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Interventionismus (1926)

VI. Die Doktrin des Interventionismus
VII. Das historische und das praktische Argument für den Interventionismus
VIII. Neue Schriften über Probleme des Interventionismus

VIII. Neue Schriften über Probleme des Interventionismus

In Deutschland, dem klassischen Lande des Interventionismus, wurde die Notwendigkeit, sich ernstlich mit der Kritik auseinanderzusetzen, die die Nationalökonomie am Interventionismus geübt hatte, kaum empfunden. Der Interventionismus kam kampflos zur Herrschaft. Er durfte die von Engländern und Franzosen geschaffene Wissenschaft der Nationalökonomie, die schon List als den Interessen des deutschen Volkes abträglich gebrandmarkt hatte, unbeachtet lassen. Von den wenigen deutschen Nationalökonomen war Gossen ganz, Thünen nahezu unbekannt, Hermann und Mangold ohne tieferen Einfluß geblieben. (643) Menger wurde dann im Methodenstreit »erledigt«. Um das, was seit dem Beginne der 7oer Jahre des 19. Jahrhunderts in der Nationalökonomie geschaffen wurde, kümmerte sich die offizielle Wissenschaft im Deutschen Reich nicht mehr. Alle Einwände, die gegen sie erhoben wurden, tat sie damit ab, daß sie sie als Vertretung der Sonderinteressen der Unternehmer und Kapitalisten brandmarkte.(8)

In den Vereinigten Staaten, auf die jetzt die Führung im Interventionismus überzugehen scheint, liegen die Dinge doch anders. In dem Lande, in dem J. B. Clark, Taussig, Fetter, Davenport, Young, Seligman wirken, geht es nicht an, sich wortlos über alles hinwegzusetzen, was die Nationalökonomie geleistet hat. Es war daher zu erwarten, daß in den Vereinigten Staaten der Versuch unternommen werden wird, die Durchführbarkeit und Sinnhaftigkeit des Interventionismus zu beweisen. John Maurice Clark, früher Professor der Universität von Chicago, seit Herbst 1926 wie früher sein großer Vater, John Bates Clark, Professor an der Columbia University in New York, hat sich dieser Arbeit unterzogen.(9)

Es ist freilich sehr zu bedauern, daß in dem umfangreichen Werke nur ein einziges, leider nur wenige Seiten umfassendes Kapitel sich mit dem Grundprobleme des Interventionismus befaßt.

Clark unterscheidet zwei Arten der staatlichen (gesellschaftlichen) Regelung der wirtschaftlichen Handlungen: Regelung der nebensächlichen Dinge (those in which the state is dealing with matters which are incidental to the main transaction) und Regelung der wesentlichen Dinge (those in which the »heart of the contract« is at stake and the state presumes to fix the terms of the exchange and dictate the consideration in money or in goods, or to say that the exchange shall not take place at all).(10)

Diese Unterscheidung deckt sich so ziemlich mit der von uns (644) vorgenommenen, die die produktionspolitischen und die preispolitischen Eingriffe unterscheidet. Es ist ja klar, daß eine nationalökonomische Betrachtung des Interventionssystems gar nicht anders vorgehen kann.

Auch in der Beurteilung der Regelung der nebensächlichen Dinge der Geschäfte (control of matters incidental to the contract) gelangt Clark zu keinem andern Ergebnis als wir in der Beurteilung der produktionspolitischen Eingriffe. Auch er kann nicht umhin, festzustellen, daß sie nur produktionshemmend und produktionshindernd wirken können (such regulations impose some burdens on industry).(11) Das ist alles, was uns an seinen Ausführungen interessiert. Die Erörterung des politischen Für und Wider solcher Eingriffe ist für unser Problem bedeutungslos.

