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1930-1939

Wirtschaftsordnung und politische Verfassung (1936)
Londoner Ausgabe der Schriften von Karl Menger (1936)
Der Weg der österreichischen Finanzpolitik (1935)
Die Österreichische Nationalökonomie (1934)
Das Währungsproblem (1934)

Die Österreichische Nationalökonomie (1934)

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Quelle: Der Wirtschafter. Informationsblatt für Finanz, Handel und Industrie, Nr. 17, 27. April 1934, S. 316-317

Nahezu alle, die in den letzten Jahrzehnten berufen waren, als Sachwalter Oesterreichs mit Ungarn über wirtschaftliche Probleme zu verhandeln, sind aus der Schule Carl Menger’s und seiner Nachfolger hervorgegangen, jener Schule, die man als die österreichische Schule der Nationalökonomie bezeichnet. Zwei ihrer Meister, Böhm-Bawerk und Wieser, haben noch über den alten Ausgleich verhandelt, jener als Finanzminister, dieser als Handelsminister. Aber auch auf der anderen Seite des Beratungstisches saßen und sitzen unter den ausgezeichneten Männern, die Ungarn zu solchen Verhandlungen zu entsenden pflegt, Volkswirte, auf deren Werdegang die Schriften der österreichischen Schule Einfluß geübt haben. Es mag daher berechtigt erscheinen, auch von der österreichischen Nationalökonomie zu sprechen, wenn Oesterreichs und Ungarns wirtschaftspolitisches Verhältnis erörtert wird.

I.

Den geschichtlichen Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Nationalökonomie bildet die im achtzehnten Jahrhundert durch die Physiokraten in Frankreich und durch die Schotten David Hume und Adam Smith gewonnene Erkenntnis, daß die Preise, Löhne und Zinssätze durch die Lage des Marktes eindeutig oder doch innerhalb enger Grenzen bestimmt sind und daß der Marktpreis als Regulator der Produktion fungiert. Wo man früher nur Zufall und Willkür zu sehen gewohnt war, erkannte man das Walten einer Gesetzmäßigkeit. Die klassische Schule der Nationalökonomie, deren Arbeiten in David Ricardos Werk den Gipfel erreichten, machte es sich zur Aufgabe, die Katallaktik, die Lehre vom Tausche und vom Einkommen, zu einem geschlossenen System auszugestalten.

Das System der klassischen Nationalökonomie hat es nicht vermocht, das Problem der Preisbildung befriedigend zu lösen. An und für sich hätte naheliegen müssen, die die Grundlage der Preisgestaltung bildende Bewertung der Güter von ihrer Nützlichkeit (Brauchbarkeit zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse) abzuleiten. Da aber bot sich eine besondere Schwierigkeit, die die Klassiker mit all ihrem Scharfsinn nicht bewältigten. Gerade manche der nützlichsten Güter werden niedrig bewertet wie Eisen, Kohle oder Brot oder für wertlos erachtet wie Wasser oder Luft, wogegen zweifellos weniger nützliche wie etwa Edelsteine sehr hoch im Werte stehen. Angesichts des Versagens aller Bemühungen, diese Antinomie zu deuten, entschloß man sich, um anderen Erklärungen der Werterscheinung zu greifen, die man über nicht ohne gekünstelte Hilfen widerspruchsfrei durchzudenken vermochte. Irgend etwas stimmte offenbar nicht.

Da gelang es Menger in seinem genialen Erstlingswerk, die scheinbare Antinomie des Wertes zu überwinden. Nicht die Bedeutung, die der ganzen Gütergattung, sondern die Bedeutung, die dem Teil, über den gerade verfügt wird, zukommt, bestimmt die Wertschätzung. Nicht der Wert der Gütergattung, sondern der der konkreten Teilquantitäten allein wirkt auf die Preisbildung. Da wir jedem einzelnen Teile aus einem gegebenen Vorrat nur die Bedeutung beilegen, die die durch ihn bewirkte Bedürfnisbefriedigung hat, bei jeder einzelnen Bedürfnisgattung aber die Dringlichkeit der weiteren Befriedigung mit dem Fortschreiten der Sättigung abnimmt, schätzen wir jede konkrete Teilquantität nach der Wichtigkeit der letzten, das heißt mindestwichtigen der konkreten Bedürfnisregungen ein, die mit dein zur Verfügung stehenden Vorrat noch, befriedigt werden kann (Grenznutzen). Die Preisbildung der Güter erster Ordnung, das ist der Güter, die dem unmittelbaren Gebrauch und Verbrauch dienen, wird so auf die subjektiven Wertschätzungen der Konsumenten zurückgeführt. Die Preisbildung der zur Erzeugung der Gebrauchs- und Genußgüter erforderlichen Güter höherer Ordnung (auch Produktionsmittel oder Kostengüter genannt) einschließlich des Lohnes, des Preises für die Arbeitskraft, ist aus den Preisen der Güter erster Ordnung abgeleitet; in letzter Linie sind es eben die Konsumenten, die die Preise der Produktionsmittel und. die Löhne bestimmen und bezahlen. Diese Ableitung im einzelnen durchzuführen, ist Aufgabe der Zurechnungstheorie; sie handelt von den Preisen des Grund und Bodens, von den Löhnen, vom Kapitalzins, vom Unternehmergewinn.

