringlichkeit der weiteren Befriedigung mit dem Fortschreiten der Sättigung abnimmt, schätzen wir jede konkrete Teilquantität nach der Wichtigkeit der letzten, das heißt minderwichtigen der konkreten Bedürfnisregungen ein, die mit dem zur Verfügung stehenden Vorrat noch befriedigt werden kann (Grenznutzen). Die Preisbildung der Güter erster Ordnung, das ist der Güter, die dem unmittelbaren Gebrauch und Verbrauch dienen, wird so auf die subjektiven Wertschätzungen der Konsumenten zurückgeführt. Die Preisbildung der zur Erzeugung der Gebrauchs- und Genußgüter erforderlichen Güter höherer Ordnung (auch Produktionsmittel oder Kostengüter genannt) einschließlich des Lohnes, des Preises für die Arbeitskraft, ist aus den Preisen der Güter erster Ordnung abgeleitet; in letzter Linie sind es eben die Konsumenten, die die Preise der Produktionsmittel und die Löhne bestimmen und bezahlen. Diese Ableitung im einzelnen durchzuführen, ist Aufgabe der Zurechnungstheorie; sie handelt von den Preisen des Grund und Bodens, von den Löhnen, vom Kapitalzins, vom Unternehmergewinn.
Auf den neuen Grundlagen errichteten Menger und seine Nachfolger unter Verwertung der schon von den Klassikern gewonnen Erkenntnisse ein geschlossenes System der Deutung aller wirtschaftlichen Erscheinungen.

III.

Ungefähr gleichzeitig mit Menger und unabhängig von ihm hatten der Engländer William Stanley Jevons und der in Lausanne wirkende Franzose Léon Walras ähnliche Lehren vorgetragen. Nachdem die Zeit abgelaufen war, die jeder neue Gedanke benötigt, um sich durchzusetzen, trat die subjektivistische Grenznutzentheorie ihren Siegeszug durch die Welt an. Glücklicher als sein bedeutendster Vorläufer, der preußische Regierungsassessor Gossen, konnte Menger die Anerkennung seiner Lehren durch die Nationalökonomen der ganzen Welt noch erleben.

In den Vereinigten Staaten hat vor allem John Bates Clark, der Begründer der großen Amerikanischen Schule, die Ideen der Oesterreichischen Schule verwertet und ausgestaltet. Clark ist auch – wie Herrn Oswalt in Frankfurt und Richard Reisch – Ehrenmitglied der Wiener Nationalökonomischen Gesellschaft. In den Niederlanden und in den skandinavischen Ländern wurde die Lehre frühzeitig fruchtbar. Ganz besonders aber in Italien erblühte auf ihrer Grundlage bald erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit.

Eine Schule im gewöhnlichen Sinne des Wortes hat Menger nie gebildet. Er stand zu hoch und dachte von der Würde der Wissenschaft zu groß, um die kleinlichen Mittel zu gebrauchen, durch die andere sich zu fördern suchen. Er forschte, schrieb und lehrte, und die Besten, die in Oesterreichs Staat und Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten gewirkt haben, sind aus jener Schule hervorgegangen. Im Übrigen wartete er, voll des Optimismus aller Liberalen, daß das Vernünftige sich endlich doch durchsetzen müsse. Und eines Tages standen zwei Gefährten neben ihm, zwei Fortsetzer seines Werkes, die – ein Jahrzehnt jünger als Menger – als reife Männer sich selbst an der Hand seiner Schriften den Weg zu den Problemen erarbeitet hatten. Eugen v. Böhm-Bawerk und Friedrich v. Wieser – gleichen Alters, von Jugend auf befreundet, durch Schwägerschaft verbunden, in Gesinnung, Charakter und Kultur des Geistes nach verwandt und doch als wissenschaftliche Persönlichkeiten so verschieden, wie zwei gleichstrebende Zeitgenossen je sein konnten – haben jeder in seiner Weise dort weiterzuarbeiten begonnen, wo Menger stehen geblieben war. In der Geschichte unserer Wissenschaft sind ihre Namen untrennbar mit dem Mengers verbunden.

