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Kapitel 4: Die Grundlagen der Eigentumstheorie

I.
II.
III.
IV.
V.

III.

[S.69] Nur wenn die genannten Voraussetzungen, einschließlich der letzterwähnten Autonomie-/Konsensfähigkeit vorliegen, kommt es zur Ausbildung des Konzepts von Eigentum als eines zum Zweck der Konfliktvermeidung normativ geregelten Verhältnisses von Personen zu knappen Gütern. Naturgemäß schließt sich die Frage an: Welche Eigentumsnormen werden dann qua rechtfertigbare Regeln ausgebildet; und was heißt ‚rechtfertigbar’? Die Antwort ergibt sich im wesentlichen aus einer näheren Betrachtung der Autonomie-/Konsensfähigkeitsvoraussetzung. Eine solche Betrachtung erscheint auch schon deshalb erforderlich, weil der realistische Charakter gerade dieser Voraussetzung wiederholt bestritten worden und nach wie vor strittig ist. Die gesamte der Kausalforschung verpflichtete Sozialwissenschaft, sei es Ökonomie oder Soziologie, geht explizit oder implizit von der Unrichtigkeit dieser An- [S.70] nahme aus und konzeptualisiert den Menschen, wie einen Elefanten, als puppet on a string.[FN3]

Es wäre möglich, sich die Sache leicht zu machen, und auf diese Herausforderung damit zu reagieren, zu sagen, daß es zu einem normativen Eigentumskonzept dann eben, wenn die genannte Voraussetzung nicht erfüllt ist, nicht kommt, und daß die folgenden Ausführungen nur für den Fall Gültigkeit beanspruchen, in dem sie tatsächlich gültig sind. Aber so einfach wollen wir uns die Sache nicht machen, wenngleich nicht beabsichtigt ist, hier eine ausführliche Kritik der Annahmen kausalwissenschaftlicher Sozialforschung zu bieten. Das ist andernorts geschehen.[FN4] Immerhin muß man wohl jedoch auf die Tatsache aufmerksam machen, daß wir in aller Regel glauben, die genannten Voraussetzungen seien für uns und unsere Mitmenschen erfüllt – auch der Kausalforscher glaubt bezeichnenderweise an ihr Gegebensein, wenn er als ‚normaler’ Mensch, gelegentlich zumindest, moralisiert [FN5] und insofern spricht die empirische Evidenz, was immer das genau sein mag, zunächst einmal für das Erfülltsein der Autonomie-/Konsensfähigkeitsvoraussetzung.

Aber nicht nur das. Man darf mit seiner Behauptung ein wesentliches Stück weiter gehen. Man kann, wie sogleich deutlich werden wird, nicht einmal argumentativ bestreiten, daß die genannten Voraussetzungen vorliegen; denn ihr Vorliegen angesichts anderer Personen bestreiten zu wollen, hieße, ihr Gegebensein implizit voraussetzen zu müssen. Argumentieren heißt nämlich, bei denen, an die das Argument gerichtet ist, Autonomie und Konsensfähigkeit vorauszusetzen! Ein argumentativer Nachweis der Abwesenheit der genannten Voraussetzungen ist so schlechterdings unmöglich: man kann nicht, ohne sich in logische Widersprüche zu verstricken, argumentieren, daß man nicht argumentieren kann; von daher ist das Erfülltsein der zur Ausbildung eines normativen Eigentumskonzepts notwendigen Voraussetzung von Autonomie und Konsensfähigkeit nicht nur ein kontingentes empirisches Faktum, es ist eine verstandesnotwendige (d. i. aprioristische) Gegebenheit: wenn ich jemanden argumentativ von irgendetwas zu überzeugen versuche, unterstelle ich notwendig, daß diese Person mein Argument annehmen kann, wenn sie will, oder auch nicht, und daß die Wirksamkeit meines Arguments nicht [S.71] in kausalwissenschaftlichem Sinn ‚zwingend’ ist [FN6] und daher durch objektiv gegebene Ursachen vorausgesagt werden könnte, sondern Annahme oder Ablehnung eines Arguments vielmehr von jedermann selbständig vollzogene intellektuelle Entscheidungen darstellen, deren Ausgang immer nur jeweils ex post rekonstruierbar (verstehbar) wird; und außerdem unterstellt man, wenn und solange man argumentiert, daß man mit seinem Argumentationspartner zu einem übereinstimmenden Urteil wenigstens darüber gelangen kann, ob man hinsichtlich der Beurteilung eines Arguments übereinstimmt oder nicht übereinstimmt, und man also jedenfalls insofern wissen muß, was ein Konsensus ist, und ihn von einem Konflikt eindeutig unterscheiden können muß.

