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Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie.

Vierzehnter Brief.
Fünfzehnter Brief.
Sechzehnter Brief.
Verbesserungen

Fünfzehnter Brief.

78 Sie werfen mir ein, dass ein Vorgehen wie das in meinem vorigen Briefe geschilderte, nahezu unglaublich sei, da doch nicht angenommen werden könne, dass ein auf seinen wissenschaftlichen Ruf einigermassen bedachter Gelehrter, um gegenüber einem wissenschaftlichen Gegner den Ton der Ueberlegenheit anschlagen zu können, also um eines geringfügigen und, mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer Berichtigung, doch nur vorübergehenden Eitelkeitskitzels willen, zu so abenteuerlichen Mitteln greifen werde. Wie wenig Sie Schmoller kennen! Als ob derselbe seit mehr als einem Decennium nicht genau in der nämlichen Weise jeden wissenschaftlichen Gegner bekämpfte! Lesen Sie, mein Freund, die von mir citirten Stellen meines Werkes und die eben so genau citirten Stellen seiner Recension, verfolgen Sie seine sonstige kritische Thätigkeit, und Sie werden zu staunen aufhören.

Und doch vermöchte man selbst über solche und ähnliche Dinge hinwegzugehen, böten die Angriffe Schmoller‘s nicht eine noch viel bedenklichere Seite dar.

79 Dass Schmoller dort, wo er meine wissenschaftlichen Ansichten zum Gegenstande seiner Besprechung macht, mich oft genug das Gegentheil von dem sagen lässt, was ich wirklich sage, dass er mir Dinge, die ich selbst behaupte, in belehrendem Tone entgegenhält, dass er das an mir tadelt, was er an Anderen lobt, und was dergleichen Kunstmittel Schmoller’scher Kritik mehr sind, lasse ich hier unerörtert. So auffällig auch die Missverständnisse und die Missdeutungen meiner Ansichten sind, welchen ich in Schmoller‘s Kritik begegne, und so nahe auch die Frage liegt, welche Berechtigung in der wissenschaftlichen Discussion so missverständliches und unüberlegtes Geschreibe bestenfalls habe? — ich will daraus keinen Schluss auf die Wahrheitsliebe des Herausgebers des Berliner Jahrbuches ziehen. Befangenheit in vorgefassten Meinungen, Flüchtigkeit der Lectüre, mangelhafte Orientirung in den behandelten Materien, die schlechten Gewohnheiten, welche sich regelmässig im Gefolge handwerksmässig betriebener Kritik einzustellen pflegen, ein offenbar mehr für die niederen Formen des Parteikampfes, als für die wissenschaftliche Discussion prädestinirtes und geschultes Naturell: alle diese Umstände zusammengenommen gestatten bei einem Manne, wie Schmoller, selbst die auffälligsten Missdeutungen fremder Meinungen als blosse Irrthümer zu entschuldigen.

Anders dort, wo es sich um wahrheitswidrige Behauptungen handelt, bei welchen jedes Missverständniss durch die Natur der Sache von vorn herein ausgeschlossen ist, um wahrheitswidrige Behauptungen, welche lediglich den Zweck verfolgen, die richtige Würdigung eines Autors und der Ergebnisse seiner Forschungen bei den Fachgenossen zu verhindern. 80 Wahrheitswidrige Behauptungen dieser Art sind Cabalen und kein Tadel zu hart, kein Hohn zu bitter, wenn es gilt, dieselben zu brandmarken.

Schmoller macht mir den Vorwurf, dass ich „über W. Roscher’s und B. Hildebrand‘s historische Arbeiten klage“,(1) er sucht bei seinen Lesern den Eindruck hervorzurufen, dass ich Knies mit einigen wenigen Worten „abgethan“ habe(2), er bezeichnet mich als einen Anhänger des Manchesterthums(3), imputirt mir Sympathien für den Mysticismus des Savignyschen Volksgeistes(4) u. dgl. m.

Alle diese Behauptungen sind vollständig aus der Luft gegriffen, Unterstellungen, für welche in meinem Werke nicht der entfernteste Anhaltspunkt vorhanden ist.

Ich soll über Hildebrand’s und Roscher‘s historische Arbeiten geklagt haben? Die Wahrheit ist, dass ich über Hildebrand’s historische Arbeiten nirgends ein Wort gesprochen, Roscher‘s „hervorragende Verdienste um die Förderung des historischen Verständnisses einer Reihe wichtiger Erscheinungen der Volkswirthschaft“ aber auf der Seite 225 meiner „Untersuchungen“ ausdrücklich anerkannt habe.