In der Besprechung der Regelung der wesentlichen Dinge der Geschäfte (control of the »heart of the contract«), der unsere Kategorie der preispolitischen Eingriffe ungefähr entspricht, erwähnt Clark zunächst die amerikanischen Zinstaxen. Sie würden, meint er, durch Aufrechnung von Nebengebühren umgangen, die den Darlehensnehmer über den nominellen Zinssatz hinaus belasten. Für kleine Darlehen an Konsumenten habe sich ein illegaler Geschäftsverkehr entwickelt. Da anständige Leute solche Geschäfte nicht machen, seien sie die Domäne skrupelloser, Elemente. Da solche Geschäfte das Licht der Oeffentlichkeit scheuen müssen, würden enorme Zinssätze verlangt und gewährt, die weit das übersteigen, das verlangt und gewährt werden würde, wenn es keine Zinstaxen geben würde. Charges equivalent to several hundred per cent per year are the common thing. The law multiplies the evil of extortion tenfold.(12)

Nichtsdestoweniger hält Clark Zinstaxen nicht für sinnwidrig. Man soll den Darlehensmarkt auch für diese Kategorie, von Darlehen an kleine Leute zu Konsumzwecken zwar im übrigen frei gewähren lassen, aber durch Gesetz verbieten, höhere Zinsvergütung zu fordern, als der Marktlage entspricht. (The law . . . may render a great service in preventing the exaction of charges which are materially above the true market rate.) Der einfachste Weg zur Erreichung dieses Ziels sei to fix a legal rate for this class of loans which liberally covers all costs and (645) necessary inducements, and to forbid all charges in excess of this rate.(13)

Nun freilich, wenn die Zinstaxe die Zinssätze des Marktes als zulässig erklärt oder gar über sie freigebig hinausgeht, dann kann sie nicht schaden; sie ist nur unnütz und überflüssig. Bleibt sie aber hinter dem Satze, der sich auf dem unbehinderten Markte bilden würde, zurück, dann treten alle jene Folgen ein, die Clark selbst treffend in den angeführten Stellen gekennzeichnet hat. Was soll also die Zinstaxe? Darauf antwortet Clark: sie ist notwendig, um unfair discriminations zu verhindern.(14)

Der Begriff der unfair discriminations (auch undue discriminations) stammt aus dem Gebiete der Monopole her.(15) Ist der Monopolist als Verkäufer in der Lage, die Kauflustigen ihrer Kaufkraft und Kauflust nach in Schichten zu sondern, denen er dieselbe Ware oder Leistung zu verschiedenen Bedingungen anbietet, dann fährt. er besser als bei Erstellung eines einheitlichen Preises. Diese Voraussetzungen sind bei Verkehrsanstalten, Beleuchtungs- und Kraftwerken und ähnlichen Betrieben in der Mehrzahl der Fälle gegeben. Die Frachttarife der Eisenbahnen stellen geradezu den klassischen Fall solcher Differenzierung dar. Sie »ungerechtfertigt« zu nennen, geht wohl nicht so ohne weiteres an, wie der Interventionist naiv und voll von Ressentiment gegen den Monopolisten annimmt. Doch wir haben uns um die Frage der ethischen Berechtigung eines Eingriffes nicht zu kümmern. Was wir vom Standpunkte der Wissenschaft allein fest zustellen haben, ist das eine, daß dem Monopol gegenüber Raum für Eingriffe der Staatsgewalt gegeben ist.

