Rezension: 'Die sittliche Idee des Klassenkampfes und die Entartung des Kapitalismus' von Eduard Heimann (1928)
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Quelle: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. 85 (1928) S. 167-168
Heimann, Eduard, Professor an der Hamburgischen Universität; Die
sittliche Idee des Klassenkampfes und die Entartung des Kapitalismus
(Schriften zur Zeit, in Verbindung mit Gustav Radbruch, Karl Bröger,
Hugo Sinzheimer, herausgegeben von August Rathmann und Franz Osterroth)
Verlag von J. H. W. Dietz Nachf. Berlin. 8° 94 Seiten. (Ohne Jahr,
Widmung datiert vom 11. Juli 1926.)
Wenn man Gesellschaft und Wirtschaft durch die Brille des Marxismus — und sei es auch ein eklektisch verwässerter und religiös gefärbter Marxismus — betrachtet, dann ist es nicht schwer zu erweisen, daß Klassenkampf und Klassenhaß sittliche Werte darstellen. Das ist die Aufgabe, die sich Heimann im ersten Teil seiner Arbeit stellt. Er löst sie, wie sie schon vor ihm andere, z. B. die marxistischen Neukantianer, gelöst haben.
Wie jedes ethische Räsonnement ist auch dieses notwendigerweise utilitaristisch eingestellt. Der Klassenkampf wird als sittlich bezeichnet, weil er als Mittel zur Herbeiführung eines als sittlich befundenen Zweckes erscheint. Daß für den auf dem Boden des Evangeliums stehenden religiösen Sozialismus diese Beweisführung nicht zureichen kann, ist klar. Denn das Evangelium verwirft doch — wie wenigstens allgemein angenommen wird — bestimmte Mittel als schlechthin unsittlich, so daß kein Zweck sie zu rechtfertigen vermag. Wie steht es z. B. im Klassenkampf um Matthäi 5,39 und 26,52? Oder gar um Matthäi 5,44? Man hat es den Theologen verübelt, daß sie, um die Waffen im Völkerkampf zu segnen, mit den Worten der Schrift willkürlich verfuhren. Die religiöse Apologie des Klassenkampfes wird diesem Vorwurf kaum entgehen.
Doch das sind theologische Gesichtspunkte, die in einer wissenschaftlichen Zeitschrift nicht zu erörtern sind. Hier kommt nur der zweite Teil der Arbeit in Betracht, der zeigen will, daß der Kapitalismus ein schlechtes System sei, weil es Inflation gegeben hat und weil es Zölle und Kartelle gibt. Die Inflation hält Heimann für »eine furchtbare Verirrung nicht nur des politischen, sondern auch des sittlichen Geistes« und sucht nun die Hauptschuldigen nach dem alten kriminalistischen Grundsatz cui bono festzustellen. Er hält es für ausgemacht, daß die Inflation den Unternehmern genützt habe und demnach sei es klar, daß sie die Hauptschuld treffe. Doch Heimann stellt auch fest, daß man nicht allein »den Klassenkampf von oben« schuldig sprechen dürfe. Auch die Regierungen und die Parteien, die auf die Arbeiter und Angestellten als Wähler angewiesen sind, hätten »die Fortdauer der inflationistischen Hochkonjuktur« der Stabilisierungskrise vorgezogen. Groß sei auch die Schuld »der eigentlich sachverständigen Kreise, der akademischen Volkswirte, die mit wenigen rühmenswerten Ausnahmen, jahrelang das Fallen der Mark unter dem Druck der Reparationsverpflichtungen für ein unabwendbares Schicksal erklärten und — nur in Deutschland — diese Irrlehre durch ein ganzes System falscher Theorien stützten. Da die eigentlich Sachverständigen und Unparteiischen jede Möglichkeit der Stabilisierung verneinten, so waren die Interessenten weitgehend entschuldigt, wenn sie die für eine Stabilisierung notwendigen Lasten zu übernehmen verweigerten.« Hätte Heimann es unternommen, jenes »ganze System falscher Theorien« zu prüfen, so hätte er finden müssen, daß es eben mit dem identisch ist, was das Wesen des kathedersozialistischen Gedankenbaues, der Liberalismus und Kapitalismus verwirft, ausmacht. Und zu demselben Ergebnis wäre er auch gelangt, wenn er die Grundlagen des Protektionismus — die auch, wie Heimann treffend ausführt, die Grundlagen der deutschen Kartellwirtschaft sind — untersucht hätte. Die Uebelstände, die Heimann am deutschen Wirtschaftskörper feststellt, sind eben nichts anderes als die notwendigen Folgen der seit Jahrzehnten unter Zustimmung aller Schichten und Parteien betriebenen interventionistischen Politik.
Das sind die Ueberlegungen, die sich beim Lesen dieser feinsinnigen und von geistigem Ringen mit den Problemen Zeugnis ablegenden Schrift unwillkürlich aufdrängen müssen.
Wien
L. Mises