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Interventionismus (1926)

I. Der Interventionismus als Wirtschaftssystem
II. Das Wesen der »Eingriffe«
III. Die produktionspolitischen Eingriffe
IV. Die preispolitischen Eingriffe
V. Destruktion als Ergebnis der Interventionspolitik

V. Destruktion als Ergebnis der Interventionspolitik

Nur wenn man die Wirkung der dargestellten Eingriffe in den Ablauf der Wirtschaftsvorgänge einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung erkannt hat, kann man die Geschichte der letzten Jahrzehnte verstehen. Denn diese Eingriffe stellen seit der Ueberwindung des Liberalismus das Um und Auf der Politik in allen Staaten Europas und Amerikas dar.

Der nationalökonomisch nicht gebildete Beurteiler der Ereignisse sieht nur, daß die »Interessenten«. doch immer wieder Auswege finden, um den Vorschriften der Gesetze zu entgehen. Daß das System schlecht funktioniert, schreibt er ausschließlich dem Umstande zu, daß die Gesetze nicht weit genug gehen und daß ihre Durchführung durch Korruption behindert wird. Gerade der Mißerfolg der Interventionspolitik bestärkt ihn in der Ueberzeugung, daß das Sondereigentum durch strenge Gesetze kontrolliert werden müsse. Die Korruption der mit der Ausführung der Staatsaufsicht betrauten Organe erschüttert nicht sein blindes Vertrauen in die Unfehlbarkeit und Makellosigkeit des Staates; sie erfüllt ihn nur mit moralischem Abscheu gegenüber den Unternehmern und Kapitalisten.

Die Uebertretung der Gesetze ist aber nicht, wie von den Etatisten naiv gelehrt wird, ein in der schwer ausrottbaren menschlichen Schwäche gelegener Uebelstand, den man nur auszumerzen braucht, um das Paradies auf Erden zu schaffen. Würden die interventionistischen Gesetze wirklich beachtet werden, dann müßten sie sich in der kürzesten Zeit ad absurdum führen. Alle Räder würden stillstehen, weil der starke Arm des Staates ihnen zu nahe gekommen ist.

In den Augen unserer Zeitgenossen erscheint die Sache etwa so: Die Landwirte und die Milchhändler haben sich verschworen, um den Milchpreis zu erhöhen. Da kommt – das Allgemeininteresse gegen die Sonderinteressen, die volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte gegen die privatwirtschaftlichen ausspielend – der Wohltäter Staat, um Abhilfe zu schaffen. Er sprengt das »Milchkartell«, er setzt Höchstpreise für Milch fest und verfolgt strafgerichtlich die Uebertreter der erlassenen Vorschriften

(627) Daß die Milch dadurch nicht so wohlfeil wurde, als man es als Verbraucher wünschen würde, ist nur darauf zurückzuführen, daß die Gesetze nicht scharf genug sind und daß man sie nicht mit der erforderlichen Strenge durchführt. Es sei eben nicht leicht, gegen das die Allgemeinheit schädigende Profitstreben der Interessenten anzukämpfen. Die Gesetze müßten noch schärfer werden und rücksichtslos und ohne Erbarmen gehandhabt werden.

In Wahrheit verhalten sich die Dinge ganz anders. Würden die Preissatzungen wirklich durchgeführt werden, dann würden die Milchproduktion und die Zufuhr der Milch in die Städte stocken. Es stünde nicht mehr, sondern weniger Milch oder überhaupt keine Milch mehr zur Verfügung. Nur weil die Vorschriften umgangen werden, gibt es noch Milch für den Verbraucher. Wenn man die ganz unzulängliche und verkehrte etatistische Gegenüberstellung von volkswirtschaftlichem und privatwirtschaftlichem Interesse schon gelten lassen wollte, müßte man sagen: der Milchhändler, der dem Gesetz entgegen handelt, dient dem Gemeinwohl, der Beamte, der die Preistaxe durchführen will, gefährdet es.

