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Begreifen und Verstehen (1930)

1. Erkenntnis von außen und Erkenntnis von innen
2. Begreifen und Verstehen
3. Das Irrationale als Gegenstand der Erkenntnis
4. Sombarts Kritik der Nationalökonomie
5. Logik und Sozialwissenschaft

4. Sombarts Kritik der Nationalökonomie

Es ist ganz und gar verfehlt, wenn man glaubt, die Lehren der Katallaktik irgendwie in Frage stellen zu können durch die Behauptung, daß sie „rationale Schemata“ seien.(1) Welchen Mißverständnissen Max Weber in der logischen Behandlung der modernen Nationalökonomie verfiel, habe ich bereits an anderer Stelle ausführlich darzulegen versucht.(2) Soweit Sombart in seinem jüngsten Werke ihm nachfolgt, erübrigt sich jede weitere Bemerkung.

Sombart
geht jedoch weit über Weber hinaus: „Der Begriff Tausch etwa besagt gar nichts. Er bekommt seinen Sinn erst durch die Beziehung auf den geschichtlichen Zusammenhang, in dem der Tausch stattfindet. Tausch in der primitiven Wirtschaft (stummer Tauschhandel!), in der handwerksmäßigen Wirtschaft und in der kapitalistischen Wirtschaft sind himmelweit voneinander verschiedene Dinge“.(3)  „Preis und Preis sind völlig verschiedene Dinge von Markt zu Markt. Die Preisbildung auf der Messe in Veracruz im 17. Jahrhundert und auf dem Weizenmarkte an der Chicagoer Börse im Jahre 1930 sind zwei überhaupt nicht vergleichbare Vorgänge.“(4)

Daß es allgemeingültige Begriffe in der Nationalökonomie gibt, bestreitet auch Sombart nicht. Er unterscheidet „drei verschiedene Arten nationalökonomischer Begriffe: 1. die „allgemein-ökonomischen Hauptbegriffe, …die für alle Wirtschaft gelten“; 2. die „historisch-ökonomischen Hauptbegriffe,… die … nur für ein bestimmtes Wirtschaftssystem gelten“; 3. die „Hilfsbegriffe … die im Hinblick auf eine bestimmte Arbeitsidee gebildet werden.“(5) Was es im einzelnen mit dieser Einteilung für eine Bewandtnis hat, kann hier außer Betracht bleiben. Wir haben uns nur mit der Frage zu befassen, ob die Zuweisung der Begriffe Tausch und Preis an die zweite Gruppe gebilligt werden kann. Sombart gibt dafür keine Begründung, es sei denn, man wollte eine solche in Ausführungen folgender Art erblicken: “Es wäre Unsinn, für das Schachspiel und das Mühlespiel dieselben Aufgaben zu geben. So ist es ebenfalls Unsinn, für eine geschlossene Eigenwirtschaft eines Bauern und für die hochkapitalistische Wirtschaft dieselben Schemata zu bilden.“(6)

Auch Sombart geht nicht soweit, zu behaupten, daß das Wort „Tausch“ in Anwendung auf die primitive Wirtschaft mit dem Wort „Tausch“ in Anwendung auf die kapitalistische Wirtschaft oder das Wort „Preis“ in Anwendung auf die Messe in Veracruz im 17. Jahrhundert und das Wort „Preis“ in Anwendung auf den Weizenmakrt der Chicagoer Börse im Jahre 1930 nichts weiter als homonym seien, etwa wie der „Bauer“ und das „Bauer“ oder wie „Niederlage“ (dépót) und „Niederlage“ (défaite). Er spricht wiederholt von Tausch und Preis und Preisbildung ohne näheren Beisatz, was ganz sinnlos wäre, wenn es sich hier um Homonyma handeln würde. Wenn er sagt „eine Theorie der Marktbildung hat der Theorie der Preisbildung vorauszugehen“,(7) so stellt er selbst einen für alle Preisbildung gültigen Satz auf und widerspricht damit seiner Behauptung: „Der Begriff Tausch etwa besagt gar nichts.“

