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ab 1940

Gleichheit und Ungleichheit (1961)
Kapitalbildung und die Lehre vom Wachstum (1961)
Bemerkungen über die ideologischen Wurzeln der Währungskatastrophe von 1923 (1959)
Wirtschaftlicher Liberalismus (1959)
Markt (1959)

Gleichheit und Ungleichheit (1961)

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Quelle: Monatsblätter für freiheitliche Wirtschaftspolitik
7:10(Okt. 1961) 597-605. Der Aufsatz erschien zuerst in „Modern Age“, A
Conservative Review, veröffentlicht vom Institute for Philosophical and
Historical Studies. Inc., 64 E. Jackson Blvd., Chicago 4, Ill., USA.
Band 5, No. 2, Frühjahr 1961; S. 139-147. Übersetzung: Helga
Matthiessen, Frankfurt am Main

Die naturrechtliche Lehre, die zu den Erklärungen der Menschenrechte im 18. Jahrhundert führte, enthielt nicht die offensichtlich trügerische Behauptung, alle Menschen seien biologisch gleich. Sie verkündete vielmehr, daß alle Menschen mit gleichen Rechten geboren werden und daß diese Gleichheit nicht durch irgend ein von Menschen gemachtes Gesetz aufgehoben werden kann, daß sie unveräußerlich oder – genauer – unverlierbar ist. Nur die Todfeinde individueller Freiheit und Selbstbestimmung, die Vorkämpfer des Totalitarismus, leiteten das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz von einer behaupteten psychischen und physischen Gleichheit aller Menschen ab. Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 3. November 1789 hatte verkündet, daß alle Menschen bei der Geburt die gleichen Rechte haben und dann auch behalten. Aber am Vorabend der Einsetzung der Schreckensherrschaft proklamierte die neue Erklärung, die der Verfassung vom 24. Juni 1793 vorausging, den Satz, daß alle Menschen gleich seien “par la nature”. Von da an blieb diese These, obwohl sie aller biologischen Erfahrung direkt zuwiderläuft, eines der Dogmen der „Linken“. So lesen wir in der Encyclopedia of the Social Sciences, daß „bei der Geburt die Menschenkinder, ungeachtet ihrer ererbten Eigenschaften, einander so gleich sind wie Ford-Autos“.(1)

Aber die Tatsache, daß Menschen von Geburt an verschieden sind in physischen und geistigen Begabungen, kann nicht hinwegdiskutiert werden. Einige übertreffen ihre Mitmenschen an Gesundheit und Kraft, an Verstand und Fähigkeiten, an Energie und Entschlußkraft, und sind dadurch besser als der Rest der Menschheit geeignet zum Verfolg irdischer Angelegenheiten – eine Tatsache, die auch Marx zugegeben hat. Er sprach von der Ungleichheit individueller Begabung und deshalb Leistungsfähigkeit" als von natürlichen Privilegien« und von den ungleichen Individuen (und sie wären nicht unterschiedliche Individuen, wenn sie nicht ungleich wären)".(2) In den Ausdrücken einer populären Psychologie können wir sagen, daß einige die Fähigkeit haben, sich besser an die Bedingungen des Lebenskampfes anzupassen als andere. Wir können deshalb, ohne uns irgendeinem Werturteil hinzugeben, von dieser Sicht her unterscheiden zwischen überlegenen und unterlegenen Menschen.

Die Geschichte zeigt, daß seit undenklichen Zeiten überlegene Menschen aus ihrer Überlegenheit Vorteil gezogen haben, indem sie die Macht ergriffen und die Massen der unterlegenen Menschen sich unterwarfen. In der feudalen Gesellschaft gibt es eine Hierarchie der Kasten. Auf der einen Seite sind die Herren, die sich das ganze Land angeeignet haben, und auf der anderen Seite ihre Knechte, die Vasallen, Leibeigenen und Sklaven, land- und besitzlose Untertanen. Die Pflicht der Unterlegenen ist es, für ihre Herren sich abzuplacken. Die Institutionen der Gesellschaft bezwecken allein den Vorteil der herrschenden Minderheit, der Fürsten, und ihres Gefolges, der Adligen.

(598) So war im großen und ganzen die Lage der Dinge in allen Teilen der Welt, bevor wie sowohl Marxisten als Konservative uns erläutern – „der Akquisitionsgeist der Bourgeoisie“ das politische, soziale und wirtschaftliche System der "guten alten Zeit“ unterminierte, in einem Prozeß, der sich über Jahrhunderte erstreckte und in vielen Teilen der Welt noch im Gang ist. Die Marktwirtschaft – der Kapitalismus – veränderte die wirtschaftliche und politische Organisation der Menschheit radikal.