Selbstverständlich leitet den Geschäftsmann, der die Gesetze und Verordnungen der Obrigkeit übertritt, um ungeachtet der vom Staate aufgerichteten Hindernisse doch zu produzieren, nicht die Rücksicht auf das Gemeinwohl, das die Vorkämpfer des Interventionismus immerfort im Munde führen, sondern die Absicht, Gewinne zu erzielen, oder zumindest das Bestreben, die Verluste zu vermeiden, die ihm aus der Beachtung der Vorschriften erwachsen würden. Die öffentliche Meinung, die sich ob der Niedrigkeit solcher Gesinnung und der Verwerflichkeit solchen Tuns entrüstet, begreift es nicht, daß ohne diese systematische Mißachtung der obrigkeitlichen Gebote und Verbote die Undurchführbarkeit der Interventionspolitik bald zu einer Katastrophe treiben müßte. Sie erwartet alles Heil von der strengen Beachtung der vom Staate »zum Schutze der Schwachen« erlassenen Verfügungen und tadelt die Obrigkeit nur, weil sie nicht stark genug sei, um alles Erforderliche zu verfügen, und weil sie die Durchführung der Normen nicht fähigeren und unbestechlicheren Personen übertrage. Die grundsätzlichen Probleme des Interventionismus werden überhaupt nicht erörtert. Wer auch nur schüchtern das »ob« der Beschränkung der Ver- (628) fügungsgewalt der Kapitalisten und Unternehmer zu bezweifeln wagt, wird als Söldling, im Dienste von der Gesamtheit schädlichen Sonderinteressen geächtet oder im günstigsten Falle mit stillschweigender Verachtung gestraft. Selbst in der Erörterung des »wie« des Interventionismus muß, wer nicht sein Ansehen und vor allem seine Karriere gefährden will, sehr vorsichtig sein. Nur allzu leicht kann man in den Verdacht geraten, dem »Kapital« zu dienen; wer in der Diskussion nationalökonomische Argumente gebraucht, wird diesem Verdacht nie entgehen können.

Wenn die öffentliche Meinung im interventionistischen Staatswesen überall Korruption wittert, ist sie freilich nicht im Unrecht. Die Bestechlichkeit der Politiker, der Parlamentarier und der Beamten ist ja das Fundament, das allein das System zu tragen vermag; ohne sie müßte es zusammenbrechen und entweder durch Sozialismus oder durch Kapitalismus ersetzt werden. Für den Liberalismus galten die Gesetze als die besten, die dem Ermessen der mit der Durchführung betrauten Organe den engsten Spielraum boten, um Willkür und Mißbrauch möglichst auszuschließen. Der moderne Staat sucht die diskretionäre Gewalt seiner Organe zu stärken. Alles soll dem freien Ermessen der Beamten überlassen werden.

Die Rückwirkung der Korruption auf die öffentliche Moral kann hier nicht dargestellt werden. Selbstverständlich haben weder die Bestechenden noch die Bestochenen eine Vorstellung davon, daß ihr Handeln der Erhaltung des von der ganzen öffentlichen Meinung und auch von ihnen selbst als richtig angesehenen Systems gilt. Sie verletzen die Gesetze und haben dabei das Bewußtsein, das Gemeinwohl zu schädigen. Und weil sie nun allmählich die Gewohnheit annehmen, sich gegen Strafgesetze und gegen Moralvorschriften zu vergehen, verlieren sie schließlich ganz das Vermögen, zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse zu unterscheiden. Wenn kaum irgendeine Ware erzeugt oder umgesetzt werden kann, ohne daß man irgendwelchen Vorschriften zuwiderhandelt, dann hält man es schließlich für eine leidige Begleiterscheinung des »Lebens«, gegen Gesetz und Moral zu sündigen, und verspottet als »Theoretiker« die, die es anders haben wollen. Der Kaufmann, der damit begonnen hatte, Devisenvorschriften, Ein- und Ausfuhrverbote, Höchstpreissatzungen u. dgl. zu übertreten, gelangte bald dazu, auch seine Vertragspartner zu betrügen. Der Verfall der Geschäftsmoral, den man (629) als »Inflationsfolge« bezeichnet, ist die notwendige Begleiterscheinung der zur Inflationszeit erlassenen, Handel und Wandel »regulierenden« Vorschriften gewesen.

Man hört mitunter die Behauptung vertreten, daß das System des Interventionismus durch die Laxheit der Durchführung ganz unerträglich geworden sei. Selbst die preispolitischen Eingriffe würden von der Volkswirtschaft nicht mehr als allzu große Störung empfunden, wenn die Unternehmer es sich durch Geld und gute Worte »richten« könnten. Es sei zwar nicht zu bestreiten, daß es ohne diese Eingriffe besser wäre, doch man müsse eben der öffentlichen Meinung entgegenkommen. Der Interventionismus sei ein Tribut, den man der Demokratie bringen müsse, um das System des Kapitalismus lebensfähig zu erhalten.

