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ab 1940

Gleichheit und Ungleichheit (1961)
Kapitalbildung und die Lehre vom Wachstum (1961)
Bemerkungen über die ideologischen Wurzeln der Währungskatastrophe von 1923 (1959)
Wirtschaftlicher Liberalismus (1959)
Markt (1959)

Bemerkungen über die ideologischen Wurzeln der Währungskatastrophe von 1923 (1959)

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Quelle: Freundesgabe zum 12. Oktober 1959 für Albert Hahn. Frankfurt am Main: Fritz Knapp Verlag, 1959. S. 54-58

Die Ideen, die die Politik der Völker leiten, fallen nicht vom Himmel. Sie werden von Denkern erdacht. Wer die Geschichte eines Zeitalters schreiben will, muß vorerst die Schriften studieren, die die öffentliche Meinung gestaltet haben. Was der deutschen Politik des zwanzigsten Jahrhunderts den Weg gewiesen hat, war das Geistesgut, das die deutsche Staatsphilosophie und Wirtschaftslehre des zweiten Reiches geschaffen hat. Das gilt auch von der Währungspolitik. In den Schriften von Lexis, Knapp und Bendixen findet man alle Ideen, deren praktische Anwendung zum Zusammenbruch von 1923 geführt hat.

Dem künftigen Historiker dieser Begebenheiten wird sich eine Frage aufdrängen, für die er nicht leicht eine Antwort finden wird. Das Zeitalter von Schmoller, Adolf Wagner und Lujo Brentano war auch das Zeitalter von Helmholtz, Hertz, Frege, Georg Cantor und Planck. Wie ist es zu erklären, daß die Blüte der Mathematik und Physik mit einem Tiefstand der Wissenschaften vom menschlichen Handeln zusammenfiel? Daß in dem Siebzig-Millionen-Reich niemand aufstand, den herrschenden währungspolitischen Lehren entgegenzutreten?

Um das zu verstehen, muß man auf jenes „ethische Pathos“ zurückgreifen, von dem 1872 der Aufruf sprach, der zur Gründung des Vereins für Sozialpolitik geführt hat. Die Behandlung nationalökonomischer Fragen wurde als sittliches, nicht als logisches Problem angesehen. Auf gute Gesinnung, nicht auf Wissen und Können kam es an. Daran, daß in dem Streben nach Wahrheit an sich ein ethischer und praktischer Wert erblickt werden könnte, wurde nicht gedacht. Von den Lehren der von den Bundesstaaten eingesetzten Universitätslehrer abzuweichen, erschien als moralisch bedenklich. Man hielt es für überflüssig, auf die Gedankengänge solcher Häresien einzugehen oder gar den Versuch zu machen, sie zu widerlegen. In dieser Hinsicht hat schon das wilhelminische Deutschland sich zu Anschauungen bekannt, denen ein wenig später Kommunismus und Nationalismus Weltgeltung zu verschaffen suchten.

Es war das Verdienst von Max Weber, den Kampf gegen die politische Befangenheit dessen, was damals im Deutschen Reiche als Wirtschafts- und Gesellschaftslehre galt, aufgenommen zu haben. Der Verein für Sozialpolitik war allerdings nicht der geeignete Boden für die Erörterung des Problems der Wertfreiheit. Es gab jedoch im deutschen Sprachgebiet keine andere Vereinigung, auf deren Tagungen nationalökonomische Fragen erörtert werden konnten. Da Schmoller und seine Freunde das, wovon sie handelten, Wissenschaft nannten, durften sie sich nicht darüber beschweren, daß die Frage aufgeworfen wurde, ob Wissenschaft berufen sei, Werturteile zu fällen.