Wären Preisbildung und Preisbildung wirklich „zwei überhaupt nicht vergleicbare Vorgänge“, so wäre es ebenso sinnlos diesen Satz auszusprechen wie etwa einen Satz, der von allen Bauern – von den Landwirten und von den Vogelkäfigen – gelten soll. Etwas muß also doch den beiden Vorgängen gemeinsam sein. In der Tat erfahren wir auch, daß es „Notwendigkeiten der Preisbildung“ gibt, die sich „aus der wesensmäßigen, der mathematischen und der rationalen Gesetzmäßigkeit, der naturgemäß auch die Preisbildung unterliegt“, ergeben.(8)

Ist aber einmal festgestellt, daß den Ausdrücken „Tausch“, „Preis“, „Preisbildung“ eindeutige Begriffe entsprechen, dann nützt es nichts, zu sagen, daß es sich innerhalb des Begriffs „um himmelweit voneinander verschiedene Dinge“ und um „überhaupt nicht vergleichbare Vorgänge“ handle. Solche vage Wendungen genügen nur dann, wenn sie feststellen wollen, daß gleichlautende Wörter vorliegen, die verschiedene Begriffe ausdrücken. Haben wir aber einen Begriff vor uns, dann können wir nicht anders verfahren als indem wir vorerst den Begriff genau bestimmen und dann sehen, wieweit er reicht, was er deckt und was er nicht erfaßt. Dieses Verfahren liegt aber Sombart fern. Er fragt nicht, was Tausch und Preis sind; er gebraucht diese Ausdrücke unbefangen, wie sie ihm der unwissenschaftliche Sprachgebrauch des Alltages zur Verfügung stellt.

Die nationalökonomische Theorie des Grenznutzens, von der Sombart, vom bitteren Ressentiment der im Methodenstreit und sonst überall wissenschaftlich unterlegenen Schule ganz erfüllt, nur in Ausdrücken der Verachtung spricht, sucht nun diese Begriffe, die Sombart einfach aufliest und bedenkenlos verwendet, genau zu bestimmen. Sie analysiert sie und holt dabei aus ihnen alles heraus, was in ihnen drinsteckt, und reinigt sie von allen wesensfremden Zutaten, die das unscharfe Denken ihnen beigemengt haben mag. Man kann den Begriff „Tausch“ nicht denken, ohne dabei implicite alles das mitzudenken, was die Tauschlehre der nationalökonomischen Theorie vom Tausche lehrt. Es gibt keinen Tausch, der „mehr“, und keinen, der „weniger“ dem Grenznutzengesetz entspricht. Es gibt „Tausch“ und „nicht Tausch“, aber nicht Gradunterschiede des Tausches. Wer das mißversteht, hat sich nicht die Mühe genommen, die Arbeit der national-ökonomischen Theorie der letzten dreißig Jahre kennenzulernen.

Wenn ein Reisender, aus dem „hochkapitalistischen“ Deutschland nach einem von Primitiven bewohnten Eiland verschlagen, dem fremdartigen und ihm zunächst unbegreiflichen und unverständlichen Gehaben der Eingeborenen, deren Sprache er nicht kennt, zusieht und plötzlich erkennt, daß sie „tauschen“, dann hat er „begriffen“, was hier vorgeht, obwohl er doch nur den Tausch des „Hochkapitalismus“ kennt. Wenn Sombart einen Vorgang im Veracruz des 17. Jahrhunderts als Tausch bestimmt und von Preisbildung bei diesem Tausch spricht, dann hat er die Begriffe Tausch und Preisbildung zur Erfassung des Sinns dieses Vorgangs verwendet. In beiden Fällen dient das „rationale Schema“ dem Begreifen eines Vorganges, der anders überhaupt nicht erfaßt, weder begriffen noch verstanden werden kann. Sombart muß sich dieses rationalen Schemas bedienen, weil er sonst an den Vorgang mit dem Denken überhapt nicht herankommen könnte. Aber er will das rationale Schema nur so ungefähr verwenden, er weicht den unentrinnbaren logischen Konsequenzen dieser Verwendung aus, er will die Tragweite seines Vorgehens nicht sehen. Doch das „rationale Schema“ ist entweder zu verwenden oder nicht zu verwenden. hat man sich einmal entschlossen, es zu verwenden, dann muß man alle Folgen dieses Schrittes auf sich nehmen, dann muß man alles, was in ihm steckt, mitnehmen.

