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Bemerkungen zum Grundproblem der subjektivistischen Wertlehre (1928)

Einleitung
I.
II.
III.
IV.

III.

Böhm-Bawerk gibt der Meinung Ausdruck, daß die Aufgabe der Preistheorie in zwei Teile zerfalle. »Ein erster Teil hat das Gesetz des Grundphänomens in seiner vollen Reinheit, d. i. die Gesetzmäßigkeiten zu entwickeln, welche sich an den Preiserscheinungen unter der Voraussetzung ergeben, daß bei sämtlichen am Tausche beteiligten Personen als einziges treibendes Motiv das Streben nach Erlangung unmittelbaren Tauschvorteils ins Spiel kommt. Dem zweiten Teil fällt die Aufgabe zu, die aus dem Hinzutreten anderer Motive und Tatumstände sich ergebenden Modifikationen des Grundgesetzes in dieses einzuweben. Hier wird der Platz sein, um … den Einfluß darzulegen, den die weit verbreiteten typischen Motive der Gewohnheit, Sitte, Billigkeit, Humanität, Großmut, Bequemlichkeit, des Stolzes, des Nationalitäts- und Rassenhasses usw. auf die Preisbildung gewinnen«.(14)

Um zur richtigen Beurteilung dieser Ausführungen zu gelangen, muß man den Unterschied beachten, der zwischen der klassischen und der modernen Nationalökonomie im Ausgangspunkte der Untersuchung besteht. Die klassische Nationalökonomie geht, indem sie den Tauschwert und nicht den Gebrauchswert in den Mittelpunkt ihrer Behandlung des Preisproblems stellt, vom Handeln des Kaufmanns aus. Sie mußte, da ihr die Ueberwindung der Wertantinomie nicht gelungen war, darauf verzichten, den Vorgang der Preisbildung weiter zurück zu verfolgen und das aufzudecken, was hinter dem Verhalten der Geschäftsleute steht und dieses Verhalten in allem leitet: das Verhalten der letzten Verbraucher. Das Handeln der Verbraucher kann nur die Nutzentheorie erklären, und wenn man nicht imstande ist, eine Nutzentheorie aufzustellen, dann muß man auf jede Erklärung verzichten. Wenn man der klassischen Theorie vorgeworfen hat, sie gehe von der Annahme aus, alle Menschen wären Kaufleute und handelten wie die Besucher (41) einer Börse, so war das gewiß nicht zutreffend; richtig aber ist, daß die klassische Lehre nicht imstande war, das erste und letzte der Wirtschaft, den Verbrauch und die Bedürfnisbefriedigung, in ihrer Theorie zu erfassen.

Weil nun die Klassiker nur das Handeln des Geschäftsmannes zu erklären vermochten und allem, was darüber hinausging, ratlos gegenüberstanden, war ihr Denken an der kaufmännischen Buchführung, dem vollendeten Ausdruck der Rationalität des Geschäftsmannes (nicht des Verbrauchers) orientiert. Was nicht durch kaufmännische Bücher durchgeführt werden kann, konnten sie in ihrer Lehre nicht unterbringen. Daraus erklärt sich manche ihrer Auffassungen, z. B. ihre Stellung zu den persönlichen Diensten; die Dienstleistung, die keine in kaufmännischen Büchern ausdrückbare Werterhöhung verursacht, mußte ihnen unproduktiv erscheinen. Nur so erklärt es sich, daß sie die Erreichung des höchsten erzielbaren Geldgewinnes als Ziel des wirtschaftlichen Handelns ansehen konnten. Von der Einsicht, die sie ihrem Utilitarismus verdankten, daß das Ziel des Wirtschaftens Wohlfahrtsmehrung und Leidminderung sei, fanden sie, eben wegen der Schwierigkeiten, die ihnen die Antinomie des Wertes bot, keine Brücke zur Wert- und Preislehre. Sie konnten daher alle jene Wohlfahrtsveränderungen, die nicht in kaufmännischen Büchern in Geld veranschlagt werden können, nicht erfassen.

Dieser Tatbestand führte notwendigerweise zu einer Unterscheidung des wirtschaftlichen und des nichtwirtschaftlichen Handelns. Wer die (in Geld) billigste Einkaufsgelegenheit aufspürt und ausnützt, hat wirtschaftlich gehandelt. Wer aber aus Irrtum, Unkenntnis, Unfähigkeit, Trägheit, Nachlässigkeit oder aus Rücksicht auf politische, nationalistische oder religiöse Zwecke teuerer gekauft hat, als er hätte kaufen können, hat unwirtschaftlich gehandelt. Man sieht, wie diese Zensurierung des Handelns sogleich eine ethische Färbung erhält. Aus der Unterscheidung der beiden Motivgruppen entwickelt sich denn auch bald eine Norm: »Du sollst ‚ökonomisch‘ handeln; Du sollst – in Geld gerechnet – so billig als möglich einkaufen und so teuer als möglich verkaufen; Du sollst im Kaufen und Verkaufen kein anderes Ziel kennen als höchsten Geldgewinn.«