Es sei mir gestattet, einige wohlbekannte Tatsachen zu rekapitulieren. Während unter vorkapitalistischen Bedingungen die überlegenen Menschen die Meister waren, denen die Massen der Unterlegenen zu gehorchen hatten, haben im Kapitalismus die Begabteren und Fähigeren kein anderes Mittel, aus ihrer Überlegenheit Nutzen zu ziehen, als nach besten Kräften den Wünschen der Mehrheit der weniger begabten Menschen zu gehorchen. In der Marktwirtschaft liegt die Gewalt bei den Konsumenten. Sie bestimmen letztlich durch ihre Kaufentscheidungen, was hergestellt werden soll, von wem und wie, in welcher Qualität und in welcher Menge. Die Unternehmer, Kapitalisten und Landbesitzer, die es verfehlen, auf dem bestmöglichen und billigsten Wege die dringendsten der noch unbefriedigten Wünsche der Konsumenten zu befriedigen, sind gezwungen, ihr Geschäft aufzugeben und ihre bevorzugte Stellung zu verlassen. In Büros und Laboratorien sind die kühnsten Geister damit beschäftigt, die komplexesten Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung für die Produktion von immer besseren Werkzeugen und Vorrichtungen nutzbar zu machen für Menschen, die keine Ahnung haben von den Theorien, die die Produktion dieser Dinge ermöglichen. je größer ein Unternehmen ist, um so mehr ist es gezwungen, seine Produktion den wechselnden Einfällen und Launen der Massen, seiner Beherrscher, anzupassen. Es ist die Gunst der Massen, die ein Unternehmen groß werden läßt. Der einfache Mann steht in der Marktwirtschaft an der Spitze. Er ist der Kunde, der “immer recht hat”.

In der politischen Sphäre entspricht eine repräsentative Regierung der Vorherrschaft der Konsumenten am Markt. Die Inhaber von Regierungsstellen hängen von den Wählern ab, ebenso wie die Unternehmer und Investoren von den Konsumenten. Derselbe historische Prozeß, der die kapitalistische Produktionsform an die Stelle der vorkapitalistischen Methoden setzte, stellte die Volksregierung – die Demokratie – an den Platz königlichen Absolutismus’ und anderer Formen der Herrschaft der Wenigen. Und wo immer die Marktwirtschaft vom Sozialismus verdrängt wird, kehrt auch die Autokratie zurück. Es ist kein Unterschied, ob sich der sozialistische oder kommunistische Despotismus mit Namen wie „Diktatur des Proletariats" oder »Volksdemokratie« oder „Führerprinzip" tarnt. Es läuft immer auf eine Unterwerfung der Vielen unter die Wenigen hinaus.

Es ist kaum möglich, die Konstellation, wie sie in einer kapitalistischen Gesellschaft vorherrscht, mehr mißzudeuten, als wenn man die Kapitalisten und Unternehmer als „herrschende" Klasse bezeichnet, die es darauf abgesehen hat, die Massen der anständigen Menschen auszubeuten". Wir wollen nicht die Frage erheben, wie die Menschen, die im Kapitalismus Geschäfte machen, in anderen erdenklichen Produktionsformen versucht haben würden, ihre überlegenen Begabungen vorteilhaft zu verwerten. Im Kapitalismus wetteifern sie miteinander, den Massen der weniger Begabten zu dienen. Alle ihre Gedanken zielen auf eine Verbesserung der Methoden der Versorgung der Konsumenten. jedes Jahr, jeden Monat, jede Woche erscheint etwas vorher Unerhörtes auf dem Markt und wird bald den Vielen erreichbar gemacht.

(599) Was die „Produktivität der Arbeit" multipliziert hat, ist nicht ein gewisser Grad der Anstrengung auf seiten der Handarbeiter, sondern die Ansammlung von Kapital durch die Sparer und sein vernünftiger Einsatz durch die Unternehmer. Technische Erfindungen wären nutzlose Trivialitäten geblieben, wenn das zu ihrer Nutzbarmachung notwendige Kapital nicht vorher durch Sparsamkeit angesammelt worden wäre. Der Mensch konnte nicht überleben als menschliches Wesen ohne Handarbeit. jedoch, was ihn über tierische Lebewesen erhebt, sind nicht Handarbeit und die Ausführung von Routinearbeiten, sondern Nachdenken und Voraussicht, die für die Bedürfnisse der – immer unsicheren – Zukunft sorgen.

