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1930-1939

Die Goldwährung und ihre Gegner (1931)
Die Krise und der Kapitalismus (1931)
Die bankpolitischen Lehren der Krisis (1931)
Das festangelegte Kapital (1931)
Die psychologischen Wurzeln des Widerstandes gegen die nationalökonomische Theorie (1931)

Die Krise und der Kapitalismus (1931)

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Quelle: Neue Freie Presse (Wien) Nr. 24099, 17. Oktober 1931; der Artikel ist abgedruckt im Buch “”http://www.buchausgabe.de/public_products/Der-unbekannte-Mises-Friedrich-A-v-Hayek-Institut-Kurt-R-Leube-Ludwig-von-Mises-167">Der unbekannte Mises", erhältlich bei buchausgabe.de.

Nahezu allgemein wird behauptet, die schwere Wirtschaftskrise, unter der die Welt gegenwärtig leidet, hätte den Beweis für die Unmöglichkeit des Festhaltens am kapitalistischen System erbracht. Der Kapitalismus, meint man, habe versagt und man müsse an seine Stelle ein besseres System treten lassen, das wohl kein anderes sein könne als das des Sozialismus.

Dass das gegenwärtig herrschende System versagt hat, kann wohl niemand bestreiten. Doch eine andere Frage ist es, ob dieses System, das versagt hat, das kapitalistische System gewesen ist oder ob nicht gerade die antikapitalistische Politik, Interventionismus und Staats- und Kommunalsozialismus an der Katastrophe Schuld tragen.

Das kapitalistische System ist das System einer arbeitteilenden, auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung. In diesem System stehen die Produktionsmittel im Sondereigentum und werden von den Eigentümern – den Kapitalisten und Grundbesitzern – entweder selbst unmittelbar für die Produktion verwendet oder Unternehmern überlassen, die zum Teil mit eigenen, zum Teil mit fremden Mitteln die Produktion führen. Als Regulator der Produktion fungiert im kapitalistischen System der Markt. Die Preisbildung des Marktes entscheidet darüber, was, wie und in welchem Umfange produziert werden soll. Durch die Gestaltung der Warenpreise, Arbeitslöhne und Zinssätze bringt der Markt Nachfrage und Angebot zur Deckung, sorgt er dafür, daß jeder Produktionszweig so stark besetzt werde, als dem Umfang und der Intensität der wirksamen Nachfrage entspricht. So empfängt die kapitalistische Produktion ihren Sinn vom Markte aus. Wohl kann vorübergehend ein Missverhältnis zwischen Produktion und Bedarf eintreten, doch die Gestaltung der Marktpreise sorgt dafür, daß das Gleichgewicht in kurzer Zeit wieder hergestellt wird. Nur wenn man den Mechanismus des Marktes durch Eingriffe von außen her stört, wenn man die Auswirkung der Marktpreise auf die Regelung der Produktion unterbindet, werden Störungen ausgelöst, die nicht mehr durch die selbsttätige Reaktion des Marktes behoben werden können, Störungen, die nicht vorübergehen, sondern andauern.

Seit zwei Menschenaltern ist nun die Politik der europäischen Staaten auf nichts anderes gerichtet als darauf, die Funktion des Marktes als Regulator der Produktion zu unterbinden und auszuschalten. Durch Zölle und handelspolitische Maßnahmen anderer Art, durch gesetzliche Gebote und Verbote, durch Subventionierung wettbewerbsunfähiger Unternehmungen und durch Unterdrückung oder Drosselung von Betrieben, die den Schoßkindern der Regierung unliebsame Konkurrenz bereiten, durch Regelung von Preissätzen und Löhnen wird der Versuch unternommen, die Produktion auf Wege zu drängen, die sie sonst nicht betreten hätte. Unter dem Schutze der Zölle, die die Einheit des Weltmarktes zerreißen, wird die Produktion von den günstigsten Standorten abgelenkt; Kartelle entstehen, die darauf ausgehen, auch minder leistungsfähige Betriebe zu erhalten, und deren Aufbau nur zu oft dahin führt, daß die Investitionstätigkeit in falsche Bahnen geleitet wird.

