| Die Abschaffung des Geldes in Russland (1920) | 
| Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen (1920) | 
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Die Abschaffung des Geldes in Russland (1920)
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Quelle: Neue Freie Presse, 17. November 1920, Nr. 20195; der Artikel ist abgedruckt im Buch “”http://www.buchausgabe.de/public_products/Der-unbekannte-Mises-Friedrich-A-v-Hayek-Institut-Kurt-R-Leube-Ludwig-von-Mises-167">Der unbekannte Mises", erhältlich bei buchausgabe.de.
Einer Kopenhagener Nachricht zufolge soll die Sowjetregierung das Geld 
abgeschafft haben. Die Auszahlungen sollen in Hinkunft nicht mehr in Rubeln, 
sondern in Zahlungsanweisungen erfolgen, welche die staatlichen 
Warenabgabestellen honorieren sollen. Diese Zahlungsanweisungen müssen bei 
sonstigem Verfall binnen zwei Monaten präsentiert werden; dadurch soll 
verhindert werden, dass sie nach Art des Geldes sich im Umlauf erhalten. Es ist 
nicht klar, ob diese Zahlungsanweisungen auf Geld lauten sollen oder auf Waren 
bestimmter Menge. In jenem Falle würde es sich um nichts anderes handeln als um 
die Ausgabe einer neuen Art von Papiergeld. Alle Regierungen, die gegen die 
Entwertung des Geldes zu kämpfen hatten, haben es einmal mit dem Mittel 
versucht, durch Ausgabe einer neuen Art von Papiergeld, die man in irgendeiner 
Weise besser zu fundieren trachtete, der vollständigen Entwertung ihrer 
Emissionen entgegenzutreten. So hat die französische Revolution, als die 
Assignaten schon alles Ansehen verloren hatten, es mit der Ausgabe von 
Territorialmandaten versucht. Aehnlich haben die Vereinigten Staaten im 
Revolutionskriege, als das „Kontinentalgeld“ bereits versagt hatte, im Jahre 
1780 die Ausgabe eines Geldes von „New Tenor“ es unternommen. In beiden Fällen 
trat ein Misserfolg ein; die Noten der Vereinigten Staaten sind ebenso völlig 
wertlos geworden wie anderthalb Jahrzehnte später die der französischen 
Revolution. Nur in dem Falle, wenn die neuen russischen Zahlungsanweisungen 
nicht auf Geld, sondern auf Waren lauten sollten, würde es sich um einen 
grundsätzlich neuen Versuch handeln.
Aus den spärlichen Nachrichten kann nicht beurteilt werden, was jetzt in 
Russland eigentlich verfügt wurde. Die offiziellen russischen Berichte sind so 
rosig gefärbt, wie einst die. Veröffentlichungen des zaristischen Regimes, und 
den wenigen Fremden, denen der Zutritt nach Russland gestattet wird, zeigt man 
Potemkinsche Dörfer und Potemkinsche Fabriken. Anderseits aber beruhen auch die 
Schilderungen der Gegner des Bolschewismus nicht auf eingehender Kenntnis der 
Verhältnisse. Dass der Bolschewismus zu nichts anderem führen kann als zu einer 
vollständigen Vernichtung der russischen Volkswirtschaft, dass er nur Not und 
Elend bringen kann und schon gebracht hat, darüber kann wohl bei allen 
Unvoreingenommenen kein Zweifel bestehen. Doch über die Zeit, die notwendig ist, 
damit diese Wirkungen zutage treten, gibt man sich großen Täuschungen hin. Die 
Bolschewisten verfolgen dieselbe Politik, welche die Jakobiner einst befolgt 
haben. Aber auch das jakobinische System hat eine längere Dauer gehabt, als man 
ihm prophezeien wollte. Wie Stourm, der Geschichtsschreiber der Finanzpolitik 
der französischen Revolution, treffend bemerkt, sind eben die wirtschaftlichen 
Reserven, die eine reiche und mächtige Nation im Laufe der Jahre aufgespeichert 
hat, so groß, dass auch die schlechteste Politik eine gewisse Zeit braucht, bis 
sie sie ganz und gar aufgezehrt hat.
