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Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie.

Neunter Brief.
Zehnter Brief.
Elfter Brief.
Zwölfter Brief.
Dreizehnter Brief.

Neunter Brief.

47 Glauben Sie übrigens ja nicht, mein Freund, dass die Meinung, die Geschichte sei die ausschliessliche empirische Grundlage der politischen Oekonomie, der letzte Trumpf sei, welchen der Historismus in unserer Wissenschaft ausgespielt hat. Wie jede Einseitigkeit bis in ihre äusserste Consequenz verfolgt werden, sich gleichsam ausleben muss, um endlich als solche allgemein erkannt zu werden, so ist auch der Historismus auf dem Gebiete der politischen Oekonomie bei der obigen Auffassung nicht stehen geblieben. Hat doch ein Theil unserer historischen Volkswirthe die Idee theoretischer und praktischer Wissenschaften von der Volkswirthschaft überhaupt preisgegeben, um in historischen Darstellungen die einzig berechtigte Aufgabe der Forschung auf dem Gebiete der Volkswirthschaft zu erkennen. Indess selbst jene, welche an der Idee theoretischer und praktischer Wissenschaften auf dem obigen Gebiete von Erscheinungen mit grösserer oder geringerer Consequenz festhalten, haben es verstanden, den Historismus in der politischen Oekonomie noch einen Schritt über den vorhin gekennzeichneten Standpunkt zu führen.

48 Wer die Ergebnisse der historischen Forschung als die ausschliessliche empirische Grundlage der theoretischen Nationalökonomie und der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft auffasst, verkennt die Bedeutung aller übrigen empirischen, überdies aber jene der rationellen Grundlagen der theoretischen und praktischen Richtung des Erkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. Er wird in den „Gesetzen der volkswirthschaftlichen Erscheinungen“ lediglich „Entwickelungsgesetze“, „Parallelismen der Wirthschaftsgeschichte“; in der theoretischen Nationalökonomie, nicht eine Wissenschaft von den „Gesetzen der volkswirthschaftlichen Erscheinungen“, sondern eine Wissenschaft dieser „Parallelismen der Wirthschaftsgeschichte“ erkennen; er wird durch die obige einseitige Auffassung dazu geführt werden, die praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft, nicht als Darstellungen der Grundsätze zum zweckmässigen, der Besonderheit der Verhältnisse angemesssenen Handeln auf dem Gebiete der Volkswirthschaft, sondern lediglich als Darstellungen der Wirthschaftsgeschichte entlehnter Erfahrungen über die Ziele, die Massregeln und Erfolge der Wirthschaftspolitik und der Finanzverwaltung, zu betrachten u. dgl. m.

So einseitig sein Standpunkt in Folge der obigen Auffassungen aber auch sein mag, er wird doch, weder die Existenz von „Gesetzen“ der Erscheinungen, noch aber auch von „Grundsätzen zum zweckmässigen Handeln“ auf dem Gebiete der Volkswirthschaft überhaupt leugnen. Die Geschichte und die Statistik werden auch für ihn nur die empirische Grundlage sein, auf welcher die, wenn auch noch so einseitig aufgefassten Wahrheiten der theoretischen Nationalökonomie und der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft 49 erst noch erforscht werden müssen. Die theoretischen und praktischen Erkenntnisse werden, auch noch nach dieser Auffassung, ein von dem historisch-statistischen Material, auf dessen Grundlage sie gewonnen werden sollen, Verschiedenes sein.

Selbst diese Ansicht vom Wesen unserer Wissenschaft scheint dem einseitigen Historismus einer Reihe deutscher Volkswirthe indess nicht genügt zu haben. Dieselben stellen vielmehr als Postulat der Forschung den Grundsatz auf, dass auch in der politischen Oekonomie, u. zw. sowohl in dem theoretischen als auch in den praktischen Theilen derselben, eigentlich „die Geschichte für sich selbst zu sprechen habe,“ an die Stelle von Gesetzen der volkswirthschaftlichen Erscheinungen und an die Stelle von Grundsätzen zur zweckmässigen Förderung der Volkswirthschaft, beziehungsweise zur zweckmässigen Einrichtung des Staatshaushaltes, ein nach gewissen Kategorien geordnetes historisch-statistisches Material treten solle. Wenn Schmoller verlangt, dass die „Nationalökonomie wesentlich descriptiv verfahren, und dem Studirenden ein concretes individuelles Bild, aber geordnet nach Begriffen, Typen und Relationen etc., specialisirt bis zur Verfolgung in das Einzelne der Erscheinungen und Ursachen“ bieten solle(1), so documentirt er sich hier lediglich als einen Vertreter dieser äussersten, mit der Idee der politischen Oekonomie noch vereinbarlichen Form des Historismus, als Vertreter einer Ansicht, welche, an die Stelle der Theorie und der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft, „wesentlich“ ein nach gewissen wissenschaftlichen Kate- 50 gorien geordnetes historisch-statistisches Material setzen möchte, — ohne Zweifel so ziemlich der niedrigste Standpunkt, auf den eine Socialwissenschaft gestellt zu werden vermag.

Was war der Gang der Entwicklung in der historischen Schule der deutschen Nationalökonomie?

Theorie! — Theorie verbrämt mit historisch-statistischen Notizen und durchbrochen von historischen Excursen! — Blosse Notizen und historische Excurse mit dem Anspruche, für eine Theorie zu gelten!

Ein weiterer „Fortschritt“ in dieser Richtung ist allerdings schwer möglich.

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(1) Jahrbuch, a. a. O. S. 246.