Am verhängnisvollsten wurde die antikapitalistische Wirtschaft auf dem Arbeitsmarkt. Bei dem Lohnsatz, der sich auf dem unbehinderten Markt bildet, finden alle Arbeiter Beschäftigung und alle Unternehmer die Arbeiter, die sie benötigen. Dass Arbeitslosigkeit nicht nur als vorübergehende Erscheinung von unbeträchtlichem Umfang, sondern als Dauererscheinung auftritt, ist allein dem Umstand zuzuschreiben, daß die Bestrebungen der Gewerkschaften, das Lohnniveau über dem Satz, der bei dem Stand der Kapitalsversorgung und der Ergiebigkeit der Arbeit von der Wirtschaft ohne Kapitalsaufzehrung getragen werden kann, festzulegen, von der Wirtschaftspolitik gefördert werden. Zu diesem von den Gewerkschaften festgehaltenen Lohnsatz kann nur ein Teil der Arbeiter Beschäftigung finden. Solange den Arbeitslosen Unterstützungen aus öffentlichen Mitteln zuteil werden und solange nicht wirksam dafür Sorge getragen wird, daß Arbeiter, die bereit sind, zu einem niedrigeren Satz als dem von der Gewerkschaft geforderten, zu arbeiten, gegen Gewaltanwendung seitens der Gewerkschaften geschützt sind, wird die künstliche Ueberhöhung des Lohnniveaus bleiben, da sie gegen den Druck arbeitsuchender Arbeitsloser gesichert ist. Aber dann wird auch die Arbeitslosigkeit immer mehr um sich greifen. Die Arbeitslosenunterstützung ist keineswegs, wie die von der interventionistischen Lehre beherrschte öffentliche Meinung anzunehmen pflegt, eine Maßnahme zur Milderung der durch die Arbeitslosigkeit hervorgerufenen Not. Sie ist vielmehr ein Glied in der Kette von Ursachen, die die Arbeitslosigkeit als Dauer- und Massenerscheinung erst schaffen.

Man pflegt es als paradox zu bezeichnen, daß Waren unverkäuflich daliegen, während Menschen nach diesen Waren Bedarf haben, und dass Arbeitslose vorhanden sind, wo doch noch viel Arbeit auf der Welt zu leisten wäre. Die Ausdrücke „Unverkäuflichkeit” und „Arbeitslosigkeit“ erwecken eben unrichtige Vorstellungen von dem Tatbestand, den sie zu bezeichnen haben. „Unverkäuflichkeit” bedeutet nicht, daß die Waren überhaupt nicht verkauft werden können, sondern nur, daß sie nicht zu einem Preise verkauft werden können, der die Produktionskosten deckt. Diese Güter hätten überhaupt nicht erzeugt werden sollen, weil anderer, verhältnismäßig dringenderer Bedarf noch nicht gedeckt war. Arbeitslosigkeit bedeutet nicht, daß der Arbeiter keine Arbeit finden könne, sondern daß er für die Arbeit, die er zu leisten gewillt und befähigt ist, nicht jenen Lohn erhalten kann, den er verlangt.

Unrentabilität der Betriebe, Unverkäuflichkeit der Waren und Arbeitslosigkeit sind Preiserscheinungen, die aus der Unterbindung der produktionsregulierenden Funktion des Marktes entstehen.

Unter dem Einflusse der alles wirtschaftspolitische Denken heute beinflussenden sozialistischen Ideologie wurden zahlreiche Unternehmungen aus der Hand der Unternehmer und Kapitalisten in die der Regierungen und der Gemeindeverwaltungen übernommen. Nahezu in allen Fällen hat die öffentliche Verwaltung sich als Fehlschlag erwiesen; die meisten dieser Unternehmungen erfordern mehr oder weniger große Zuschüsse aus Steuergeldern, da sie mit beträchtlichen Gebarungsabgängen arbeiten. Um für diesen Zweck und für Subventionen aller Art, unter denen die Arbeitslosenunterstützung die größten Kosten erfordert, die Mittel aufzubringen, werden die Steuern immer wieder erhöht.

Die Steuern greifen schon lange nicht nur das Einkommen, sondern auch einen nicht unbeträchtlichen Teil des Kapitals an. Das hervorragendste Kennzeichen des heute herrschenden Wirtschaftssystems ist, daß es Kapital aufzehrt.