Die Legende von den “Verführern”

In einer philosophischen Untersuchung die angeborene Ungleichheit der Menschen zuzugeben, läuft zu vieler Leute Gefühlen zuwider. Mehr oder weniger widerstrebend geben die Menschen zu, den Größen der Kunst, Literatur und Wissenschaft nicht gleichzukommen, jedenfalls nicht auf ihren speziellen Gebieten, und kein Gegenspieler für Meistersportler zu sein. Aber sie sind nicht bereit, ihre eigene Unzulänglichkeit in anderen menschlichen Dingen und Angelegenheiten zuzugeben. Wie sie es sehen, verdanken diejenigen, die sie am Markt überrundet haben, die erfolgreichen Unternehmer und Geschäftsleute, ihren Aufstieg allein ihrer Schlechtigkeit. Sie selbst sind, Gott sei Dank, zu anständig und gewissenhaft, um sich solcher unehrenhaften Methoden des Verhaltens zu bedienen, die, wie sie sagen, allein einen Mann in einer kapitalistischen Umgebung zur Entfaltung kommen lassen.

Und doch gibt es einen täglich wachsenden Zweig der Literatur, der lärmend den einfachen Mann als einen inferioren Typ beschreibt: die Bücher über das Verhalten der Verbraucher und die angeblichen Übel der Werbung. Wie diese Bücher uns mitteilen, ist der typische Amerikaner von Natur aus ungeeignet für die einfachsten Aufgaben im täglichen Leben eines Haushaltungsvorstandes. Er oder sie kauft nicht, was notwendig ist für eine angemessene Führung der Familienangelegenheiten. In ihrer angeborenen Dummheit werden sie durch die Tricks und Schliche der Geschäftsleute mit Leichtigkeit verführt, unnütze oder völlig wertlose Dinge zu kaufen. Denn das Hauptanliegen der Geschäftswelt ist es nicht, davon zu profitieren, daß man die Kunden mit den Gütern versorgt, die sie brauchen, sondern davon, daß man ihnen Waren aufhalst, die sie niemals nehmen würden, wenn sie den psychologischen Kunstgriffen von „Madison Avenue" widerstehen könnten. Die angeborene unheilbare Schwachheit des Willens und Geistes des Durchschnittsmenschen läßt die Käufer sich benehmen wie “Babies”.(3) Sie sind eine leichte Beute für die Betrügereien der Krämer.

Weder die Autoren noch die Leser dieser leidenschaftlichen Ausfälle sind sich bewußt, daß ihre Lehre impliziert, die Mehrheit des Volkes bestehe aus Schwachsinnigen, die unfähig seien, ihre eigenen Angelegenheiten zu erledigen und die dringend einer väterlichen Führung bedürften. Sie sind von ihrem Neid und Haß auf die erfolgreichen Geschäftsleute so voreingenommen, daß sie überhaupt nicht sehen, wie sehr ihre Beschreibung des Konsumentenverhaltens all dem widerspricht, was die “klassische” sozialistische Literatur über die hohen Vorzüge der Proletarier zu sagen pflegte. Diese älteren Sozialisten schrieben dem „Volk", den „arbeitenden und sich plagenden Menschen", den “Handarbeitern” alle Vollendung von Geist und Charakter zu. In (600) ihren Augen waren die Leute nicht “Babies«, sondern die Urheber von allem, was groß und gut in der Welt ist, und die Erbauer einer besseren Zukunft der Menschheit.

Es ist sicherlich richtig, daß der durchschnittliche einfache Mann in vieler Beziehung dem durchschnittlichen Geschäftsmann unterlegen ist. Aber diese Unterlegenheit zeigt sich vor allem in seiner begrenzten Fähigkeit zu denken, zu arbeiten, und damit mehr zu der gemeinsamen produktiven Anstrengung der Menschheit beizutragen. Die meisten Leute, die Routinearbeiten zufriedenstellend erledigen, würden zu wünschen übrig lassen in jeder Verrichtung, die ein bißchen Initiative und Reflexion verlangt. Aber sie sind nicht zu ungeschickt, ihre Familienangelegenheiten vernünftig zu führen. Die Ehemänner, die von ihren Frauen auf den Supermarkt geschickt werden „um einen Laib Brot und fortgehen mit den Armen voll ihrer bevorzugten Leckerbissen”,(4) sind sicherlich nicht typisch. Ebensowenig ist es die Hausfrau, die einkauft, ohne auf den Inhalt zu achten, bloß weil ihr „die Packung gefällt".(5)