Auf den neuen Grundlagen errichteten Menger und seine Nachfolger unter Verwertung der schon von den Klassikern gewonnenen Erkenntnisse ein geschlossenes System der Deutung aller wirtschaftlichen Erscheinungen.

II.

Ungefähr gleichzeitig mit Menger und unabhängig von ihm hatten der Engländer William Stanley Jevons und der in Lausanne wirkende Franzose Léon Walras ähnliche Lehren vorgetragen. Nachdem die Zeit abgelaufen war, die jeder neue Gedanke benötigt, um sich durchzusetzen, trat die subjektivistische Grenznutzentheorie ihren Siegeszug durch die Welt an. Glücklicher als sein bedeutendster Vorläufer, der preußische Regierungsassessor Gossen, konnte Menger die Anerkennung seiner Lehren durch die Nationalökonomen der ganzen Welt noch erleben.

In den Vereinigten Staaten hat vor allem John Bates Clark, der Begründer der großen Amerikanischen Schule, die Ideen der Oesterreichischen Schule verwertet und ausgestaltet. In den Niederlanden und in den skandinavischen Ländern wurde die Lehre frühzeitig fruchtbar. Ganz besonders aber in Italien erblühte auf ihrer Grundlage bald erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit.

Eine Schule im gewöhnlichen Sinne des Wortes hat Menger nie gebildet. Er stand zu hoch und dachte von der Würde der Wissenschaft zu groß, um die kleinlichen Mittel zu gebrauchen, durch die andere sich zu fördern suchen. Er forschte, schrieb und lehrte, und die Besten, die in Oesterreichs Staat und Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten gewirkt haben, sind aus seiner Schule hervorgegangen, Im übrigen wartete er, voll des Optimismus aller Liberalen, daß das Vernünftige. sich endlich, doch durchsetzen müsse. Und eines Tages standen zwei Gefährten neben ihm, zwei Fortsetzer seines Werkes, die – ein Jahrzehnt jünger als Menger – als reife Männer sich selbst an der Hand seiner Schriften den Weg zu den Problemen erarbeitet hatten. Eugen v. Böhm-Bawerk und Friedrich v. Wieser – gleichen Alters, von Jugend auf befreundet, durch Schwägerschaft verbunden, in Gesinnung, Charakter und Kultur des Geistes nah verwandt (317) und doch als wissenschaftliche Persönlichkeiten so verschieden, wie zwei gleichstrebende Zeitgenossen je sein konnten – haben jeder in seiner Weise dort weiterzuarbeiten begonnen, wo Menger stehen geblieben war. In der Geschichte unserer Wissenschaft sind ihre Namen untrennbar mit dem Mengers verbunden.

Auch diese beiden haben ihr Wirken und Leben vollendet. Doch ein neues Geschlecht ist nachgerückt, und ausgezeichnete nationalökonomische Untersuchungen, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, zeigen, daß die geistige Fruchtbarkeit der subjektivistischen Wertlehre sich immer wieder aufs Neue bewährt.

III.

Politische Schwierigkeiten stehen der Anwendung der .Lehren der modernen Nationalökonomie im Wirtschaftsleben der Völker noch vielfach entgegen. Es werden vielleicht noch Jahre verstreichen, ehe die Praxis der Wirtschaftspolitik sich alles das zu Nutze gemacht haben wird, was sie aus der modernen Nationalökonomie schon heute lernen könnte.

Geistig verbindet die Nationalökonomie Oesterreichs und die Ungarns die Tatsache, daß sie von denselben Grundlagen ausgehen. Sinnfällig tritt das darin zutage, daß das ungarische Wörterbuch der Volkswirtschaft auch österreichische Mitarbeiter herangezogen hat, daß die ungarischen Nationalökonomen in ihren Arbeiten außerordentlich stark die Arbeiten der österreichischen Nationalökonomen verwenden und daß andererseits wieder die Schriften der ungarischen Nationalökonomen in Oesterreich mit dem größten Interesse aufgenommen werden, wie denn die hohe Bedeutung der ungarischen Wissenschaft auch auf diesem Teilgebiet des Wissens immer mehr die gebührende Anerkennung außerhalb ihrer Heimat findet. Auch die Arbeit der Konjunkturforschungs-Institute in den beiden Ländern hat sich zu einer erfreulichen Kooperation entwickelt. Die Konjunkturberichte und die fortlaufende Wirtschaftsberichterstattung in der ungarischen Presse bieten ausgezeichnete Informationsquellen, die in Oesterreich mit größtem Nutzen studiert werden.

Die Männer, die die wirtschaftspolitischen Verhandlungen führen könnten, sind in beiden Staaten vorhanden, die wirtschaftsstatistischen Materialien sind in beiden Staatsgebieten ausreichend vorbereitet. Wirtschaftstechnisch ist alles bereit, um Verhandlungen zu beginnen und gedeihlich abzuschließen, die für beide Vertragsteile höchsten Gewinn versprechen.