Vorwort
[III] Die Unklarheit der “historischen Schule deutscher Volkswirthe” über die Ziele und die Methoden der Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie, ein Gebrechen, welches bereits bei der ersten Begründung dieser Schule in unverkennbarer Weise zu Tage trat, ist auch durch den Verlauf einer nahezu fünf Decennien andauernden Entwicklung nicht beseitigt worden.
Die “historische Schule” war von allem Anfange an nicht das Ergebniss der Vertiefung in die Probleme unserer eigenen Wissenschaft; nicht, wie die historische Jurisprudenz, ist sie aus dem scientifischen Bedürfnisse der in die Probleme ihrer Wissenschaft sich vertiefenden Fachgelehrten hervorgegangen. Sie bedeutete seit ihrem ersten Beginne ein Hineintragen historischen Wissens in unsere theoretisch-praktische Disciplin. Aeussere Umstände haben sie hervorgerufen; [IV]nicht Bearbeiter unserer Wissenschaft, – Historiker haben sie ursprünglich begründet. Von aussen gleichsam ist die historische Methode in unsere Wissenschaft getragen worden.
Von diesen Mängeln des Ursprunges hat die historische Schule sich nie wieder zu befreien vermocht. Die äusserliche Verbindung gediegenen historischen Wissens mit einem sorgfältigen aber führerlosen Eklekticismus auf dem Gebiete unserer Wissenschaft bildet den Ausgangspunkt, zugleich aber auch den Höhepunkt ihrer Entwicklung. Mancherlei mit grossem Ernste unternommene Versuche, die Geschichte und die politische Oekonomie in eine innigere, organische Verbindung zu bringen, sind den obigen Bestrebungen gefolgt, aber die von den historischen Volkswirthen in Aussicht gestellte Erhebung unserer Wissenschaft aus ihrem zurückgebliebenen Zustande ist nicht erreicht worden; ja sie scheint heute fast ferner gerückt, als in den Tagen, da Hermann und Rau lehrten.
Dass die obigen, zum Theile mit nicht gewöhnlicher Begabung unternommenen Reformversuche nicht zu dem angestrebten Ziele geführt haben, war kein Werk des Zufalls; sie mussten an dem Irrthume scheitern, welcher in der Geschichte den Ausgangspunkt, in der Verbindung derselben mit der politischen Oekonomie den Angelpunkt der beabsichtigten Reform erkannte. Die irrthümliche Hypothese, dass die Verbindung historischen Wissens mit der politischen Oeko- [V] nomie an sich eine Reform dieser letzteren bedeute, das falsche Dogma des Historismus auf dem Gebiete unserer Wissenschaft, konnte von vornherein nicht die Grundlage einer Erfolg versprechenden Umgestaltung dieser letzteren sein.
Die Reform einer Wissenschaft vermag nur aus ihr selbst, nur aus den Tiefen ihrer eigenen Ideenkreise hervorzugehen; sie kann nur das Werk der in die eigensten Probleme ihrer Disciplin sich vertiefenden Forscher sein. Die politische Oekonomie wird nicht durch Historiker, durch Mathematiker, oder durch Physiologen, nie auch durch solche, die blindlings den Spuren derselben folgen, aus ihrer gegenwärtigen Versunkenheit emporgehoben werden. Die Reform der politischen Oekonomie vermag nur von uns selbst auszugehen, von uns Fachgenossen, die wir im Dienste dieser Wissenschaft stehen.
Was andere Wissenschaften und ihre Vertreter uns zu bieten, für uns zu leisten vermögen, ist die fortschreitende Vertiefung in ihre eigenen Probleme, die Vervollkommnung der Resultate ihrer eigenen Forschung. Sorgfältig und dankbar wollen wir diese letzteren benützen, so weit sie für die Entwickelung unserer Wissenschaft von Bedeutung sind, die Ergebnisse der Geschichtsforschung eben so wohl, als jene der Statistik, der Psychologie, der Logik, der technischen Wissenschaften. Die reformatorische Einmischung anderer Disciplinen, das Hineintragen der politischen Oekonomie fremder Gesichtspunkte und [VI] Methoden in diese letztere, werden wir in Hinkunft aber entschlossen abzuwehren haben, soll die deutsche Nationalökonomie nach einer weiteren halbhundertjährigen Periode nicht neuen Enttäuschungen entgegensehen.
