Rezension: 'Deutschlands kranke Wirtschaft und ihre Wiederherstellung' von Dr. Gustav Seibt (1924)
Diesen Artikel können sie auch im PDF-Format hier (72kb) herunterladen.
Quelle: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft (Schmollers Jahrbuch). 48: 1 (1924) S. 334-335
Seibt, Dr. Gustav: Geh. Reg.-Rat, Professor der Statistik an der Universität Bonn: Deutschlands kranke Wirtschaft und ihre Wiederherstellung. Bonn 1923. A. Marcus & Webers Verlag (Dr. jur. Albert Ahn). Oktav. 76 S.
Auf den Irr-und Abwegen, die die deutsche Wirtschaftspolitik der letzten Zeit gewandelt ist, schritt ihr die Publizistik als Führer voran. Kein Mißgriff wurde begangen, der nicht schon lange vorher im volkswirtschaftlichen Schrifttum mit dem größten Aufwande von Beredsamkeit empfohlen worden war. Bismarck hat einmal den, natürlich nicht ernst gemeinten Vorschlag gemacht, den Sozialismus in einigen Kreisen probeweise einzuführen, um seine Unzulänglichkeit durch das Experiment zu erweisen. Die Politik seiner Nachfolger hat das ganze Deutsche Reich zur Erprobung von Lehren zur Verfügung gestellt, deren Mängel man auch ohne das grausame Experiment hätte erkennen müssen. Daß man die Irrlehren so lange die öffentliche Meinung beherrschen ließ, wird stets den dunkelsten Punkt in der Geschichte der deutschen Gesellschaftswissenschaft bleiben.
Das große Verdienst der kleinen Schrift von Seibt liegt darin, daß es allen landläufigen Irrlehren in entschiedener Weise zu Leibe rückt. Den Ausgangspunkt bilden geldtheoretische Ausführungen; mit Recht beginnt Seibt seine Schrift mit den Worten: “Den Schlüssel zum Verständnis unserer heutigen wirtschaftlichen Entwicklung haben wir in der Geldlehre zu suchen.“ Er entwickelt dann in einfacher und klarer Weise die Grundzüge der Quantitätstheorie und zeigt die Unhaltbarkeit der Zahlungsbilanztheorie der Devisenkurse auf. Damit hat er dann eine feste Grundlage gewonnen, auf der sich die Auseinandersetzung mit den herrschenden Anschauungen über Ausverkauf, Kapitalsverzehrung, Unterproduktion, Mieterschutz, Steuerpolitik und Reparationen aufbauen läßt. Zum Schlusse kommt dann ein Reformprogramm, das in zwei Forderungen gipfelt:“Stillegung der Notenpresse“ und „Zurück zur freien Wirtschaft“.
Das Büchlein Seibts ist vom 1. Dezember 1922 datiert. Im Vorwort bemerkt der Verfasser, wenn es nicht gelinge, Währung und Wirtschaft in Ordnung zu bringen, werde es seiner Schätzung nach „kein Jahr mehr dauern, bis Deutschland zusammenbricht“. Wir wissen heute, daß er mit seiner Schätzung recht behalten hat; die Katastrophe des deutschen Geldwesens ist bald genug gekommen. Man hat Seibt ebensowenig gehört wie andere, die ähnliche Ansichten ausgesprochen haben; man hat auch seinen Rat nicht befolgt, sich die Erfahrungen anderer Staaten, vor allem Österreichs, zunutze zu machen. Und es wird voraussichtlich noch lange dauern, bis man aufhören wird, den Quacksalbern zu folgen und ernste Warnungen zu mißachten.
Seibts Arbeit ist eine Gelegenheitsschrift; einige Daten, die er verwendet, sind heute überholt. Doch wie jede gute Gelegenheitsschrift, wird seine Arbeit nicht so bald veralten. Man täte sehr unrecht, wollte man sie achtlos zur Seite schieben, weil sie über einige jüngst entstandene Fragen, wie z.B. Ruhrbesetzung, Rentenmark u. dgl., nichts sagt. Die falschen Lehren, die er zertrümmert, beherrschen leider noch heute die Geister, und die richtigen Theorien, die er an ihre Stelle setzt, sind heute noch richtig und werden immer richtig bleiben. Es gibt kaum eine klarere und logischer vorgehende Einführung in die theoretischen Probleme der deutschen Wirtschaftspolitik; dabei ist die Schreibweise ganz außerordentlich schlicht, so daß sie jedermann verstehen kann. Das Büchlein wird mit einigen wenigen anderen Schriften – z.B. mit Dietzels „Die Nationalisierung der Kriegsmilliarden“ – stets Zeugnis dafür ablegen, daß auch deutsche Nationalökonomen die Folgen, die die inflationistische und etatistische Politik nach sich ziehen mußte, im voraus erkannt und rechtzeitig gewarnt haben. Warum man nicht auf diese Stimmen geachtet hat, sondern auf die freilich weit zahlreicheren derer, die das Gegenteil verkündet haben, das auszuführen, ist hier nicht der Ort.
Wien, Ludwig Mises