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1910-1919

Zur Wiedereinführung des börsenmässigen Valutahandels (1919)
Stadt und Land in der direkten Besteuerung (1919)
Richard Lieben als Nationalökonom (1919)
Über die im Hinblick auf das Fortschreiten der Geldentwertung zu ergreifenden Maßnahmen (1919)
Geldentwertung und Staatshaushalt (1919)

Stadt und Land in der direkten Besteuerung (1919)

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Quelle: Neues Wiener Tagblatt Nr. 324 und 326, 27./29. November 1919; der Artikel ist abgedruckt im Buch “”http://www.buchausgabe.de/public_products/Der-unbekannte-Mises-Friedrich-A-v-Hayek-Institut-Kurt-R-Leube-Ludwig-von-Mises-167">Der unbekannte Mises", erhältlich bei buchausgabe.de.

Vor dem Kriege ruhte in Oesterreich die Hauptlast der Besteuerung auf den Schultern der städtisch-gewerblichen Bevölkerung. Die Grundbesitzer trugen verhältnismäßig wenig zu den Staatseinnahmen bei. Es ist charakteristisch, daß, während der Ertrag aller anderen direkten und indirekten Steuern sich seit Jahrzehnten in scharf aufsteigender Richtung bewegte, allein die ländliche Gebäudesteuer, die Hausklassensteuer in ihrem Ertrag ungefähr stabil blieb und die Grundsteuer in ihrem Ertrag sogar zurückgegangen ist. Von dem im Jahr 1913 zur Einkommensteuer veranlagten Bruttoeinkommen waren nur 7,25 Prozent Einkommen aus dem Grundbesitz, ein Verhältnis das durchaus nicht dem relativen Stand des agrarischen Einkommens gegenüber dem nichtagrarischen entsprochen hatte. Im Kriege hat man wohl die Besteuerung des Grundbesitzes ein wenig erhöht. Man darf aber nicht vergessen, dass durch die Geldentwertung allein das Ausmaß der ländlichen Ertragssteuern, die im Gegensatz zu den wichtigsten städtischen Steuern in festen Sätzen zur Vorschreibung gelangen, auf einen kleinen Bruchteil der ursprünglichen Höhe herabgesetzt wurde. Nimmt man den gegenwärtigen Stand der Valutenkurse und der Preise zum Ausgangspunkt, so kann man sagen, dass die Grundsteuer dann so hoch wäre wie sie im Jahre 1913 war, wenn sie mehr als das zwanzigfache der damaligen Sätze ausmachen würde. Tatsächlich ist die Grundsteuer durch die Kriegszuschläge nicht einmal verdoppelt worden. Der Landwirt ist heute im Durchschnitt nicht viel weniger wohlhabend als vor dem Kriege; war er verschuldet gewesen, dann hat er durch das Sinken des Geldwertes sogar gewonnen. Aber an Steuern zahlt er, wenn man die Geldentwertung in Rechnung stellt, heute viel weniger als er 1914 zu zahlen hatte. Denn auch Kriegssteuer ist ihm nur ausnahmsweise vorgeschrieben worden, und die ländlichen Einkommensteuervorschreibungen sind weit hinter dem nominellen Steigen der Grundrente zurückgeblieben.

Nur in einer Richtung ist eine Erhöhung der Besteuerung der Grundrente erfolgt. In einer vom finanztechnischen Standpunkte als roh zu bezeichnenden Weise ist eine besondere Besteuerung des dem Großgrundbesitze gehörigen Waldes geschaffen worden. Durch die öffentliche Holzbewirtschaftung wird dem Waldbesitzer die Möglichkeit genommen, den ganzen Holzpreis, den er unter den gegenwärtigen Verhältnissen des Weltmarktes erzielen könnte, für sich zu beziehen; ein recht beträchtlicher Teil davon fließt öffentlichen Körperschaften zu. Man muss gegen diese Art von Besteuerung, ganz abgesehen davon, dass sie in einer verfassungsrechtlich zumindest nicht einwandfreien Form begründet wurde, vor allem das vorbringen, dass sie dem ersten und wichtigsten finanzpolitischen Grundsatze, dem der Bestimmtheit der Steuer, geradezu ins Gesicht schlägt, indem sie Tür und Tor der Willkür der Funktionäre frei lässt. Man muss gegen sie weiter den schweren Vorwurf erheben, dass ihre Einhebung unverhältnismässig viel kostet und dass die reichen Erträge, die sie abwirft, zum größten Teile nicht dem Staate zugute kommen und eigentlich auch nicht den Ländern, sondern kontrollosen Stellen zufließen, die sie für verschiedene Wohlfahrtsaktionen verwenden. Das erste Ziel einer halbwegs vernünftigen Finanzpolitik müsste es sein, diesen unhaltbaren Zuständen ein Ende zu bereiten. Die Waldbesteuerung müsste zur Gänze inkameriert werden, dann könnte sie zu einem brauchbaren Gliede unsres Steuersystems werden. Bisher sind aber alle dahin zielenden Bemühungen an dem Widerstande der Länder und der Landeswirtschaftsdiktatoren gescheitert.

