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Kapitel 4: Die Grundlagen der Eigentumstheorie

I.
II.
III.
IV.
V.

IV.

[S.73] Angenommen, die vorangehenden Ausführungen seien akzeptiert, so muß man doch, so scheint es zumindest, einräumen, daß mit dem Nachweis des rechtfertigbaren Charakters des Eigentumsrechts am eigenen Körper allenfalls ein kleiner Schritt in die Richtung auf eine allgemeine normative Theorie des Eigentums getan ist. Menschen leben bekanntlich nicht von Luft allein, sondern müssen, schon um ihre bloße physische Existenz zu sichern (geschweige denn, um ein angenehmes Leben führen zu können) mit Hilfe ihres Körpers eine Vielzahl anderer knapper Güter kontrollieren können: aufzehren, gebrauchen, transformieren, austauschen usw. Im Hinblick auf all diese Güter müssen, angesichts sich überschneidender Aktionsradien, entsprechend der Regelung den jeweils eigenen Körper betreffend, übereinstimmend rechtfertigbare exklusive Verfügungsrechte formuliert werden können, nicht, um jeden Konflikt im Hinblick auf sie überhaupt auszuschließen (das wird auch durch die Formulierung des Eigentumsrechts am eigenen Körper ersichtlich nicht getan: nach wie vor ist Mord und Totschlag möglich!), vielmehr, um Konflikte als nicht unvermeidlich und umgekehrt eine allseits als konfliktfrei anerkennungsfähige Interaktion als möglich erscheinen zu lassen. Eine allgemeine Theorie des Eigentums muß, um es kurz zu sagen, im Hinblick auf jedes denkbare knappe Gut (und nicht nur im Hinblick auf Körper) festlegen, was als Konflikt, und was als Nicht-Konflikt zu gelten hat, so daß für jede Handlung jeder Person, welche knappen Güter durch diese Handlung auch immer berührt sein mögen, festliegt, ob und inwieweit sie als ungerecht oder als gerecht zu klassifizieren ist.

Glücklicherweise ist die Aufgabe, vor der man steht, nicht ganz so schwierig, wie es zunächst den Anschein hat. Keineswegs muß man, um zu einer allgemeinen Eigentumstheorie zu gelangen, mühsam, Schritt für Schritt, nach der Begründung des Eigentumsrechts am eigenen Körper, nun entsprechende Verfügungsrechte über alle übrigen, hinsichtlich ihrer physischen Merkmale spezifizierten knappen Güter, jeweils einzeln formulieren und als begründbar nachweisen. Ein solches Vorgehen ist sogar unzulässig. Sofern es um die Konstruktion einer übereinstimmend begründbaren, in sich konsistenten allgemeinen Eigentumstheorie geht, muß sie in der speziellen Eigentumstheorie den eigenen Körper betreffend bereits logisch impliziert sein und aus ihr ‚nur’ noch abstraktiv herausgeschält werden.[FN8] In der Tat läßt sich zeigen, daß es nicht die physischen Eigenschaften unseres Körpers sind, aufgrund deren sich unser Eigentum an ihm als ein allgemein rechtfertigbares Recht [S.74] ergibt. Statt dessen ist es die Art der Relation unseres Willens zu diesem Körper als einem knappen Gut, aufgrund dessen er sich mit Recht als ‚meiner’ bezeichnen läßt. Es ist, so wird deutlich werden, die Art der Akquisition eines knappen Gutes durch den Willen, die darüber entscheidet, ob dies Gut als ‚mein’ gerechtfertigt werden kann oder nicht; und es spielt hierbei keine Rolle, ob es sich um Körper, Käse, Häuser, Land, oder was immer sonst handelt. Wenn man begriffen hat, aufgrund welcher Tatsachen mein Körper in dem Sinn ‚meiner’ geworden ist, daß sich ein Angriff auf ihn nicht mehr übereinstimmend rechtfertigen läßt, dann hat man im Grunde auch begriffen, aufgrund welcher Tatsachen an beliebigen anderen knappen Gütern in rechtfertigbarer Weise Eigentum (qua exklusives Verfügungsrecht) erworben wird, und wie dies, umgekehrt, nicht passiert.