Es gibt aber auch differentielle Behandlung verschiedener Käuferschichten gegen das Interesse des Monopolunternehmens. Das ist natürlich bewußt nur dort möglich, wo das Monopolunternehmen als Glied eines größeren Ganzen geführt wird, in dessen Rahmen es noch anderen Zwecken dienstbar gemacht wird als dem der größten Rentabilität. Wir übergehen die Fälle, in denen es sich dabei um die Erreichung bestimmter nationalpolitischer, militärpolitischer oder sozialpolitischer Ziele u. dgl. m. (646) durch Monopolisten handelt, die entweder selbst öffentliche Zwangsverbände sind oder unter ihrem Einflusse stehen. Beispiele wären etwa die Erstellung von Frachtsätzen nach handelspolitischen Gesichtspunkten oder die Differenzierung der Preise in Gemeindebetrieben nach dem Einkommen des Käufers. In diesen Fällen erfolgt die Differenzierung im Sinne der Interventionisten und wird von ihnen gebilligt. Für uns können nur jene Fälle von Bedeutung sein, in denen der Monopolist eine Differenzierung gegen das Rentabilitätsinteresse des Unternehmens durchführt, weil er auf die Interessen eines andern Unternehmens, die ihm wichtiger erscheinen, Rücksicht nimmt, oder weil er den Abnehmer aus persönlichen Gründen oder um ihn zu irgendeiner Handlung oder Unterlassung zu nötigen, ungünstiger stellen will. In den Vereinigten Staaten haben Eisenbahnunternehmungen durch Einräumung von billigeren Frachtsätzen einzelne Verfrachter, die ihrer Leitung nahestanden, im Wettbewerb gefördert und ihre Konkurrenten dadurch nicht selten genötigt, ihre Betriebe aufzulassen oder um einen niedrigen Preis abzutreten. Man hat diese Vorfälle überaus abfällig beurteilt, weil sie Konzentration der Unternehmungen und der Betriebe und die Bildung von Monopolen befördert haben und die öffentliche Meinung in dem Verschwinden der Konkurrenz innerhalb jedes einzelnen Produktionszweiges ein Uebel sehen wollte. Man verkannte eben, daß der Wettbewerb von seiten der Produzenten und Verkäufer sich nicht nur innerhalb der einzelnen Produktionszweige, sondern zwischen allen konsumverwandten Gütern – und konsumverwandt sind im weiteren Sinne alle Güter – abspielt und daß die Folgen der durch die wenigen echten Monopole – der Bergwerksproduktion und ähnlicher Zweige der Urproduktion – bewirkten Erhöhung des Preises vom Konkurrenzpreis auf den Monopolpreis durchaus nicht so unzweifelhaft für das Ganze nachteilig sind, wie die naive Monopolgegnerschaft anzunehmen bereit ist.(16)

Doch in dem von Clark behandelten Fall des Darlehensmarktes für kleinere Kredite an Konsumenten, Kleinbauern, Kleinhändler und Handwerker ist von einer Monopolisierung nicht die Rede. Wie sollte es möglich sein, hier unfair discriminations zu machen? Wenn das Darlehen von einer Seite nicht zum Marktsatze gewährt wird, wendet sich der Kreditsuchende ein- (647) fach an einen andern Geldgeber. Daß freilich jedermann – und ganz besonders in den Kreisen der Kreditbedürftigen dieser untersten Kategorie – leicht geneigt ist, seine eigene Bonität zu hoch einzuschätzen und die vorn Kreditor geforderten Sätze als zu hoch zu bezeichnen, soll nicht bestritten werden.

Von den Zinstaxen geht Clark zur Besprechung der Mindestlohnsatzungen über. Eine »künstliche« Lohnerhöhung, meint er, führt zu Arbeitslosigkeit. Die Lohnsteigerung erhöhe nämlich die Produktionskosten und damit den Preis der Produkte, die dann vom Markt nicht mehr in der Menge, die zum niedrigeren Preis abgesetzt wurde, aufgenommen werden. So gebe es dann auf der einen Seite unbefriedigte Kauflustige, die die Waren billiger, als sie auf dem Markt nun zu haben sind, erstehen möchten, und auf der anderen Seite Arbeitslose, die bereit wären, um einen niedrigeren Lohn, als der Tarif ihn festgelegt hat, zu arbeiten; schließlich fänden sich Unternehmer, die diese potentielle Nachfrage und dieses potentielle Angebot zusammenzubringen bereit wären.(17)

Soweit könnte man Clark wieder zustimmen. Doch nun kommt eine Behauptung, die durchaus fehl geht. Clark meint nämlich, auch die regulations affecting the incidental conditions of employment müßten dieselben Folgen nach sich ziehen, da auch sie die Produktionskosten steigern.(18) Das ist eben nicht richtig. Wird die Lohnbildung auf dem Arbeitsmarkte frei gelassen, dann bedeuten Eingriffe, wie Kürzung der Arbeitszeit, Zwangsversicherung der Arbeiter auf Kosten der Unternehmer, Vorschriften über die Einrichtung der Betriebe, über Urlaub der Arbeiter bei Fortbezug des Lohnes u. dgl. m. keine Steigerung des Lohnes über den Marktsatz hinaus. Alle diese Lasten werden auf den Lohn überwälzt, werden vom Arbeiter getragen. Man konnte das übersehen, weil diese sozialpolitischen Eingriffe in erster Linie in einer Epoche steigender Reallöhne und sinkender Kaufkraft des Geldes zur Einführung gelangten, so daß die Nettolöhne, die an den Arbeiter bar ausgezahlt wurden, in Geldausdruck und in Naturalwert noch immer stiegen, trotzdem sie immer stärker durch Anrechnung solcher dem Unternehmer erwachsenden Spesen belastet wurden. In der Kalkulation des Unternehmers wird nicht bloß der Lohn des Arbeiters verrechnet, (648) sondern alle aus der Verwendung eines Arbeiters entstehenden Kosten.

