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Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie.

Vorwort
Inhalt.
Erster Brief.
Zweiter Brief.
Dritter Brief.

Zweiter Brief.

6 Sie machen in freundlicher Besorgniss mich darauf aufmerksam, dass ein Streit mit Schmoller nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch noch eine ganz andere Seite habe. Es gebe keinen zweiten Gelehrten in Deutschland, kaum irgendwo, welcher so rücksichtslos in der Wahl der Mittel sei, wenn es, einen Gegner zu bekämpfen, gelte. Ich möge auf jede mögliche und unmögliche Entstellung meiner Worte gefasst sein, und dass Schmoller Meister einer ebenso persönlichen als vulgären Schreibweise sei – nebenbei gesagt, die einzige Meisterschaft, welche diesem Manne in Rücksicht auf sein Deutsch nachgerühmt werden könne – davon hätte ich selbst geradezu erschreckende Proben erhalten.

Sie haben Recht, mein Freund, wenn Sie eine wissenschaftliche Discussion mit Schmoller für keine bloss scientifische Angelegenheit ansehen; ist doch dieser Mann nur all zu bekannt wegen seiner ausgesprochenen Neigung zur Missdeutung fremder Meinungen und ebenso bekannt, als Vertreter der Unziemlichkeit auf dem Gebiete wissenschaftlicher Polemik.(1)

7 Wahrlich, nicht ohne ein gewisses Zögern trete ich an die Bekämpfung dieser Seite seiner gegen mich ge- 8 richteten Angriffe. Doch es gibt Zustände, gegenüber welchen zu schweigen Verrath an der eigenen Sache wäre. Nur zu gerne überliesse ich das unerquickliche Geschäft, das ich hier zu besorgen habe, einem Andern, fände sich bei der Art der Kritik, welche Schmoller auf dem Gebiete unserer Wissenschaft übt, nur so leicht dieser Andere. Gerade das, was Sie mir als Grund dafür anführen, gegenüber den Angriffen Schmoller‘s zu schweigen, muss für mich ein Motiv mehr sein, meine Stimme gegen denselben zu erheben.

"Unverdiente Lobsprüche – sagt Lessing kann man Jedem gönnen ….. Nur wenn ein so precario …. berühmt gewordener Mann sich mit dem stillen 9 Besitze seiner unverdienten Ehren(2) nicht begnügen will, wenn das Irrlicht(3), das man hat zum Meteor aufsteigen lassen, nunmehr auch lieber sengen und brennen möchte, wenigstens überall um sich her giftige Dämpfe verbreitet; wer kann sich des Unwillens enthalten? und welcher Gelehrte, dessen Umstände es erlauben, ist nicht verbunden, seinen Unwillen öffentlich zu bezeugen?"

Nun denn, meine Umstände erlauben es mir, den Missverständnissen, den Entstellungen und Unziemlichkeiten Schmoller’s auf dem Gebiete der nationalökonomischen Kritik entgegenzutreten.

Nur bitte ich Sie, mein Freund, hierin ja keinen Beweis auch nur des geringsten Heroismus zu erkennen; denn einerseits bin ich der Meinung, dass meine “weltflüchtige stubengelehrte Naivetät” immer noch einem auch noch so weltlichen und ungelehrten Streberthum auf dem Gebiete der Wissenschaft gewachsen sei, und andererseits glaube ich auch noch manchen anderen Grund zu haben, meinen Gegner nicht all’ zu sehr fürchten zu müssen. Männer wie Schmoller vermögen nur in Folge geradezu desolater Zustände einer Wissenschaft an die Oberfläche zu gelangen. Nur wenn die Häupter wissenschaftlicher Richtungen ihrer Sache nicht ganz sicher sind, tiefe Zweifel an ihren grundlegenden Ansichten sie bekümmern, und dieselben in mehr als einer Beziehung der Nachsicht untergeordneter Geister bedürfen, vermögen diese letzteren gegen die Vertreter anderer Meinungen einen halb widerwärtigen, halb lächerlichen Terrorismus zu organisiren, wie er gegenwärtig in einem Theile unserer fachwissenschaftlichen Zeitschriften geübt wird. Indess ich verlange 10 nicht die Nachsicht dieser Männer, ja ich habe nichts unterlassen, um selbst den Schein zu vermeiden, als ob ich die Nachsicht eines Schmoller wünschte. Welchen Grund könnte ich also haben, ihn zu fürchten?

