Einleitung

[S.9] Die folgenden Studien behandeln die Frage 'Wie soll eine Gesellschaft geordnet werden; und warum so und nicht anders?' Derart mit normativen Problemen befaßt, unterscheiden sie sich grundsätzlich von der in der sozial- und politikwissenschaftlichen Literatur gegenwärtig immer exklusiver gepflegten Form empirischer Forschung, bei der normative Fragen entweder vollständig ausgeblendet oder - verbreiteter noch und fragwürdiger! - durch beliebig herbeizitierte subjektive Meinungen 'gelöst' werden, und die von daher praktisch irrelevant bleiben muß oder als partikularistische (parteiliche) Propaganda einzustufen ist. Die vorliegenden Untersuchungen knüpfen demgegenüber bewußt an die Tradition der Klassiker politischer Theorie an. Wie etwa Th. Hobbes oder J. Locke, D. Hume oder J. J. Rousseau, A. Smith oder K. Marx in ihren Arbeiten allgemein, objektiv begründete Lösungen für praktische Probleme formulieren wollen, so auch diese Arbeit; wie sie sich nicht an den methodisch-methodologischen Kanon empirisch-analytischer Forschung halten, so folgen auch die hier vorgelegten Studien einer nicht-empirischen Forschungslogik; und wie sie sich nicht um die Grenzen der wissenschaftlichen Fächerteilung kümmern (können), so reichen auch die folgenden Analysen von Philosophie bis Ökonomie.[FN1]

In inhaltlicher Hinsicht fällt die vorliegende Arbeit nicht weniger aus dem Rahmen. Im Gegensatz zur von Th. Hobbes bis R. Nozick reichenden offiziell-offiziösen Tradition der politischen Theorie wird die These entfaltet und begründet, daß es für die Existenz eines Staates (auch eines liberalen Minimalstaates) nicht den Schimmer rechtfertigbarer Gründe gibt. Moralisch läßt sich eine Institution, deren Repräsentanten das Recht haben, unaufgeforderte, zwangsweise Eingriffe in bestehende Eigentumsrechte von Privatrechtssubjekten vorzunehmen, genauso wenig allgemein rechtfertigen wie eine Norm, die besagte 'Ich darf dich ungestraft verprügeln, aber du nicht mich'. Und ökonomisch ist es genauso unsinnig, dem Staat die Produktion von Sicherheit anzuvertrauen wie die von Brot und Butter: ein Unternehmen, das sich nicht frei finanzieren muß, sondern das Recht auf Besteuerung besitzt, wird immer nur minderwertige Produkte herstellen, knappe Ressourcen vergeuden und den gesellschaftlichen Wohlstand beeinträchtigen. Moralisch und ökonomisch zu rechtfertigen, so wird gezeigt, ist demgegenüber allein das System eines [S.10] individualistischen (Privateigentum-)Anarchismus, d.i. eines 100 % Kapitalismus bzw. einer reinen Privatrechtsgesellschaft.

Diese These wird, durch eine Reihe von Problemverästelungen hindurch, in fünf Studien und einem kurzen Anhang entwickelt und begründet. Jede der Studien ist in sich abgeschlossen; sie verbinden sich aber in der Reihe ihrer Anordnung zu einer sich systematisch erweiternden und vervollständigenden theoretischen Einheit. Die erste Abhandlung, die, anders als die übrigen, für Vortragszwecke geschrieben wurde, übernimmt es, einen der Logik von Vorträgen gemäß anregend-aufregenden Überblick über die Theorie zu bieten. Der Anhang hat den Charakter einer für jede der folgenden Studien wiederholt aufklärenden Anmerkung.

Die vorliegenden Untersuchungen wurden in intellektueller Isoliertheit geschrieben. Das war nicht anders erwartet worden; ich konnte jedenfalls nicht erkennen, welchen deutschsprachigen Sozialwissenschaftlerbataillonen ich mich hilfesuchend hätte zuwenden können. Nur indirekte Einflüsse sind von daher zu erwähnen: Der philosophisch geneigtere Leser wird in meiner Art der Verwendung transzendentalphilosophisch angeregter Argumente den Einfluß J. Habermas' (der 1974 mein Doktorvater war) erkennen. Unübersehbar dominierend freilich ist der Einfluß, den die Schriften von L. v. Mises und M. N. Rothbard gehabt haben. Es ist der logischen Kraft vor allem ihrer Argumente zuzuschreiben, wenn mit den vorliegenden Studien eine Position bezogen und theoretisch begründet wird, die mit (auch von mir) allzu lange allzu selbstverständlich geschätzten Überzeugungen radikal bricht.

Dafür, daß sie mich bei meiner Arbeit an den vorliegenden Untersuchungen immer wieder unbeirrbar ermutigt hat, und dafür, daß sie mich immer wieder davon zu überzeugen verstand, daß Grund besteht, langfristig optimistisch zu sein, danke ich meiner Frau Margaret.

Dafür, daß es mir während der Zeit der Arbeit finanziell gut ging, danke ich der DFG, deren Heisenberg-Stipendiat ich von 1982-86 war.

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[FN1]Zur Leistungsfähigkeit empirischer Sozialforschung und zur demgegenüber logisch dominanten Rolle einer aprioristischen Handlungswissenschaft sowie deren Logik vgl. meine Arbeiten: Kritik der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung. Untersuchungen zur Grundlegung von Soziologie und Ökonomie, Opladen 1983; Is Research Based on Causal Scientific Principles possible in the Social Sciences, in: Ratio, XXV, 1, 1983.