Wenn Clark dann weiter meint, Lohnerhöhungen wie andere Eingriffe zugunsten der Arbeiter may prove self-sustaining through raising the level of personal efficiency, through furnishing an added stimulus to the employer’s search for improved methods, and through hastening the elimination of the least efficient employers and transfering their business to those who will conduct it more efficiently,(19) so hat das mit unserem Problem gar nichts mehr zu tun. All das kann man auch von einem Erdbeben oder von einer andern Elementarkatastrophe behaupten.

Clark ist zu gut geschult in der Theorie und zu scharfsinnig, um nicht zu merken, wie unhaltbar seine ganze Beweisführung ist. Er schließt sie daher mit den Worten, die Frage, ob ein bestimmter Begriff eine »violation of economic law« wäre, sei im Grunde a question of degree; in letzter Linie komme in Betracht, wie groß die durch ihn bewirkten Veränderungen der Kosten oder Marktwerte seien. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage sei kein thing of precision and inexorable rigidity. Oft habe eine kleine Veränderung der Produktionskosten (a small change in costs of production) überhaupt keinen Einfluß auf den Endpreis, wo z., B. der Preis in runden Beträgen festgelegt zu werden pflegt und die Händler kleine Veränderungen der Kosten oder der Großhandelspreise auf sich nehmen. Und dann folgt Clarks letztes Wort: Starke Lohnsteigerungen ziehen die geschilderten Folgen nach sich, bei kleinen mag es anders sein.(20)

Betrachten wir es genau, so gibt Clark damit alles zu, was diejenigen behaupten, die den Interventionismus als zweck- und sinnwidrig bezeichnen. Daß die Folgen eines Eingriffes in ihrer Quantität von seiner Stärke abhängen, ist selbstverständlich und nie bestritten worden. Ein kleines Erdbeben zerstört weniger als ein großes, und ganz schwache Erdbeben hinterlassen überhaupt keine merklichen Spuren.

Es ist ganz und gar unwesentlich, daß Clark trotz alledem daran festhält, daß man solche Eingriffe vornehmen könne und (649) sie befürwortet. Er muß zugeben, daß es dann notwendig sei, noch besondere Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Folgen zu beseitigen. Werden z. B. Preistaxen verfügt, so müsse man, um die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage zu beseitigen, rationieren. Und man müsse dafür sorgen, daß die Produktion, weil der gewöhnliche Antrieb geschwunden sei, should be directly stimulated.(21) Hier bricht Clark seine Ausführungen leider ab. Hätte er sie weiter fortgesetzt, dann hätte er notwendigerweise zur Erkenntnis gelangen müssen, daß es nur zwei Alternativen gibt: entweder von allen Eingriffen abzusehen oder aber, wenn man davon nicht lassen will, zur Behebung der discrepancy between supply and demand which the public policy has created soweit in immer neuen Eingriffen fortzuschreiten, bis die gesamte Produktion und Verteilung der Leitung des gesellschaftlichen Zwangsapparates unterstellt wird, also bis zur Vergesellschaftung der Verfügung über die Produktionsmittel, bis zum Sozialismus.