Daß die Dinge für die subjektivistische Lehre ganz anders liegen, wurde schon gezeigt. Wie wenig es, wenn man vom Han- (42) deln des letzten Verbrauchers ausgeht und nicht von dem des Kaufmanns, angeht, in der Erklärung der Preisbildung zwischen wirtschaftlichen und anderen Motiven zu scheiden, wird noch klarer werden, wenn wir es an einem Beispiel erläutern, das aus den Verhältnissen eines nationalpolitisch umstrittenen Gebietes, etwa Böhmens, hergeholt ist. Ein Deutscher beabsichtigt, einer völkischen Turn- und Wehrvereinigung beizutreten und will die dazu erforderliche Gewandung und Ausrüstung erwerben. Gesetzt nun den Fall, daß er diesen Ankauf in einem von einem Tschechen geführten Laden billiger besorgen könnte, dann würden wir, wenn wir jene Unterscheidung der Motive anerkennen, sagen müssen, er habe wirtschaftlich gehandelt, wenn er hier einkauft. Kauft er aber um ein Geringes teuerer in einem von einem Deutschen geführten Laden ein, um einem Volksgenossen den Verdienst zuzuführen, dann hätte er unwirtschaftlich gehandelt. Es ist klar, daß man dann schon den ganzen Einkauf als solchen unwirtschaftlich nennen müßte, da doch die Beschaffung der Ausrüstung als solcher gerade so einem nationalpolitischen Zwecke dienen soll wie die Förderung des Volksgenossen durch Nichtberücksichtigung der Möglichkeit billigeren Einkaufs beim Volksfremden. Dann aber müßte man auch viele andere Ausgaben – je nach dem Geschmack des Beurteilers – als unwirtschaftlich bezeichnen: Beiträge für alle Arten von kulturpolitischen Zwecken, Aufwendungen für Kirche und Bildung usf. Man sieht, wie widersinnig solche schulmäßige Distinktionen sind. Es geht eben nicht an, die durchaus aus der Betrachtung des Handelns des Geschäftsmannes gewonnene Maxime auf das Handeln der Verbraucher, das in letzter Linie alle Wirtschaft leitet, anzuwenden.

Dagegen ist es der subjektivistischen Lehre, gerade weil sie vom Handeln des Verbrauchers ausgeht, ohne weiters möglich, von ihrem Standpunkt aus auch das Handeln des Geschäftsmannes (sei er nun Erzeuger oder bloß Händler) zu erfassen. Der Geschäftsmann muß, unter dem Zwang des Marktes, stets das tun, was im Sinne der Wünsche der letzten Verbraucher gelegen ist. So wenig er ohne Verlust Tücher erzeugen kann, die deren Geschmack nicht entsprechen, so wenig kann er ohne Verlust nationalpolitische Rücksichten üben, die von den Käufern nicht honoriert werden. Der Kaufmann muß daher ohne solche Rücksichtnahme bei der billigsten Bezugsquelle einkaufen, wenn (43) die, deren Kundschaft er sucht, nicht bereit sind, ihm aus nationalpolitischen Gründen die durch den teuereren Einkauf beim Volksgenossen aufgelaufenen Mehrkosten zu ersetzen. Sind aber die Käufer – etwa bei Markenartikeln – dazu bereit, dann wird auch der Kaufmann entsprechend vorgehen.

Nehmen wir die anderen Beispiele, die Böhm anführt, der Reihe nach durch, so finden wir überall dasselbe. Die Sitte erfordert es, daß der Mann der »guten« Gesellschaft am Abend im Abendanzug erscheint. Wenn nun in einem Orte die Anschauungen des Kreises, in dem er lebt, verlangen, daß der Anzug nicht aus der billiger liefernden Werkstatt eines im republikanischen Lager stehenden Schneiders sondern aus der teuereren eines konservativ denkenden Meisters bezogen werde, und wenn unser Mann dem Rechnung trägt, so folgt er dabei keinem anderen Motive als bei der Anschaffung des Anzugs überhaupt. Mit beidem, mit der Anschaffung des Abendanzuges und damit, daß er ihn gerade von dem konservativen Schneider bezieht, trägt er den Anschauungen der Kreise, die er für sich als maßgebend anerkennt, Rechnung.

