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Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie.

Vierter Brief.
Fünfter Brief.
Sechster Brief.
Siebenter Brief.
Achter Brief.

Sechster Brief.

29 Hätte Schmoller die fundamentale Verschiedenheit der historischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft einerseits und der politischen Oekonomie andererseits, und insbesondere jene Verschiedenheit, welche zwischen den historischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft und der theoretischen Volkswirthschaftslehre besteht, ohne Umschweife zugestanden und nicht vielmehr eine offenliegende Wahrheit durch allerhand Ausflüchte zu verdunkeln versucht, so würde sich allerdings auch dann noch eine Differenz zwischen meinen Ansichten über das Verhältniss der Geschichte zu der politischen Oekonomie und den seinen herausgestellt haben.

Dass die Geschichte und die Statistik der Volkswirthschaft zur politischen Oekonomie überhaupt und zu dem theoretischen Theile der letzteren insbesondere lediglich im Verhältnisse von Hilfswissenschaften stehen, von diesen letztern streng zu unterscheidende Wissenschaften seien, darüber vermag unter einigermassen sachkundigen Beurtheilern allerdings kein vernünftiger Zweifel zu bestehen; ebensowenig aber auch darüber, 30 dass die historischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft, nicht nur an und für sich, sondern auch in der obigen Rücksicht, das ist als Hilfswissenschaften der politischen Oekonomie von Wichtigkeit seien. Es gibt keine Hilfswissenschaft, deren Nutzbarmachung für die Zwecke der Forschung auf dem Gebiete jener Disciplin, zu welcher sie sich in dem hier in Rede stehenden Verhältnisse befindet, nicht von einer gewissen Bedeutung wäre. Dies liegt schon in der Anerkennung derselben als Hilfswissenschaft der betreffenden Disciplin. So wenig Jemand den Charakter der historischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft als Hilfswissenschaften der politischen Oekonomie zu leugnen vermag, so wenig wird er die Bedeutung derselben für die Forschung auf dem Gebiete dieser letztern in Abrede stellen können.

Eine wesentlich andere Frage ist jedoch diejenige nach dem relativen Masse der Berechtigung einzelner Richtungen der Forschung auf einem bestimmten Gebiete der Erscheinungswelt. Kein Vernünftiger wird bezweifeln, dass in dieser Rücksicht die Möglichkeit der Unterschätzung, aber auch eine solche der Uebertreibung vorhanden sei.

Nun weiss ich sehr wohl, dass unter allen Aufgaben, welche die wissenschaftliche Discussion darbietet, keine schwieriger ist, als die richtigen Grenzen wissenschaftlicher Bestrebungen festzustellen. Alle Wissenschaft ist ihrer Idee nach unendlich; jede, wenn auch noch so einseitige Uebertreibung einer wissenschaftlichen Richtung hat ihren Nutzen und deshalb, von einem gewissen Standpunkte, ihre Berechtigung. Niemand fällt es demnach auch bei, zu behaupten, dass selbst die einseitigste Hingabe der Vertreter unserer Wissenschaft an historische 31 Studien für die Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie jedes wie immer gearteten mittelbaren Nutzens entbehre. All’ dies steht, wie gesagt, für keinen in der wissen- schaftlichen Forschung auch nur einigermassen Erfahrenen in Frage.

Was dagegen nicht minder feststeht, ist der Umstand, dass die Zahl der Bearbeiter einer Wissenschaft in jedem Volke und in jedem Zeitalter eine begrenzte ist, und der Unendlichkeit wissenschaftlicher Aufgaben keine gleich unendliche Fähigkeit zur Lösung derselben gegenübersteht. Jede einseitige Uebertreibung einzelner, wenn auch berechtigter Richtungen der Forschung ist demnach mit einer ebenso einseitigen Vernachlässigung anderer gleichbedeutend, und in diesem Sinne müsste die nahezu ausschliessliche Hingabe vieler deutscher Volkswirthe an historische Forschungen unter allen Umständen, d. i. selbst dann als eine verderbliche Einseitigkeit betrachtet werden, wenn die „Geschichte der Volkswirthschaft“ in der That ein Theil der „politischen Oekonomie“ wäre; dieselbe müsste auch unter der obigen Voraussetzung als eine Einseitigkeit, und zwar als eine verderbliche Einseitigkeit bezeichnet werden, weil sie mit einer ebenso einseitigen Vernachlässigung der theoretischen Forschung auf dem Gebiete unserer Wissenschaft nothwendig parallel läuft, während doch eben die theoretische Nationalökonomie, um ihres zurückgebliebenen Zustandes willen, dringend der Reform bedarf.

Nun ist aber die Geschichte der Volkswirthschaft kein Theil, sondern eine Hilfswissenschaft der politischen Oekonomie — eine nützliche, eine unentbehrliche Hilfswissenschaft, indess doch nur eine Hilfswissenschaft, und die nahezu ausschliessliche Hingabe 32 der gelehrten deutschen Volkswirthe an die Bearbeitung derselben demnach eine so klar in die Augen fallende Einseitigkeit, dass es unbegreiflich ist, wie hier auch nur ein Gegensatz der Meinungen zu entstehen vermochte.

Glauben Sie, dass nach dem hier Gesagten noch irgend ein vernünftiger Zweifel über meine Stellung zu der obigen Frage möglich sei? Für denjenigen, dem es um die Wahrheit zu thun ist, sicherlich nicht.

Lassen wir, mein Freund, indem wir die Einseitigkeiten der historischen Schule deutscher Volkswirthe bekämpfen, unsere Gegner deshalb immerhin über Verkennung ihrer Verdienste auf dem Gebiete der Geschichtsforschung, ja darüber klagen, dass uns die Bedeutung der letztern für unsere Wissenschaft nicht klar sei; kein irgendwie besonnener und unbefangener Beurtheiler wird indess fürderhin darüber im Zweifel sein können, dass Schmoller durch dergleichen Behauptungen nur den eigentlichen Gegenstand der Discussion zu umgehen sucht.

Was ich bekämpfe, ist die obige Einseitigkeit der historischen Schule; wofür ich eintrete, die Wiedereinsetzung aller berechtigten Richtungen menschlichen Erkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. Nicht ich trage die „Scheuleder wissenschaftlicher Arbeitstheilung“.(1)

„Wer unbefangen, insbesondere nicht als Vertreter einer einseitigen Richtung engagirt, Menger’s Darlegung auf sich wirken lässt, wird aus derselben die volle Würdigung der wechselseitigen 33 Bedingtheit aller Forschungsrichtungen als Ausfluss der Veranlagung unseres Geistes entnommen haben.“(2)

Wer dagegen eben so unbefangenen Geistes Schmoller’s literarischer Thätigkeit folgt, wird aus dem halben Dutzend Schriften, das er bisher über die Entwicklung der Strassburger Gewerbeverhältnisse veröffentlicht hat, sicherlich nichts weniger, als den Eindruck der Universalität, gewonnen haben.

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(1) Vgl. meine Untersuchungen S. XVIII. ff.

(2) E. Sax, Das Wesen und die Aufgaben der Nat.-Oek. Wien, 1884. S. 32.