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Die Essenz der Wiener Schule der Ökonomie und ihre Relevanz für heute

Die Freiburger Schule / Die Essenz
Ökonomie als Sozialwissenschaft

Die Freiburger Schule / Die Essenz

Die Freiburger Schule

Stark beeinflußte die Wiener Schule schließlich die Freiburger Schule Walter Euckens (1891- 1950), der seinerseits von der Phänomenologie
Husserls geprägt ist. Diese Schule sollte dereinst hinter Ludwig Erhards
„Sozialer Marktwirtschaft“ stehen. Auch hier allerdings erweist sich
die politische Macht als jener Filter, der die falschen Schlüsse der
Freiburger Schule übertreibt und ihre richtigeren Ansätze ausblendet.
Wie viel Machtausdehnung ließ sich nicht im Namen der „Ordnungspolitik“
legitimieren, des staatlich zu „veranstaltenden“ Wettbewerbs. Von der
Wiener Schule geprägte Kritiker abseits der Macht und des akademischen
Establishments wie Volkmar Muthesius und Hans Hellwig
erhielten kaum Gehör. Im ihrem Kern nahm die Freiburger Schule jedoch
viel Positives auf und entwickelte es weiter. Als Weggefährte der
Freiburger Schule, selbst stark von Ludwig von Mises geprägt, ist etwa Wilhelm Röpke (1899-1966) zu nennen: ein prophetischer Analytiker des Zeitgeistes.

Erwähnt werden sollte auch der interessante Umstand, daß Kardinal Joseph Höffner (1906-1987) und Wilhelm Weber
(1925-1983; nicht zu verwechseln mit dem oben genannten Wilhelm Weber)
durch die „Freiburger Schule“ gingen und zu jenen katholischen Denkern
zählen, die die realistische Ökonomie der Scholastik wiederentdeckten.

Mises prägte auch Denker wie den österreichischen Historiker Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn (1909–1999) und den deutschen Politikwissenschaftler Eric Voegelin
(1901-1985), deren fruchtbare Arbeiten ebenfalls quer zum Zeitgeist
stehen. Auch in Österreich floß die Wiener Schule nochmals – ähnlich
wie in Deutschland – über Umwege und verwässert in die Politik ein. Reinhard Kamitz (1907-1993), dem analog zu Erhard das „österreichische Wirtschaftswunder“ zugeschrieben wird, war von Friedrich A. von Hayek beeinflußt. Doch auch hier überlebte die Ökonomie nicht den Todeskuß der Macht.

Die Essenz


Ist
also die Wiener Schule tatsächlich in anderen Schulen aufgegangen? Ist
sie nicht mehr als eine historische Episode? Dazu ist zunächst die
Essenz der Wiener Schule zu bestimmen. Wenn man die Denker dieser
Tradition vergleicht, findet man einen lebhaften Diskurs,
unterschiedlichste Zugänge und Schlüsse, durchaus auch viel
Widerspruch. So besehen, ist die Wiener Schule keine geschlossene
Lehre. Vielmehr handelt es sich um ein Forschungsprogramm, das seine
besondere Fruchtbarkeit gerade dort zeigt, wo es sich an
vorherrschenden Zugängen reibt. Carl Mengers besondere Leistung
wird dort deutlich, wo er sich vom Hegelianismus der jüngeren
historischen Schule abhebt, wo er – Wissenschaftler durch und durch –
sich vorbehaltlos realen Phänomenen nähert, um diese zu verstehen,
nicht bloß zu beschreiben. Zugleich ist aber auch säkularer Forscher in
einem katholischen Umfeld, hat liberale Sympathien, paßt nicht in die
Schubladen. Menger war ein unbequemer Zeitgenosse, manchmal spricht aus
seinen Schriften sogar Wut; wie die meisten anderen Vertreter der
Wiener Schule ist er ein Aristokrat, der so unangepaßt ist, daß er den
Adelstitel nicht führt, gar als „Ghostwriter“ ein Pamphlet gegen den
Adel verfaßt, der ihm viel zu bequem und träge geworden ist. Ganz
ähnlich Ludwig von Mises: Einer der vielen Widersprüche dieser
Person liegt darin, daß Mises in seinem Auftreten durch und durch
aristokratisch ist, und doch ein antiaristokratischer Liberaler.

