Home Kontakt Sitemap Impressum

Bemerkungen zum Grundproblem der subjektivistischen Wertlehre (1928)

Einleitung
I.
II.
III.
IV.

II.

Daß die moderne subjektivistische Nationalökonomie von der subjektiven Wertschätzung der wirtschaftenden Subjekte und dem durch diese Wertschätzungen geleiteten Handeln ausgeht und nicht von irgendwelchen objektiv richtigen Wertskalen, ist für jeden, der die moderne Katallaktik auch nur einigermaßen kennt oder auch nur ein wenig über den Sinn der Ausdrücke »Nachfrage« und »Angebot« nachgedacht hat, so gewiß, daß es ganz und gar unangebracht wäre, darüber auch nur ein weiteres Wort zu verlieren. Daß es von Schriftstellern, die der subjektivistischen Nationalökonomie fernstehen, mitunter bestritten wird – so z. B. neuerdings von Diehl (2) – beruht auf so krassem Mißverstehen der ganzen Lehre, daß man darüber ohne weiteres hinweggehen darf. Deutlicher als es durch den Ausdruck »subjektiver Gebrauchswert« ausgedrückt wird, kann man doch schließlich nicht mehr werden. Der Erklärung der Markterscheinungen durch die moderne Lehre liegt nicht »eine auf rationellen Grundsätzen aufgestellte Bedürfnisskala zugrunde«, wie Diehl (3) meint. Die Bedürfnisskala oder Wertskala, von der die Lehre spricht, wird nicht »aufgestellt«; wir erschließen sie aus dem Handeln der Wirtschafter oder auch – ob dies zulässig ist oder nicht, mag hier dahingestellt bleiben – aus ihren Mitteilungen, wie sie unter bestimmten Voraussetzungen handeln würden. Und wenn Diehl es für offenbar widersinnig hält, die »launenhaften Wünsche, Begehrungen usw.« zur Erklärung (36) heranzuziehen, und meint, daß dann »der Wert von der subjektiven Laune jedes Einzelnen« bestimmt wäre, womit »die Grenznutzentheorie allen Sinn verlöre«(4), so hat ihn wohl die oft beklagte Vieldeutigkeit des Ausdruckes »Wert«, in dem die Erinnerung an die »absoluten« Werte der Ethik mitschwingt, irregeführt. Denn daß die Preise des Marktes, deren Bildung wir zu erklären haben, tatsächlich durch »launenhafte Wünsche« geradeso beeinflußt werden wie durch solche, die in Diehls Augen als rationell erscheinen, wird doch niemand bezweifeln wollen. Diehl möge einmal versuchen, die Preisbildung der dem Modewechsel unterliegenden Waren ohne Heranziehung der »launenhaften Wünsche und Begehrungen« zu erklären! Die Katallaktik hat die Aufgabe, die Bildung der Austauschverhältnisse der wirtschaftlichen Güter, die auf dem Markte tatsächlich beobachtet werden, zu erklären, und nicht das, was sich ereignen würde, wenn alle Menschen so handeln würden, wie irgendein Beurteiler es als »rationell« ansieht.

Das alles ist, wie gesagt, so klar, daß niemand daran zweifeln wird. Die Aufgabe unserer Ausführungen kann es nicht sein, durch den Versuch, es neuerdings umständlich zu erweisen, offene Türen einzurennen. Das, was wir vorhaben, ist vielmehr ganz etwas anderes. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß Menger und Böhm-Bawerk an verschiedenen Stellen ihrer Schriften Behauptungen bringen, die mit den von ihnen aufgestellten Grundsätzen schlechterdings nicht zu vereinbaren sind. Man darf nicht vergessen, daß die beiden Meister wie alle Erneuerer und Bahnbrecher zuerst die altüberkommenen Auffassungen und Vorstellungen, die sie dann später durch befriedigendere ersetzt haben, in sich aufgenommen hatten. Es ist menschlich entschuldbar, wenn es auch sachlich nicht zu rechtfertigen ist, daß sie dann in der Durchführung ihrer großartigen Grundgedanken mitunter die Folgerichtigkeit vermissen ließen und in Einzelheiten an Behauptungen festhielten, die aus dem Gedankenbau der alten objektivistischen Lehre stammten. Eine kritische Betrachtung dieser Unzulänglichkeiten des Werkes der Begründer der »Oesterreichischen Schule« ist eine unabweisliche Notwendigkeit, da sie manchen Lesern beim Versuche, in den Geist der Lehre einzudringen, sehr große Schwierigkeiten zu bereiten (37) scheinen. Ich will zu diesem Zwecke aus dem Hauptwerke Mengers und aus dem Böhm-Bawerks je eine Stelle herausgreifen.(5)

