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Kapitel 4: Die Grundlagen der Eigentumstheorie

I.
II.
III.
IV.
V.

II.

[S.68] Zunächst jedoch das Humesche Problem: Unter welchen
Voraussetzungen kommt es zur Ausbildung des Konzepts des Eigentums als
eines normativen Begriffs? Eine erste, notwendige Voraussetzung hierfür
ist das Bestehen von Knappheiten hinsichtlich von Gütern. Gäbe es keine
Knappheit, sondern handelte es sich bei Gütern ausschließlich um
sogenannte freie Güter, deren Verwendung durch eine Person und für
einen Zweck ihre Verwendung durch eine andere Person und/oder einen
anderen Zweck in keiner Weise beeinträchtigen würde, so daß im Hinblick
auf ihre Verwendung keine bewußte, zwischen vorrangigen und
nachrangigen Verwendungsmöglichkeiten unterscheidende (d. i.
‚ökonomische’) Wahl getroffen werden müßte, so bestünde keinerlei
Notwendigkeit, das Verhältnis von Personen zu Gütern zu regeln: Wenn
mein gegenwärtiger Bananenkonsum infolge eines paradiesischen
Überflusses an Bananen weder meinen zukünftigen Vorrat an Bananen
beeinträchtigte, noch, vor allem, den gegenwärtigen oder zukünftigen
Bananenkonsum anderer Personen, so wäre eine Regelung des Verhältnisses
von Personen zu Bananen durch Eigentumsnormen überflüssig. Wie die
Luft, die man atmet, so wären auch Bananen zu einer für jedermann
gleichen, konstanten Rahmenbedingung menschlicher Wohlfahrt geworden,
die niemand durch seine Handlungen zugunsten oder zuungunsten seiner
eigenen oder einer anderen Person manipulieren könnte, so daß sich eine
Normierung der Nutzung solcher Güter – eine Normierung des Atmens wie
des Bananenessens – erübrigte. Sinnvoll wird eine Normierung des
Verhältnisses von Personen zu Dingen erst, wenn es sich bei ihnen um
knappe (d. i. ‚ökonomische’) Güter handelt, deren Verwendung zu einem
Zweck ihre Verwendung zu einem anderen Zweck (durch andere Personen)
beeinträchtigt oder ausschließt, und deren Verwendung somit die
Möglichkeit von interpersonellen Konflikten in sich birgt.
Eigentumsnormen sollen einen Ausweg aus diesen angesichts von Knappheit
möglichen Konflikten bezüglich der Verwendung von Gütern bieten.

Güterknappheit allein ist jedoch, wenn auch eine notwendige, so
doch keine hinreichende Voraussetzung, um die Entstehung von Eigentum
zu erklären. Selbst wenn Güterknappheit herrschte, die diesem
beschränkten Angebot konfrontierten Personen aber so im Raum
angesiedelt wären, daß sich ihre Aktionsspielräurne nicht überlappten,
so könnte es zu Konflikten im Hinblick auf die Verwendung knapper Güter
nicht kommen (und daher fehlte jeder Grund zur Etablierung von
Eigentumsnormen). Selbst wenn Güterknappheit herrschte und sich die
Aktionsspielräume unterschiedlicher Personen überschneiden sollten,
bestünde kein Grund zur Einrichtung solcher Normen, wenn sich die
Interessen der verschiedenen, miteinander in Berührung kommenden
Personen – gewissermaßen aufgrund einer prästabilierten [S.69] Harmonie
- als identisch bzw. kompatibel erweisen sollten (so daß meine
Verwendung knapper Güter immer genau der von Seiten anderer Personen
gewünschten Verwendung dieser Güter entspricht u. u.). Erst wenn eine
vollständige Interessenidentität nicht gegeben ist und man statt dessen
realistischerweise von der Möglichkeit auch inkompatibler
Interessenlagen auszugehen hat, besteht Grund zu einer normativen
Regelung des Verhältnisses von Personen zu knappen Gütern.

Aber auch Knappheit, sich überschneidende Aktionsspielräume und das
Nichtgegebensein vollständiger Interessenharmonie zusammengenommen sind
noch nicht ausreichend, um die Ausbildung des Eigentumskonzepts
verständlich zu machen. Man kann sich dies klarmachen, indem man sich
etwa das Bild des durch den Porzellanladen stampfenden Elefanten vor
Augen führt, und dann feststellt, daß auch knappe Güter und sich
offenbar ausschließende Vorstellungen über die Porzellanverwendung
durch Ladenbesitzer und Elefanten nicht dazu führen würden, es nun
einmal, zwecks Vermeidung ähnlicher, zukünftiger Unglücksfälle, mit der
Formulierung von Eigentumsnormen zu versuchen. Solange man das
Unglücksereignis im Hinblick auf die Verwendung eines knappen Gutes
einer ‚Person’ zuschreibt, die handelte, wie sie handeln mußte, weil
unter gegebenen Umständen ‚so und nicht anders’ zu handeln eben ihrer
Natur entspricht, solange ist der Versuch, Konflikte durch Normierungen
zu vermeiden, sinnlos. Solange Konflikte als kausalwissenschaftlich
erklärbar interpretiert werden (wie im Fall des Elefanten), solange
sind sie nichts als Naturereignisse, für deren Lösung allenfalls
Technik, aber nicht Moral zuständig ist. Damit es zur Entstehung des
Eigentumskonzepts als eines normativen Konzepts kommen kann, muß
darüber hinaus vorausgesetzt werden, daß die zwei oder mehr
Konfliktpartner sich wechselseitig als autonome und konsensfähige
Autoren ihrer Handlungen interpretieren (können): zum einen heißt dies,
wechselseitig anzunehmen, eine Person hätte, wenn sie gewollt hätte,
auch anders handeln können als sie es tatsächlich getan hat. Zum
anderen bedeutet es, wechselseitig vorauszusetzen, man wisse, was ein
Konsens ist, und könne einen zwei- oder allseitigen Konsens von einem
Nicht-Konsens eindeutig unterscheiden.