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1920-1929

Die Abschaffung des Geldes in Russland (1920)
Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen (1920)
Zu Karl Mengers achtzigstem Geburtstag (1920)
Ernste Rückgänge der Valuta (1920)

Ernste Rückgänge der Valuta (1920)

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Quelle: Neue Freie Presse (Wien) Nr. 19907, 28. Januar 1920; der Artikel ist abgedruckt im Buch “”http://www.buchausgabe.de/public_products/Der-unbekannte-Mises-Friedrich-A-v-Hayek-Institut-Kurt-R-Leube-Ludwig-von-Mises-167">Der unbekannte Mises", erhältlich bei buchausgabe.de.

Der seit Monaten anhaltende unaufhörliche Rückgang der Devisen der europäischen Staaten, die am Krieg teilgenommen haben, hat gestern und heute in verschärftem Maße seine Fortsetzung genommen. In Zürich notiert die österreichische Krone nur noch 1,60, die deutsche Reichsmark und die czechische Krone 5,50, das Pfund 19,55, der französische Franc 42,75 und die Lira 37. Das sind Kurse, die man noch vor einem Jahre für ganz unwahrscheinlich gehalten hätte. Dem, der die tieferen Ursachen dieser Bewegung erkennt, ist der neue Kurssturz freilich nicht überraschend gekommen. Solange die Inflationspolitik fortgesetzt wird, werden die Kurse immer tiefer und tiefer sinken, bis sie schließlich bei jenem Punkte angelangt sein werden, über den hinaus es kein weiteres Fallen der Kurse mehr gibt, beim Nullpunkte. Die Geschichte kennt mehrere Beispiele eines solchen vollständigen Zusammenbruches einer Währung. Die bekanntesten sind der Zusammenbruch des sogenannten Kontinentalgeldes der nordamerikanischen Staaten im Jahre 1781 und der der französischen Assignaten und Territorialmandate in Jahre 1796. Wenn die europäischen Staaten nicht bald zu einer anderen Politik übergehen, dann werden sie eine ähnliche Katastrophe erleben. Freilich wären die Wirkungen einer solchen Katastrophe heute weitaus schwerer, als sie 1781 in den Vereinigten Staaten oder 1796 in Frankreich sein konnten, denn die Vereinigten Staaten waren 1781 und Frankreich 1796 vorwiegend agrarische Länder. Die Folgen eines Zusammenbruches müssen aber in einem industriellen Lande von einer ganz anderen Nachwirkung sein als in einem Lande, dessen Bevölkerung zum größten Teile noch tief in der Naturalwirtschaft steckt.

Besonders bemerkenswert ist der scharfe Rückgang des Markkurses. Die Mark steht heute nicht mehr höher als die czechische Krone. Mehr noch als auf die schon durchgeführte Inflation ist die ungünstige Beurteilung, welche die Reichsmark in den neutralen Ländern erfährt, auf die Befürchtung weiterer inflationistischer Maßnahmen in Deutschland zurückzuführen. Seit eineinhalb Jahrzehnten wird in Deutschland die inflationistische Theorie mit größtem Erfolge propagiert. Die Schriften von Knapp und Bendixen haben begeisterte Anhänger gefunden; man kann heute ruhig sagen, daß die von ihnen vertretenen Anschauungen in Deutschland in der Theorie die herrschenden sind und von allen in der Politik maßgebenden Praktikern geteilt werden. In der letzten Zeit hat Bendixen mit großem Eifer den Vorschlag propagiert, die gesamten deutschen Kriegsanleihen durch Neuausgabe von 100 Milliarden Mark neuer Reichsbanknoten „einzulösen”. Dieser Vorschlag, gegen den sich in Deutschland vorläufig nur wenig Opposition bemerkbar gemacht hat, hat im Auslande sofort die größte Beunruhigung hervorgerufen. Auf ihn ist der scharfe Rückgang des Markkurses in erster Linie zurückzuführen. Während des Krieges haben die neutralen Staaten für viele Milliarden deutsche Marknoten in spekulativer Absicht erworben. Diese Beträge wurden auch im Auslande trotz des für Deutschland ungünstigen Ausganges des Krieges festgehalten, da die Besitzer immer noch die Hoffnung hatten, das Deutsche Reich würde seine Währung nun in Ordnung bringen. Als sie sahen, daß die Vorschläge der Inflationisten in der deutschen Oeffentlichkeit nicht die genügende Zurückweisung fanden, begannen sie zu fürchten, daß eine weitere Verringerung der Kaufkraft der Mark eintreten werde, und suchten sich ihres Besitzes an Marknoten so rasch als möglich zu entledigen.