In der der ersten Auflage seiner »Grundsätze der Volkswirtschaftslehre« vorausgeschickten Vorrede umschreibt Menger »das eigentliche Gebiet unserer Wissenschaft«, nämlich der theoretischen Volkswirtschaftslehre, als die Erforschung der »Bedingungen, unter welchen die Menschen die auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse gerichtete vorsorgliche Tätigkeit entfalten« und erläutert dies mit folgenden Worten: »Ob und unter welchen Bedingungen ein Ding mir nützlich, ob und unter welchen Bedingungen es ein Gut, ob und unter welchen Bedingungen es ein wirtschaftliches Gut ist, ob und unter welchen Bedingungen dasselbe Wert für mich hat, und wie groß das Maß dieses Wertes für mich ist, ob und unter welchen Bedingungen ein ökonomischer Austausch von Gütern zwischen zwei wirtschaftenden Subjekten statthaben, und die Grenzen, innerhalb welcher die Preisbildung hiebei erfolgen kann usf.«.(6) Man beachte, wie schon hier die Subjektivität der Werterscheinungen durch das reflexive Fürwort immer wieder betont wird: »mir nützlich«, »Wert für mich«, »Maß dieses Wertes für mich«.

Leider hält Menger gleich in der Umschreibung der Güterqualität der Dinge daran nicht fest. Obwohl er die schöne Definition von Storch (l’arrêt que notre jugement porte sur l’utilité des choses … en fait des biens) anführt, erklärt er das Zusammentreffen folgender vier Voraussetzungen für erforderlich, damit ein Ding ein Gut werde:

1. Ein menschliches Bedürfnis.
2. Solche Eigenschaften des Dinges, welche es tauglich machen, in ursächlichen Zusammenhang mit der Befriedigung dieses Bedürfnisses gesetzt zu werden.
3. Die Erkenntnis dieses Kausalzusammenhanges seitens des Menschen.
4. Die Verfügung über dieses Ding, so zwar, daß es zur Befriedi- (38) gung dieses Bedürfnisses tatsächlich herangezogen werden kann.(7)

Die 4. Voraussetzung geht uns hier nichts an. An der 1. Voraussetzung ist nichts auszusetzen. Sie entspricht durchaus dem Grundgedanken des Subjektivismus, wofern man sie dahin auffaßt, daß darüber, was für den einzelnen Bedürfnis ist oder nicht, eben er selbst entscheidet. Daß dies die Meinung Mengers war, als er die erste Auflage schrieb, kann man freilich nur vermuten. Zu beachten ist, daß Menger die Definition Roschers (alles dasjenige, was zur Befriedigung eines wahren menschlichen Bedürfnisses anerkannt brauchbar ist) neben vielen Definitionen anderer Vorgänger anführt,(8) ohne auf sie weiter einzugehen.

Doch in der nachgelassenen zweiten Ausgabe seines Werkes, die mehr als ein halbes Jahrhundert später erschienen ist und, abgesehen von dem schon lange vorher im Handwörterbuch der Staatswissenschaften veröffentlichten Abschnitt über das Geld, keineswegs als Fortschritt gegenüber der genialen ersten Ausgabe zu bezeichnen ist, unterscheidet Menger zwischen wahren und eingebildeten Bedürfnissen. Die eingebildeten Bedürfnisse sind die, »welche nicht in Wahrheit in der Natur des bedürfenden Subjekts, bzw. in seiner Stellung als Glied eines sozialen Verbandes begründet, sondern nur das Ergebnis mangelhafter Erkenntnis der Exigenzen seiner Natur und seiner Stellung in der menschlichen Gesellschaft sind«.(9) Menger fügt in einer Anmerkung hinzu: »Das praktische Wirtschaftsleben der Menschen wird nicht durch ihre Bedürfnisse, sondern durch ihre jeweiligen Meinungen über die Erfordernisse der Erhaltung ihres Lebens und ihrer Wohlfahrt, ja nicht selten unmittelbar durch ihre Triebe und Begierden bestimmt. Die rationelle Theorie und die praktische Wirtschaftslehre wird an die Untersuchung der wahren (der der objektiven Sachlage entsprechenden) Bedürfnisse anknüpfen müssen«.(10)

