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Kapitel 3: Reine Theorie der sozialen Wohlfahrt

I.
II.
III.
IV.
V.

II.

[S.58] Es gibt zwei Ansätze, die man beim Versuch einer Beantwortung dieser Frage verfolgt hat. Auf der einen Seite, populär seit Plato und seitdem bis hin zu den Sozialisten der Gegenwart, ist versucht worden, bestimmte Endresultate von Handlungen, oder ein komplexes Muster von Endresultaten eines komplexen Netzwerks von Handlungen (wie z. B. ein Muster der Einkommensverteilung, ein Muster der Arbeitsplatzaufteilung, ein bestimmter Zustand eines sogenannten ökologischen Gleichgewichts, Zustände der Zufriedenheit, der Gesundheit oder der Wohnqualität etc., etc.) als Kandidaten möglicher universeller Zustimmung (ihre Vorzugswürdigkeit betreffend) zu benennen.[FN4] Auch die soziale Indikatorenbewegung folgt diesem Ansatz, Zustände bzw. Handlungsresultate für Realitätsmerkmale zu halten, die sich einer möglichen allgemeinen Anerkennung erfreuen.[FN5]

Unglücklicherweise ist dieser Ansatz zur Lösung des angesprochenen Problems ungeeignet. Dies liegt keineswegs nur an der Tatsache, daß man aus Erfahrung weiß, daß konkret bestimmte, mit entsprechenden Ansprüchen verbundene Zustände, statt der durch ihre jeweiligen Proponenten erwarteten allgemeinen Zustimmung regelmäßig höchst unterschiedliche Beurteilungen hinsichtlich ihrer Vorzugswürdigkeit erfahren, die man nur schwerlich immer auf eine der erwähnten Kontingenzen (z. B. Unehrlichkeit) zurückführen kann. Der wahre Grund ist allgemeiner und systematischer Natur: Es läßt sich zeigen, daß Zustände bzw. Resultate aus prinzipiellen Gründen ungeeignet sind, um als Kandidaten für mögliche uneingeschränkte Vorzugswürdigkeit fungieren zu können.

Um dies einzusehen, muß lediglich verstanden werden, was es bedeutet zu handeln. Und natürlich, da jedermann eine handelnde Person ist, weiß man, daß zu handeln bedeutet, einen Zustand, den man vom Standpunkt der handelnden Person als weniger befriedigend wahrnimmt, in einen Zustand zu transformieren, der befriedigender erscheint. Solange man handelt, solange ändert man unablässig Zustände.[FN6] Daraus muß geschlossen werden, daß Zustände per definitionem nicht als Realitätsmerkmale angesehen werden können, hinsichtlich deren eine zeitlich andauernde universelle Übereinstimmung bezüglich ihrer Vorzugswürdigkeit möglich ist: handeln bedeutet, Zustände permanent zu verändern, und das zeigt, daß ein Zustand für eine handelnde Person niemals andauernd vorzugswürdig sein kann.

Die einzige Sache, hinsichtlich deren Vorzugswürdigkeit handelnde Personen eine allgemeine Übereinstimmung (im Prinzip) erzielen können, ist nicht ein Handlungsergebnis, sondern stattdessen eine Handlungsregel bzw. -methode. Dies ist der zweite Ansatz zur Lösung des gestellten Problems – derjenige, der regelmäßig [S.59] auch von den klassischen Liberalen bevorzugt wurde und wird.[FN7] Regeln werden gewählt, weil sie als Methoden der Zustandsänderung definiert sind, im Hinblick auf die eine andauernde übereinstimmende Bewertung – natürlich – auch dann als möglich gelten kann, wenn eine entsprechende Beurteilung der durch sie veränderten Zustände nicht möglich ist.

Die Suche gilt demnach Regeln des Handelns, die insofern einen positiven Beitrag zur sozialen Wohlfahrt leisten, als hinsichtlich der Vorzugswürdigkeit ihrer Geltung eine allgemeine Übereinstimmung als im Prinzip möglich gelten kann. Um noch etwas genauer zu sein: da die Annahme der Regel die Annahme aller übrigen Regeln impliziert, die mit ihr logisch kompatibel sind, und gleichzeitig die Nicht-Annahme aller derjenigen Regeln, die mit ihr inkompatibel sind, gilt die Suche einem intern konsistenten System von Handlungsregeln, das aufbaut auf einem Fundamentalprinzip (als dem Ansatzpunkt des Prozesses der logischen Ableitung weiterer kompatibler Regeln), das selbst direkt als ein Prinzip nachgewiesen werden können muß, hinsichtlich dessen Vorzugswürdigkeit eine ausnahmslose, allgemeine Übereinstimmung erzielt werden kann.