Diese Argumentation ist vorn Standpunkte des marxistisch-sozialistisch oder staatssozialistisch denkenden Unternehmers und Kapitalisten verständlich. Ihm erscheint das Sondereigentum an den Produktionsmitteln als eine die Interessen der Gesamtheit schädigende Einrichtung zugunsten der Bodenbesitzer, Kapitalisten und Unternehmer. Die Aufrechthaltung des Sondereigentums liegt ausschließlich im Sonderinteresse der besitzenden Klassen. Wenn nun diese Klassen das allein ihnen nützliche, die und alle anderen Klassen schädigende Institut durch einige Zugeständnisse zu retten vermögen, die ihnen keine allzu großen Opfer auferlegen, dann wäre es töricht von ihnen, starrsinnig die Zugeständnisse zu verweigern und damit den Fortbestand der Gesellschaftsordnung, die ihnen allein Vorteile bringt, zu gefährden.

Wer diesen Standpunkt der Vertreter »bürgerlicher« Interessen nicht teilt, wird jene Argumentation nicht gelten lassen können. Es ist nicht einzusehen, warum man die Produktivität der volkswirtschaftlichen Arbeit durch irgendwelche verkehrte Maßnahmen vermindern soll. Hält man das Sondereigentum an den Produktionsmitteln für eine Einrichtung zugunsten eines Teiles und zum Schaden des andern Teiles der Gesellschaft, dann schaffe man es ab. Wenn man aber erkannt hat, daß es allen nützt, und daß die arbeitteilende menschliche Gesellschaft anders gar nicht organisiert werden könnte, dann muß man es so aufrechterhalten, daß es seine Funktion auch möglichst gut erfüllen kann. Von der Verwirrung aller Moralbegriffe, die ent- (630) stehen muß, wenn Gesetz und Sittenkodex etwas verwerfen oder doch wenigstens als anrüchig erscheinen lassen, was man als Grundlage des gesellschaftlichen Lebens erhalten muß, sei gar nicht gesprochen. Doch welchen Zweck sollte es haben, etwas in der Erwartung zu verbieten, daß das Verbot doch in der Mehrzahl der Fälle umgangen werden wird?

Die, die den Interventionismus mit solchen Argumenten verteidigen, geben sich auch einer schweren Täuschung über das Ausmaß der Produktivitätsminderung hin, das aus den Eingriffen des Staates erwächst. Es ist richtig, daß die Anpassungsfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaft über viele Hindernisse, die der Betätigung des Unternehmers in den Weg gelegt wurden, gesiegt hat. Wir sehen täglich, daß es Unternehmern gelingt, ungeachtet aller Schwierigkeiten, die Gesetz und Verwaltung ihnen bereiten, die Beschickung des Marktes mit Gütern und Diensten in Ausmaß und Beschaffenheit zu heben. Doch wir können nicht berechnen, um wie viel besser wir heute ohne größeren Arbeitsaufwand versorgt wären, wenn nicht das Um und Auf der Staatstätigkeit die Verschlechterung der Versorgung zum – freilich in letzter Linie nicht gewollten – Ziel hätte.. Man denke doch an die Folgen aller handelspolitischen Eingriffe, über deren produktivitätsmindernde Wirkung doch wohl die Anschauungen nicht geteilt sein können. Man denke daran, wie die fortschreitende Rationalisierung der Betriebsführung durch den Kampf gegen die Kartelle und Trusts behindert wurde. Man denke an die Folgen der preispolitischen Eingriffe. Man denke daran, wie die künstliche Hochhaltung der Löhne durch den Koalitionszwang und die Verweigerung des Schutzes der Arbeitswilligen auf der einen Seite und durch die Arbeitslosenunterstützung auf der andern Seite und schließlich die Aufhebung der Freizügigkeit im zwischenstaatlichen Verkehr das Feiern von Millionen Arbeitern geradezu zu einer ständigen Erscheinung gemacht hat.

Die große Krise, unter der die Weltwirtschaft seit der Beendigung des Krieges leidet, wird von Etatisten und Sozialisten als Krise des Kapitalismus bezeichnet. In Wahrheit aber ist es die Krise des Interventionismus.

