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Kapitel 4: Die Grundlagen der Eigentumstheorie

I.
II.
III.
IV.
V.

V.

[S.75] Anhand der Kriterien Objektivität und Vorrang wird nun nicht nur entschieden, was Recht und was Unrecht im Hinblick auf Körper ist, sondern auch, welche Handlungen Recht und welche Unrecht sind im Hinblick auf alle übrigen Güter, die unter Zuhilfenahme des von jeder Person direkt kontrollierten eigenen Körpers grundsätzlich nur indirekt in Besitz genommen werden können. Auch in bezug auf solche Güter wird die Rechtmäßigkeit einer Inbesitznahme danach beurteilt, ob sie objektiv erfolgt ist, und ob durch sie keine vorrangige objektive Inbesitznahme verletzt wird. Ein Unterschied hinsichtlich der Beurteilung der Rechtmäßigkeit besteht allenfalls insofern, als sich das Problem der objektiven Vorrang-Feststellung bei Gütern, die nur indirekt kontrolliert werden können, naturgemäß ein wenig anders stellen muß als bei Gütern (wie Körpern), die direkt und indirekt kontrolliert werden können.

[S.76] Zunächst soll jedoch das Objektivitätskriterium in seiner Anwendung auf nur indirekt kontrollierbare Güter erläutert werden. Negativ gesehen, soviel ist unmittelbar ersichtlich, ergibt die Anwendung dieses Kriteriums die Unrechtfertigbarkeit jeder Aneignung von Dingen aufgrund bloßer verbaler Deklaration, u. d. h., ohne daß der Wille der aneignenden Person sichtbar in den vermeintlich angeeigneten Gütern vergegenständlicht worden ist. Bezeichnenderweise ist dies die Methode, aufgrund deren Staaten Land und Wasser, die Luft darüber, und die Bodenschätze darunter in Besitz genommen haben und noch nehmen. Diese Methode ist unrechtfertigbar, weil sie, auf Körper angewendet, bedeutete, daß man Eigentum am Körper durch Deklaration erwerben kann (mit der offensichtlichen Konsequenz, daß ich dann Eigentum an Meiers, Müllers oder Schulzes Körper besitzen kann, einfach, weil ich es so behaupte), aber eine solche Art der Eigentumsbegründung argumentativ nicht zu rechtfertigen ist, da argumentative Rechtfertigung die Anerkennung eines aufgrund objektiver Tatbestände erworbenen Eigentums jeder Person am eigenen Körper voraussetzen muß.[FN11]

Positiv gesehen ergibt die Anwendung des Objektivitätskriteriums auf indirekt angeeignete Dinge, daß die auf J. Locke zurückgehende Eigentumstheorie, derzufolge Eigentum dadurch begründet wird, daß man ‚Arbeit mit Dingen mischt’, als im wesentlichen zutreffend bewertet werden muß.[FN12] Durch Arbeit vergegenständliche ich meinen Willen, und erst aufgrund derart geschaffener objektiver Tatbestände wird Eigentum begründet (wie übrigens auch nur aufgrund objektiver Spuren konkurrierende Eigentumsansprüche überhaupt erst übereinstimmend beurteilbar werden!). Aber wenn diese Theorie hinsichtlich der Betonung des Gesichtspunkts der Objektivität der Aneignung auch in der Tat kaum je ernsthaft bestritten worden ist, so sind doch, das hat die unmittelbar an Locke anschließende Diskussion, schon etwa bei Hume [FN13], deutlich gemacht, im Detail zumindest zwei immer wieder auftauchende Probleme versteckt. Das eine hängt mit der Frage der Dauerhaftigkeit der Objektivierung zusammen; das andere betrifft die Frage der Bestimmung der physischen Grenzen des von mir durch Vergegenständlichung erworbenen Eigentums an knappen Gütern.