Sombart erhebt für sich – und wohl auch für seine Anhänger – den Anspruch, allein als Theoretiker „im echte Sinne“ zu gelten. Die andern – die „Anfertiger rationaler Schemata“ – könne man nur in Anführungszeichen als „Theoretiker“ bezeichnen.(9) Drei Dinge wirft er diesen „Theoretikern“ vor: Zunächst hätten sie „dank des ihnen eigenen Mangels an nun wirklich theoretischer Bildung“ in ihrer Mehrzahl „Sinn und Bedeutung der von ihnen hergestellten Schemata nicht richtig erfaßt“. Sie hätten „sie für Naturgesetze gehalten und auf sie ein naturwissenschaftlich gerichtetes Lehrgebäude aufgeführt.“(10) Da man, dem Vorgang Kants folgend, in der deutschen Wissenschaftslehre die Wissenschaft vom Allgemeinen mit Naturwissenschaft gleichsetzte, mußten die, die die Möglichkeit einer nach allgemeingültiger Erkenntnis strebenden Wissenschaft vom menschlichen Verhalten behauptet haben, diese Wissenschaft als Naturwissenschaft klassifizieren.(11) Den Charakter und den Inhalt der von ihnen betriebenen Wissenschaft hat das in keiner Weise beeinflußt.

Der zweite Vorwurf, den Sombart gegen die „Theoretiker“ erhebt, ist der, daß sie „viel zu viel und oft viel zu komplizierte Produktionsmittel“ – Sombart bezeichnet die „Schemata“ als „Produktionsmittel“ – geschaffen hätten, deren „Benutzung unmöglich ist und die den Produktionsprozeß eher erschweren als erleichtern (wie etwa ein Traktor in einem landwirtschaftlichen Betrieb, für den er nicht paßt)“.(12) Die bildhafte Sprache, die Sombart hier gebraucht, lenkt die Aufmerksamkeit von dem Punkte ab, auf den es allein ankommt: entweder ist die Theorie richtig oder falsch. Zu viel an richtiger Theorie kann es nicht geben. Ist die Theorie richtig, dann kann sie auch nicht „zu kompliziert“ sein; wer das behauptet, der hat sie durch eine richtige, jedoch einfachere Theorie zu ersetzen. Doch Sombart versucht das gar nicht. Im Gegenteil. Er wirft an anderer Stelle der „Theorie“ vor, daß sie zu einfach sei: „Die tatsächlichen Verhältnisse können so verwickelt sein und sind häufig so verwickelt, daß das Schema nur geringe Hilfe gewährt“.(13)

Der dritte Vorwurf Sombarts gegen die „Theoretiker“ ist der, daß „sie vielfach unpassende Schemata gebildet haben, das heißt also Produktionsmittel, mit denen nichts anzufangen ist, Maschinen, die nicht funktionieren“. Hierher rechnet er „zum großen Teil die Grenznutzenlehre, deren sehr bescheidener Erkenntniswert ja bereits eingesehen worden ist. Diese Ansicht näher zu begründen, ist jedoch hier nicht der Ort“.(14) Also: die „Theorie“ ist falsch, weil sie falsch ist, und weil man es bereits eingesehen hat. Die Begründung bleibt Sombart uns schuldig. Er gibt ein Werturteil über die Grenznutzenlehre ab. Was von solchen Werturteilen zu halten ist, hat er selbst treffend ausgeführt.(15)

Ich habe schon so oft auseinandergesetzt, welche wirtschaftspolitische Gesinnung die Interventionisten und welche die Sozialisten zu dieser theoriefeindlichen Haltung veranlaßt haben, daß ich mir hier die Wiederholung ersparen kann.(16) Die historische Erklärung läßt uns übrigens den Irrtum, der hier vorliegt, nur in seiner – vom Standpunkt der theoretischen Untersuchung gesehen – zufälligen Verumständung verstehen; begreifen können wir den Irrtum Sombarts nur auf Grund der streng logischen Prüfung seines Gedankengangs.

