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1920-1929

Rezension: Hugo C. M. Wendel, The Evolution of Industrial Freedom in Prussia, 1840-1849. (1922)
Die Wiener Industrie und die Luxuswarenabgabe (1921)
Die Ansprüche der Noteninhaber bei der Liquidation der Bank (1921)
Wie könnte Österreich gerettet werden? (1921)
Die Arbeit im sozialistischen Gemeinwesen (1921)

Wie könnte Österreich gerettet werden? (1921)

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Quelle: Die Börse (Wien), 2. Jg., Nr. 7, 17.2.1921

Ungeachtet des Elends, in dem wir uns befinden, halte ich unsere Lage nicht für ungünstig. Wien und Österreich hätten eine freundliche Zukunft vor sich, wenn wir nicht alles täten, um unsere Lage zu verschlechtern. Es geschieht so ziemlich das Gegenteil von dem, was geschehen müßte. Da ist es kein Wunder, daß es uns schlecht geht. Wir leben heute und seit Jahren von dem Verzehren dessen, was einige Jahrzehnte freier Wirtschaftspolitik geschaffen haben.

Was mich optimistisch macht, ist die Tatsache, daß im großen und ganzen die Rohstoffe und Lebensmittel, die wir aus dam Auslande beziehen müssen, gegenüber der Vorkriegszeit im Weltmarktpreis weniger gestiegen sind als die Fabrikate, die wir für den Export zu erzeugen in der Lage wären, und als die Handelsgewinne, die der Wiener Handel erzielen kann. Unser Veredelungsgewinn könnte daher größer sein als er früher gewesen ist.

Die objektiven Voraussetzungen für eine Blüte Österreichs sind gegeben; leider nicht auch die subjektiven. Unsere Mitbürger haben das Gebot der Stunde nicht erfaßt und jagen Wahnideen nach. Doch schließlich muß sich wohl das Vernünftige durchsetzen.

Gerade vor wenigen Tagen hat mich ein Politiker ersucht, in einigen kurzen Sätzen ein wirtschaftspolitisches Programm abzufassen. Hier ist es:

„1. Die fortschreitende Entwertung der Krone, die ihren Ausdruck in dem Steigen der Valutakurse und der Warenpreise und Löhne findet, ist eine Folge der Banknoteninflation. Sie kann nur zum Stillstand gebracht werden, wenn es gelingt, das Defizit des öffentlichen Haushaltes zu beseitigen.

2. Das Defizit der Wirtschaft des Staates, der Länder und der Gemeinden entspringt vorzüglich zwei Quellen: Der unwirtschaftlichen Führung der öffentlichen Betriebe und der Lebensmittelaktion. Man muß daher trachten, die öffentlichen Betriebe in die Hand privater Unternehmungen überzuführen und die Lebensmittelaktion abzubauen. Gegenwärtig geschieht das Gegenteil. Die öffentlichen Betriebe werden durch die Sozialisierung vermehrt; die Lebensmittelaktion wird dadurch erweitert, daß man die Spannung zwischen dem Einkaufspreis und dem Verkaufspreis der Waren wachsen läßt.

3. Wird in der Weise weiter gewirtschaftet, dann kommt unfehlbar der Zeitpunkt, in dem die Währung zusammenbricht, d. h. die Krone ganz wertlos wird. Dann gibt es eine furchtbare Katastrophe. Der Staat wird auf einmal nicht mehr in der Lage sein, die Betriebe fortzuführen und die Lebensmittelaktion aufrecht zu halten. Baut man rechtzeitig ab, dann gelingt es, den Zusammenbruch zu vermeiden und die Schwierigkeit des Überganges zur normalen Wirtschaft auf das geringste Maß herabzudrücken.

4. Die Stabilisierung des Geldwertes, die Schaffung eines festen Wertverhältnisses zwischen der Krone und dem Gold oder dem Dollar, ist anzustreben. Die neue Parität wäre in der Höhe zu suchen, die der inneren Kaufkraft der Krone entspricht. Darüber hinauszugehen wäre schädlich, da die Erschwerung der Ausfuhr und die Erleichterung der Einfuhr, die bei dem Steigen des Geldwertes nicht zu vermeiden ist, schwere Schäden Arbeitslosigkeit im Gefolge hätte. Das Schlagwort vom Preisabbau ist unsinnig. Die heute den Preisabbau am lautesten fordern, würden durch ihn am meisten betroffen werden. Nicht Preisabbau brauchen wir, sondern Erhöhung der Einkommen. Das aber kann nur durch Hebung der industriellen und der Handelstätigkeit erzielt werden.