Es wird allgemein zugegeben, daß der Durchschnittsmensch einen schlechten Geschmack entwickelt. Folglich ist die Geschäftswelt, die von dem Wohlwollen der Massen diese Menschen vollkommen abhängt, gezwungen, minderwertige Literatur und Kunst au den Markt zu bringen. (Eins der großen Probleme der kapitalistischen Zivilisation ist es, wie man hochqualifizierte Leistungen möglich macht in einer sozialen Umgebung, in der der „Jedermann“ herrscht.) Es ist des weiteren wohlbekannt, daß viele Leute sich Gewohnheiten hingeben, die unerwünschte Wirkungen haben. Wie die Anstifter der großen anti-kapitalistischen Kampagne es sehen, werden der schlechte Geschmack und die unzuverlässigen Konsumgewohnheiten der Leute und die anderen Übel unserer Zeit einfach hervorgerufen durch die Werbungs- oder Verkaufstätigkeit der verschiedenen Zweige des „Kapitals“ – Kriege werden durch die Rüstungsindustrie gemacht, durch die „Kaufleute des Todes", Trunksucht durch das Alkoholkapital, den geheimnisvollen „Whisky-Trust“ und die Brauereien.

Fehlinvestierte Erziehung

Diese Philosophie basiert nicht nur auf der Lehre, die die einfachen Leute als arglose Daumenlutscher bezeichnet, die leicht einzufangen sind durch die Listen einer Sippe fixer Krämer. Sie impliziert zusätzlich die unsinnige Theorie, daß der Verkauf von Artikeln, die der Konsument wirklich braucht und kaufen würde, nicht lukrativ ist und daß andererseits nur der Verkauf solcher Artikel große Gewinne abwirft, die wenig oder gar keinen Nutzen für den Käufer haben oder direkt von Nachteil für ihn sind. Denn wenn man das nicht annehmen sollte, gäbe es keinen Grund zu schließen, daß im Wettbewerb des Marktes die Verkäufer der schlechten Artikel die der guten überrunden. Dieselben ausgeklügelten Tricks, durch welche die glattzüngigen Verkäufer angeblich das kaufende Publikum überzeugen, können genau so gut von denen verwendet werden, die gute und wertvolle Ware auf dem Markt anbieten. Aber dann konkurrieren gute und schlechte Artikel unter gleichen Bedingungen, und es gibt keinen Grund für ein pessimistisches Urteil über die Chancen der besseren Ware.

Die Lehre von der angeborenen physiologischen und geistigen Gleichheit der Menschen erklärt logischerweise Unterschiede zwischen menschlichen Wesen als durch nachgeburtliche Einflüsse hervorgerufen. Sie betont besonders die Rolle, die die Erziehung (601) dabei spielt. In der kapitalistischen Gesellschaft, sagt man, ist höhere Bildung ein Privileg, daß nur den Kindern der “Bourgeoisie” offensteht. Es sei notwendig, jedem Kind Zugang zu jeder Schule zu ermöglichen und so jeden zu bilden.

Von diesem Prinzip geleitet, stürzten sich die Vereinigten Staaten in das hochsinnige Experiment, jeden Jungen und jedes Mädchen zu einer gebildeten Persönlichkeit zu erziehen. Alle jungen Männer und Frauen sollten die Jahre von sechs bis achtzehn in der Schule verbringen, und so viele wie möglich sollten das College besuchen. So sollte die intellektuelle und soziale Trennung zwischen einer gebildeten Minderheit und der Mehrheit des Volkes, deren Ausbildung unzulänglich war, verschwinden. Erziehung wäre nicht länger ein Privileg; es wäre das Vorrecht jeden Bürgers.

Die Statistik zeigt, daß dies Programm in die Praxis umgesetzt wurde. Die Zahl der höheren Schulen, der Lehrer und Schüler vervielfachte sich. Wenn der augenblickliche Zug der Entwicklung noch ein paar Jahre andauert, wird das Ziel der Reform völlig erreicht sein; jeder Amerikaner wird das Abschlußzeugnis einer höheren Schule erhalten.