Überall
dort, wo Vertreter der Wiener Schule Teil des Nomenklatur wurden,
verschwand augenblicklich das Außergewöhnliche ihres Zugangs, werden
sie alsbald ununterscheidbar, sind sie bloß noch namhafte
Mainstream-Ökonomen, aber nicht mehr. Überall dort, wo sie aufgrund
ihrer Persönlichkeit, der Wirren der Geschichte oder ihrer Ideologie
außerhalb des Establishments stehen, sind sie wissenschaftliche
Pioniere, von denen die Geistesgeschichte Ihresgleichen sucht.
Angesichts der unglaublichen Breite ihres Denkens, der
unterschiedlichen Aspekte und Zugänge, der Widersprüche findet sich die
wesentliche Essenz der Wiener Schule genau darin: Es handelt sich um
ein Forschungsprogramm, das nicht im Dienste der Macht steht – und wo
es in diesen Dienst genommen wird, entschwindet es sogleich. Während
die Kathedersozialisten der historischen Schule Machtlegitimierung
betreiben, ist Carl Menger keinesfalls anti-historisch, sondern
österreichisch geprägter Realist statt preußischer Idealist,
Wissenschaftler statt Politiker, Theoretiker der Gesellschaft statt
„Pragmatiker“ der Macht. So kontrastiert Menger „organische“ und
„pragmatische“ Institutionen, um die subtile Blasphemie gegen
Machtinteressen zu begehen, daß er die wichtigsten menschlichen
Institutionen als „organisch“ versteht, d.h. weder auf Idee noch Wille
eines Führers oder eines mystischen Volksgeistes zurückführt, sondern
allein auf das reale Phänomen menschlichen Handelns. Böhm-Bawerk
wiederum stand wie später Mises im Widerstreit zum erstarkenden
Sozialismus. Wegweisend ist sein Aufsatz Macht oder ökonomisches Gesetz?,
in dem er getreu dem Forschungsprogramm der Wiener Schule die
Erkenntnis der Realität als unbequemes Korrektiv der Macht illustriert.


So gelangt man zum paradoxen Schluß: Wäre in Österreich der Liberalismus nicht untergegangen, wäre die Wiener Schule tatsächlich
nicht
mehr als eine Episode der Wissenschaftsgeschichte. Solange Liberale
nicht an der Macht sind, erscheint ihre Ideologie machtkritisch. Die
liberalen Exponenten der Wiener Schule wie Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek
standen daher im Widerstreit zum Staate und blieben zum Glück entfernt
von jeder Machtposition. In den USA fanden sie nach der Vertreibung aus
Österreich Aufnahme durch jene Minderheit, die damals dem
sozialdemokratischen Faschismus Roosevelts trotzte und daher liberale
Denker stützte.

Aus diesem Grunde erfolgte leider in den USA
auch eine Überlagerung der Wiener Schule mit US-amerikanisch geprägter
liberaler Ideologie („libertarianism“), sodaß diese heute kaum noch
auseinandergehalten werden. Dies ist verheerend für die Wahrnehmung in
Europa und die Fortführung dieses Forschungsprogramm, denn Ideologie
und Wissenschaft vertragen sich nicht. Gleichwohl kann Ideologie in
einem bestimmten historischen Kontext der Erkenntnis eine Schutzschicht
bieten, indem sie ein Forschungsprogramm vor Opportunisten und
Machthabern tarnt und bewahrt.

Doch die bleibende Bedeutung der
Wiener Schule liegt genau dort, wo sie nicht bloßer Deckmantel für
Ideologie ist, ob neoliberal, altliberal oder interventionistisch,
sondern Wissenschaft im Sinne des tieferen Verständnisses realer
Phänomene. Daß der Wissenschaftler in diesem Sinne oft ausruft „Der
Kaiser ist nackt!“ darf dabei nicht als ideologische Feindschaft
gegenüber dem Kaiser (heute dem „Staat“) ausgelegt werden. Es handelt
sich dabei um die nötige Folge jeder kritischen, unabhängigen Mehrung
des Wissens, daß etablierte Glaubenssätze und – meist noch wichtiger,
da noch mehr Mut erfordernd – gleichfalls moderne Irrtümer verworfen
werden, wenn sie sich als falsch erweisen.