Ich habe in jenen Jahren noch nicht dem Ausschusse des Vereins für Sozialpolitik angehört und habe daher an der Sitzung des Ausschusses vom 5. Januar 1914, auf der die Werturteilsfrage mit Ausschluß der Öffentlichkeit erörtert wurde, nicht teilgenommen. Ich habe jedoch persönlich über diesen Gegenstand mit mehreren hervorragenden Mitgliedern des Vereins eingehende Auseinandersetzungen gehabt. Vor der im Frühjahr 1912 erfolgten Veröffentlichung meines Buches „Theorie des Geldes und der Umlaufmittel“ drehte es sich dabei vorwiegend um die Lehren von Carl Menger und Böhm-Bawerk, später auch um meine eigenen Beiträge. Ich pflegte über diese Gespräche Aufzeichnungen zu machen, in denen ich die Äußerungen meiner Gesprächspartner festzuhalten suchte. Diese Notizen verwahrte ich in meiner Wiener Wohnung, die ich auch nach meiner Übersiedlung nach Genf (1934) beibehielt. Sie sind im März 1938 bei der Plünderung meiner Wohnung durch die Nationalsozialisten mit allem Übrigen verschwunden. Was ich zur Hand habe, ist lediglich eine Zusammenfassung der gegen Böhm-Bawerk und mich erhobenen Einwände, die ich auf Wunsch Böhm-Bawerks für ihn im Frühjahr 1914 niederschrieb. Da in diesem Schriftstück die Namen der Autoren der einzelnen Bemerkungen fortgelassen wurden und meine Erinnerung nach mehr als 45 Jahren mich leicht täuschen könnte, will ich auch im folgenden von der Nennung von Namen absehen.

Böhm-Bawerk, erklärten meine Gespächspartner, ist zweifellos ein ehrlicher Wahrheitssucher. Doch seine bedauerlichen Irrtümer wären eine unhaltbare Rechtfertigung des schlimmsten aller arbeitslosen unverdienten Einkommenszweige, des Kapitalzinses. Staatliche Maßnahmen zur Senkung der Zinshöhe wären ein Gebot sittlicher Staatsführung. Das unsinnigste Buch des wirtschaftspolitischen Schrifttums sei Benthams Defense of Usury. Ein vorurteilsfreier Gelehrter, Wilhelm Lexis, hätte klar nachgewiesen, daß das Einkommen, das dem Arbeitgeber zufließt, ökonomisch dem spezifischen Einkommen des Sklavenhalters gleichzuhalten ist.(1) Was Böhm-Bawerk gegen die marxistische Ausbeutungstheorie vorgebracht hat, sei unsinnig. Wie sehr auch Marx in der Kritik der modernen Gesellschaft fehlgegangen wäre, es gebühre ihm immerhin das Verdienst, die Beweggründe der britischen Ökonomen aufgedeckt zu haben. Verglichen mit den Leistungen der historischen Schule sei Böhm-Bawerk ein starrsinniger. Reaktionär.

Ähnliches gelte von meiner Geldlehre. Die periodische Wiederkehr von Wirtschaftskrisen sei ein dem Kapitalismus wesensmäßig innewohnendes Phänomen. Marx sei allerdings im Irrtum, wenn er annimmt, daß nur die Vernichtung des Kapitalismus und die Aufrichtung des Sozialismus die Wiederkehr von Krisen verhüten könne. Scharfe Überwachung und geschickte Lenkung der Marktvorgänge durch die überparteiliche Regierung werde die Wirtschaft krisenfrei machen. Es sei unsinnig, den Konjunkturwechsel monetär und kreditpolitisch erklären zu wollen. Die wirklichen Ursachen seien tiefer zu suchen.

Besonders heftig wurde angegriffen, was ich über die Bestrebungen zur Förderung des „bargeldlosen Zahlungsverkehrs“ und zur Konzentrierung des gesamten nationalen Goldbestandes in der Zentralbank gesagt hatte. Das Geldwesen sei nicht Selbstzweck. Es habe dem Staate und dem Volke zu dienen. Finanzielle Kriegsbereitschaft müsse das letzte und höchste Ziel der Währungspolitik wie aller Politik bleiben. Wie soll denn der Staat Krieg führen, wenn jeder selbstsüchtige Bürger das Recht behält, Einlösung der Banknoten in Gold zu verlangen? Es wäre Blindheit, nicht zu erkennen, daß nur volle Kriegsbereitschaft — nicht nur in militärischer Hinsicht, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht — die Erhaltung des Friedens zu sichern vermöge.