Ich soll Knies in einigen von Schmoller angeführten Worten „abgethan“ haben? Die Wahrheit ist, dass ich auf der Seite 228 meiner „Untersuchungen“ Knies als den hervorragendsten Methodiker der historischen Schule deutscher Volkswirthe bezeichne. Ich widme der Kritik seiner 81 Lehren nicht die wenigen Worte, welche Schmoller anführt, sondern mehrere Druckseiten meiner Schrift, und gelange zu dem Ergebnisse, dass Knies den Ideenkreis der historischen Schule in Rücksicht auf die Methodik der politischen Oekonomie abschliesse; was nach ihm die Untersuchung über die methodischen Probleme der historischen Volkswirthschaftslehre zu Tage gefördert habe, bei diesem Autor sich zum mindesten bereits angedeutet finde.(5)

Sie sehen mein Freund, welche Bewandtniss es mit der Behauptung Schmoller’s hat, dass ich Knies mit den von ihm angeführten Worten „abgethan“ habe. Sie ist ebenso wahrheitswidrig wie alle übrigen Unterstellungen Schmoller‘s.

Sollten auch dies nur einfache Irrthümer sein?

Beachten Sie wohl, mein Freund, welche Tendenz gerade aus diesen so höchst persönlichen Unterstellungen hervorgeht!

Doch ich hätte fast zu erwähnen vergessen, dass ich Knies nicht nur als den hervorragendsten Methodiker der historischen Schule deutscher Volkswirthe und die Neuern in Rücksicht auf die Methodik dieser Schule nur als Epigonen desselben bezeichnete; ich habe unter diesen letzteren, und zwar wahrheitsgemäss an secundärer Stelle, auch Schmoller genannt; an secundärer Stelle ihn, den Herausgeber „seiner“ Jahrbücher! Ich Tollkühner habe ihm nicht nur den gewohnten Lobestribut verweigert, sondern geradezu die Rücksichten verletzt, welche ich seiner privilegirten Stellung schuldig war und damit offenbar gewisse Empfindlichkeiten rege gemacht. „Wenn’s ihn juckt, so kratze er sich“, hatte ich in richtiger Wür- 82 digung dieses nationalökonomischen Rhadamanthus gedacht. Doch Schmoller möchte nicht empfindlich erscheinen und darum kratzt er den Roscher, kratzt er den Knies, kratzt er selbst den todten Hildebrand, — weil ihn die verletzte Eitelkeit juckt.

Erlassen Sie mir, mein Freund, mich gegen den Vorwurf Schmoller‘s zu vertheidigen, dass ich ein Anhänger der Manchesterpartei(6) oder ein solcher 83 des „Mysticismus des Savigny’schen Volksgeistes“ sei. Beide Vorwürfe sind vollständig aus der Luft gegriffen. Wenn irgend etwas mit der in so vieler Rücksicht gehässigen Wirksamkeit Schmoller‘s auf dem Gebiete unserer Wissenschaft versöhnt, so ist es der Umstand, dass er, und zwar mit nicht zu verkennender Hingebung, an der Seite verehrungswürdiger Männer gegen die socialen Uebelstände und für das Schicksal der Schwachen und Armen kämpft, ein Kampf, in welchem, so verschieden auch die Richtung meiner Forschungen ist, meine Sympathien doch ganz auf der Seite dieser Bestrebungen stehen. Ich möchte meine geringe Kraft der Erforschung jener Gesetze widmen, nach welchen das wirthschaftliche Leben der Menschen sich gestaltet; nichts liegt indess meiner Richtung ferner, als der Dienst im Interesse des Capitalismus. Keine Beschuldigung Schmoller’s ist wahrheitswidriger, kein Vorwurf frivoler, als dass ich ein Anhänger der Manchesterpartei sei, es wäre denn, dass das Streben nach Feststellung der Gesetze der Volkswirthschaft, oder der Hinweis auf die Nothwendigkeit ernster Bedachtnahme auf die bisherigen Errungenschaften der Civilisation bei allen wirthschaftspolitischen Reformen schon an sich den obigen Vorwurf begründen könnte — eine Idee, welche indess nur in einem ganz dissoluten Geiste zu entstehen vermöchte.(7)

