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Die Stellung des Geldes im Kreise der wirtschaftlichen Güter (1932)

V. Die Geldrechnung und das Problem der "Wertstabilität"

Für die moderne Auffassung kommt die alteingewurzelte Vorstellung, die im Gelde den Preis- oder Wertmesser erblickt, nicht mehr in Frage. Doch es war eine nicht ganz harmlose Unterlassung der subjektivistischen Theorie, daß sie ihr Augenmerk nicht genügend der Bedeutung des Geldes für die Wirtschaftsrechnung und dem Problem der Wirtschaftsrechnung im allgemeinen zugewendet hat.

Die theoretische Nationalökonomie pflegt die Lehre vom unvermittelten (direkten) Tausch von der Lehre vom vermittelten (indirekten) Tausch zu sondern. Diese Gliederung des Gesamtstoffes der Katallaktik ist unentbehrlich und ohne sie hätte man niemals irgendwelche brauchbare Ergebnisse zutage fördern können. Doch man darf nie vergessen, daß die Annahme, es würden die wirtschaftlichen Güter ohne Vermittlung eines allgemein gebräuchlichen Tauschmittels ausgetauscht, nur für den Austausch von Genußgütern und der den Genußgütern am nächsten stehenden Gruppen von Produktivgütern die Bedeutung eines Vorstellungsgebildes hat, dem eine entsprechende Wirklichkeit nachgewiesen werden kann. Direkter Austausch von Genußgütern und von den Genußgütern nahestehenden Produktivgütern kann es geben, gibt es und hat es gegeben. Doch der Austausch von Gütern entfernterer Güterordnungen setzt den Gebrauch des Geldes voraus. Und ganz undenkbar ohne Geldgebrauch ist der Markt als Inbegriff des Zusammenwirkens aller Elemente des Angebotes und der Nachfrage, wie ihn die moderne Theorie voraussetzt und voraussetzen muß. Nur durch den Geldgebrauch kann das Grenznutzenniveau in allen Verwendungen angeglichen werden. Nur wo Geldgebrauch besteht, kann die Wertverschiedenheit zwischen gegenwärtigen und künftigen Gütern schärfer herausgearbeitet werden. Ohne die Möglichkeit, die nur das Geld bietet, diese Wertverschiedenheit abstrakt zu erfassen, d. h. sie loszulösen von den Veränderungen in der Schätzung der einzelnen konkreten wirtschaftlichen Güter, würde der Zins nie gesondert von der Bewertung der künftigen Bewegung der einzelnen Güterpreise auftreten können. Die Annahme eines Zustandes entwickelten, ohne die Vermittlung eines allgemein gebräuchlichen Tauschmittels sich abspielenden Tauschverkehres ist wissenschaftliche Fiktion im Sinne der “Als-ob”-Lehre Vaihingers.

Von der Bedeutung, die die Geldrechnung für das rationale Handeln und für das gesellschaftliche Zusammenwirken der Menschen hat, soll hier nicht geredet werden; das ist nicht Aufgabe der Katallaktik, sondern der Gesellschaftslehre. Die Geldtheorie hätte genug zu tun, wenn sie das alles erschöpfend behandeln wollte, was davon für ihre unmittelbaren Aufgaben wichtig ist.

Durch die Übung, in Geld zu rechnen, alle übrigen wirtschaftlichen Güter zunächst auf den ihrem Preis entsprechenden Geldausdruck zu bringen und sich nur an dem Werte der Geldeinheit im wirtschaftlichen Handeln zu orientieren, ist das Geld für das Denken aus dem Kreise der übrigen wirtschaftlichen Güter (317) herausgehoben worden. Die Gegenüberstellung von Geld und Ware, wie sie uns in der Problemstellung “Teuerung” oder noch schärfer in den merkantilistischen Gedankengängen entgegentritt, ist die Folge. Noch folgenschwerer aber wurde diese Auszeichnung des Geldes dadurch, daß sie zur Bildung der Vorstellung von der “Wertstabilität” des Geldes führte, die trotz ihrer Naivität und Unklarheit die Geldtheorie und die Geldpolitik nachhaltig beeinflußt hat.