Aber der Erfolg dieses Plans ist nur scheinbar. Er wurde nur ermöglicht durch ein Verfahren, das, unter Beibehaltung des Namens „höhere Schule“, ihren bildenden und wissenschaftlichen Wert völlig zerstört hat. Die alte höhere Schule vergab ihre Diplome nur an Schüler, die zumindest ein bestimmtes Minimum an Wissen in einigen Fachgebieten erworben hatten, die als grundlegend angesehen werden. Sie schied in den unteren Klassen diejenigen aus, denen die Fähigkeiten und die Einstellung fehlte, diesen Anforderungen zu genügen. Aber in dem neuen System der höheren Schule wird die Gelegenheit, die Fächer zu wählen, die man zu studieren wünschte, von dummen oder faulen Schülern übel mißbraucht. Nicht nur werden fundamentale Gebiete wie die Grundzüge der Arithmetik, Geometrie, Physik, Geschichte und Fremdsprachen von der Mehrheit der höheren Schüler gemieden, sondern jedes Jahr erhalten jungen und Mädchen Abschlußzeugnisse der höheren Schule, die im Lesen und Schreiben des Englischen Fehler machen. Es ist eine sehr bezeichnende Tatsache, daß einige Universitäten es nötig fanden, Spezialkurse einzurichten, um die Geschicklichkeit ihrer Studenten im Lesen zu verbessern. Die oft leidenschaftlichen Debatten über den Lehrplan der höheren Schule, die sich nun schon über einige Jahre hinziehen, beweisen klar, daß nur eine begrenzte Zahl von Jugendlichen intellektuell und moralisch fähig ist, vom Schulbesuch zu profitieren. Für den Rest der Besucher der höheren Schule sind die Jahre, die im Klassenzimmer verbracht wurden, einfach verschwendet. Wenn man den Bildungsstandard der höheren Schulen und Colleges herabsetzt, um es der Mehrheit der weniger begabten und weniger fleißigen Jugendlichen zu ermöglichen, Diplome zu erhalten, dann schädigt man nur die Minderheit derer, die die Fähigkeit haben, den Unterricht zu nutzen.

Majoritäts-Mißverständnisse

Die verzweifelten, aber hoffnungslosen Versuche, trotz der unstreitigen Beweise des Gegenteils die These von der angeborenen Gleichheit aller Menschen zu retten, sind motiviert durch eine fehlerhafte und unhaltbare Lehre über Volksregierung und Mehrheitsherrschaft.

Diese Lehre versucht die Volksregierung zu rechtfertigen durch den Hinweis auf die angebliche natürliche Gleichheit aller Menschen. Da alle Menschen gleich seien, habe (602) jedes Individuum teil an dem Genius, der die größten Helden in der geistigen, künstlerischen und politischen Geschichte der Menschheit erleuchtete und anrege. Nur widrige nachgeburtliche Einflüsse hielten die Proletarier davon ab, es den größten Menschen in ihren glänzendsten Taten gleichzutun. Deshalb wird, so sagte uns Trotzky,(6) wenn erst einmal dieses abscheuliche System des Kapitalismus dem Sozialismus Platz gemacht haben wird, “das durchschnittliche menschliche Wesen sich zu den Höhen eines Aristoteles, eines Goethe oder eines Marx erheben”. Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes, sie ist immer im Recht. Wenn sich zwischen den Menschen eine Unstimmigkeit erhebt, muß man natürlich. annehmen, daß einige von ihnen unrecht haben. Es ist schwierig, den Schluß zu vermeiden, daß ein Irrtum der Minderheit wahrscheinlicher ist als ein Irrtum der Mehrheit. Die Mehrheit hat recht, weil sie die Mehrheit ist und als solche von der “Welle der Zukunft” getragen wird.