Auch diese beiden haben ihr Wirken und Leben vollendet. Doch ein neues Geschlecht ist nachgerückt, und eine Reihe von ausgezeichneten wissenschaftlichen Untersuchungen, die in den letzten Jahren von Männern, die das dreißigste Jahr noch nicht erreicht haben, veröffentlicht wurden, zeigt, dass Oesterreich sein Vorrecht, eine Heimat strenger nationalökonomischer Arbeit zu sein, nicht aufgeben will.

IV.

Die kathedersozialistisch-historische Schule der „wirtschaftlichen Staatswissenschaften“ hat sich zunächst durch die kritische und durch die positive Arbeit der österreichischen Schule ebensowenig stören lassen wie die interventionistischen Schulen des Auslandes. Sie fuhren im Bewußtsein der ihnen durch die Regierungen und die politischen Parteien verbürgten äußeren Machtstellung fort, auf die ernste theoretische Arbeit geringschätzig hinabzusehen und unbefangen ihre Lehre von der Allmacht des Staates über die Wirtschaft zu verkünden.

Die wirtschaftspolitischen Experimente, die im Kriege und in den ersten Nachkriegsjahren ins Werk gesetzt wurden, haben den Interventionismus und Etatismus an der Spitze getrieben. Alles, was da versucht wurde – Höchstpreise, Zwangswirtschaft, Inflation – wirkte sich so aus, wie es die von den Staatsmännern und von den Vertretern der historischen Schule mißachteten Theoretiker vorausgesagt hatten. Mit Hartnäckigkeit suchten die Gegner der „abstrakten, lebensfremden österreichischen Wertlehre“ ihren Standpunkt noch eine Zeitlang aufrechtzuerhalten. Wie weit sie in ihrer Verblendung gehen konnten, zeigt zum Beispiel das, daß einer von ihnen, der als Autorität auf dem Gebiete des Geldwesens gefeierte Bankdirektor Bendixen, erklären konnte, er halte den Umstand, daß die deutsche Währung während des Krieges im Ausland unterwertig geworden war, für „in gewissem Grade sogar wünschenswert, weil er uns den Verkauf fremder Effekten zu günstigen Kursen ermöglicht.“

Schließlich mußte sich aber doch ein Umschwung anbahnen. Die Abkehr von der Theoriefeindschaft der historischen Schule setzte ein. Die jahrzehntelang Vernachlässigung der theoretischen Studien führte dabei zu dem merkwürdigen Ergebnis, daß es heute ein Ausländer, der Schwede Cassel, ist, dem die deutsche Oeffentlichkeit die prinzipielle Aufklärung über die Probleme des deutschen Wirtschaftslebens zu danken hat. Cassel zum Beispiel vermittelte den deutschen Zeitungslesern sowohl die Kenntnis der alten, zuerst schon von Ricardo entwickelten Kaufkraftparitätstheorie der Valutenkurse als auch den Hinweis darauf, dass die Arbeitslosigkeit als Dauererscheinung eine notwendige Folge der Lohnpolitik der Gewerkschaften ist. In seinen theoretischen Arbeiten trug Cassel, wenn auch in anderer Ausdrucksform und in mitunter schroffer Betonung einiger, nicht gerade nachahmungswürdiger Besonderheiten, die Lehren der subjektivistischen Schule vor.

Wenn auch Nachzügler der historischen Schule noch immer wieder versuchen, die alte Weise vom Ende oder vom Zusammenbruch der Grenznutzentheorie hervorzuholen, kann man nicht verkennen, dass in die Ausführungen aller jüngeren Volkswirte auch des Deutschen Reiches heute Ideen und Gedanken der österreichischen Schule in steigendem Maße eindringen. Das Werk Mengers und seiner Freunde ist zur Grundlage der ganzen modernen nationalökonomischen Wissenschaft geworden.