Nachdem das tatsächliche Erfülltsein der Autonomie-/Konsensfähigkeitsvoraussetzung so plausibel gemacht worden ist, und deutlich geworden ist, wie schwierig es umgekehrt ist, ihr Gegebensein leugnen zu wollen, kommen wir zurück zu der Aufgabe, aufgrund der detaillierten Analyse dieser Voraussetzung bestimmte Eigentumsnormen qua rechtfertigbare Normen nachweisen zu wollen. Unter der Hand hat sich unsere These inzwischen dahingehend verwandelt, daß sich aus der Fähigkeit zur Argumentation (die Autonomie- und Konsensfähigkeit impliziert) logisch bestimmte Eigentumsnormen als rechtfertigbare Regeln bezüglich der Verwendung knapper Güter ableiten lassen, und andere Regeln umgekehrt als nicht rechtfertigbar. Wie das? Man betrachte zunächst die letzterwähnte Eigentümlichkeit jeder Argumentation, daß man, wenn und solange man argumentiert, zwar keineswegs zu einer übereinstimmenden Beurteilung der Validität vorgetragener Argumente kommen muß, daß man aber doch darin übereinstimmt, daß, solange argumentiert wird, kein Konflikt vorliegt und insofern eine übereinstimmende Lagebeurteilung gegeben ist. M.a.W.: Solange argumentiert wird, solange gibt es keinen Konflikt bezüglich der Verwendung irgendeines knappen Gutes, sondern es besteht Konsens. – Die Frage erhebt sich: Was ist es, das eine Argumentation zu einer übereinstimmend als konfliktfrei beurteilten Interaktionsform macht? Oder, anders gefragt: unter welcher Voraussetzung würde der Austausch verbaler Stimuli nicht mehr als Argumentation gewertet werden können? Dies wäre zweifellos der Fall, wenn der Austausch von Argumenten begleitet würde von einem einseitigen oder zweiseitigen, aber in jedem Fall unaufgeforderten Angriff einer Person auf den Körper einer anderen Person: Würde man seinen Argumenten dadurch Nachdruck verleihen, daß man seinem Argumentationspartner ungefragt etwa Sand in die Augen streut, sein Denkvermögen durch Schläge auf den Hinterkopf fördert, ihm den [S.72] Arm verrenkt, ihn in den Hintern kneift oder seine Fußsohlen kitzelt oder auch nur dadurch, daß man derartige Maßnahmen ernsthaft androht, so hätte man es nicht länger mit Argumentation zu tun. Vielmehr handelte es sich dann um einen Konflikt im Hinblick auf die Verwendung eines knappen Gutes: des Körpers einer Person.

Auch Personen-Körper (im weiteren kurz: Körper) sind, das wird häufig nicht bemerkt, insofern knappe Güter, als jede Person nur über einen einzigen durch ihren Willen direkt (unmittelbar) beeinflußbaren Körper verfügt, und meine Kontrolle dieses Körpers nicht nur die gleichzeitige Kontrolle dieses Körpers durch eine andere Person ausschließt, sondern die Art der gegenwärtigen Verwendung meines Körpers auch, da mein Körper weder unzerstörbar noch von andauernd gleicher Gesundheit oder unerschöpflicher Kraft besessen ist, unvermeidbar Rückwirkungen im Hinblick auf die zukünftigen Verwendungsmöglichkeiten dieses Körpers hat. – Um also von Argumentation sprechen zu können, muß der Austausch sprachlicher Stimuli begleitet sein von einer wechselseitigen Anerkennung einer exklusiven Kontrolle jeder Person über das knappe Gut ihres Körpers. Ist dies nicht der Fall, so liegt auch keine Argumentation vor.[FN7]

Das erscheint trivial. Aber ein trivialer Ausgangspunkt ist, wenn es um die Deduktion von Konsequenzen aus Anfangssätzen geht, wie hier, kein Nachteil, sondern im Gegenteil ein Vorteil. Umso sicherer nämlich wird das Fundament der Eigentumstheorie, deren erste wesentliche Aussage jetzt so formuliert werden kann: wenn Argumentation die wechselseitige Anerkennung eines exklusiven Verfügungsrechts jeder Person über ihren eigenen Körper voraussetzt, und wenn man ein exklusives Verfügungsrecht über ein knappes Gut als Eigentum an diesem Gut bezeichnet, dann setzt Argumentation Eigentum am eigenen Körper voraus; und wenn, weiter, solange argumentiert wird, eine Interaktion übereinstimmend als konfliktfrei bewertet wird, und wenn ‚rechtfertigen’ nicht nur einfach heißt, sprachlich einseitig als gerechtfertigt behaupten, sondern übereinstimmend rechtfertigen, dann ist das Eigentum am eigenen Körper eine Norm, die als übereinstimmend rechtfertigbare Regel gelten muß: jeder, der versuchte, irgendeine zum Zweck der Konfliktvermeidung im Hinblick auf knappe Güter formulierte Regel zu rechtfertigen, müßte, indem er entsprechend argumentiert, das Recht auf Eigentum am eigenen Körper bereits als eine allseits gerechtfertigte Norm voraussetzen; und umgekehrt müßte sich jeder, der das exklusive Verfügungsrecht einer Person über ihren Körper bestreiten wollte, notwendig in einen Widerspruch verwickeln, denn indem er so argumentierte und für sein Argument Zustimmung suchte, müßte er bereits implizit die Geltung der von ihm bestrittenen Norm voraussetzen.