Es ist eine ganz unbefriedigende Lösung, wenn Clark für den Fall der Mindestlohnsatzungen empfiehlt, die durch sie arbeitslos Gewordenen durch öffentliche Arbeiten zu beschäftigen.(22) Und wenn er auf energy, intelligence and loyalty hinweist, die alle Eingriffe erfordern, so ist das nichts als ein Ausdruck der Verlegenheit.(23)

Government, sagt Clark im vorletzten Satze des diesen grundsätzlichen Erörterungen gewidmeten Kapitels seines Buches, can do a great deal of good by merely seeing to it that everyone gets the benefit of the market rate, whatever that is, and thus preventing the ignorant from being exploited on account of their ignorance.(24) Das stimmt ganz mit der Auffassung des Liberalismus überein: die Regierung soll nichts anderes tun als durch Schutz des Sondereigentums und Beseitigung aller seiner Auswirkung entgegenstehenden Hemmnisse verhindern, daß einzelnen oder ganzen Gruppen der freie Zutritt zum Markte verwehrt werde. Das ist nichts anderes, als eine Umschreibung des Grundsatzes: Laissez faire, laissez passer. Es ist ohne besondere Bedeutung, ob man, wie es Clark offenbar tut, zur Erreichung dieses Zweckes eine besondere Aufklärungsarbeit für erforderlich hält oder nicht. Unkenntnis der Marktlage allein kann nicht der (650) Umstand sein, der Kauflustige oder Arbeitsuchende an der Ausnützung der Konjunktur behindert; wenn die Verkäufer und die Unternehmer in der Aufsuchung der Kunden und der Arbeitswilligen nicht gestört werden, wird ihr Wettbewerb die Preise ermäßigen und die Löhne erhöhen, bis der der Marktlage entsprechende Satz sich einstellt. Doch wie dem auch sei, es stünde mit dem liberalen Prinzip durchaus nicht in Widerspruch, wenn die Regierung für Veröffentlichung aller für die Marktpreisbildung belangreichen Angaben fortlaufend Sorge tragen wollte.

Das Ergebnis der Untersuchungen, die Clark unserem Problem gewidmet hat, steht mithin mit dem, was in den vorangehenden Abschnitten unserer Abhandlung ausgeführt wurde, nicht im Widerspruch. Trotz des Eifers, den Clark dem Nachweis gewidmet hat, daß die vielberufenen »Eingriffe« nicht zweck- und sinnwidrig sind, ist es ihm nicht gelungen, mehr darzutun als das, daß die Eingriffe unter Umständen, nämlich dann, wenn sie quantitativ unbedeutend sind, auch nur unbedeutende Folgen nach sich ziehen, und daß quantitativ bedeutendere Eingriffe unerwünschte Folgen nach sich ziehen, denen man durch besondere Maßnahmen entgegenwirken müsse. Die Darstellung dieser besonderen Maßnahmen aber hat Clark leider vorzeitig abgebrochen; hätte er sie, wie er es hätte tun müssen, bis ans Ende geführt, dann hätte auch seine Darlegung klar gezeigt, daß es keine andere Wahl geben kann, als entweder das Sondereigentum an den Produktionsmitteln frei gewähren lassen oder aber die Verfügung über die Produktionsmittel der organisierten Gesellschaft – ihrem Zwangsapparat, dem Staat – ganz zu übertragen, daß es also keine. andere Alternative geben kann als die: Sozialismus oder Kapitalismus.

So kann denn auch das Werk von Clark, das der letzte und vollkommenste Ausdruck des amerikanischen Interventionismus ist, dort, wo es sich mit den grundsätzlichen Fragen des Interventionismus auseinandersetzt, zu keinem andern Ergebnis gelangen als zu dem, daß der Interventionismus ein in sich widerspruchsvolles und im Sinne seiner Urheber selbst zweckwidriges System ist, das sich folgerichtig nicht durchführen läßt und dessen Anwendung in jedem einzelnen Fall nichts anderes bewirken kann als Störungen im Ablaufe des Mechanismus der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung.

