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1910-1919

Rede auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik in Regensburg (1919)
Der Wiedereintritt Deutsch-Österreichs in das Reich und die Währungsfrage (1919)
Rezension: Die Entwicklung der deutschen und französischen Großbanken von Dr. Walter Huth (1919)
Einstellung der Notenvermehrung oder Devisenverordnungen (1919)
Über Kriegskostendeckung und Kriegsanleihen (1918)

Rede auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik in Regensburg (1919)

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Quelle: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 159. Band: Verhandlungen der Generalversammlung in Regensburg 15. und 16. September 1919, S. 84. Bei Interesse an Band 159 des Vereins für Sozialpolitik wenden Sie sich bitte an buchausgabe.de für nähere Auskunft zur Lieferfähigkeit und zum Preis.

Meine Damen und Herren! Der schöne Saal, in dem wir unsere Tagung abhalten, bietet wohl den besten Rahmen, den man sich für Beratungen über den Wiedereintritt Deutsch-Österreichs in das Deutsche Reich denken kann, und es wäre auf das freudigste zu begrüßen, wenn etwas von dem alten Geiste der Reichseinheit in unsere Verhandlungen übergehen könnte. Was wir jedoch für heute und für alle weiteren Verhandlungen vermieden wissen wollen und vermeiden müssen, das ist die Wiederkehr jenes Geistes der Uneinigkeit und des Partikularismus, des Handelns und Schacherns bei Vertragsabschlüssen, der das alte Deutsche Reich und den Deutschen Bund gekennzeichnet hat, der sich aber auch im neuen Deutschen Reich gezeigt hat in den Verhandlungen über Reservatrechte und Sonderinteressen, und der während des Krieges das Verhältnis zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reiche getrübt hat. Wenn Deutsch-Österreich wieder in das Deutsche Reich eintreten soll, so ist das kein wirtschaftspolitischer, sondern ein allgemein politischer Entschluß, den beide fassen, ohne sich dabei um Vorteile und Nachteile, die für den Augenblick daraus erwachsen können, zu kümmern. Es geht nicht an, gewissermaßen eine Bilanz aufzustellen und zu erklären, man werde unter diesen oder jenen Bedingungen mehr oder weniger zu zahlen haben. Man darf die Sache nicht von einem solchen Standpunkt aus betrachten; man würde damit in die künftige Gemeinschaft von vornherein Reibungen und Zwistigkeiten hineintragen. Der Anschluß ist eine politische Forderung und keine wirtschaftspolitische.

Diese Einschränkungen muß ich vorausschicken, wenn ich daran gehen will, einige Aktiva der deutsch-österreichischen Volkswirtschaft aufzuzählen, die bisher keine Erwähnung gefunden haben. Ich tue es nicht, weil ich glaube, daß der Anschluß davon abhängt, ob solche Aktiva in genügend großer Zahl vorhanden sind, sondern weil ich der Meinung bin, daß wir hier ein richtiges Bild von der deutsch-österreichischen Volkswirtschaft bekommen wollen, und daß es, um der Wahrheit die Ehre zu geben, notwendig ist, die meines Erachtens zu düstere Schilderung der deutsch-österreichischen Wirtschaftslage in einigen Punkten richtigzustellen. Ich glaube, daß man bei der Besprechung der deutsch-österreichischen Volkswirtschaft nicht genügend Rechnung getragen hat der deutsch-österreichischen Qualitätsindustrie, die vor allem in der Stadt Wien konzentriert ist. Sie ist im Kriege in schweren Notstand geraten, da die Kriegswirtschaftspolitik sie, die keinerlei Material für die Kriegsführung produziert, lahmgelegt hat; sie ist auch bis heute noch nicht in die Lage gekommen, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen, weil die merkantilistische Devisenpolitik es ihr unmöglich macht, sich die Rohstoffe und Halbfabrikate, die sie benötigt, zu beschaffen. Aber es ist kein Zweifel, daß diese Industrie, sobald man die nur wieder wird arbeiten lasen, auch in der Lage sein wird, ihre alte Höhe wieder zu erreichen.

Ein zweites Aktivum der deutsch-österreichischen Volkswirtschaft ist der reiche Besitz an Wertpapieren und sonstigen Vermögensanlagen in den neu entstandenen Nationalstaaten. Allein in Ungarn dürfte der deutsch-österreichische Besitz 15-20 Milliarden Kronen betragen. Augenblicklich tritt die Bedeutung dieses Besitzes für die deutsch-österreichische Volkswirtschaft nicht in Erscheinung, da das System der Kompensationsverträge keinen Raum läßt für die Bezahlung der Zinsen, Dividenden und Geschäftsgewinne. Solange Verträge in Kraft stehen, die verlangen, daß Wareneinfuhr und Warenausfuhr sich im Werte decken und die Überschüsse bar beglichen werden, muß eine Stockung in der Erfüllung der schuldnerischen Verpflichtungen eintreten. Doch das kann keine dauernde Erscheinung sein. Früher oder später wird man zu einer Regelung des Verkehres übergehen müssen, die wieder die Möglichkeit bietet, aus der Gläubigerstellung Deutsch-Österreichs auch andere materielle Vorteile zu ziehen als den der Veräußerung der Forderungstitel, der heute allein daraus gezogen werden kann.

Ein drittes Aktivum Deutsch-Österreichs ist die in Wien konzentrierte Organisation des Handels nach den neuen Nationalstaaten und nach dem Balkan. Allein diese Organisation hat es bisher der sudetenländischen Industrie ermöglicht, ihre Waren nach Ungarn, Galizien und dem Balkan zu bringen. Ohne diese Organisation wird sie auch in Hinkunft nicht in der Lage sein, Absatz zu finden. Ob der tschecho-slowakische Staat will oder nicht, er wird sich des Wiener Handels bedienen müssen.

Das sind drei Aktiva der deutsch-österreichischen Volkswirtschaft, die man in Betracht ziehen muß, wenn man von den zukünftigen Aussichten unserer Volkswirtschaft spricht. Es sind Aktiva, die aus der Vergangenheit herstammen und Zukunftsmöglichkeiten bieten. Man darf sie deswegen nicht unterschätzen, weil sie für den Augenblick ziemlich wertlos scheinen. Denn das ist nur eine vorübergehende Erscheinung. Es kann kein Zweifel sein, daß in dem Augenblicke, in dem sie ihre Bedeutung wieder entfalten können, der Vorteil davon nicht nur Deutsch-Österreich sondern der ganzen deutsch-österreichischen Volkswirtschaft zugute kommen wird. Dann werden Wien und Deutsch-Österreich wieder aktive Glieder der deutschen Volkswirtschaft sein, dann wird man nicht mehr sagen können, daß die Stadt Wien nichts anderes ist als ein Schmarotzer am großen deutschen Wirtschaftskörper.