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Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie.

Vorwort
Inhalt.
Erster Brief.
Zweiter Brief.
Dritter Brief.

Erster Brief.

1 Sie schreiben mir, mein Freund, dass die ebenso unüberlegte als herausfordernde Kritik, welche meine “Untersuchungen über die Methode”(1) in dem Berliner Jahrbuche für Gesetzgebung Seitens des Herausgebers gefunden haben(2), am besten mit jenem Stillschweigen zu übergehen sei, welches die wirksamste Antwort auf Angriffe der obigen Art bilde.

Wer mein Buch auch nur flüchtig gelesen habe, werde von selbst entnehmen, inwieweit die Angriffe Schmoller’s auf Sachkunde und Unbefangenheit beruhen, und sich darnach sein Urtheil bilden. Aber auch bei jenen, welche meine “Untersuchungen” nicht kennen, würde seine Kritik der richtigen Würdigung begegnen; rühre sie doch von einem Manne her, dessen wissenschaftliche Erudition, trotz seiner unablässigen Hinweise auf die historischen und philosophischen 2 Studien, denen er sich hingebe, auf die Vorlesungen über Methodik “zu welchen er sich eben rüste” u. dgl. m., in ernsten Gelehrtenkreisen bereits seit langem nach Gebühr gewürdigt werde. Recensionen von jener Art, wie sie Schmoller seit Jahren ohne genügende Orientirung, voll Invectiven und offenbar ohne das geringste Gefühl der Verantwortlichkeit der Oeffentkeit übergebe, seien bei jenen sachkundigen Lesern, welche wir bei wissenschaftlichen Publicationen doch zunächst im Auge haben, unschädlich, jede Erwiderung auf dieselben unter der Würde eines ernsten Gelehrten.

Erlauben Sie mir, mein Freund, in der obigen Rücksicht denn doch in etwas anderer Meinung zu sein. Zwar darüber, ob dergleichen Kritiken für die Autoren der recensirten Werke schädlich oder unschädlich seien, möchte ich in keine Discussion treten. Fassen sie dieselben für den Autor immerhin als unschädlich, ja geradezu als erheiternde Zwischenfälle des Gelehrtenlebens auf. Daraus scheint mir indess noch keineswegs zu folgen, dass man dieselben gänzlich unbeachtet lassen solle. Was für den Autor einer Schrift nicht schädlich ist, kann unter Umständen der von ihm vertretenen Sache abträglich sein; und wäre selbst dies nicht der Fall, warum sollten wir es verschmähen, das, was einer uns am Herzen liegenden Sache unschädlich ist, im Dienste derselben zu verwerthen? Kritiken sachkundiger Autoren nützen uns, indem sie uns berichtigen und belehren und dadurch die wissenschaftliche Discussion vertiefen. Warum sollten Kritiken von der Art jener, die Schmoller veröffentlicht, nur unschädlich sein und nicht auch einen Nutzen gewähren, wenngleich, wie selbstverständlich, einen solchen ganz anderer Art?

3 Ein jedes Werk hat ein gewisses geistiges Niveau, unter welches der Autor nur mit Widerstreben herabsteigt. In mathematischen Schriften wird nicht jede Formel aufgelöst, in juristischen Werken die Kenntniss des positiven Rechtes, in wissenschaftlichen Schriften überhaupt leicht mancherlei Fertigkeit und Wissen vorausgesetzt. Hierin liegen indess von jedem einsichtigen Autor peinlich genug empfundene Schranken für das Verständniss und die Verbreitung seiner Ideen. Flache, von unkundigen Kritikern gegen uns gerichtete Angriffe bieten uns nun aber die erwünschte Gelegenheit, jene Schranken zu erweitern, und zwar in um so wirksamer Weise, je näher unser Beurtheiler in den behandelten Fragen dem hierin minder orientirten Lesepublikum steht und je rücksichtsloser derselbe gegen uns aufzutreten vermeint.