In dem Maße, in dem sich die Erkenntnis verbreitete, daß das Geld nicht “wertstabil” ist, entstand das politische Postulat, das Geld soll wertstabil sein oder zumindest so beschaffen sein, daß es dem vielleicht unerreichbaren Ideal der Wertstabilität möglichst nahe kommt. Im Währungsstreit haben sowohl die Anhänger der Goldwährung als auch die der Doppelwährung dem von ihnen empfohlenen Geldsystem nachgerühmt, daß es die beste Gewähr für möglichst große Wertstabilität des Geldes gebe. Die Vorschläge zur Schaffung einer die Edelmetallwährung für das Gebiet der langfristigen Verträge ergänzenden Warenwährung (Tabular Standard) und die noch weitergehenden Vorschläge von Fisher und von Keynes zur Einführung einer auf das System der Indexzahlen gegründeten “manipulierten Währung” gehen gleichfalls von der Vorstellung aus, daß die Erhaltung möglichst gleichbleibender Kaufkraft der Geldeinheit das letzte und wichtigste Ziel aller Geldwertpolitik zu bilden habe.

Das Unzulängliche der Vorstellung “Wertstabilität” und das Widerspruchsvolle einer auf ihr gegründeten Geldwertpolitik muß nicht erst neu erwiesen werden. Im praktischen Leben, d. h. im Handeln der wirtschaftenden Subjekte, umfaßt das Werturteil – wenn wir von den noch besonders zu besprechenden langfristigen Schuldverträgen absehen – in der Regel nur kurze Zeiträume. Die Kalkulation des Geschäftsmannes hat nur mit den nächsten Monaten und Jahren zu rechnen. Nur die Verhältnisse der nächsten Zukunft können einigermaßen im voraus abgeschätzt und in eine Rechnung eingestellt werden; auch ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, die die Veränderungen der Kaufkraft des Geldes bieten, wäre es nicht möglich, die geschäftliche Konstellation einer ferneren Zukunft halbwegs zuverlässig abzuschätzen.

Das Bedürfnis nach einem “wertstabilen” Träger von Kaufkraft entstand aus dem Bestreben, Vermögen und Einkommen den Einflüssen des Marktes zu entziehen und so auf “ewige” Zeiten zu erhalten. Die naturalwirtschaftliche Denkungsart dachte, solchen der Zeitlichkeit entrückten Reichtum im Grund und Boden zu finden. Acker werde immer Acker bleiben, Bodenfrucht immer begehrt werden; Grundbesitz sei darum ein beständiges Einkommen versprechender Besitz. Wir haben es heute, im Zeitalter kapitalistisch, d. h. rationell betriebener Landwirtschaft leicht, das Irrige solcher Auffassung aufzudecken. Wohl könnte man als autark auf seiner Scholle sitzender Wirt, von allen ringsum sich vollziehenden Veränderungen unberührt, “ewig” wirtschaften. Aber für einen in die arbeitsteilende Gesellschaft verflochtenen Betrieb liegt die Sache anders. Kapital und Arbeit dürfen nur auf die besten Grundstücke verwendet werden. Die schlechteren zu bebauen bringt keinen Reinertrag. Auch Grundstücke können wertlos werden oder im Werte beträchtlich sinken, wenn besserer Boden in entsprechender Menge erschlossen wurde.

Vom Grund und Boden übertrug man die Ewigkeitsvorstellung schon frühzeitig auf die auf Grundeigentum sichergestellte Forderung. Dann trat neben die pfandrechtlich sichergestellte Forderung die Forderung gegen den “Staat” und andere Gebilde des öffentlichen Rechtes. Dem Staate wird ewiger Bestand zugeschrieben und seinem Zahlungsversprechen unbedingtes Vertrauen geschenkt. So erscheint die Staatsschuldverschreibung als ein Mittel, um Vermögen und Einkommen aus der Unsicherheit des Lebens in die Sphäre der (318) Ewigkeit zu heben. Auch über die Unstichhaltigkeit dieser Auffassung sind nicht viel Worte zu verlieren. Es genügt wohl, darauf hinzuweisen, daß auch Staaten untergehen und daß auch Staaten Schulden repudiieren können.