Etwa, dass er mir Irrthümer nachweise? Ich wünschte diese Gefahr bestände, bestände im reichlichsten Masse; wie dankbar wollte ich ihm für jede Belehrung sein, wäre eine solche bei Schriftstellern seiner Art nur auch zu finden, bei einem Schriftsteller, welchem ich Seite für Seite Missverständnisse nachweise, welche – doch ich möchte nicht in den Ton meines Gegners verfallen.

Oder soll ich davor zurückschrecken, dass Schmoller meine Ansichten entstellen, missdeuten werde? Ich gestehe, dass dergleichen einem Autor nicht eben zum Vergnügen gereicht. An erit, qui velle recuset os populi meruisse? Wie leicht wird durch solche “Berichterstattung” dem Autor ein Theil des loyalen Erfolges ehrlicher Arbeit entzogen? Wie leicht? Ja wohl! Indess doch nur dann, wenn wir den Helden dieses Treibens das Feld überlassen und unser gutes Recht auf eine objective Berichterstattung nicht geltend machen.

Was ist der Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift, dass wir schweigend die Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Forschung von ihm entstellen lassen sollten? Was anderes ist er, als ein Mann, der im Dienste der Wahrheit und der wissenschaftlichen Bedürfnisse des Leserkreises seiner Zeitschrift steht, ein Mann, welcher in dem Programme ehrliche und unbefangene Berichterstattung zugesichert hat und gegen seine Pflicht handelt, wenn er, anstatt dieser seiner Zusicherung nachzukommen, die Wahrheit entstellt. Und gegen einen solchen sollte es kein Mittel der 11 Abwehr geben? Kein Mittel der Abwehr gegen den Missbrauch wissenschaftlicher Organe, deren Existenz die Gelehrtenwelt, und nur diese, durch ihre geistige und materielle Unterstützung ermöglicht?

Das Mittel ist ebenso einfach als wirksam. Es gilt, Entstellungen der Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Untersuchungen nicht ruhig hinzunehmen, sondern dieselben zu constatiren. Thun wir dies in einer Reihe von Fällen, so wird das Lesepublikum sich gewöhnen, nicht blindlings mehr der Berichterstattung gewisser Recensenten zu vertrauen, sondern zum mindesten bei besonders auffälligen Behauptungen sich selbst die Ueberzeugung von der Stichhältigkeit derselben zu verschaffen suchen. Damit ist aber mit einem Schlage die Macht jener Männer gebrochen, welche an die Stelle objectiver Berichterstattung die Entstellung fremder Meinungen setzen. Thue nur jeder im obigen Sinne seine Pflicht und wir werden die Schmoller bald nicht mehr zu Fürchten haben. Ja sie werden sich bald genöthigt sehen, entweder die kritische Feder niederzulegen, oder aber bei der Berichterstattung in Hinkunft in besonders gewissenhafter Weise zu Werke zu gehen. Ist nämlich einmal das Misstrauen gegen dergleichen Kritiker erwacht, dann bleibt ihnen, schon im eigenen Interesse, nichts übrig, als ganz besonders gewissenhafte Berichte zu erstatten. Welche grausamere Strafe dieser Männer lässt sich aber denken, als wenn wir sie nöthigen, objective Kritik
zu üben?

