Fünfter Brief.
26 Sie fragen mich, mein Freund, warum denn Schmoller eigentlich den selbstverständlichen Satz, dass die historischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft (die Geschichte und die Statistik der letztern) lediglich im Verhältnisse von Hilfswissenschaften zu der politischen Oekonomie stehen, nicht rückhaltlos zugebe, sein Bestreben vielmehr dahin gehe, die Grenzen zwischen den beiden obigen Wissensgebieten nach Möglichkeit zu verwirren? Die Erklärung hierfür, oder um mich der edlen Ausdrucksweise Schmoller‘s zu bedienen, die Erklärung für seine Abneigung „gegen die Scheuleder wissenschaftlicher Arbeitstheilung“ liegt ziemlich nahe. Kein Vernünftiger leugnet die Wichtigkeit historischer Studien für die Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie. Niemand leugnet auch den Nutzen, welchen die Geschichte der Volkswirthschaft an sich für das Verständniss der volkswirthschaftlichen Erscheinungen hat. Indess dies vermag dem Herausgeber des Berliner Jahrbuches nicht zu genügen. Er will seine historisch-statistische Kleinmalerei weiter betreiben, und doch die Prätension nicht 27 aufgeben, für einen Bearbeiter der politischen Oekonomie und speciell der Theorie der Volkswirthschaft zu gelten, und deshalb sein Widerwille gegen die „Scheuleder wissenschaftlicher Arbeitstheilung“, in Wahrheit aber gegen jede sachgemässe Bestimmung der Grenzen zwischen Geschichte und Theorie der Volkswirthschaft, deshalb auch die von ihm zäh festgehaltene Meinung, dass die Geschichte der Volkswirthschaft der descriptive Theil der politischen Oekonomie sei (1), während sie doch überhaupt kein Theil der politischen Oekonomie, sondern eine Hilfswissenschaft der letzteren ist. Um über diese allerdings schwer überbrückbare Kluft zu gelangen, stellt er die Theorie von der keineswegs unüberbrückbaren Kluft zwischen der Geschichtsschreibung und der Theorie auf dem Gebiete der Volkswirthschaft auf. „Der Gegensatz zwischen den obigen Wissenschaften darf nicht als eine unüberbrückbare Kluft aufgefasst werden.“ Die Frage nach den Grenzen zwischen den historischen und theoretischen Wissenschaften ist damit erledigt! so recht im Geiste Schmoller’s erledigt!
Bienheureux les Ecrivains — möchte ich hier mit Balzac ausrufen — qui se contentent si facilement. Damit Schmoller seine historisch statistische Mikrographie ruhig fortsetzen könne, sollen historisch gewordene, allgemein anerkannte wissenschaftliche Classificationen umgeworfen worden, damit er auch fürderhin sich seinen Strassburger historischen Spaziergängen ungestört widmen könne und doch für einen Bearbeiter der politischen Oekonomie gelte, sollen alle wissenschaftlichen Kategorien auf den Kopf gestellt werden! Wahrhaftig! das wäre der Mühe werth! Und darum noch einmal: Wer die Ergebnisse der Geschichtsforschung 28 für die Zwecke der Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie verwerthet, ist allerdings ein politischer Oekonom, wer aber die Geschichte der Volkswirthschaft selbst erforscht, ist in dieser seiner Function ein Geschichtsschreiber der Volkswirthschaft, ein wissenschaftlicher Historiker, nebenbei gesagt, natürlich nur dann, wenn er mit den Quellen und der Technik der Geschichtsforschung genügend vertraut ist. So ist es, und so wird es hoffentlich bleiben, wenn auch darüber klar würde, dass Schmoller die Aufgabe der politischen Oekonomie aus dem Grunde verkannt habe.
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