Bei keinem zweiten Gegner der Katallaktik liegen die politischen Beweggründe dieser Gegnerschaft so klar zutage wie bei Sombart. In das System der Wissenschaftslehre, das er in seinem jüngsten Werke vorträgt, würde die unumwundene Anerkennung der modernen nationalökonomischen Theorie viel besser hineinpassen als ihre Ablehnung. Doch ein feuriges Temperament und das Empfinden, es seiner eigenen wissenschaftlichen Vergangenheit schuldig zu sein, lassen ihn immer wieder seinem Vorsatz, frei von Werturteilen zu forschen, untreu werden. Sombart glaubt den „modernen Kapitalismus“ aus seinem Geist heraus verstanden zu haben. Kann diesen Anspruch wirklich erheben, wer das Zeitalter „der Mittel, die ohne Sinn verwandt werden und deren reiche und kunstvolle Verwendung schließlich unmerklich zum Zwecke wird“?(17) Steht nicht damit in schroffstem Widerspruch, daß Sombart selbst immer wieder Rationalisierung als das Wesen dieses Zeitalters bezeichnet? Rationalismus bedeutet doch genaues Abwägen der Mittel und der Ziele. Gewiß, Sombart schwärmt für das Mittelalter und schätzt die Werte, die seiner Meinung nach dem mittelalterlichen Menschen gültig waren, besonders hoch. Die Menschen, meint er, haben seither ihr Blickfeld „von den ewigen Werten zu den Dingen dieser Welt“ verschoben.(18) Sombart tadelt das. Doch darf man darum sagen, daß die Mittel „ohne Sinn“ verwandt werden? Sie werden – wir wollen das nicht näher prüfen – vielleicht in anderem Sinn verwandt, doch wohl nicht „ohne Sinn“. Selbst wenn es wahr wäre, daß deren „reiche und kunstvolle Verwendung“ zum „Zwecke“ wurde, dann wäre die verstehende und nicht richtende, die wertfreie Wissenschaft nicht berechtigt, diesem Zweck den „Sinn“ abzusprechen. Sie kann die Verwendung der Mittel im Hinblick auf ihre Zweckmäßigkeit – d.h. ob sie geeignet sind, den Zweck zu erreichen, den die, die sie verwenden, erreichen wollen – beurteilen, sie kann aber niemals über die Zwecke selbst zu Gericht sitzen.

Ungeachtet aller guten Vorsätze verfällt eben der Forscher nur zu leicht dem Werten und Richten, wenn er die geistige Hilfe, die ihm die „rationalen Schemata“ der Theorie geben könnten, verschmäht.

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(1) Vgl. Sombart, Die drei Nationalökonomien. München und Leipzig 1930, S. 259

(2) Vg. Soziologie und Geschichte (Archiv für Sozialwissenschaft. 61. Bd., S. 465ff.); das über die fehlerhafte Identifizierung des „rationalen“ und des „richtigen“ Verhaltens (so vor allem auf S. 486ff.) Gesagte enthält auch schon die Erwiderung auf Sombarts Ausführungen a.a.O. S. 261.

(3) Vgl. Sombart, a.a.O.S. 211.

(4) Vgl. a.a.O.S. 305.

(5) Vgl. a.a.O.S. 247.

(6) Vgl. a.a.O.S. 301.

(7) Sombart, a.a.O.S. 305.

(8) Sombart, a.a.O.S. 305

(9) Sombart, a.a.O., S. 303

(10) ebendort

(11) Vgl. meinen Aufsatz: Soziolgie und Geschichte, a.a.O.S. 507f.

(12) Vg. Sombart, a.a.O.S. 303

(13) a.a.O.S. 301

(14) a.a.O.S. 304

(15) a.a.O.S. 289f.

(16) Vgl. Soziologie und Geschichte, a.a.O.S. 466, 509; Kritik des Interventionismus. Jena 1929, S. 24ff., 68ff.

(17) Sombart, a.a.O.S. 87

(18) a.a.O.S. 85