[S.77] Das erste Problem läßt sich wie folgt formulieren: ‚Ist es ausreichend für den Zweck der Eigentumsbegründung, wenn man sich einmal sichtbar in einem Gut vergegenständlicht, dann aber nicht mehr (mit der möglichen Konsequenz, daß diese Objekte, nachdem sie einmal bearbeitet wurden, anschließend verfallen); oder gehört zum Eigentumserwerb eine dauerhaft erneuerte Objektivierung?’ Bekanntlich wird diese Frage in der Gegenwart von den Besetzern leerstehender Häuser, den Instandbesetzern, wie sie sich selbst bezeichnenderweise gern nennen, aufgeworfen. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung dieser Personengruppe lautet die Antwort auf die gestellte Frage allerdings: Ersteres ist völlig ausreichend zur Begründung exklusiver Verfügungsrechte knappe Güter betreffend; eine dauerhaft erneuerte Vergegenständlichung ist hierfür nicht erforderlich! Daß dies so ist, ergibt sich unmittelbar, wenn man daran geht, die Konsequenz der Übernahme der letzteren Forderung auf Körper zu entfalten; und dann deren argumentative Unverteidigbarkeit festzustellen genötigt ist: Im Hinblick auf den eigenen Körper bedeutete die Forderung nach dauerhaft erneuerter Objektivierung nämlich, daß man kein exklusives Verfügungsrecht über die Teile des Körpers besitzen würde, in denen sich sein Wille nicht dauerhaft erneuert objektivierte (und auch über den ganzen Körper dann nicht, wenn dieser insgesamt über Zeiträume hinweg nicht unter willentlicher Kontrolle stehen sollte), die man statt dessen vielmehr, sei es im buchstäblichen, sei es im figurativen Sinn, verfallen ließe. Entsprechend hieße dies, daß es als rechtens zu gelten hätte, wenn sich Angriffe auf meinen Körper auf ungenutzte oder verfallende Teile desselben richteten, oder, um die Absurdität der Konsequenzen besonders augenfällig zu machen, wenn ein Angriff auf meinen Körper etwa während des Schlafes erfolgte, d. i. dann, wenn er dauerhaft nicht unter meiner willentlichen Kontrolle steht.

Nicht nur sind die Konsequenzen aus der Übernahme der Forderung nach dauerhaft erneuerter Objektivierung als Voraussetzung für Eigentumsbegründung offenkundig absurd: ich könnte buchstäblich meines Lebens nicht mehr sicher sein, und ich könnte jedenfalls mit meinem Körper ganz und gar nicht mehr tun und lassen, was ich will (zumal, was ‚dauerhaft’ ungenutzt, oder was ‚verfallen’ bedeutet hier ja nicht übereinstimmend, sondern einseitig festgelegt würde). Vor allem: eine entsprechende Regelung könnte niemals argumentativ gerechtfertigt werden, da argumentative Rechtfertigung nicht bloß ein zeitlich beschränktes exklusives Verfügungsrecht jeder Person über Teile ihres Körpers voraussetzt, sondern vielmehr eine dauerhafte ausschließliche Kontrollgewalt über den gesamten Körper, was das uneingeschränkte Recht, diesen ganz oder in Teilen ungenutzt oder verfallen zu lassen, offensichtlich einschließt.

Wenn dies aber so ist (und wenn somit z.B. unaufgeforderte ärztliche oder psychiatrische Eingriffe in die physische Integrität meines Körpers, genauso wie paternalistisch motivierte Vorbeugegesetze gegen meinen eigenen ‚Mißbrauch’ meines eigenen Körpers, als Unrecht gelten müssen [FN14]), dann gilt, sofern man sich [S.78] nicht in logische Widersprüchlichkeiten verstricken will, wie schon gesagt, auch im Hinblick auf Häuser oder beliebige andere knappe Güter, daß die Eigentumsbegründung durch eine einmalige Objektivierung erfolgt und keineswegs eine dauerhafte Nutzung voraussetzt; vielmehr schließt ein Eigentumserwerb gerade auch das Recht ein, das Eigentum nach Belieben verfallen zu lassen. Solange eine sich durch einen einmaligen objektiven Aneignungsakt als Eigentümer einer Sache etablierende Person nicht eines natürlichen Todes gestorben ist und/oder das Eigentum an der Sache nicht durch Übereinkunft auf eine andere Person übergegangen ist, solange ist und bleibt man uneingeschränkter Eigentümer, mit dem Recht, auch das mit der Sache tun zu dürfen, was andere als Verfall bezeichnen.

Wie steht es dann mit der Bestimmung der physischen Grenzen des Eigentums? Interessanterweise hat diese Frage nie Probleme im Hinblick auf Körper verursacht, wohl aber im Hinblick auf andere Güter, traditionellerweise insbesondere im Zusammenhang mit der Frage der Eigentumsbegründung an Grund und Boden. Vermutlich hätten diese Schwierigkeiten vermieden werden können, hätte man sich klar gemacht, daß eine allgemeine normative Eigentumstheorie die physische Abgrenzung von Eigentum aufgrund eines einheitlichen Prinzips erklären können muß. Eine detaillierte Betrachtung der offenbar so problemlosen Abgrenzung bei Körpern muß demnach den entscheidenden Hinweis zu liefern in der Lage sein, auf welche Weise auch im Hinblick auf Grund und Boden die Festlegung der physischen Eigentumsgrenzen erfolgt.

