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Interventionismus (1926)

I. Der Interventionismus als Wirtschaftssystem
II. Das Wesen der »Eingriffe«
III. Die produktionspolitischen Eingriffe
IV. Die preispolitischen Eingriffe
V. Destruktion als Ergebnis der Interventionspolitik

II. Das Wesen der »Eingriffe«

Das Problem des Interventionismus darf nicht mit dem des Sozialismus vermengt werden. Nicht darum handelt es sich hier, ob ein sozialistisches Gemeinwesen in irgendeiner Form denkbar und durchführbar ist. Die Beantwortung der Frage, ob die menschliche Gesellschaft auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln aufgebaut werden kann oder nicht, ist eine besondere Aufgabe, die uns hier nicht beschäftigen soll. Das Problem, das wir vor Augen haben, ist das: Welche Wirkungen haben obrigkeitliche und andere Machteingriffe in einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebauten Gesellschaftsordnung? Können derartige Eingriffe den Erfolg erzielen, den sie anstreben?

Hier kommt es natürlich auf eine genaue Umschreibung des Begriffes »Eingriff« an.

1. Maßnahmen, die zum Zwecke der Aufrechterhaltung und (613) Sicherung des Sondereigentums an den Produktionsmitteln getroffen werden, sind keine Eingriffe in unserem Sinne. Das ist so selbstverständlich, daß man es eigentlich gar nicht besonders hervorheben müßte. Wenn es doch nicht ganz überflüssig ist, so ist daran der Umstand schuld,. daß man unser Problem häufig mit dem Problem des Anarchismus zu vermengen pflegt. Man argumentiert folgendermaßen: Wenn Tätigkeit des Staates zum Schutze des Sondereigentums als notwendig angesehen wird, dann sei nicht abzusehen, warum nicht auch darüber hinausgehendes. Eingreifen des Staates zulässig sein sollte. Der Anarchist, der jede wie immer geartete Staatstätigkeit ablehnt, denke folgerichtig. Wer aber in richtiger Erkenntnis der Undurchführbarkeit des Anarchismus staatliche Organisation mit einem Zwangsapparat für notwendig hält, um die gesellschaftliche Kooperation der Individuen zu sichern, sei inkonsequent, wenn er diese Staatstätigkeit auf ein enges Gebiet beschränken will. Es ist klar, daß dieser Gedankengang ganz und gar verfehlt ist. Wir erörtern ja gar nicht die Frage, ob man im gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen ohne den organisierten Zwangsapparat, den man Staat oder Regierung nennt, auszukommen vermag oder nicht. Was wir untersuchen, ist allein das, ob es – vom Syndikalismus abgesehen – nur zwei denkbare Möglichkeiten für die Organisation der arbeitsteiligen Gesellschaft gibt: nämlich entweder Gemeineigentum oder Sondereigentum an den Produktionsmitteln, oder ob es zwischen diesen – wie der Interventionismus annimmt – noch ein drittes System: das des durch obrigkeitliche Eingriffe regulierten Sondereigentums geben kann. Uebrigens ist die Frage, ob staatliche Organisation notwendig sei oder nicht, von der Frage, auf welchen Gebieten und in welcher Weise sich die Staatsgewalt zu betätigen habe, scharf zu sondern. So wenig aus der Tatsache, daß der staatliche Zwangsapparat im gesellschaftlichen Leben nicht entbehrt werden kann, gefolgert werden darf, daß nun auch Gewissenszwang, Bücherzensur und ähnliche Maßnahmen ersprießlich seien, so wenig kann auch gefolgert werden, daß bestimmte Maßnahmen wirtschaftspolitischer Natur notwendig, nützlich oder auch nur möglich seien.

Zur Aufrechterhaltung des Sondereigentums an der Produktionsmitteln gehören aber die zum Schutze des Wettbewerbes getroffenen Verfügungen keineswegs. Ein weitverbreiteter Irrtum (614) sieht in der Konkurrenz zwischen mehreren Erzeugern desselben Artikels das Wesentliche der dem Ideal des Liberalismus entsprechenden Wirtschaftsordnung. Doch das Wesen des Liberalismus liegt im Sondereigentum, nicht in der – übrigens mißverstandenen – Konzeption des freien Wettbewerbes. Nicht daß es viele Grammophonfabriken gibt, sondern daß die Produktionsmittel der Grammophonerzeugung nicht im Eigentum der Gesellschaft, sondern in dem Privater stehen, ist das Entscheidende. Teils von diesem Mißverstehen, teils von einer durch naturrechtliche Theorien beeinflußten Auslegung des Freiheitsbegriffes ausgehend, hat man versucht, die Entwicklung zu Großbetrieb durch Gesetze gegen Kartelle und Trusts aufzuhalten. Es ist nicht hier der Ort, über die Ersprießlichkeit solcher Politik zu urteilen. Nur das ist festzustellen: Nichts kann für die Erkenntnis der volkswirtschaftlichen Funktion einer konkrete Maßnahme weniger wichtig sein als ihre Rechtfertigung oder Verwerfung durch irgendeine juristische Theorie. Die Rechtswissenschaft, die Staatslehre und die wissenschaftliche Disziplin der Politik können uns nichts sagen, was als Grundlage zur Entscheidung über das Für und Wider einer bestimmten Politik verwertet werden könnte. Und ganz bedeutungslos ist es, ob dies oder jenes den Bestimmungen irgendeines Gesetzes oder irgendeiner Verfassungsurkunde entspricht, mag diese auch so ehrwürdig und berühmt sein wie die Konstitution der Vereinigte Staaten von Amerika. Wenn menschliche Satzung sich als zweckwidrig erweist, dann muß sie geändert werden; niemals kann man es daher in der Erörterung der Zweckmäßigkeit einer Politik als Argument gelten lassen, daß sie gesetz-, rechts- oder verfassungswidrig sei. Auch das ist übrigens so selbstverständlich, daß man es gar nicht erst erwähnen müßte, wenn es nicht immer wieder in Vergessenheit geraten würde. Wie man einst versucht hat, die deutsche Sozialpolitik aus dem Wesen des preußischen Staates und des »sozialen Königtums« abzuleiten, so sucht man in den Vereinigten Staaten in der wirtschaftspolitischen Diskussion mit Argumenten zu arbeiten, die aus der Verfassung oder aus der Auslegung der Begriffe Freiheit und Demokratie geholt sind. Eine sehr beachtenswerte Theorie des Interventionismus, die Lehre von Professor Commons, die auch größte Bedeutung hat, weil sie die Philosophie der La Folette-Partei und der Politik von Wisconsin darstellt, ist zu einem (615) Teil auf diesen Gedankengängen aufgebaut. Die Autorität der amerikanischen Verfassung ist auf das Gebiet der Union beschränkt. Die Geltung der Ideale Demokratie, Freiheit und Gleichheit ist örtlich unbegrenzt, und überall sehen wir, wie in ihrem Namen die Forderung bald nach Beseitigung, bald nach »Einschränkung« des Sondereigentums erhoben wird. Alles dies ist für die Behandlung unseres Problems ohne jede Bedeutung und muß daher hier außer acht gelassen werden.

