Rezension: 'Das Ende des Laissez-Faire' von J. M. Keynes (1927)
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Quelle: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. 82 (1927) S. 190-191.
Keynes, J. M.: Das Ende des Laissez-Faire, Ideen zur Verbindung von
Privat- und Gemeinwirtschaft. München und Leipzig, Duncker &
Humblot, 1926. 8°, 40 Seiten.
Der Schrift liegt ein Vortrag zu Grunde, den der englische Nationalökonom John Maynard Keynes am 23. Juni 1926 an der Universität Berlin gehalten hat. Sie übt scharfe Kritik am System des Liberalismus und des Kapitalismus, sie verwirft das freie Sondereigentum an den Produktionsmitteln, sie will aber auch nicht sozialistisch sein. Vielmehr wird als Lösung ein Mittelding zwischen Sondereigentum an den Produktionsmitteln auf der einen Seite und Gemeineigentum auf der anderen Seite empfohlen: Sondereigentum, das durch gesellschaftliche Einflußnahme reguliert wird. Diese soziale Kontrolle soll nicht der Staat ausüben, sondern »halbautonome Körperschaften im Rahmen des Staates«, also »gewissermaßen eine Rückkehr zu den mittelalterlichen Formen selbständiger Autonomien.« (S. 31 f.)
Keynes schlägt mithin nichts anderes vor, als was seit Jahrzehnten überall, besonders aber in deutschen Landen von der offiziellen Wissenschaft und von der ganzen öffentlichen Meinung als »Lösung der sozialen Frage« empfohlen wird. Es wäre mithin kein Anlaß, sich mit dem kleinen Schriftchen zu befassen, denn alles, was es bringt, ist schon — auch in deutscher Sprache — hunderte Male, wenn vielleicht auch nicht besser, so doch auch nicht schlechter und jedenfalls gründlicher, ausgeführt worden. Doch der Titel, den Keynes seiner Arbeit gegeben hat und ihre epigrammatische Zuspitzung fordern zu einigen kritischen Bemerkungen heraus.
Die berühmte Maxime lautet nämlich vollständig Laissez faire et laissez passer. Dabei wurde, mag es auch mit der Geschichte der Maxime nicht ganz in Einklang zu bringen sein, das faire auf die Verfügung über die Güter mit Ausnahme der Ortveränderung, das passer auf die Freizügigkeit der Menschen und der Sachgüter bezogen. In der Tat gehören die beiden Forderungen zusammen, man kann sie nicht nach Belieben trennen, sie sind der Ausfluß derselben Sozialideologie.
Keynes aber spricht geflissentlich nur vom Laissez faire. Den Protektionismus erwähnt er (S. 26) ganz flüchtig, vom Problem der Freizügigkeit spricht er überhaupt nicht. Der Grund dieser Selbstbeschränkung ist leicht zu verstehen. Der Protektionismus und die Unterbindung der internationalen Freizügigkeit sind zwar auch schönes Mittelalter, aber ihre Folgen sind heute bereits so klar zu erkennen, daß ein Sozialreformer, der den Liberalismus bekämpft, gut tut, darüber zu schweigen. Besonders ein Angelsachse, der in Berlin gegen den Liberalismus auftreten will, muß es vermeiden, diese heiklen Dinge zu berühren. Sicher befanden sich unter seinen Zuhörern viele, die in den letzten Jahren aus dem Lande, in dem sie gearbeitet und gelebt hatten, verdrängt worden waren, und viele, die aus dem übervölkerten Mittel-europa auswandern wollen und nicht dürfen, weil die Arbeiter der dünner besiedelten Gebiete sich gegen Zuzug von Konkurrenten wehren. Und daß der Protektionismus für Deutschland und für England die schwierigste wirtschaftliche Lage geschaffen hat, wird wohl auch Keynes genau wissen.
Hätte Keynes vom Ende des Laissez faire et laissez passer gesprochen, dann hätte er nicht verkennen können, daß die Welt heute gerade daran erkrankt, daß seit Jahrzehnten eben nicht mehr nach dieser Maxime regiert wird. Wer heute über die Abkehr der Völker vom Liberalismus frohlockt, sollte nicht vergessen, daß Krieg und Revolution, Massenelend und Arbeitslosigkeit, Tyrannei und Diktatur nicht zufällige Begleiterscheinungen, sondern notwendige Folgen des die ganze Welt beherrschenden Antiliberalismus sind.
Wien
L. Mises