Der Kern der Antwort auf die Frage, was meinen Körper zu ‚meinem’ (als solchem rechtfertigbaren) Eigentum macht, besteht einmal in dem Hinweis auf die offenkundige Tatsache, daß mein Körper tatsächlich, von jedermann übereinstimmend so feststellbar, mein Körper ist, und nicht nur einfach behauptet wird, er ist es. Warum freilich sagen wir ‚dies ist mein Körper’? Zweierlei ist hierfür Voraussetzung. Einmal muß es so sein, daß der als ‚mein’ bezeichnete Körper tatsächlich nachweisbar meinen Willen ausdrückt, oder, etwas schwergewichtiger ausgedrückt meinen Willen vergegenständlicht. Der entsprechende Nachweis in bezug auf Körper ist einfach genug: Wenn ich ankündige ‚ich werde jetzt meinen Arm heben, meinen Kopf drehen, faul im Sessel sitzen’ (oder was immer sonst), und wenn diese Ankündigungen sich tatsächlich erfüllen, dann zeigt dies, daß der Körper, der dies tut, tatsächlich von meinem Willen in Besitz genommen worden ist.[FN9] Wenn es dagegen so wäre, daß meine Ankündigungen keinerlei systematische Beziehungen zum tatsächlichen Verhalten meines Körpers aufweisen, dann müßte die Aussage ‚dies ist mein Körper’ als leere, in der Sache unbegründete Behauptung gelten; und ebenso würde man diese Behauptung als unkorrekt zurückweisen, wenn sich etwa infolge meiner Absichtserklärungen nicht mein Arm heben würde, sondern immer der von Müller, Meier oder Schulze (im letzteren Fall würde man vermutlich eher dazu neigen, Müllers, Meiers oder Schulzes Körper als ‚mein’ zu bezeichnen).

Zum anderen muß sich, abgesehen vom Nachweis der Objektivierung meines Willens in dem als ‚mein’ bezeichneten Körper, zeigen lassen, daß meine Aneignung Priorität besitzt gegenüber einer möglichen Aneignung desselben Körpers durch eine andere Person. Auch dieser Nachweis ist in bezug auf Körper einfach. Er wird dadurch erbracht, daß man, wie gehabt, nicht nur zeigt, daß mein Körper tatsächlich [S.75] Ausdruck meines Willens ist, sondern er sich darüber hinaus unter meiner direkten Kontrolle befindet, während sich jede andere Person in meinem Körper allenfalls indirekt, d. i. mittels ihres eigenen Körpers objektivieren kann, und eine direkte Kontrolle offenbar logisch-temporalen Vorrang gegenüber jeder indirekten Kontrolle besitzt. Letzteres ergibt sich aufgrund der Tatsache, daß jede indirekte Kontrolle eines Gutes durch eine Person eine direkte Kontrolle dieser Person über ihren eigenen Körper voraussetzt; damit also irgendein knappes Gut indirekt rechtfertigbar angeeignet werden kann, muß zuvor schon die Aneignung des direkt kontrollierten eigenen Körpers als rechtens unterstellt worden sein; und dann gilt: wenn die Gerechtigkeit einer Aneignung durch direkte Kontrolle bei jeder weiterreichenden Aneignung indirekter Natur vorausgesetzt werden muß, und wenn nur jeweils ich über meinen Körper direkt verfügen kann, dann kann niemand außer mir selbst jemals Eigentum an meinem Körper besitzen (oder, anders gesagt, dann ist mein Eigentumsrecht an meinem Körper nicht auf andere Personen übertragbar), und jeder Versuch einer indirekten Kontrolle meines Körpers durch eine andere Person muß, sofern und solange ich dem nicht ausdrücklich zugestimmt habe, als ungerecht gelten.[FN10]