Der moderne Mystizismus

Die Verfechter dieser Lehre müssen jeden Zweifel an der intellektuellen und moralischen Erhabenheit der Massen als einen Versuch auffassen, Despotismus an die Stelle einer repräsentativen Regierungsform zu setzen. Aber die Argumente, die zugunsten der repräsentativen Regierungsform von den Liberalen des 19. Jahrhunderts – den vielgeschmähten Vertretern des Manchestertums und den Vorkämpfern des Laissez Faire – vorgebracht wurden, haben nichts zu tun mit den Dogmen von der natürlichen angeborenen Gleichheit der Menschen und von der übermenschlichen Eingebung der Mehrheiten. Sie gründen sich auf die Tatsache, daß – wie besonders glänzend von David Hume ausgeführt wurde – die Leute am Ruder immer eine kleine Minderheit sind im Vergleich zu der gewaltigen Mehrheit derer, die ihren Befehlen unterstehen. In diesem Sinne ist jede Regierungsform eine Minderheitsherrschaft und kann als solche nur so lange bestehen, wie sie von dem Glauben der Regierten getragen wird, daß es für sie selbst besser ist, den Männern in den Regierungsämtern zu trauen, als sie zu ersetzen durch andere, die zu anderen Regierungsmethoden bereit sind. Wenn diese Meinung schwindet, werden sich die Massen in einer Rebellion erheben und mit Gewalt die unpopulären Regierungsinhaber und ihr System durch andere Männer und ein anderes System ersetzen. Aber der komplizierte industrielle Apparat der modernen Gesellschaft könnte nicht in Gang gehalten werden bei einem Zustand, in dem Revolution das einzige Mittel der Mehrheit ist, ihren Willen durchzusetzen. Das Ziel einer repräsentativen Regierung ist es, die Wiederkehr einer solchen gewaltsamen Störung des Friedens und ihrer schädlichen Auswirkungen auf Moral, Kultur und materielle Wohlfahrt zu verhindern. Regierung durch das Volk, das heißt durch gewählte Repräsentanten, macht einen friedlichen Wechsel möglich. Sie garantiert die Zustimmung der öffentlichen Meinung und bürgt für die Prinzipien, nach denen die Angelegenheiten des Staates geregelt werden. Für diejenigen, die an die Freiheit glauben, ist Mehrheitsherrschaft nicht ein metaphysisches Prinzip, abgeleitet von einer unhaltbaren Verzerrung der biologischen Tatsachen, sondern ein Mittel, die ungestörte friedliche Entwicklung der zivilisatorischen Anstrengungen der Menschheit zu sichern.

Die Lehre von der angebotenen biologischen Gleichheit aller Menschen brachte im 19. Jahrhundert einen quasi-religiösen Mystizismus des “Volkes” hervor, der sie schließlich in das Dogma von der Überlegenheit des einfachen Mannes" verkehrte.

(603) Alle Menschen sind bei der Geburt gleich. Aber die Angehörigen der oberen Klassen wurden unglücklicherweise verdorben durch die Versuchungen der Macht und durch Hingabe an den Luxus, den sie sich gesichert hatten. Die die Menschheit plagenden Übel sind verursacht durch die Untaten dieser verruchten Minderheit. Wenn diese Unglücksbringer einmal enteignet sind, wird die angestammte Edelmütigkeit des einfachen Mannes die menschlichen Angelegenheiten regeln. Es wird wundervoll sein, in einer Welt zu leben, in der die unendliche Güte und das angebotene Genie des Volkes herrschen. Nieerträumtes Glück für jeden liegt für die Menschheit bereit.

Für die russischen Sozial-Revolutionäre war diese Mystik ein Ersatz für die gottesdienstlichen Übungen der russischen Orthodoxie. Den Marxisten war es unbehaglich bei den enthusiastischen Schrullen ihrer gefährlichsten Rivalen. Aber Marx’ eigene Beschreibung der gesegneten Bedingungen der “höheren Stufe der kommunistischen Gesellschaft” (7) war sogar noch kühner. Nach der Ausrottung der Sozialrevolutionäre übernahmen die Bolschewisten selbst den Kult des einfachen Mannes als hauptsächlichen ideologischen Vorwand für ihren unbegrenzten Despotismus einer kleinen Clique von Partei-Bossen.

Der charakteristische Unterschied zwischen Sozialismus (Kommunismus, Planwirtschaft, Staatskapitalismus, oder welches andere Synonym man bevorzugen mag) und Marktwirtschaft (Kapitalismus, freies Unternehmertum, wirtschaftliche Freiheit) ist dieser: In der Marktwirtschaft stehen die Individuen als Konsumenten an der Spitze und bestimmen durch ihr Kaufen oder Nicht-Kaufen, was hergestellt werden soll, während in der sozialistischen Wirtschaft diese Dinge von der Regierung festgelegt werden. Im Kapitalismus ist der Kunde der Mann, um dessen Gunst die Lieferanten sich bewerben und zu dem sie nach dem Verkauf „Dankeschön“ und „Bitte kommen Sie wieder" sagen.