2. Sozialisierung eines Teiles der Produktionsmittel ist kein Eingriff in unserem Sinne. Der Begriff des Eingriffs hat zur Voraussetzung, daß das Sondereigentum der Einzelnen nicht aufgehoben wird, daß es vielmehr nicht nur dem Namen, sondern auch der Sache nach bestehen bleibt. Verstaatlichung einer Eisenbahnlinie ist kein Eingriff, wohl aber ist ein Eingriff ein Befehl, der einer Eisenbahnunternehmung vorschreibt, niedrigere Frachtsätze einzuheben als sie einheben würde, wenn sie frei schalten könnte.

3. Nicht unter den Begriff des Eingriffs fallen Handlungen der Obrigkeit, die mit den Mitteln des Marktes arbeiten, d. h. solche, die Nachfrage oder Angebot durch Veränderung der Marktfaktoren zu beeinflussen suchen. Wenn die Obrigkeit Milch auf dem Markte kauft, um sie billig an arme Mütter zu verkaufen oder gar unentgeltlich zu verteilen, oder wenn sie Bildungsanstalten als Zuschußbetriebe führt, liegt kein Eingriff vor. (Ueber die Frage, ob der Weg, auf dem sich die Obrigkeit die Mittel zu diesem Vorgehen verschafft, als »Eingriff« anzusehen ist, wird noch gesprochen werden.) Dagegen wäre eine Vorschreibung von Höchstpreisen für Milch ein Eingriff.

Der Eingriff ist ein von einer gesellschaftlichen Gewalt ausgehender isolierter Befehl, der die Eigentümer der Produktionsmittel und die Unternehmer zwingt, die Produktionsmittel anders zu verwenden, als sie es sonst tun würden. »Isolierter Befehl« bedeutet, daß der Befehl nicht Teil eines Systems von Befehlen bildet, das die ganze Produktion und Verteilung regelt und damit das Sondereigentum an den Produktionsmitteln beseitigt und an seine Stelle das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, den Sozialismus setzt. Die Befehle, die wir im Auge haben, mögen sich noch so sehr häufen; solange sie nicht planmäßig darauf (616) ausgehen, das Ganze der Wirtschaft zu lenken und an Stelle des Gewinnstrebens der Individuen allgemein den Gehorsam zur Triebfeder des Handelns zu machen, sind sie als isolierte Befehle anzusehen. Unter »Produktionsmittel« sind alle Güter höherer Ordnung, also alle noch nicht beim Konsumenten zum Gebrauch oder Verbrauch bereitliegenden Güter zu verstehen, so daß auch die bei den Händlern vorrätigen, im kaufmännischen Sinn als »gebrauchsreif« bezeichneten Waren inbegriffen sind.

Wir haben zwei Gruppen solcher Befehle zu unterscheiden: die einen hemmen oder erschweren unmittelbar die Produktion (im weitesten Sinne des Wortes, so daß darunter auch die Ortsveränderung von wirtschaftlichen Gütern zu verstehen ist), die andern suchen die Preise anders zu bestimmen, als der Markt sie bilden würde. Jene wollen wir die produktionspolitischen Eingriffe nennen diese, die allgemein unter der Bezeichnung Preistaxen bekannt sind, wollen wir die preispolitischen Eingriffe nennen.(2)

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(2) Man könnte im Zweifel darüber sein, ob es nicht zweckmäßig wäre, noch eine dritte Gruppe zu unterscheiden: die steuerpolitischen Eingriffe, das sind die Eingriffe, die in der Enteignung eines Teiles des Vermögens oder Einkommens bestehen. Wenn wir dies nicht tun, dann mag man dies damit rechtfertigen, daß die Wirkungen dieser Eingriffe teils denen der produktionspolitischen Eingriffe gleichkommen, teils darin bestehen, daß die Verteilung des Produktionsertrages beeinflußt wird, ohne daß die Produktion selbst von ihren Bahnen abgelenkt wird.