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Neue Beiträge zum Problem der sozialistischen Wirtschaftsrechnung (1923)

Einleitung
I. Arthur Wolfgang Cohn: Kann das Geld abgeschafft werden?
II. Karl Polányi: Sozialistische Rechnungslegung
III. Eduard Heimann: Mehrwert und Gemeinwirtschaft
IV. Kautsky: Die proletarische Revolution und ihr Programm/Leichter: Die Wirtschaftsrechnung in der sozialistischen Gesellschaft

I. Arthur Wolfgang Cohn: Kann das Geld abgeschafft werden?

(489) Das Buch von Arthur Wolfgang Cohn ist die Doktorarbeit eines hochbegabten und vielversprechenden jungen Gelehrten, den ein beklagenswerter Unfall vorzeitig weggerafft hat.(3) Cohn gibt zunächst eine Darstellung der literarischen Behandlung des Problems, wobei er die ihm am _wichtigsten erscheinenden Stellen aus meinem oben erwähnten Aufsatze wortgetreu anführt. Im allgemeinen scheint er zunächst meinen Ausführungen zuzustimmen. Dann aber gelangt er unvermittelt zur Feststellung, daß das Problem, dessen Lösung ich als unmöglich bezeichnet habe, schon längst durch Schäffles Sozialtaxe gelöst sei; es sei ein Fehler, daß ich den Gedanken der Sozialtaxe gar nicht ins Auge gefaßt habe.(4) Schäffles Vorschlag ist leider ganz und gar unbrauchbar er beruht auf Verkennung des Wesens unseres Problems. Schäffle will seine Taxen durch behördlichen Spruch festsetzen lassen. »Oeffentliche Organe der Produktionsgewerkschaften und Vertreter der Konsumenten (etwa die Lagerbehörden, bei welchen die Bedarfe zum Uebergang in den Konsum liegen), müßten zusammentreten. … Ihnen wäre durch die Zentralstelle der Produktionsbuchhaltungen bekannt, den wievielten Teil der sozialen Arbeitszeit eine bestimmte Menge einer bestimmten Güterart (zu bestimmter Zeit an bestimmte Orte geliefert) kostet. Bei einem den Vorrat übersteigenden Stand und hoher Dringlichkeit der Nachfrage müßte die Taxe höher als der durchschnittliche Arbeitskostensatz angesetzt werden, im umgekehrten Falle niedriger. Hiefür würden vielleicht aus der Erfahrung Skalen sich feststellen lassen, die eine fast mechanische, sichere, willkürfreie Taxregulierung sichern würden«.(5) Das ist das Verfahren, das Schäffle für »die Feststellung der Liquidationstaxen zwischen Arbeitsguthaben und Gesellschaftsvorräten im Sozialistenstaat« empfiehlt. Für diesen Zweck, aber auch nur für diesen, ist es nun zweifellos ebenso brauchbar wie jedes andere Verfahren, das man vorschlagen könnte, Ob man es gerade für »gerecht« ansehen will oder nicht, das ist eine andere Frage, die uns hier nicht weiter kümmert; nur das ist zu erörtern, ob man es überhaupt anwenden kann, und diese Frage kann bejaht werden. Denn, das sozialistische Gemeinwesen kann die Verteilung der Güter nach beliebigen Grundsätzen vornehmen; nur wenn es bei der Zuweisung der Anteile verschiedene Güter wechselseitig vertretbar machen will, ist es an die Austauschverhältnisse gebunden, die sich in dem allein zulässigen Tausch von Genußgütern gegen Genußgüter bilden.(6) Ganz anders aber steht es mit der Frage der Brauch- (490) barkeit dieser Sozialtaxe für die Wirtschaftsrechnung; hier versagt sie vollkommen. Ihr gegenüber gilt all das, was ich in meinen obenerwähnten Arbeiten ausgeführt habe. Schäffles Grundirrtum liegt darin, daß er glaubt, es gebe ein »sozialistisches«, ein »direkt gesellschaftliches Wertmaß«, das »in einem aliquoten Teil der wirklich geleisteten Gesamtmasse gesellschaftlicher (sozialisierter) Arbeitszeit bzw. ihres Ertrages« bestehe.(7) »Kapitalistisch verwertete Arbeit« könne allerdings »nicht gesellschaftliches Wertmaß werden; denn sie läßt sich als Einheit nicht real darstellen, es kann daher auch kein aliquoter Teil von ihr Wertmaß werden. Bei kollektivistischer Produktion dagegen wäre gesellschaftliche Arbeit eine erfaßbare Realität, ihre Verwendung als Wertmaß allein natürlich«.(8) Schäffles werttheoretische Anschauungen waren viel zu wenig durchdacht, als daß er die elementaren Mängel seiner Aufstellung hätte bemerken können. Gewisse Bedenken sind ihm später freilich selbst gekommen.(9) Grundsätzlich hat er an seinen Ideen aber trotzdem festgehalten.(10) Schäffle war weit entfernt davon, das Problem auch nur richtig zu erfassen; die Behauptung, er hätte es im Sinne der Durchführbarkeit sozialistischer Wertrechnung gelöst, ist ganz und gar unrichtig.

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(3) Vgl. A. W. Cohn, Kann das Geld abgeschafft werden ? Jena 1920 (Verlag Gustav Fischer).

(4) A. a. O. S. 128.

(5) Vgl. Schäffle, Bau und Leben des sozialen Körpers, III. Bd., Tübingen 1878, S. 354 f.

(6) Vgl. meine Gemeinwirtschaft, a. a. O. S. 147.

(7) Vgl. Schäffle, a. a. O. S. 474 (auch S. 332 ff.).

(8) Vgl. Schäffle, a. a. O. S. 476 (in der zweiten, 1896 erschienenen Auflage, Bd. II, S. 3o6).

(9) Vgl. Schäffle, Die Quintessenz des Sozialismus, 18. Auflage, Gotha 1919, S. 47 ff.; Die Aussichtslosigkeit der Sozialdemokratie, 2. Auflage, Tübingen 1885, S. 27 ff.

(10) »Wie schon bemerkt, muß der Sozialismus seinen Fundamentalsatz vom sozialen Arbeitskostenwert der Güter von Grund aus zu korrigieren verstehen. Das ist, dünkt uns, nicht unmöglich; wir lassen es hier dahingestellt« (Schäffle, Quintessenz, a. a. O. S. 47).