Auch Richard Strigl, ein der »österreichischen« Schule angehöriger Nationalökonom, dem wir die jüngste deutsche Behandlung unserer Probleme verdanken, steht, wenn auch nicht so ausgesprochen wie Clark, mit seinen persönlichen Sympathien auf der Seite des Interventionismus. Aus jeder Zeile seiner Arbeit, die den Versuch unternimmt, die lohntheoretischen Probleme des Interventionismus systematisch zu untersuchen,(25) spricht deutlich das Bestreben, der Sozialpolitik im allgemeinen und der gewerkschaftlichen Politik im besonderen soviel Gutes nachzurühmen als nur irgendwie möglich ist. Alles, was Strigl vorbringt, wird vorsichtig verklausuliert, so etwa wie in früheren Jahrhunderten Schriftsteller vorsichtig ihre Worte setzten, um nicht der Inquisition oder der Zensur zu verfallen.(26) Aber alle Konzessionen, die sein Herz der interventionistischen Denkungsart macht, betreffen nur Nebendinge und die Einkleidung, in der sich die Lehre vorstellt. In der Sache selbst gelangt Strigl auf Grund scharfsinniger Untersuchung zu keinem andern Ergebnis als zu dem, das eine nationalökonomische Untersuchung des Interventionismus allein zeitigen kann. Man kann den Kern seiner Lehre aus dem Satze erkennen: »Je mehr der Arbeiter leisten kann, desto mehr wird er, wenn diese Leistung von einer Art ist, die in der Wirtschaft gebraucht wird, verdienen können, ganz gleich, ob der Lohn auf dem freien Markte sich bildet oder im Vertrage festgelegt wird«.(27) Es bereitet Strigl offensichtlich Kummer, daß dem so ist; aber er kann es nicht und will es nicht bestreiten.
Strigl legt das Hauptgewicht darauf, daß durch die künstliche Erhöhung des Lohnes Arbeitslosigkeit geschaffen wird.(28) Das ist unzweifelhaft richtig für den Fall, daß die Löhne nur in einzelnen Zweigen der Produktion oder nur in einzelnen Ländern erhöht werden oder daß die Erhöhung in den verschiedenen. Branchen und Ländern ungleichmäßig erfolgt, oder daß von der Geldseite her der allgemeinen Preissteigerung entgegengewirkt wird. Der von Strigl untersuchte Fall ist unzweifelhaft für die. Erkenntnis dessen, was heute vorgeht, wichtig. Doch für die grundsätzliche Erfassung der Probleme muß man auch noch eine (652) andere Annahme zugrunde legen. Nur wenn man davon ausgeht, daß die Lohnsteigerung gleichmäßig und gleichzeitig in den verschiedenen Produktionszweigen und in den verschiedenen Ländern erfolgt und wenn man die geldtheoretischen Einwendungen durch zweckentsprechende Annahmen ausschaltet, wird das Ergebnis der Untersuchung jene allgemeine Gültigkeit besitzen, die wir benötigen, um den Interventionismus ganz zu verstehen.

Von den interventionistischen Maßnahmen wird im Deutschen Reiche und in Oesterreich heute kaum eine andere so sehr angegriffen wie der Achtstundentag. Man vertritt vielfach die Ansicht, daß es keinen andern Weg zur Behebung der wirtschaftlichen Notlage gebe als den, die gesetzliche Begrenzung des Arbeitstages mit acht Stunden zu beseitigen; mehr und intensivere Arbeit wird gefordert. Dabei wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß mit der Verlängerung der Arbeitszeit und der Erhöhung der Arbeitsleistung keine Steigerung des Lohnes erfolgen oder daß zumindest die Lohnsteigerung hinter der Steigerung der Arbeitsleistung zurückbleiben soll, so daß die Arbeit billiger wird. Gleichzeitig wird Erleichterung der »sozialen Lasten« jeglicher Art – in Oesterreich auch Beseitigung der vom Unternehmer zu entrichtenden Lohnsummenabgabe (»Fürsorgeabgabe«) – gefordert, wobei ebenfalls stillschweigend vorausgesetzt wird, daß die Ersparnis dem Unternehmer verbleiben soll. In dieser indirekten Weise wird eine Verbilligung der Arbeitskraft angestrebt. Den Bemühungen, die unmittelbar eine Lohnherabsetzung anstreben, kommt gegenwärtig nur geringe Bedeutung zu.

In der Erörterung der Probleme des Achtstundentages und der Arbeitsintensität in den sozialpolitischen Fachblättern und in der wirtschaftspolitischen Literatur kann man nun einen langsamen, aber doch stetigen Fortschritt zur Erfassung der nationalökonomischen Seite der Frage erkennen. Selbst Schriftsteller, die ihre Vorliebe für den Interventionismus nicht verhehlen, geben die Richtigkeit der wichtigsten gegen den Interventionismus vorgebrachten Argumente zu. Nur selten begegnet man noch jener Blindheit in der grundsätzlichen Beurteilung, dieser Dinge, die das Schrifttum vor dem Kriege kennzeichnete.