Was die nächste und wichtigste auf dem Gebiete der politischen Oekonomie in Deutschland zu lösende Aufgabe ist, scheint durch den gegenwärtigen Zustand dieser Disciplin klar vorgezeichnet zu sein. Wie fremde Eroberer haben die Historiker den Boden unserer Wissenschaft betreten, um uns ihre Sprache und ihre Gewohnheiten – ihre Terminologie und ihre Methodik – aufzudrängen, jede ihrer Eigenart nicht entsprechende Richtung der Forschung unduldsam zu bekämpfen. Diesem Zustande muss ein Ende bereitet werden. Es gilt die aus der Natur unserer Wissenschaft sich ergebenden Probleme und Erkenntnisswege wieder zu Ehren zu bringen, diese Disciplin von ihrer historisirenden Tendenz, von den Einseitigkeiten des Historismus zu befreien. Hat die politische Oekonomie in Deutschland nur erst wieder sich selbst, ihren Begriff und ihre Methoden gefunden, bewahrt sie sich überdies den Geist der Universalität, welcher die Ergebnisse fremder Forschung, auch jene anderer Wissensgebiete, ganz insbesondere aber der Geschichte und der Statistik, den eigenen Zwecken dienstbar macht: dann darf uns um die weitere Entwickelung dieser Wissenschaft nicht bange sein.
Dem obigen Zwecke sind auch die nachfolgenden methodologischen Briefe gewidmet. Sie sollen ein wissen- [VII] schaftlich ganz besonders versumpftes, mit den äussersten Mitteln der Unduldsamkeit und Unziemlichkeit vertheidigtes Gebiet des Historismus in der deutschen Nationalökonomie, den jüngsten Auswuchs des letzteren, unter das Licht der Kritik stellen, unqualificirbaren, zum mindesten in solcher Form durch nichts provocirten Angriffen die gebührende Antwort bringen.
Ich bin auch in dieser hauptsächlich der Abwehr gewidmeten kleinen Schrift der nahe liegenden Versuchung ausgewichen, die eigentliche Methodik der exacten Forschung auf dem Gebiete der theoretischen Nationalökonomie zu behandeln. Ich habe in den “Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften” den Nachweis der von der historischen Schule eifrig bestrittenen Berechtigung der obigen Richtung des theoretischen Erkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft zu erbringen gesucht, die eingehende Darstellung der bezüglichen Erkenntnisswege indess einer besonderen Schrift vorbehalten.(1) Die vorläufigen Bemerkungen hierüber sind nichtsdestoweniger zum Gegenstande lebhafter Discussion unter den Beurtheilern meiner methodologischen Untersuchungen geworden: ein erfreuliches Zeichen des auf dem Gebiete der deutschen Nationalökonomie, trotz des Vorherrschens der historischen Schule, vorhandenen Interesses für den obigen wichtigen Zweig der theoretischen Forschung. Ich werde nunmehr die Erfüllung [VIII] meiner Zusage zu beschleunigen suchen, da nur durch vollständige Klarheit über die Ziele und die Erkenntnisswege der exacten Nationalökonomie der Einseitigkeit unserer historischen Volkswirthe in ausschlaggebender Weise begegnet zu werden vermag. Ich werde hierbei auch Gelegenheit finden, die sachkundigen Bemerkungen zu berücksichtigen, welche von E. v. Böhm, Emil Sax, W. Lexis, H. Dietzel und Anderen einzelnen Theilen meiner Ausführungen entgegengesetzt worden sind.
Wien, im Januar 1884.
Der Verfasser.
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(1) A. a. O. S.43.