Denn darüber hinaus muß man sich doch endlich klar werden, daß eine Sanierung unseres Staatshaushaltes nur möglich ist, wenn man den Grundbesitz zur Besteuerung heranzieht. Die land- und forstwirtschaftliche Bodenrente bildet, wenn man von den Erz- und Magnesitvorkommen und einigen weniger wichtigen Mineralfundstätten absieht, neben den noch unausgebauten Wasserkräften den einzigen natürlichen Reichtum unsres Landes, und es ist eine Anomalie, dass die Landwirte ihr überkommenes Privileg, viel weniger Steuern zu zahlen als die städtische Bevölkerung, im Kriege noch beträchtlich erweitert haben.

Die Landwirte klagen darüber, daß sie durch die Aufbringungsvorschriften genötigt werden, einen Teil ihrer Erzeugnisse zu einem tief unter dem Marktpreise liegenden Preise der in der Regel nicht einmal die Gestehungskosten deckt, an die staatlichen Bewirtschaftungsstellen zu überlassen. Diese Klagen sind nicht unberechtigt.

Die Klagen der Landwirte über die irrationellen Aufbringungsvorschriften sind, wie im ersten Artikel ausgeführt, nicht unberechtigt. Wie jeder Schritt, den unsere Wirtschaftspolitik im Kriege unternommen hat, verfehlt war, so war es eben auch die der Landwirtschaft gegenüber eingeschlagene Politik. Statt entsprechend dem Steigen der Preise der Agrarprodukte die Besteuerung der Landwirtschaft auszubauen, hat man es vorgezogen, die Grundbesitzer zu Naturalabgaben zu verhalten. Die Generalstäbler und anderen Dilettanten, die für diese Politik die Verantwortung tragen, haben freilich alle jene Gründe nicht gekannt, die die Finanzwirtschaft schon seit Jahrhunderten zur Aufgabe der Naturalleistung und zum Uebergang zur Geldbesteuerung veranlasst haben. Sie haben nicht beachtet, dass die Naturalleistung, die auf dem Bruttoertrag des Grundstückes und nicht auf dem Reinertrag aufgebaut wurde, die einzelnen Besitzer ungleichmäßig belastet. Die Verschiedenheit der Belastung erzeugt aber immer grosse Widerstände. Die Eintreibung von Naturalleistungen ist außerordentlich schwierig und kaum kontrollierbar, während für die zwangsweise Eintreibung von Geldleistungen sich in der Finanztechnik im Laufe der Zeit feste, brauchbare Formen herausgebildet haben.

Das Ergebnis der Aufbringung ist in den einzelnen Gegenden sehr verschieden; in manchen Gegenden bringt sie wenig ein, in anderen wieder wird sie durch lokale Machtverhältnisse recht ertragreich. Gerade von diesen Gegenden aber fließt am wenigsten nach den Zentren der städtisch-gewerblichen Bevölkerung. Die Tatsache, dass bereits einige Wochen nach der Einbringung der Ernte in den Städten Lebensmittelmangel herrscht, beleuchtet wohl am besten dieses System.

Die Aufhebung der zwangsweisen Aufbringung landwirtschaftlicher Produkte wird unter dem Zwange der Verhältnisse wohl über kurz oder lang erfolgen müssen. Sie mit einer gründlichen Reform der gesamten Besteuerung des landwirtschaftlicher Ertrages zu verbinden, müsste die Aufgabe einer zielbewussten Finanzpolitik sein.

Während so die Steuerlast der Landwirte auf einen Bruchteil der ohnehin schon geringen Steuerlast, die sie vor dem Kriege zu tragen hatten, gebracht wurde, ist die städtische Bevölkerung durch die Kriegsfinanzpolitik geradezu ausgepresst worden.