Daß die maßgebenden Kreise in Deutschland sich nicht darüber klar sind, daß die Ursache der Geldentwertung nirgends anders zu suchen ist als in der Inflation, zeigt auch der vor ungefähr vierzehn Tagen veröffentlichte Bericht der Valutakommission, die aus einer Anzahl von führenden Geschäftsmännern und einigen anderen Persönlichkeiten zusammengesetzt ist. Die Anträge, die die Kommission gestellt hat, glauben der Geldentwertung durch Verwaltungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Beschränkung des Außenhandels und Verschärfung der Devisenvorschriften, entgegentreten zu können. Auch dieser Bericht hat bei allen Kennern der Verhältnisse im In- und Auslande recht ungünstig gewirkt.

Dazu treten noch die schädlichen Wirkungen der deutschen Steuerpolitik. An Schärfe und Radikalismus lassen es ja die Erzbergerschen Steuergesetze durchaus nicht fehlen. Wenn sie in der Weise, in der sie Gesetz wurden, durchgeführt werden sollten, dann bedeuten sie nichts anders als eine Vernichtung der industriellen und kommerziellen Tätigkeit in Deutschland. Das deutsche Volk kann nur vom Export der Industrieartikel leben. Die industrielle Produktion aber wird durch die Erzbergerschen Steuergesetze vollständig gelähmt, der Kapitalszufluß aus dem Ausland, den die deutsche Industrie heute dringender als alles andere benötigt, wird unterbunden. Die Erzbergersche Finanzpolitik will sich gewaltsam der Erkenntnis verschließen, daß eine Aenderung der ungünstigen finanziellen Lage des deutschen Reiches nur durch eine vollkommene Aenderung der deutschen Wirtschaftspolitik herbeigeführt werden kann. Solange das deutsche Volk für Milliardendefizite aus öffentlichen Betrieben aller Art, Staatsbahnen, Heereswerkstätten und dergleichen, aufkommen soll, damit in diesen Betrieben die unwirtschaftliche Arbeitsart fortgesetzt werden kann, ist an eine Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Staatshaushalte nicht zu denken. Die dringendste staatsfinanzielle Frage ist heute die Abstoßung der deutschen Betriebe. Entstaatlichung und Entkommunalisierung der Betriebe sind aber heute herzlich unpopulär.

Dazu kommt die drohende Gefahr eines inneren Umsturzes. Auf der einen Seite wird das deutsche Volk vom Osten her durch die angekündigte bolschewistische Offensive, der der polnische Staat wohl kaum Widerstand leisten könnte, gefährdet, auf der anderen Seite bedrohen die Zukunft der deutschen Volkswirtschaft die grenzenlosen Forderungen, welche die Entente, vor allem das in seiner Rachsucht verblendete Frankreich, stellt. Wenn das deutsche Volk keine andere Aussicht mehr hat, als Jahrzehnte lang als Sklave Frankreichs zu arbeiten, dann ist es nicht unbegreiflich, daß sich in weiten Kreisen eine Stimmung verbreitet hat, die dem Bolschewismus kräftigsten Vorschub leistet. Ein deutscher Bolschewismus würde aber nicht nur den Untergang Deutschlands bedeuten, er würde auch die größten Gefahren für alle anderen europäischen Länder in sich bergen. Es ist sehr fraglich, ob Frankreich und Belgien in der Lage wären, den Bolschewismus von ihren Grenzen fernzuhalten, wenn er sich einmal in Deutschland eingenistet haben sollte. Sicher ist es jedoch, daß Italien und der czecho-slovakische Staat einem deutschen Bolschewismus erliegen würden. England und Frankreich werden erkennen müssen, daß sich das europäische Problem nicht in so einfacher Weise lösen lässt, wie es sich ihre Vertreter bei den Verhandlungen in Versailles und Saint-Germain vorgestellt haben. Man kann das deutsche Volk nicht in den Untergang treiben, ohne daß man ganz Europa mit in das Verderben hineinzieht. Eine Revision der Verträge von Versailles und Saint-Germain erscheint unabweislich nicht nur im Interesse des deutschen Volkes, sondern ebenso auch im Interesse aller anderen europäischen Völker, ja überhaupt im Interesse der Kultur der weißen Rasse.

Auch für unsere deutschösterreichische Politik stellen die Vorgänge auf dem Valutamarkte eine ernste Warnung dar. Es ist wahr, wir sind nicht das einzige Land, dessen Geld beständig im Werte sinkt und das Valutaproblem, an dem wir kranken, ist heute kein spezifisch österreichisches, sondern ein allgemein europäisches Problem. Doch wir sind heute diejenigen, die dem bösen Ende am nächsten stehen und darum können wir nicht warten, bis die allgemeine Frage gelöst ist. Es könnte sonst geschehen, daß die Hilfe für uns zu spät kommt. Der erste Schritt zur Sanierung der Verhältnisse ist die Erkenntnis, daß das Uebel einzig und allein in der Inflation seine Ursache hat. Einstellung der Inflation verlangt aber eine vollständige Umkehr unserer Wirtschaftspolitik. Ein wirtschaftliches System, das nur in einem Verzehren des Kapitals, das einige Jahrzehnte freiere Wirtschaft angesammelt hat, besteht, kann sich auf die Dauer nicht halten.