Es sei zuzugeben, daß die historische Volkswirtschaftslehre lange die Behandlung der Geldprobleme vernachlässigt hat. Doch mit Knapps Staatlicher Theorie des Geldes habe sich der deutsche Geist endlich von den verderblichen Theorien der Engländer losgesagt. Die Goldwährung bringe Deutschland in dauernde wirtschaftliche Abhängigkeit von den goldproduzierenden Ländern. Das Verdienst, das zuerst erkannt zu haben, gebühre den deutschen Agrariern. Ein von den ausländischen Geldmächten unabhängiges Geldwesen sei ein Lebensbedürfnis des deutschen Volkes.

Zur Entschuldigung meiner Irrtümer könne nur eines vorgebracht werden, nämlich, daß sie die logischen Folgen des staatsfeindlichen Denkens wären, das die „österreichische Schule“ von den Lehren der Manchesterleute übernommen hätte. Das Denken im luftleeren Raume, das Menger, Wieser und Böhm-Bawerk kennzeichne, wäre auch mein Fehler. Wo bliebe das Geldwesen, wenn nicht der Staat mit seiner Macht dahinter stehen würde? Es sei erfreulich, daß auch in Österreich nur eine kleine Schar von weltfremden Autoren die Ansichten der „österreichischen Schule“ teile.

Soweit meine Gesprächspartner der letzten fünf Vorkriegsjahre. Sie waren bereit, auch mir den guten Glauben zuzusprechen. Doch sie waren überzeugt, daß mein Buch nur den Interessen eines volks-und staatsfeindlichen Spekulantentums diene. Auf irgendwelche theoretische Gedankengänge sind sie nicht eingegangen. Die Quantitätstheorie und die Lehren der Currency-Schule waren in ihren Augen nichts als literarhistorische Kuriositäten. Einer der Herren bemerkte, einer seiner Kollegen hätte gefragt, ob ich nicht auch ein Anhänger der Phlogiston-Lehre wäre. Ein anderer Herr meinte, daß er mein Österreichertum als mildernden Umstand ansehe; mit einem Bürger des deutschen Reichs würde er über derartige Fragen überhaupt nicht diskutieren.

Noch viel später, gelegentlich der Regensburger Tagung des Vereins für Sozialpolitik (1919), bezeichneten mehrere der Teilnehmer im Gespräch die Ansicht, daß die Vermehrung der Notenmenge die Entwertung der Mark hervorgebracht hätte, als „einfach lächerlich“ und „indiskutabel“.

Fehler sind immer begangen worden und werden auch in der Zukunft begangen werden. Menschen sind nicht unfehlbar. Der Historiker hat nicht die Aufgabe, Fehler aufzuweisen, ein Beginnen, das in der Rückschau nicht schwer fällt. Seine Aufgabe ist es, den Kausalzusammenhang zwischen den Dingen zu erkennen. Vielleicht werden künftigen Geschichtsschreibern die vorstehenden Bemerkungen dabei von einigem Nutzen sein.

Als Max Weber im Sommersemester 1918 an der Wiener Universität lehrte, sagte er mir eines Tages: „Der Verein für Sozialpolitik gefällt Ihnen nicht; auch mir gefällt er sehr wenig. Doch da gibt es nur eine Abhilfe. Man muß an den Arbeiten des Vereins aktiven Anteil nehmen.“ Ich habe diesen Rat befolgt. Seit 1919 gehörte ich dem Ausschusse, seit 1930 auch dem Vorstande an. Ich habe die Behandlung der Probleme der Wertlehre angeregt, habe mit Spiethoff den betreffenden Band der Vereinsschriften vorbereitet und herausgegeben und habe auf der Dresdener Tagung (Herbst 1932) die Diskussion dieses Gegenstandes eingeleitet, die die alte Garde des Vereins nur als Fachausschußberatung, als „Epilog"(2) der Tagung gelten lassen wollte. Wie sich bald herausstellen sollte, war es der „Epilog“ des Vereins für Sozialpolitik, seine letzte Beratung. Ein neues Zeitalter schlechtester Wirtschaftspolitik war angebrochen.

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(1) Vgl. zur Kritik der Lehre von Lexis meine Gemeinwirtschaft, 2. Auflage, Seite 306 f.

(2) Siehe Boese, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik, 1872—1932, Berlin 1939, S. 236.