5. Da es der Friedensvertrag verlangt, müssen die umlaufenden Banknoten in absehbarer Zeit durch andere ersetzt werden. Es wäre verderblich, mit diesem Umtausch irgendwelche Operationen von der Art, wie sie die Schlagwörter “Abstempelung” und “Zwangsanleihe” im Auge haben, zu verbinden. Es besteht die Gefahr, daß dadurch die große Menge thesaurierter Noten aufgescheucht wird und auf den Warenmarkt strömt, wo sie die Preise in die Höhe treiben müßte. Daß Noten thesauriert werden, ist für die Allgemeinheit nicht schädlich. Die thesaurierten Noten wirken nicht auf die Preise. Wer Noten thesauriert, gewährt gewissermaßen dem Staate ein zinsenfreies Darlehen.

6. Der Valutahandel ist freizugeben. Um dem Außenhandel, der für ein kleines Staatsgebiet ungleich größere Bedeutung hat als für ein großes, die Möglichkeit zu geben, sich von dem spekulativen Risiko, das wegen der großen Valutenschwankungen mit jeder Auslandsgeschäftsverbindung verknüpft ist, zu befreien, ist der Terminhandel in Valuten und Devisen an der Wiener Börse einzuführen.

7. Alle Einfuhrverbote sind aufzuheben. Sie sind valutapolitisch nutzlos; dagegen treiben sie das Ausland zu Retorsionsmaßregeln, die unsere Ausfuhr empfindlich erschweren und damit unsere Industrie lahmlegen.

8. Alle Erschwerungen der Ausfuhr und der Durchfuhr sind aufzuheben.

9. Österreich kann seinen Bedarf an Rohstoffen und Lebensmitteln nur durch Einfuhr decken. Um die Einfuhr zu bezahlen, muß es Fabrikate ausführen und Handelsgewinne machen. Es braucht Freihandel.

10. Die öffentliche Bewirtschaftung von Industrieartikeln und Rohstoffen der Industrie ist aufzuheben.

11. Die öffent1iche Bewirtschaftung von Lebensmitteln ist abzubauen. Für mittellose arbeitsunfähige Personen sind staatliche Geldunterstützungen einzuführen. Diese würden unvergleichlich weniger kosten.

12. Alle Verkehrserschwerungen im Bundesgebiet sind aufzuheben. Wenn die Länder sich widersetzen sollten, dann steht doch nichts dem im Wege, daß Wien mit der Aufhebung aller Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen für In- und Ausländer vorangeht. Eine Handels- und Exportindustriestadt darf die Einreise und den Aufenthalt in keiner Weise erschweren.

13. Das Verbot, Kronen ein- und auszuführen, ist aufzuheben. Hebung des Kronenkurses, die es angeblich bewirkt, ist nur scheinbar. In Wahrheit hat es den Kronenkurs gedrückt, da die ausländischen Spekulanten mit der Krone nichts mehr zu tun haben wollen. Es ist überhaupt kein Schaden, wenn im Auslande größere Kronenbeträge in spekulativer Absicht angekauft werden. Jede Kronennachfrage, auch die der Spekulation, treibt den Kurs in die Höhe.

14. Die Devisenzentrale, die Zentralstelle für Ein-, Aus- und Durchfuhr und alle Stellen, die bei Einhaltung der vorstehenden Grundsätze überflüssig erscheinen, sind aufzuheben. Die freiwerdenden Beamten sind zu beurlauben und in absehbarer Zeit zu entlassen. Sie werden in dem aufblühenden Handel leicht ein Unterkommen finden.

15. Die Heranziehung ausländischen Kapitals ist unmöglich, solange die durch die Geldentwertung entstehenden fiktiven Gewinne der Besteuerung unterzogen werden. Die Stabilisierung des Geldwertes wird hier Abhilfe schaffen. Um keine Zeit zu verlieren, wären für industrielle Neuanlagen (auch für den Ausbau der Wasserkräfte) Steuerbegünstigungen in der Weise zu gewähren, daß die Ermittlung der bilanzmäßigen Überschüsse und des Einkommens im Sinne des II. und IV. Hauptstückes des Personalsteuergesetzes auf Grund von Ertragrechnungen erfolgt, die in Dollarwährung erstellt werden.“

Ich glaube kaum, daß es bei uns eine Partei gibt, die geneigt wäre, dieses Programm durchzuführen. Dennoch hoffe ich, daß das Vernünftige und Notwendige sich durchsetzen wird.