In der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gibt es, entgegen der herrschenden Auffassung, kein Vermögen, dessen Früchte von selbst abreifen. Damit Besitz an Produktionsmitteln Einkommen gewähre, muß er entweder in erfolgreichen Unternehmungen verwendet oder an erfolgreiche Unternehmer leihweise überlassen werden. Erfolg im Unternehmen aber ist nie “sicher”. Es kann geschehen, daß die Unternehmungen fehlschlagen und das investierte Kapital mit ihnen ganz oder zum Teil untergeht. Der Kapitalist, der nicht selbst Unternehmer ist, sondern bloß an Unternehmer borgt, ist der Gefahr des Verlustes weniger ausgesetzt als der Unternehmer; doch auch er trägt das Risiko, daß der Verlust des Unternehmers so beträchtlich wird, daß er zur Rückerstattung der ausgeliehenen Kapitalien nicht mehr fähig ist. Kapitalsbesitz ist nicht die Quelle eines von selbst fließenden Einkommens, sondern ein Mittel, durch dessen erfolgreiche Verwendung Einkommen erworben werden kann. Um aus Kapitalsbesitz Einkommen zu ziehen, muß man über die Fähigkeit verfügen, es vorteilhaft anzulegen. Wem diese Fähigkeit nicht gegeben ist, dem ist Kapitalsbesitz auf die Dauer keine Einkommensquelle, der kann auch den Besitz ganz verlieren.

Um diese Schwierigkeiten und Fährlichkeiten auf das geringste Maß zu beschränken, suchen Kapitalisten Grund und Boden, Pfandbriefe und Staatsschuldverschreibungen zu erwerben. Und da erst wird die Unzulänglichkeit des Geldes, das nicht “wertstabil” ist, zum Problem. Bei kurzfristigen Krediten wird die Rückwirkung der Veränderungen der Kaufkraft des Geldes auf den Inhalt der Verpflichtung dadurch ausgeschaltet oder doch vermindert, daß der Zinsfuß des Geldmarktes, d. i. des Marktes für kurzfristige Darlehen, mit den Warenpreisen steigt und fällt. Für langfristige Kredite ist diese Anpassung undurchführbar.

Der letzte Grund des Strebens nach “Wertstabilität” des Geldes liegt in dem Wunsch, ein Mittel zu schaffen, um Kapitalsbesitz aus dem zeitlich Vergänglichen in die Ewigkeit zu versetzen. Die Lösung des Problems der Wertstabilität könnte aber nur gelingen, wenn man aus der Wirtschaft alle Bewegung und Veränderung ausschaltet. Denn es genügt nicht, die Beständigkeit des Austauschverhältnisses zwischen dem Geld und dem Durchschnitt der Warenpreise zu sichern; man müßte auch alle zwischen den Waren untereinander bestehenden Austauschverhältnisse festlegen können.

Wenn die Geldwertpolitik alles unterläßt, was von seiten des Geldes her heftige Veränderungen der zwischen dem Geld und den übrigen wirtschaftlichen Gütern bestehenden Austauschverhältnisse hervorrufen könnte, wenn sie ein Sachgeld erwählt, das nicht, sei es von seiten des Angebotes, sei es von seiten der Nachfrage für anderweitige – industrielle und sonstige nichtmonetäre – Zwecke jähen Wertschwankungen ausgesetzt ist, wenn sie in der Ausgabe von Umlaufsmitteln vorsichtig Zurückhaltung übt, dann ist alles geschehen, was man zur Milderung der aus den Veränderungen der Kaufkraft des Geldes entspringenden Nachteile vorkehren kann. Wenn die Geldwertpolitik sich auf diese Aufgaben beschränken wollte, würde sie mehr zur Beseitigung der von ihr empfundenen Übelstände beitragen als durch das Bemühen, ein unmögliches Ideal zu verwirklichen.

Denn daß alle Bemühungen, den “stationären” Zustand, den die Wirtschaftstheorie kennt, aus dem Reiche des Gedankens in das Leben zu überführen, ergebnislos bleiben müssen, wird wohl niemand bestreiten können, der in den Sinn dieser wissenschaftlichen Annahme eingedrungen ist.