Um diese offenkundige Entgleisung zu widerlegen, genügt es, Mengers eigene Worte anzuführen, die einige Zeilen weiter stehen als die eben angeführten. Da heißt es: »Die Meinung, (39) daß lediglich die physischen Bedürfnisse Gegenstände unserer Wissenschaft seien, ist irrig, die Auffassung unserer Wissenschaft als einer bloßen Theorie der physischen Wohlfahrt der Menschen unhaltbar. Wir vermöchten, wie wir sehen werden, die Erscheinungen der menschlichen Wirtschaft nur in höchst unvollständiger Weise, zum Teile überhaupt nicht zu erklären, falls wir uns auf die Betrachtung der physischen Bedürfnisse der Menschen beschränken wollten«.(11) Mit diesem letzten Satz ist wohl alles gesagt. Er gilt gerade so wie von der Scheidung der Bedürfnisse in physische und nichtphysische auch von deren Scheidung in wahre und eingebildete.

Die 2. und die 3. Voraussetzung hätten, das ergibt sich aus dem vorstehend angeführten, zu lauten: die Meinung der Wirtschafter, daß das Ding tauglich sei, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Damit entfällt auch die Möglichkeit, von einer Kategorie der »eingebildeten Güter« zu sprechen. Der Fall der eingebildeten Güter sei, meint Menger, dort zu beobachten, »wo Dinge, die in keinerlei ursächlichem Zusammenhang mit der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gesetzt werden können, von den Menschen nichtsdestoweniger als Güter behandelt werden. Dieser Erfolg tritt ein, wenn Dingen irrtümlicherweise Eigenschaften und somit Wirkungen zugeschrieben werden, die ihnen in. Wahrheit nicht zukommen, oder aber menschliche Bedürfnisse irrtümlicherweise vorausgesetzt werden, die in Wahrheit nicht vorhanden sind«.(12) Man muß nur die Beispiele, die Menger anführt, betrachten, um zu erkennen, wie nichtig die Unterscheidung der wahren von den eingebildeten Gütern ist. Als eingebildete Güter bezeichnet Menger u. a. die Gerätschaften für den Götzendienst, die meisten Schönheitsmittel usw. Doch auch für diese Dinge werden Preise verlangt und geboten, und diese Preise haben wir zu erklären.

Ganz anders als Menger, aber doch vollkommen im Sinne der von Menger in den weiteren Abschnitten seines grundlegenden Werkes ausgeführten Lehren umschreiben wir die Wurzel des subjektiven Gebrauchswertes, wenn wir mit Verrijn Stuart sagen: Des Menschen Wertung der Güter wurzelt »in seiner Einsicht in ihre Nützlichkeit«, wobei jede Sache als nützlich aufzufassen ist, »auf die mit oder ohne Berechtigung irgendeine menschliche (40) Begierde ausgeht, und welche deshalb einem menschlichen Bedürfnis Befriedigung schenken kann«.(13)

___________________________________________

(2) Vgl. Diehl, Theoretische Nationalökonomie, I. Bd., Jena 1910, S. 287; III. Bd., Jena 1927, S. 82-87. Vgl. dagegen meine Ausführungen im Archiv für Geschichte des Sozialismus, X. Bd., S. 93 ff.

(3) A. a. O. III. Bd., S. 85.

(4) Ebendort.

(5) Für das Problem der Wertmessung und des Gesamtwerts, das hier nicht weiter behandelt werden soll, habe ich eine kritische Prüfung der Arbeiten einiger älterer Vertreter der modernen Lehre in meiner Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel (2, Aufl., München 1924, S. 10-22) versucht.

(6) Vgl. Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Wien 1871, S. IX (2. Aufl., Wien 1923, S. XXI).

(7) Vgl. Menger, a. a. O., 1. Aufl. S. 3.

(8) A. a. O. S. 2.

(9) Vgl. Menger, a. a. O., 2. Aufl. S. 4.

(10) Ebendort S. 4 f.

(11) Ebendort S. 5.

(12) Vgl. Menger , a. a. O., 1. Aufl., S. 4 (2. Aufl, S. 16 f.).

(13) Vgl. C. A. Verrijn Stuart, Die Grundlagen der Volkswirtschaft, Jena 1923, S. 94.