In der Tat ist die Abgrenzung im Fall von Körpern leicht: Eine Person besitzt Eigentum an ihrem Körper in den Grenzen, die durch die Hautoberfläche bestimmt sind; das sind die Grenzen, innerhalb deren sich der Wille einer Person direkt vergegenständlicht, und folglich auch die Grenzen, die von anderen Personen nicht unaufgefordert überschritten werden dürfen, wenn sie sich nicht einer unrechtfertigbaren Aggression schuldig machen wollen. Entscheidend für die Lösung des allgemeinen Problems ist in diesem Zusammenhang nun die Beobachtung, daß sich mit dieser Abgrenzung unser exklusives Verfügungsrecht keineswegs nur auf solche Körperteile erstreckt, die tatsächlich zum sichtbaren Ausdruck des Willens gemacht worden sind, oder auch nur die, die zum Ausdruck des Willens jedenfalls im Prinzip gemacht werden könnten, sondern unübersehbar auch auf solche Teile, die nicht auf diese Weise direkter Ausdruck des Willens sind, und die dazu, auch wenn man es wollte, nicht gemacht werden könnten: auch z. B. auf unsere ‚Innereien’, auf deren Funktionieren unser Wille keinen Einfluß hat. Dennoch sind auch sie natürlich durch das Eigentumsrecht am eigenen Körper geschützt. – Das bedeutet aber, daß es nicht zur Voraussetzung einer rechtfertigbaren Eigentumsbegründung gehören kann, daß alle Bestandteile eines knappen Gutes in irgendeinem bedeutsamen Sinn sich mit der ‚Arbeit’ einer Person objektiv sichtbar ‚vermischt’ haben müssen; als argumentativ begründbar kann vielmehr nur die Forderung nach einer objektiv zutagetretenden Abgrenzung angeeigneter gegenüber nicht-angeeigneten Dingen gelten, wobei mit der Grenzziehung alle innerhalb der Grenzen liegenden Bestandteile eines fraglichen Gutes mitangeeignet werden und mitge- [S.79] schützt sind, selbst dann, wenn die eingeschlossenen Teile ihrerseits nicht als Ausdruck des Willens der aneignenden Person sollten gelten können.

Angesichts dieses Prinzips bereitet die Antwort auf die Frage nach der physischen Abgrenzung beliebiger anderer im Eigentum bestimmter Personen befindlicher Güter keine Schwierigkeiten mehr. Veranschaulicht an dem traditionell als heikel empfundenen Fall der Aneignung von Grund und Boden ergibt sich dies: es ist nicht nur ausreichend, wie üblicherweise anerkannt, wenn ein Stück Land gerodet, umgepflügt, oder bebaut wird, um es in den dadurch sichtbar gemachten Grenzen anzueignen. Es ist hierfür ebenso ausreichend, wenngleich dies bisweilen auf Kritik gestoßen ist, wenn ein Stück Land eingezäunt wird. Es muß angesichts des gerade erläuterten Appropriierungsprinzips sogar als ausreichend gelten, wenn eine Person ein Stück Land, sichtbare Spuren hinterlassend, umrundet, um es in den dadurch kenntlich gemachten Grenzen anzueignen; keineswegs wäre es zulässig, hier darüber hinaus zu verlangen, daß die fragliche Person irgendetwas mit dem so umrundeten Land anstellt;[FN15] es ist allenfalls zulässig, von ihr zu verlangen [FN16], daß sie dann, wenn eine unaufgeforderte Grenzübertretung tatsächlich auftritt, noch einmal auf ihre Spuren als eine absichtsvoll vorgenommene Grenzziehung verweist: spätestens dann müßte, Folgerichtigkeit im Bereich moralischer Argumentation vorausgesetzt, jedermann zustimmen, daß sie in der Tat der rechtmäßige Eigentümer ist, und daß die Grenzübertretung von daher eine unrechtfertigbare Handlung darstellt. Und ebenso müßte, umgekehrt, jedermann zustimmen, daß es, andererseits, zum Zweck einer rechtmäßigen Aneignung von Land unzureichend ist, wenn eine Person lediglich einen Fahnenmast in die Erde rammt und damit verbunden dann Land in bloß verbal definierten Grenzen als ‚ihr’ reklamiert: allenfalls Land in den Grenzen der Fahnenmastverankerung kann auf diese Weise gerechtfertigtermaßen angeeignet werden. (Im übrigen wäre bei vorausgesetzter Zulässigkeit der letzterwähnten Aneignungsmethode – auch das macht ihren in Wahrheit unannehmbaren Charakter deutlich – keinerlei aufgrund ‚objektiver Sachverhalte’ erfolgende Schlichtung konkurrierender Ansprüche auf Land mehr möglich!)