Im Sozialismus erhält der „Genosse", was der „große Bruder“ ihm zu geben beschließt, und er muß dankbar sein für alles, was er erhält. Im kapitalistischen Westen ist der durchschnittliche Lebensstandard unvergleichlich höher als im kommunistischen Osten. Aber es ist eine Tatsache, daß eine täglich wachsende Zahl von Menschen in den kapitalistischen Ländern – unter ihnen auch die meisten sogenannten Intellektuellen – sich nach den angeblichen Segnungen einer Regierungskontrolle sehnen. Es ist vergebens, diesen Menschen zu erklären, wie die Lage des einfachen Mannes in seinen beiden Eigenschaften als Produzent ebenso wie als Konsument in einem sozialistischen System ist. Eine gewisse intellektuelle Minderbegabung der Massen würde sich sehr offensichtlich zeigen in ihrem Streben nach der Abschaffung eines Systems, in dem sie selbst herrschen und bedient werden von der Elite der talentiertesten Menschen, und in ihrem Verlangen nach der Rückkehr eines Systems, in dem die Elite sie niedertreten würde.

Wir wollen uns nicht selbst zum Narren halten. Es ist nicht der Fortschritt des Sozialismus bei den unterentwickelten Völkern, bei denen, die niemals die Stufe primitiver Barbarei verlassen haben, und bei denen, deren Zivilisationen vor vielen Jahrhunderten steckengeblieben sind, worin sich der triumphierende Vormarsch des totalitären Glaubensbekenntnisses zeigt. In unserer westlichen Umgebung macht der Sozialismus die weitesten Schritte nach vorn. jedes Projekt, das den sogenannten „privaten Sektor“ der wirtschaftlichen Organisation beengt, wird als besonders zu- (604) träglich, als Fortschritt, bezeichnet und begegnet, wenn überhaupt, nur furchtsamem und schüchternem Widerstand für eine kurze Zeit. Wir gehen "vorwärts“, der Verwirklichung des Sozialismus entgegen.

Selbsttäuschungen der “fortschrittlichen“ Geschäftsleute

Die klassischen Liberalen des 18. und 19. Jahrhunderts gründeten ihre optimistische Einschätzung der Zukunft der Menschheit auf die Annahme, daß die Minderheit der hervorragenden und ehrlichen Menschen immer in der Lage sein würde, durch Überredung die Mehrheit der minderbegabten Menschen den Weg zu Frieden und Wohlstand zu führen. Sie vertrauten darauf, daß die Elite immer eine Möglichkeit haben würde, die Massen daran zu hindern, daß sie den Rattenfängern und Demagogen folgen und sich einer Politik anschließen, die im Desaster enden muß. Wir müssen es unentschieden lassen, ob der Irrtum dieser Optimisten in einer Überbewertung der Elite oder der Massen oder beider bestand. jedenfalls ist es eine Tatsache, daß die überwiegende Mehrheit unserer Zeitgenossen solchen politischen Programmen fanatisch ergeben ist, die schließlich auf die Abschaffung der Sozialordnung zielen, in der die begabtesten Staatsbürger gezwungen sind, den Massen auf bestmögliche Art dienstbar zu sein. Die Massen – einschließlich derer, die man Intellektuelle nennt – verfechten leidenschaftlich ein System, in dem sie nicht länger die Kunden sind, die die Aufträge geben, sondern Mündel einer allgewaltigen Autorität. Es hat nichts zu bedeuten, daß dieses wirtschaftliche System dem einfachen Mann unter der Marke „Jedem nach seinen Bedürfnissen” verkauft wird, und seine politische und konstitutionelle Folgeerscheinung, die unbeschränkte Autokratie der sich selbst einsetzenden Regierungsbeamten, unter der Marke „Volksdemokratie“.

In der Vergangenheit wurde der fanatischen Propaganda der Sozialisten und ihrer Helfershelfer, der Interventionisten aller Meinungsschattierungen, noch durch einige wenige Wirtschaftswissenschaftler, Staatsmänner und Geschäftsleute Widerstand geleistet. Aber selbst diese oft lahme und abgeschmackte Verteidigung der Marktwirtschaft hat sich nahezu erschöpft. Die Hochburgen des amerikanischen Snobismus und „Patriziertums", angesehene, freigebig mit finanziellen Mitteln ausgestattete Universitäten und Stiftungen, sind heute Brutstätten eines „sozialen“ Radikalismus. Millionäre, nicht „Proletarier", waren die eifrigsten Anstifter des New Deal und der von ihm hervorgerufenen „progressiven" Politik. Es ist gut bekannt, daß der russische Diktator auf seinem ersten Besuch in den Vereinigten Staaten mit mehr Herzlichkeit von Bankiers und Präsidenten großer Unternehmen empfangen wurde als von anderen Amerikanern.