Im statischen Zustand der Wirtschaft kann es zwar brachliegenden Boden, aber nicht unverwendetes Kapital oder unbeschäftigte Arbeitskräfte geben. Bei dem Lohnsatz, der sich (631) auf dem unbehinderten Markte bildet, finden alle Arbeiter Beschäftigung. Werden caeteris paribus irgendwo Arbeiter freigesetzt, z. B. durch Einführung neuer arbeitssparender Verfahren, dann muß dies auf die Lohnhöhe drücken; zu dem neuen, niedrigeren Lohnsatz finden dann aber wieder alle Arbeiter Verwendung. Arbeitslosigkeit ist in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung stets nur eine Uebergangs- und Reibungserscheinung. Die verschiedenen Umstände, die der freien Beweglichkeit der Arbeit im Wege stehen, können die Angleichung des Lohnsatzes für gleichartige Arbeit von Ort zu Ort und von Land zu Land erschweren; sie können auch bewirken, daß der Unterschied in der Entlohnung von Arbeit verschiedener Qualität nicht in der Weise ausgedrückt wird, wie es sonst der Fall wäre. Niemals aber können sie – bei Freiheit der Betätigung der Unternehmer und Kapitalisten – dazu führen, daß Arbeitslosigkeit größeren Umfang oder längere Dauer annehmen kann. Arbeitsuchende finden immer Arbeit, wenn sie ihre Lohnforderung den Verhältnissen des Marktes anpassen.

Das Ergebnis des Weltkrieges und der destruktionistischen Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte wäre, wenn man die Lohnbildung des Marktes nicht gestört hätte, ein Niedergleiten der Löhne gewesen, aber keineswegs Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit, deren Umfang und Dauer heute als Beweis für das Versagen des Kapitalismus angeführt werden, ist die Folge des Umstandes, daß die Löhne durch die Gewerkschaften und durch die Arbeitslosenunterstützung über dem Stande erhalten werden, den sie auf dem unbehinderten Markte einnehmen würden. Würden keine Arbeitslosenunterstützungen gezahlt werden und würden die Gewerkschaften nicht die Macht haben, ein Unterbieten der von ihnen geforderten Löhne durch arbeitswillige Nichtmitglieder zu verhindern, dann würde der Druck des Angebotes den Lohn auf jenen Stand bringen, bei dem alle Hände Verwendung finden. Man mag diese Folge der antiliberalen und antikapitalistischen Politik mehrerer Jahrzehnte bedauern, aber man kann es nicht ändern. Nur durch Einschränkung des Konsums und durch Arbeit können die verlorenen Kapitalien wieder ersetzt werden, und nur durch Bildung von neuem Kapital kann die Grenzproduktivität der Arbeit und damit der Lohnsatz gehoben werden.

Man kann das Uebel nicht damit bekämpfen, daß man an (632) die Arbeitslosen Unterstützungen ausbezahlt. Auf diesem Wege schiebt man die letzten Endes unvermeidliche Anpassung des Lohnes an die gesunkene Grenzproduktivität der Arbeit nur hinaus. Und da die Unterstützungen in der Regel aus dem Kapital und nicht aus dem Einkommen herstammen, wird immer mehr Kapital aufgezehrt und so die künftige Grenzproduktivität der Arbeit herabgesetzt.

Man darf sich freilich nicht vorstellen, daß selbst eine sofortige Beseitigung der das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaftsordnung behindernden Schranken mit einem Schlage die Folgen jahrzehntelanger Interventionspolitik auslöschen könnte. Ungeheure Mengen von Produktivgütern sind vernichtet worden, noch größere sind durch die Zollpolitik und andere merkantilistische Maßnahmen in Verwendungen festgelegt worden, in denen sie überhaupt nicht oder nur mit geringem Erfolg genutzt werden können. Die Ausschaltung großer und fruchtbarster Teile der Welt (wie Rußland und Sibirien) aus der internationalen Tauschgesellschaft zwingt zu unproduktiver Umstellung in jedem Zweige von Urproduktion und Verarbeitung. Jahre würden selbst unter den günstigsten Umständen vergehen, bis es möglich wäre, die Spuren der verkehrten Politik der letzten Jahrzehnte zu tilgen. Aber: es gibt keinen andern Weg zu steigendem Wohlstand für alle.