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Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen (1920)

V. Die jüngste sozialistische Doktrin und das Problem der Wirtschaftsrechnung
Schluß

Schluß

Es muß angesichts dessen, was wir in den bisherigen Ausführungen
feststellen konnten, auffallen, daß die Vorkämpfer der sozialistischen
Produktionsweise für diese gegenüber der auf dem Sondereigentum an den
Produktionsmitteln beruhenden Wirtschaftsverfassung den Vorzug größerer
Rationalität in Anspruch nehmen. Wir haben uns im Rahmen dieser Arbeit
mit dieser Meinung insoweit nicht zu befassen, als sie mit der
Behauptung gestützt wird, daß in der liberalen Wirtschaft
notwendigerweise die Rationalität des Wirtschaftens keine vollkommene
sein könne, weil bestimmte Kräfte wirksam sind, die ihre Durchsetzung
behindern. Uns kann in diesem Zusammenhang nur die
wirtschaftstechnische Begründung dieser Meinung beschäftigen. Den
Vertretern dieser Lehre schwebt ein unklarer Begriff einer technischen
Rationalität vor, die zur wirtschaftlichen Rationalität, von der man
sich auch keine genaue Vorstellung macht, in einem Gegensatz stehen
soll. Man pflegt zu übersehen, daß »alle technische Rationalität der
Produktion eins ist mit einer geringen Höhe des spezifischen Aufwandes
beim Produzieren«(27) Man übersieht, daß die technische Rechnung nicht
hinreicht, um den »Grad der Allzweckmäßigkeit und Endzweckmäßigkeit« (28) eines, Vorganges zu erkennen, daß sie immer nur einzelne Vorgänge
ihrer Bedeutung nach abzustufen (120) vermag, uns niemals aber zu jenen
Urteilen führt, die durch die wirtschaftliche Gesamtlage erfordert
werden. Nur dadurch, daß sich die Technik an der Rentabilität zu
orientieren vermag, werden die Schwierigkeiten der Erwägung, die sich
aus der Kompliziertheit der Zusammenhänge zwischen dem gewaltigen
System der heutigen Produktion einerseits, dem Bedarfe und der
Leistungsfähigkeit der Unternehmungen und Wirtschaftseinheiten
andererseits, ergeben, überwunden, kann jener Umblick über die
Gesamtlage, den das wirtschaftlich rationelle Handeln erfordert,
gewonnen werden.(29)

Es ist die unklare Vorstellung von einem
Primat des objektiven Gebrauchswertes, von dem diese Theorien
beherrscht sind. In Wahrheit kann der objektive Gebrauchswert für die
Wirtschaftsführung nur durch den Einfluß, den er über den subjektiven
Gebrauchswert auf die Bildung der Austauschverhältnisse der
wirtschaftlichen Güter nimmt, für die Wirtschaft von Bedeutung werden.
Eine zweite unklare Vorstellung mischt sich ein: das persönliche Urteil
des Beobachters über die Nützlichkeit der Güter, das dem Urteil der am
Wirtschaftsverkehr teilnehmenden Menge entgegensteht. Wenn jemand
findet, daß es »unrationell« sei, so viel auf Rauchen, Trinken und
ähnliche Genüsse aufzuwenden, als in der Volkswirtschaft darauf
aufgewendet wird, so hat er von dem Gesichtspunkt seiner persönlichen
Wertung zweifellos recht. Doch er übersieht dabei, daß Wirtschaft nur
Mittelsuche ist, und daß die Rangordnung der letzten Ziele unbeschadet
aller rationellen Erwägungen, die ihre Setzung beeinflussen, Sache des
Wollens und nicht des Erkennens ist.

Die Erkenntnis der Tatsache,
daß im sozialistischen Gemeinwesen rationelle Wirtschaft nicht möglich
ist, kann natürlich weder für noch gegen den Sozialismus sprechen. Wer
aus ethischen Gründen für den Sozialismus selbst unter der
Voraussetzung einzutreten bereit ist, daß durch das Gemeineigentum an
den Produktionsgütern die Versorgung der Menschen mit wirtschaftlichen
Gütern erster Ordnung verringert wird, oder wer von asketischen Idealen
geleitet den Sozialismus will, wird sich dadurch in seinem Bestreben
nicht beeinflussen lassen. Noch weniger wird das jene Kultursozialisten
abschrecken können, die wie Muckle vom Sozialismus in erster Reihe »Er-
(121-) lösung von der fürchterlichsten aller Barbareien: dem
kapitalistischen Rationalismus« (30) erwarten. Doch wer vom Sozialismus
rationelle Wirtschaft erhofft, wird genötigt sein, seine Anschauungen
einer Ueberprüfung zu unterziehen.

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(27) Vgl. Gottl a. a. O. S. 220.

(28) Ebendort S. 218 f.

(29) Ebendort S. 225.

(30)
Vgl. Muckle , Das Kulturideal des Sozialismus. München und Leipzig
1919, S. 213. – Muckle fordert andererseits wieder »höchste
Rationalisierung des Wirtschaftslebens, auf daß die Arbeitszeit
verkürzt wird und der Mensch sich wieder auf ein Eiland zurückziehen
kann, um den Melodien seines Wesens zu lauschen«, a. a. O. S. 208.