Was ferner den Vorwurf betrifft, dass ich ein Anhänger des „Mysticismus des Savigny’schen Volks- 84 geistes“ sei, so habe ich mich nicht nur nicht für, sondern ausdrücklich gegen diesen letzteren ausgesprochen. Ich schreibe (S. 208 meiner Untersuchungen) wörtlich: “Gegen diese Bestrebungen der Smith‘schen Schule (gegen den einseitigen Pragmatismus) eröffnete sich unserer Wissenschaft ein unermessliches Gebiet fruchtbarer Thätigkeit im Sinne der Richtung Burke-Savigny’s — nicht einer solchen, welche das organisch Gewordene als unantastbar, gleichsam als die höhere Weisheit in menschlichen Dingen, gegen die reflectirte Ordnung der socialen Verhältnisse schlechthin festzuhalten die Aufgabe gehabt hätte. Das Ziel der hier in Rede stehenden Bestrebungen musste vielmehr das volle Verständniss der bestehenden socialen Einrichtungen überhaupt, und der auf organischem Wege entstandenen Institutionen insbesondere sein: die Festhaltung des bewährten gegen die einseitig rationalistische Neuerungssucht auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. Es galt die Zersetzung der organisch gewordenen Volkswirthschaft durch einen zum Theile oberflächlichen Pragmatismus zu verhindern, einen Pragmatismus, der gegen die Absicht seiner Vertreter unausweichlich zum Socialismus führt.“

Ich glaube, dass ich hier die Bestrebungen des „Manchesterthums“und des „Mysticismus“ auf dem Gebiete der Volkswirthschaft nicht vertheidige, sondern entsprechend meinem wissenschaftlichen Standpunkte in sachgemässer Weise bekämpfe, und doch schleudert mir Schmoller den Vorwurf des Mysticismus und des Manchesterthums entgegen — dies beliebte socialpolitische Hepp! Hepp! das der Herausgeber des Berliner Jahrbuches jedesmal und an jeder noch so unpassen- 85 den Stelle ertönen lässt, wenn ihm — die Argumente ausgehen.

Ich glaube mein Freund, dass wir nunmehr auch über die Unbefangenheit Schmoller‘s in Sachen wissenschaftlicher Kritik im Klaren sind. Seine Neigung zu Missverständnissen ist wahrlich nicht die bedauerlichste Seite seiner kritischen Wirksamkeit auf dem Gebiete unserer Wissenschaft.

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(1) Ebendas. S. 242.
(2) Ebendas. S. 250.
(3) Ebendas. S. S. 241 u. 250.
(4) Ebendas. S. 250.
(5) „Untersuchungen“, S. 230.
(6) Ein Anhänger der sogenannten Manchester-Schule zu sein, ist freilich keine Unehre; es bedeutet nur das Festhalten an einer Reihe wissenschaftlicher Ueberzeugungen, von welchen jene, dass das freie Spiel der individuellen Interessen dem wirthschaftlichen Gemeinwohl am förderlichsten sei, wohl als die wichtigste bezeichnet werden kann. Geistig hoch über Schmoller stehende, von der edelsten Wahrheitsliebe geleitete Socialphilosophen haben sich als Anhänger des obigen Grundsatzes und der aus ihm resultirenden Maximen für die Wirthschaftspolitik bekannt. Wie gesagt, als ein Anhänger der sogenannten Manchester-Schule bezeichnet zu werden, ist nichts, was an sich den geringsten Vorwurf in sich schliessen würde.
Anders in dem Munde eines so einseitigen Parteigängers der sogenannten socialpolitischen Richtung, wie Schmoller. Das Manchesterthum in seinem Munde ist das Stigma, durch welches er jeden anders Denkenden brandmarken möchte, ein Schmähwort, das er seinen Gegnern zuschleudert — wo immer es ihm an Argumenten gebricht.
Mit Recht protestirt desshalb H. Dietzel (Hildebrand’s Jahrbücher, 1884. N. F. VIII. S. 110) dagegen, dass das Stigma des Manchesterthums gegen Jene geschleudert werde, welche sich mit der exacten Analyse der volkswirthschaftlichen Erscheinungen befassen.
Das Manchesterthum hat meines Dafürhaltens mit der Frage nach der Berechtigung einer exacten Theorie der Volkswirthschaft ungefähr ebensoviel zu thun, als etwa eine Pulververschwörung mit der Frage nach der Berechtigung der theoretischen Chemie.
(7) Ich bekämpfe wohl an mehreren Stellen meiner „Untersuchungen“ die sogenannte „ethische“ Richtung in der politischen Oekonomie, trenne sie indess strenge von der „socialpolitischen“ Richtung der nationalökonomischen Forschung (S. 226, Not. 123).