Im sozialistischen Gemeinwesen, in dem das Eigentum an sämtlichen 
Produktionsmitteln ausschließlich dem Staate zusteht, kann es für den Geldumlauf 
nur einen sehr eng begrenzten Spielraum geben. Die Produktionsmittel stehen in 
einem solchen Gemeinwesen überhaupt außerhalb jeden Verkehres. Sie sind, wie die 
Juristen sagen, res extra commercium. Sie können daher gegen Geld weder gekauft 
noch verkauft werden, es können sich im Verkehre auch keine Geldpreise für sie 
bilden. Die Konsumgüter werden den einzelnen Genossen des sozialistischen 
Gemeinwesens von Staats wegen zugewiesen. Bei diesen Zuweisungen kann Geld nicht 
in Verwendung kommen. Nur soweit zwischen den Genossen ein Austausch von 
genussreifen Gütern zulässig ist and tatsächlich stattfindet, kann ein allgemein 
gebräuchliches Tauschmittel, ein Geld, verwendet werden. Man kann sich übrigens 
auch vorstellen, dass im sozialistischen Gemeinwesen auch der Austausch von 
genussreifen Gütern vollständig verboten ist. In diesem Falle gibt es überhaupt 
kein Geld.
Die Sowjetregierung war freilich bisher weit entfernt davon, aus solchen 
grundsätzlichen Erwägungen heraus die Einrichtung des Geldes zu bekämpfen. Sie 
hat ja ihr sozialistisches Programm überhaupt nur unvollständig in die 
Wirklichkeit umzusetzen versucht. Die Bestrebungen, die Landwirtschaft, den 
Hauptproduktionszweig Russlands, zu sozialisieren, sind schon in den ersten 
Wochen der Sowjetherrschaft gescheitert. Der Grund und Boden wurde nicht 
sozialisiert, sondern an die proletarischen Schichten des Landvolkes aufgeteilt. 
Die industriellen Unternehmungen wurden verstaatlicht, das heißt sozialisiert. 
Aber auch die Sozialisierung der industrielle: Unternehmungen scheint nicht 
durchwegs gelungen zu sein. Sie wurden vielfach nicht faktisch in das Eigentum 
des Staates überführt, sondern in das der Arbeiter des Betriebes. Aus der 
Sozialisierung wurde unversehens eine Syndikalisierung. Auch der Handel konnte 
nicht ganz unterdrückt werden. Es wird in Russland noch immer gekauft und 
verkauft und auch die Regierung tritt als Käuferin und Verkäuferin von Waren 
auf. Um sich die Mittel zu den Käufen zu beschaffen, druckt sie hemmungslos 
Noten und hat damit den Kurs des Sowjetrubels auf einen Tiefstand gebracht, der 
sich von den letzten Kursen, die für die Assignaten der französischen Revolution 
verzeichnet wurden, nicht mehr stark entfernt. Da die Bauern sich weigern, für 
diese Rubel freiwillig irgend etwas zu liefern, werden die Lebensmittel und 
Rohstoffe auf dem Lande durch Requisitionen beschafft. Wenn die russischen 
Machthaber erklärt haben, dass sie die Herstellung von neuen Rubel absichtlich 
in das Ungemessene steigern, um damit die Einrichtung des Geldes allmählich zu 
untergraben, so ist das eine nachträglich ersonnene Rechtfertigung für eine 
Politik, zu der sie durch den Zwang der Verhältnisse genötigt wurden. Die 
Inflation ist in Wahrheit die Ultima ratio aller Gewaltregierungen, welche die 
Freiheit des Wirtschaftslebens unterdrücken wollen.