Die Herrschaft der interventionistischen Schule ist freilich heute noch nicht gebrochen. Von Schmollers Staatssozialismus und Etatismus und von Marxens egalitärem Sozialismus und (653) Kommunismus sind im politischen Leben der Völker heute nur noch die Namen übrig geblieben; das sozialistische Ideal selbst hat aufgehört, unmittelbare politische Wirkung zu üben; seine eigenen Anhänger – selbst die, die zu seiner Durchsetzung noch vor wenigen Jahren Ströme von Blut vergossen haben – haben es aufgegeben oder doch wenigstens vorläufig zurückgestellt. Doch der Interventionismus, den sowohl Schmoller als auch Marx – jener als Gegner jeder »Theorie« ganz unbedenklich, dieser in unlösbarem Widerspruch zu allen seinen theoretischen Lehren mit schlechtem Gewissen – neben ihrem Sozialismus und in Widerspruch zu ihm vertreten haben, beherrscht heute die Geister.

Ob die politischen Voraussetzungen für eine Abkehr des deutschen Volkes und der anderen führenden Völker von der interventionistischen Politik gegeben sind, soll hier nicht geprüft werden. Wer unbefangen die Dinge betrachtet, wird eher den Eindruck gewinnen, daß der Interventionismus noch im Vordringen begriffen ist; für England und die Vereinigten Staaten dürfte dies kaum zu bestreiten sein. Sicher aber ist, daß die Versuche, den Interventionismus vorn Standpunkte der theoretischen Nationalökonomie – nicht vom Standpunkte irgendeines bestimmten Systems, sondern überhaupt vom Standpunkt eines beliebigen Systems – als sinnvoll, erscheinen zu lassen, heute ebenso vergeblich sind, wie sie es stets waren. Von der Nationalökonomie führt kein Weg zum Interventionismus. Alle Erfolge des Interventionismus in der praktischen Politik waren »Siege über die Nationalökonomie«.

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(8) Vgl. die zutreffende Charakterisierung dieses Verfahrens bei Pohle, Die gegenwärtige Krisis in der deutschen Volkswirtschaftslehre, 2. Ausgabe, Leipzig 1921, S. 115 ff.

(9) Vgl. J. M. Clark, Social Control of Business. The University of Chicago Press 1926.

(10) Vgl. Clark, a. a. O., S. 450. – Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, bemerke ich ausdrücklich, daß diese Unterscheidung mit der gemeinrechtlichen Unterscheidung der essentialia, naturalia und accidentalia negotii nichts zu tun hat.

(11) Ebendort S. 451.

(12) Ebendort S. 453 f.

(13) Ebendort S.454.

(14) Ebendort S.454.

(15)
Vgl. aus der großen amerikanischen Literatur: Nash, The Economies of Public Utilities, New York 1925, S. 97, 371; Wherry, Public Utilities and the Law, NewYork 1925, S. 3ff., 82 ff., 174. Vgl.auch Clark, a. a. O. S. 398 ff.

(16) Vgl. darüber meine Gemeinwirtschaft, Jena 1922, S. 382 f.

(17) Vgl. Clark, a. a. O., S, 454.

(18) Vgl. Clark, a. a. O., S. 455.

(19) Ebendort.

(20) A large increase in wage rates may be a »violation of economic law«, in the sense in which we are using the term, where a small increase would not be (ebendort S. 455).

(21) Ebendort S. 456.

(22) Ebendort S. 456.

(23) Ebendort S. 457.

(24) Ebendort S. 459.

(25) Vgl. Strigl, Angewandte Lohntheorie, Untersuchungen über die wirtschaftlichen Grundlagen der Sozialpolitik. Leipzig und Wien 1926.

(26) Besonders charakteristisch a. a. O., S. 71 ff.

(27) A. a. O., S. 106.

(28) A. a. O., S. 65 ff., S. 116 f.