Das umlaufende Kapital der kaufmännischen und industriellen Unternehmungen wird immer wieder in Geld umgesetzt und passiert immer wieder in Geldform die Geschäftsbücher. je mehr die Geldentwertung fortschreitet, desto größer wird der Geldausdruck derselben Kapitalsmenge. Da nun alle Buchhaltung von der stillschweigenden Annahme ausgeht, daß der Geldwert unveränderlich ist, erscheint die Erhöhung des Geldausdruckes in der Bilanz als Gewinn. Der Kaufmann, der sein Warenlager mehrmals im Jahre umsetzt, erzielt, solange die Geldentwertung fortschreitet, außer dem Gewinn, den er sonst erzielt hätte, nominell auch noch dadurch einen Gewinn, daß mittlerweile der in Geld ausgedrückte Wert seines Warenlagers schon wegen der Geldentwertung gestiegen ist. Das ist die wichtigste Quelle der sogenannten Kriegsgewinne. Sie waren gar keine wirklichen Gewinne, sondern zum größten Teil nur Veränderungen des Geldausdrucks infolge der Veränderungen des Geldwertes. Gewiss wurden auch wirkliche Kriegsgewinne erzielt, denn für einzelne Personen und für ganze Branchen hat der Krieg günstige Bedingungen geschaffen. Aber in Oesterreich sind auch diese echten Kriegsgewinne, ganz abgesehen davon, dass sie durch die Besteuerung auf ein Minimum reduziert wurden, nur fiktive Gewinne gewesen, denn gerade die wichtigsten Heereslieferanten hatten beim Zusammenbruch viel größere Summen beim Aerar ausstehen, als sie während des Krieges verdient hatten. Da diese Außenstände so ziemlich als verloren bezeichnet werden können, kann man leicht berechnen, dass wirkliche Kriegsgewinne hierzulande nur von wenigen Städtern erzielt wurden.

Ein Kaufmann, der vor dem Krieg sein Geschäft mit einem Kapital von einer Million Kronen betrieben hat, brauchte heute, wenn man auch ganz davon absieht, daß die Warenpreise auch dem guten Gelde gegenüber gestiegen sind, mindestens 20 Millionen Kronen, um die Geschäfte in demselben Umfang zu betreiben wie vorher. Wenn er heute 20 Millionen sein eigen nennen würde, wäre er nicht um ein Haar reicher geworden, als er vor dem Kriege war. Die staatliche Steuerpolitik, die sich dem Städter gegenüber auf den Standpunkt gestellt hat, daß eine Krone stets einer Krone gleich sei, hat nun von dem, was sich über eine Million Kronen in seinem Besitze befindet, möglichst viel wegzusteuern gesucht und zum guten Teile auch weggesteuert. Nicht viel anders war das Verhalten der Steuerpolitik gegenüber dem fixen Kapital der Unternehmungen. Maschinen und sonstige Betriebseinrichtungen müssen in einer bestimmten Zeit erneuert werden. Für die Erneuerung sind heute ganz andere Kapitalien erforderlich, als sie vor dem Kriege benötigt wurden. Die Unternehmungen sind dazu kaum imstande, da ihnen durch die Wegsteuerung der Kriegsgewinne die Mittel entzogen wurden. Hätte der Staat die Bauern in derselben Weibe behandeln wollen, wie er die Industrie und die Kaufmannschaft, behandelt hat, so hätte er einem Bauer, welcher im Jahre 1914 20 Hektar Grundbesitz hatte, 15 bis 18 Hektar fortnehmen müssen.

Die Verkennung des eigentlichen Wesens der viel besprochenen Kriegsgewinne der Industrie und des Handels hat Fehler der Finanzpolitik veranlasst und ist politisch von größter Bedeutung geworden durch die Art und Weise, wie diese Scheingewinne in der politischen Agitation Verwendung gefunden haben. In der Beurteilung unserer Wirtschaftslage werden beständig Fehler gemacht, weil man sich über diesen wichtigen Punkt im unklaren befindet. Man verkennt, dass unsere Industrie und unser Handel mit, den allergrößten Schwierigkeiten zu kämpfen haben werden, um sich überhaupt behaupten zu können. Man muss sich darüber klar werden, daß in den nächsten Jahren von einer Besteuerung der industriellen und kaufmännischen Unternehmungen für die Finanzen des Staates kaum etwas zu erwarten ist. Der Staat hat in den Kriegsjahren und in dem Jahre, das seit Beendigung des Krieges verstrichen ist, davon gelebt, daß er den größten Teil des Kapitals der Industrie und des Handels im Wege der Besteuerung eingezogen und zu konsumtiven Zwecken verwendet hat. Das kann natürlich so nicht weitergehen.

Unsere städtische Bevölkerung kann nur vom Handel und von industrieller Tätigkeit für den Export leben. Handel und Industrie können wir heute, da das Kapital unserer Unternehmer auf einen verschwindenden Bruchteil jenes Wertes, den es vor Kriegsbeginn hatte, reduziert wurde, nur mit ausgiebiger Hilfe des Auslandes betreiben. Das ausländische Kapital aber wird nur hereinkommen, wenn es hier eine größere Rentabilität verbürgt findet als im Auslande. Das setzt voraus, dass unsere ganze Steuerpolitik auf eine völlig veränderte Grundlage gestellt wird.