In Recensionen dieser Art werden gegen die Ergebnisse unserer Forschung Einwände erhoben, die dem Autor wohl selbst vorgeschwebt, welche er indess, um ihrer für den Sachkundigen augenfälligen Unrichtigkeit willen, zu beantworten unterlassen hat. Werden dieselben indess von einem Kritiker, und zwar, wie dies zumeist der Fall zu sein pflegt, mit nicht geringem Nachdrucke vorgetragen, so sind wir in der Lage, uns mit ihrer Widerlegung befassen zu können, ohne doch der Achtung, welche wir den Lesern gelehrter Schriften schuldig sind, allzu nahe zu treten. Einwendungen und Angriffe der obigen Kategorie bieten uns solcher Art die Gelegenheit, unsere Ideen bis zu einem Grade der Gemeinverständlichkeit zu erheben, welcher in wissenschaftlichen Schriften sonst nicht gebräuchlich und für das eigentlich gelehrte Publikum auch überflüssig ist, in Rücksicht auf einen Theil des Leserkreises wissenschaftlicher Werke indess nicht jedes Nutzens entbehrt.

4 Aber noch einen anderen, ungleich grösseren Dienst erweisen uns Kritiken von jener Art, von welchen ich hier spreche. Es werden in denselben Einwände erhoben, welche so fern ab von den Gedankenkreisen ernster Gelehrter liegen, dass Niemand, welcher in der Sache einigermassen orientirt ist, am wenigsten der Autor eines Werkes selbst auf dieselben zu verfallen vermöchte, welche indess durch eine merkwürdige Zusammenstimmung der Geister in den Köpfen aller oberflächlichen und mit den behandelten Materien nicht genügend vertrauten Leser wissenschaftlicher Werke zu entstehen pflegen.

Durch Kritiken dieser Art gelangen wir in dankenswerthester Weise zur Kenntniss der gröbsten Missverständnisse, welchen unsere Schriften in gewissen Leserkreisen ausgesetzt sind und erlangen auf diese Art die erwünschte Gelegenheit, denselben wirksam zu begegnen. Kritiken von jener Kategorie, von welchen ich hier spreche, spielen in der wissenschaftlichen Discussion solcherart gleichsam die Rolle jener gewissen Figur in der italienischen Komödie, welche durch ihre halb missverständlichen, halb bösartigen Einwürfe die Entwicklung der Handlung zu hemmen scheint, sie jedoch in eben so wirksamer als erheiternder Weise fördert.

Freilich, dass ein Schriftsteller von bekannterem Namen, und in mehr als einer Rücksicht anerkennenswerthem Verdienste, dem auf die Verbreitung seiner Ideen bedachten Autor eines Werkes dadurch hilfreich beispringt, dass er in der wissenschaftlichen Discussion eine Rolle so secundärer Natur übernimmt, ist nicht eben häufig; geradezu ein Glücksfall, wenn unser Gegner durch die äusseren Machtmittel, die er in seinen Händen vereinigt, und durch die Art, in welcher er 5 sich derselben bedient, ein von den Kleinen und Furchtsamen gepriesener, von den Stärkeren klug beschwiegener Gelehrter ist; denn mit dem Interesse an der Förderung unserer wissenschaftlichen Bestrebungen verbindet sich dann jenes an der Säuberung der Literatur von dem Einflusse eines flachen, für die hohen Aufgaben wissenschaftlicher Kritik nicht berufenen Recensententhums.

Und diese von dem Herausgeber der Berliner Jahrbücher in so unbeabsichtigter Weise mir dargebotene Gelegenheit zur Beseitigung einer Reihe von Missverständnissen und Irrthümern über die grundlegenden Probleme unserer Wissenschaft, vielleicht auch zur Behebung mancher anderer “historisch gewordener” Hindernisse einer sachgemässen wissenschaftlichen Discussion auf dem Gebiete der Nationalökonomie in Deutschland, sollte ich so völlig unbenützt an mir vorübergehen lassen?


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(1) C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften und der politischen Oekonomie insbesondere. Leipzig, bei Duncker & Humblot, 1883.

(2) G. Schmoller, “Zur Methodologie der Staats- und Socialwissenschaften” im Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im deutschen Reiche. Leipzig bei Duncker & Humblot, 1883, pag. 239-258.