Wenn nun die Räteregierung jetzt daran geht, das Geld abzuschaffen, so tut 
sie dies wahrscheinlich gleichfalls nur unter dem Zwange der Verhältnisse. Sie 
will wohl den ins Maßlose gestiegenen Preisforderungen der Produzenten durch die 
Ausgabe einer neuen Art von Requisitionsscheinen entgegentreten. Sie hofft wohl, 
dass die Requisitionen leichter vor sich gehen werden, wenn sie an Stelle des 
Rubels, der von den Bauern zurückgewiesen wird, neue Requisitionsscheine in 
Verwendung treten lässt. Man. muss abwarten, ob dieser Versuch, die Bauern zur 
Erhöhung der Produktion und zur Ablieferung ihrer Produkte anzuregen, besseren 
Erfolg haben wird als die bisherigen, die alle versagt haben. Das Schicksal der 
neuen Zahlungsanweisungen wird davon abhängen, ob die Regierung auch imstande 
sein wird, sie prompt zu honorieren. Sie werden mit der größerer oder geringeren 
Chance der Honorierung steigen oder fallen. Natürlich würde auch ein 
augenblicklicher Erfolg den endgültigen Zusammenbruch des bolschewistischen 
Systems nicht verhindern können. Gelingt der Versuch zunächst, so ist das ein 
Erfolg der Soldaten und der Henker der Sowjetrepublik. Solche Erfolge haben 
immer nur kurze Dauer. Das Problem, an das die Sowjetregierung mit der 
Durchführung der Vollsozialisierung herangetreten ist, ist viel tiefer und viel 
schwerer zu lösen, als die Mehrheit ihrer Anhänger und Freunde, unter denen sich 
neben Verbrechern viele edle und gut gläubige Idealisten befinden, meinen. Es 
ist die Frage, ob es überhaupt möglich ist, in einem rein sozialistischen 
Gemeinwesen wirtschaftliche Kalkulation zu betreiben. Die Wirtschaftsrechnung 
kann einer Zurückführung aller Wertausdrücke auf einen gemeinsamen Nenner nicht 
entbehren. Das ist aber nur dann möglich, wenn nicht nur die Genussgüter, 
sondern auch die Produktionsmittel im Austauschverkehre stehen und der 
Tauschverkehr sich unter Verwendung des Geldes abspielt. Werden keine Geldpreise 
der Produktionsmittel gebildet, dann ist eine Wirtschaftsrechnung, ohne welche 
die Kalkulation nicht möglich ist, ausgeschlossen; ohne Wirtschaftsrechnung aber 
gibt es kein Wirtschaften. Die Statistik kann über die Schwierigkeiten, die hier 
entstehen, nicht hinweghelfen, weil sie ebenso wie die Naturalrechnung, deren 
Einführung heute mit großer Energie befürwortet wird, uns nicht die Möglichkeit 
gibt, verschiedenartigen Naturalausgaben und Naturaleinnahmen auf einen 
gemeinsamen Ausdruck zu bringen. Ebensowenig ist dies durch Einführung der 
Rechnung in Arbeitsstunden möglich, weil diese nicht auch die natürlichen, 
außerhalb des Menschen gelegenen Bedingungen der Produktion berücksichtigt und 
weil es keine Möglichkeit gibt, die verschiedenen Qualitäten der Lohnbildung auf 
„normale“ Arbeit zu reduzieren. Das alles hat auch der Führer der Sowjetrepublik 
Lenin anerkannt, wenn er es bald nachdem die Bolschewisten ans Ruder gekommen 
waren, als die nächste Aufgabe der Sowjetmacht bezeichnete, die Rechnungslegung 
und die Kontrolle in den sozialisierten Betrieben durch Heranziehung der 
„bürgerlichen Fachleute“ durchzuführen. Die „bürgerliche“ Buchführung aber 
rechnet allein in Geld, eine andere Möglichkeit ist für sie nicht 
gegeben.
Das Problem, um das es sich hier handelt, ist das Haupt- und Grundproblem 
des sozialistischen Gemeinwesens. Es ist mehreren Generationen von 
sozialistischen Schriftstellern nicht gelungen, es theoretisch zu lösen. Im 
Gegenteil. Man kann sagen, dass die wissenschaftliche Nationalökonomie den 
Nachweis erbracht hat, dass es eine sozialistische Lösung für dieses Problem 
überhaupt nicht geben kann. Auch die Praxis der Sowjetrepublik wird diese Frage 
nicht in einem für den Sozialismus günstigen Sinn schlichten. Mit Gewalt und 
Zwang kann man da nichts ausrichten.