Der kapitalistischen Wirtschaft wohnt die Tendenz inne, den Kapitalsvorrat stets zu mehren. Das System des Staatsinterventionismus und Staatssozialismus dagegen führt zu Kapitalsaufzehrung.

Da der Lohn auf dem unbehinderten Markte um so höher steht, je mehr Kapital verfügbar ist, muß daher der Erfolg dieser Politik in letzter Linie eine Senkung des Lohnniveaus und damit eine Verschlechterung des Lebensstandards der Massen sein. Die gewerkschaftliche Politik kann an diesem Ergebnis auf die Dauer nichts ändern. Wohl kann sie durch die Anwendung jener Maßnahmen, die man euphemistisch „gewerkschaftliche Mittel“ nennt, den Lohnsatz eine Zeitlang künstlich hochhalten. Aber nicht allein, daß sie dadurch Arbeitslosigkeit schaffen; die erhöhten Löhne führen zu Kapitalsaufzehrung und machen daher verstärkte Lohnsenkung notwendig. Die künstlich überhöhten Löhne werden unmittelbar auf Kosten des Kapitals und mittelbar auf Kosten der Lebenshaltung der arbeitenden Massen in der späteren Zeit bezahlt. Kapitalsaufzehrung bedeutet ja eben, dass die Gegenwart auf Kosten der Zukunft mehr konsumiert, als sie konsumieren dürfte.

Die schwere Wirtschaftskrise ist nicht unerwartet gekommen. Dass die interventionistische Wirtschaftspolitik zu diesem Ergebnisse führen müsse, ist von der Nationalökonomie vorausgesagt worden. Die interventionistische und sozialistische Wirtschaftspolitik haben sich dadurch in der Verfolgung ihrer Ziele freilich nicht aufhalten lassen; sie waren in ihrer naiven Verkennung der wirtschaftlichen Zusammenhänge jedesmal stolz darauf, wenn es ihnen gelungen war, gegen die Warnungen der Nationalökonomie eine ihrer Forderungen durchzusetzen. Sie freuten sich der Siege, die sie glaubten, über die Nationalökonomie errungen zu haben, und sahen nicht, welchen Katastrophen ihre Politik zusteuerte.

Unsere Wirtschaft ist schon lange nicht mehr liberal und kapitalistisch. Schon vor Jahrzehnten hat der geistige Führer des englischen Sozialismus, Sidney Webb, jetzt Lord Passfield, mit Genugtuung festgestellt, daß die sozialistische Theorie nichts anderes sei als die bewußte und bestimmte Anerkennung von gesellschaftlichen Grundsätzen, die zum großen Teil schon unbewußt befolgt werden, und dass die ökonomische Geschichte unserer Zeit nichts anderes sei als eine fast ununterbrochene Aufzählung der Fortschritte des Sozialismus. Seither ist der Einfluss der sozialistischen Parteien beträchtlich erstarkt und der Interventionismus der Regierungen ist überallhin gedrungen. Die kathedersozialistischen Volkswirte stellen mit besonderer Genugtuung immer wieder fest, daß wir im Zeitalter der „gebundenen Wirtschaft“, der “durchstaatlichten Oekonomie”, leben, und die Gewerkschaften rühmen sich des Umstandes, daß sie in allen Dingen ein gewichtiges, wenn nicht das entscheidende Wort zu reden haben.

Wir ernten heute die Früchte dieser „Siege über die Nationalökonomie“. Der Interventionismus hat zu den Ergebnissen geführt, die die Nationalökonomen erwartet haben. Nicht der Kapitalismus hat versagt, sondern die Wirtschaftspolitik des Interventionismus, Etatismus und Sozialismus, die seit Jahrzehnten am Ruder ist. Nicht noch mehr Staatseingriffe, Sozialismus, Planwirtschaft, Staatskapitalismus können uns helfen, sondern allein die Einsicht, daß eine Hebung der Lebenshaltung nur durch mehr Arbeit und durch Bildung von neuem Kapital bewirkt werden kann. Das aber heißt, daß wir die antikapitalistische Politik, die in Europa seit Jahrzehnten herrscht, aufgeben müssen. Kein anderer „Plan“ vermag aus der Krise hinauszuführen.