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Kapitel 4: Die Grundlagen der Eigentumstheorie

VI.
VII.
VIII.
Fußnoten zu Kapitel 4

VIII.

[S.94] Die Darstellung der Eigentumstheorie als einer objektiv begründbaren normativen Theorie hat mit diesen Überlegungen den Schluß erreicht. Eigentum ist eine Erfindung, um konfligierende Ansprüche bezüglich knapper Güter in argumentativ (d. i. konfliktfrei) begründbarer Weise eindeutig zu entscheiden und hierdurch einen als solchen allgemein begründbaren Rechtsfrieden zwischen Personen zu ermöglichen.

Wie die Rekonstruktion des das Eigentumsrecht jeder Person an ihrem eigenen Körper – als der Voraussetzung für argumentative Rechtfertigung – begründenden [S.95] Appropriierungsprinzips zeigt, wird Eigentum rechtmäßig entweder dadurch begründet, daß man vorher freie Güter innerhalb objektivierter Grenzen erstmals als knapp behandelt, oder dadurch, daß man einen Eigentumstitel an solcherart appropriierten Dingen von früheren Eigentümern im Rahmen zweiseitig freiwilliger Handlungen übertragen bekommt. Umgekehrt handelt es sich um eine Aggression gegen rechtmäßige Eigentumsansprüche, wenn eine Person unaufgefordert, direkt oder indirekt, in die physische Integrität fremden Eigentums eingreift, und dann nicht nachweisen kann, daß dieser Eingriff, trotz des objektiven Augenscheins gegenwärtiger Besitzverhältnisse, deshalb gerechtfertigt ist, weil der fragliche Eigentumstitel in unrechtmäßiger Weise in die Hände des gegenwärtigen Besitzers gelangt ist, während er statt dessen rechtmäßig in die eigenen Hände gehört.

Wenn diese Eigentumstheorie für die meisten Ohren auch kaum umstürzlerisch klingt – immerhin entsprechen weite Teile des Privatrechts dieser Theorie, wie sehr einzelne Bestimmungen, wie die voranstehende Darstellung deutlich gemacht haben dürfte, davon auch abweichen – so hat sie doch, da sie eine reine Privatrechtsgesellschaft verlangt, in der Staaten qua Zwangskörperschaften keinen Platz haben, überraschend drastische Konsequenzen. Angesichts dessen muß die Theorie, auch wenn man ihre interne Konsistenz nicht bestreiten mag, den Vorwurf mangelnden Realismus erwarten: ‚Alles viel zu rationalistisch; so sind die Menschen nun einmal nicht, daß eine reine Privatrechtsgesellschaft funktionieren könnte!’ Hierauf zum Schluß diese knappe Antwort: Einmal: kann man es tatsächlich als unrealistisch bezeichnen, von Personen zu verlangen, das zu tun, was sie als Privatleute im alltäglichen Umgang miteinander ohnehin meist bereits beachten und als rechtens anerkennen?! Zum anderen, und wohl entscheidender: man gibt den Vorwurf zunächst einmal einfach zu, muß dann jedoch darauf bestehen, noch einmal ausdrücklich festhalten zu dürfen, was ‚mangelnder Realismus’ bedeutet. Er bedeutet nicht etwa, zu leugnen, daß Menschen nicht ausschließlich rationale Wesen, sondern auch Gefühlswesen sind; er bedeutet vielmehr lediglich, darauf zu bestehen, daß die Grenzen, innerhalb deren jedermann seinen Gefühlen freien Lauf lassen kann, rational, auf argumentativem Weg bestimmt werden müssen. ‚Realismus’ demgegenüber hieße, statt dessen einer bloß gefühlsmäßigen, sprach- bzw. argumentlosen Begrenzung der im zwischenmenschlichen Verkehr zulässigen Gefühlsäußerungen das Wort zu reden. Da dies nun aber einer Leugnung der Realität des Verstandes als einer unsere Gefühlsäußerungen kontrollierenden Instanz gleichkommt, ist es paradoxerweise gerade dieser Realismus, der in Wahrheit unrealistische Annahmen macht, während die kritisierte unrealistische Position, indem sie die Realität auch des Verstandes anerkennt, realistisch ist. Nicht die Forderung nach einer entsprechend den in dieser Arbeit dargelegten Regeln funktionierenden Privatrechtsgesellschaft ist also unrealistisch; unrealistisch ist es vielmehr, zu glauben, mit Verstand ausgestattete Menschen könnten sich je mit weniger als einer solchen Gesellschaft, d. i. mit einem Staat abfinden.[FN27]