Der Tenor der Argumente solcher »fortschrittlichen« Geschäftsleute lautet so: ich verdanke die hervorragende Position, die ich in meinem Wirtschaftszweig bekleide, meiner eigenen Leistung und Anstrengung. Meine natürlichen Talente, mein Eifer beim Erwerb der Kenntnisse, die zur Führung eines großen Unternehmens notwendig sind, meine Emsigkeit haben mich nach oben gebracht. Diese persönlichen Verdienste hätten mir in jedem Wirtschaftssystem eine führende Stellung gesichert. Als Leiter eines bedeutenden Produktionszweiges hätte ich auch in einem sozialistischen Gemeinwesen eine beneidenswerte Position eingenommen. Aber meine tägliche Arbeit wäre im Sozialismus sehr viel weniger anstrengend und aufreibend. Ich brauchte nicht länger mit der Befürchtung zu leben, daß ein Konkurrent mich ausstechen könnte, indem er (605) etwas Besseres oder Billigeres am Markt anbietet. Ich wäre nicht länger gezwungen, mich mit den launischen und unvernünftigen Wünschen der Konsumenten abzugeben. Ich würde ihnen geben, was ich – der Fachmann – für sie für richtig halte. Ich würde die hektische und nervenzerrüttende Arbeit eines Geschäftsmannes austauschen gegen das würdevolle und glatt ablaufende Ausüben der Funktionen eines Beamten. Mein Lebens- und Arbeitsstil würde sehr viel mehr dem vornehmen Verhalten eines Granden der Vergangenheit ähneln als dem eines von Magengeschwüren geplagten Managers einer modernen Aktiengesellschaft. Laß doch die Philosophen über die wahren oder angeblichen Fehler des Sozialismus nachdenken. Ich von meinem persönlichen Standpunkt aus kann keinen Grund sehen, warum ich mich ihm widersetzen sollte. Die Verwalter von verstaatlichten Unternehmen in allen Teilen der Welt und russische offizielle Besucher stimmen meiner Ansicht völlig bei …. «

Natürlich ist in der Selbsttäuschung dieser Kapitalisten und Unternehmer nicht mehr Sinn als in den Tagträumen der Sozialisten und Kommunisten aller Variationen.

Aufgabe der heranwachsenden Generation

Wie es mit ideologischen Entwicklungen heute geht, muß man damit rechnen, daß in ein paar Jahrzehnten, möglicherweise noch vor dem ominösen Jahr 1984, in jedem Land das sozialistische System verwirklicht sein wird. Der einfache Mann wird befreit sein von der ermüdenden Beschäftigung, den Gang seines eigenen Lebens zu bestimmen. Er wird von den Behörden angewiesen werden, was er tun soll und was nicht, er wird von ihnen ernährt, mit Wohnmöglichkeit versehen, gekleidet, erzogen und unterhalten werden. Aber vor allem werden sie ihn von der Notwendigkeit entbinden, seinen eigenen Verstand zu gebrauchen. Jeder wird nach seinen Bedürfnissen" erhalten. Aber was die Bedürfnisse eines Individuums sind, werden die Behörden bestimmen. Wie es in früheren Epochen der Fall war, wird der überlegene Mensch nicht länger den Massen dienstbar sein, sondern sie beherrschen und regieren.

Noch ist diese Entwicklung nicht unvermeidlich. Sie ist das Ende, zu dem die vorherrschenden Trends in unserer heutigen Welt führen. Aber Trends können sich ändern und haben sich bisher immer wieder geändert. Auch der Trend zum Sozialismus kann durch einen anderen ersetzt werden. Solch einen Wechsel zu vollführen, ist die Aufgabe der heranwachsenden Generation.

_________________________

(1) H. Kallen, „Behaviorism“, Encyclopedia of the Social Sciences, vol. II, S. 498.

(2) Kritik des sozialdemokratischen Programms von Gotha (Brief an Bracke, 5. Mai 1875).

(3) V. Packard, „Babies in Consumerland“, The Hidden Persuaders (Cardinal Editions, 1957), S. 90-97.

(4) Packard, a. a. 0., S. 95

(5) Packard, a. a. 0., S. 93

(6) L. Trotzky, Literature and Revolution, übers. von R. Strunsky, (London 1925), S. 256.

(7) Brief an Bracke. 5. Mai 1875, siehe Seite 597.