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(1) Schmoller lässt  es  in  der  Recension  meiner Schrift nicht bei
Kraftausdrücken, wie „weltflüchtige stubengelehrte Naivetät“, 
„scholastische Denkübungen“, ,,Scheuklappen 7 wissenschaftlicher
Arbeitsleistung“, „abstracte Schemen“, ,,geistige Schwindsucht“ u. dgl.
m., bewenden, sondern gibt mir, offenbar um die Wucht dieser Argumente
zu verstärken, sogar zu verstehen, dass ich, um meiner methodischen
Ansichten willen, aus jedem Kreise exacter Forscher „sofort   hinausgeworfen“ werden würde. Die betreffende 8telle seiner Kritik, welche den Beweis liefert, dass Schmoller 
nicht ohne Nutzen für seine Schreibweise sich die ersten Sporen seiner
wissenschaftlichen Laufbahn in Handwerkervereinen erworben hat (vgl.  Schmoller:
Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe S. VI), lautet wörtlich: „Der
Chemiker darf wagen, von den physikalischen Eigenschaften eines
chemischen Gegenstandes zu abstrahiren, aber, wenn er die
atmosphärische Luft untersuchte und nach dem Grundsatze Menger’scher Isolirung sagte: ich ziehe dabei nur den Stickstoff in Betracht, weil  er  vorherrscht, so würde man ihn sofort aus dem  Laboratorium hinauswerfen.“
Wer auch nur die Elemente der Logik kennt, weiss, dass man unter dem
Isolirungsverfahren nur die  Isolirung von den einer Erscheinung accidentiellen Momenten versteht, und wer mein Buch gelesen hat, weiss, dass ich
nirgends auch nur die entfernteste Veranlassung zu der unsinnigen
Meinung gebe, dass unter dem Isolirungsverfahren die Isolirung von den
einer  Erscheinung essentiellen Momenten zu verstehen sei. Die Bemerkung Schmoller‘s
ist demnach nicht nur eine unziemliche, ja geradezu an Rohheit
streifende, sondern zugleich eine vollständig deplacirte. Ich wage
diese Bemerkung, selbst auf die Gefahr hin, dass Schmoller, in
einem Momente des Vergessens, dass er gegenwärtig Mitglied einer der
illustersten Gelehrtencorporationen sei, etwa plötzlich seine Aermel
emporzustreifen und seine entsetzlichen Arguments „sofort“ -
vorzutragen die Miene machen könnte.

Das die Entstellung fremder Ansichten und die äusserste Unziemlichkeit der Ausdrucksweise übrigens von Schmoller
nicht nur gegen mich, sondern geradezu gewohnheitsmässig geübt wird,
darf ich wohl als bekannt voraussetzen. Schon vor nahezu zehn Jahren
sah sich Prof. Treitschke genöthigt, 8 in einem offenen Briefe an Schmoller
(„Der Socialismus“ und seine Gönner. Berlin 1875, S. 102 ff.) unter
Anführung zahlreicher Belegstellen darauf hinzuweisen, dass die Polemik
Schmoller’s „mit persönlichen Ausfällen reichlich geziert sei“ und  ihn  (Treitschke)
nöthige, gegen seine Neigung und Gewohnheit auch seiner Erwiderung
einige persönliche Bemerkungen vorauszuschicken“. –Bemerkungen, welche
darin gipfeln, „dass Schmoller fast allen seinen Gegnern Worte zuschleudert, welche die Verständigung nicht fördern“. Was die Wahrheitsliebe Schmoller‘s betrifft, so äusserst sich  Treitschke 
gegen denselben folgendermassen: „Ich müsste wie Sie, zehn Bogen
füllen, wollte ich nachweisen, wie Sie meine Behauptungen hier
übertreiben,  dort in das Gegentheil verwandeln, bald das Bedingte als
ein Unbedingtes hinstellen, bald mir gar meine eigenen Gedanken zürnend
entgegenhalten, als ob ich sie bestritten hätte, und durch solche
dialektische Künste schliesslich ein Bild zu Stande bringen, in dem ich keinen Zug von meiner wirklichen Meinung wieder erkenne.“

Der Ruhm,  den  Gipfelpunkt  der  missbräuchlichen  Schreibweise Schmoller’s zu bilden, dürfte indess jedenfalls seiner Kritik meiner „Untersuchungen“ zufallen.

(2) Lessing gebraucht hier einen anderen Ausdruck.

(3) Lessing gebraucht hier einen anderen Ausdruck.