Was ist jener »unmittelbare Tauschvorteil«, von dem Böhm spricht? Wenn ich aus »Humanität« Bleistifte nicht im Laden des Schreibwarenhändlers kaufe, sondern bei dem kriegsbeschädigten Hausierer, der teuerere Preise fordert, so verbinde ich zwei Ziele: die Beschaffung der Bleistifte und die Unterstützung des Invaliden. Würde ich diesen zweiten Zweck nicht eines Aufwandes wert erachten, dann würde ich eben im Laden kaufen. Ich befriedige mit dem teuereren Ankaufe zwei Bedürfnisse: das nach Bleistiften und das nach Unterstützung des Kriegskameraden. Wenn ich aus »Bequemlichkeit« in dem nahegelegenen Laden teuerer kaufe statt billiger in einem weit entfernt gelegenen Laden, dann befriedige ich mein Streben nach »Bequemlichkeit« gerade so wie etwa durch Ankauf eines Lehnstuhls oder durch die Benützung einer Droschke oder durch Einstellung einer Hausgehilfin, die mir mein Zimmer in Ordnung hält. Daß ich aus all dem einen »unmittelbaren Tauschvorteil« im Sinne Böhms ziehe, ist nicht zu bestreiten; warum sollte es beim Einkauf im nahegelegenen Laden anders sein? Man kann eben Böhms Unterscheidung nur dann verstehen, wenn man sie als eine aus dem älteren, dem objektivistischen System der klassischen Nationalökonomie übernommene, in das (44) System der subjektivistischen Nationalökonomie ganz und gar nicht hineinpassende Lehre erkennt. Dabei muß man aber mit besonderem Nachdruck feststellen, daß diese Unterscheidung auf Böhms Wert- und Preislehre nicht den geringsten Einfluß hatte und daß man das Kapitel, in dem sie vorgetragen wird, aus seinem Werke ohne weiteres entfernen könnte. Sie stellt im Rahmen dieses Werkes nichts weiter dar als eine – wie wir glauben, gezeigt zu haben, wenig gelungene – Zurückweisung der Einwendungen, die gegen die Möglichkeit einer Wert- und Preistheorie erhoben worden waren.

Systemgerechter als Böhm-Bawerk drückt Strigl den Sachverhalt aus, wenn er darauf hinweist, daß die Wertskala »grundsätzlich auch aus Elementen zusammengesetzt ist, welche der Sprachgebrauch als unwirtschaftliche dem wirtschaftlichen Prinzip gegenüberstellt«. Daher könne das »möglichst Viel an Gütern« nicht »an einem ‚wirtschaftlichen‘ Maßstab gemessen werden, welcher trennbar wäre von ‚unwirtschaftlichen‘ Zielen des Handelns«.(15)

Es ist für das Verständnis der wirtschaftlichen Vorgänge durchaus angebracht, das »reinwirtschaftliche« Handeln, wofern man darunter jenes Handeln versteht, das der Geldrechnung zugänglich ist, von dem übrigen Handeln, das man, wenn man will, in der sprachüblichen Weise das »außerwirtschaftliche« oder »nichtwirtschaftliche« nennen mag, zu sondern. Es hat schon sowohl für die wissenschaftliche Betrachtung des Ablaufes der Dinge als auch für das Verhalten der Menschen selbst einen guten Sinn, diese Unterscheidung zu machen und etwa zu sagen, unter gegebenen Bedingungen sei es vom »reinwirtschaftlichen« Standpunkt nicht ratsam, eine bestimmte Gesinnung im Handeln zu bekunden; es sei dies »ein schlechtes Geschäft«, d. h., es könne »keinen Gewinn« bringen, sondern – in Geld gerechnet – nur Nachteile; wenn man dennoch so gehandelt habe und nicht anders, so sei es nicht des Geldvorteils halber, sondern aus Gründen der Ehre, der Treue oder anderer ethischer Werte geschehen. Nur gerade die Wert- und Preislehre, die Katallaktik, die theoretische Nationalökonomie, darf diese Scheidung nicht vornehmen. Denn für die Bildung der Austauschverhältnisse des Marktes, deren Erklärung ihre Aufgabe ist, ist es ebenso gleichgültig, ob die (45) Nachfrage nach inländischen Erzeugnissen dadurch hervorgerufen wurde, daß sie – selbstverständlich bei gleicher Qualität – in Geld gerechnet billiger zu stehen kommen als die fremdländischen oder weil nationalistische Ideologie den Ankauf heimischer Erzeugnisse auch bei höherem Geldpreis als richtig erscheinen läßt, wie es etwa der Umstand ist, ob die Nachfrage nach. Waffen von Ehrenmännern ausgeht, die das Recht schützen wollen, oder von Verbrechern, die Untaten planen.(16)

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(14) Vgl. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, a. a. O., 11., S. 354.

(15) Vgl. Strigl, Die ökonomischen Kategorien und die Organisation der Wirtschaft, Jena 1923, S. 75 f.; vgl. ferner ebendort S. 146 ff.

(16) Vgl. meine Gemeinwirtschaft, Jena 1922, S. 94 ff., 122 ff.